RG, 23.01.1880 - III 11/79

Daten
Fall: 
Rechtsweg nach römischen Recht
Fundstellen: 
RGZ 1, 155
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.01.1880
Aktenzeichen: 
III 11/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Amtsgericht Rennerod
  • Appellationsgericht Wiesbaden

Ist die nach dem römischen Rechte wegen Störung im Gebrauche eines öffentlichen Weges gegebene Klage nach den im Königreiche Preußen über die Zulässigkeit des Rechtsweges bestehenden Vorschriften statthaft?

Tatbestand

In der Stadt Westerburg befindet sich zwischen den Häusern des Leinwebers B. und des Kaufmanns U. ein Grundstück, welches nach der Behauptung des letzteren der Stadt R. gehört, von jeher als Verbindungsweg zwischen den anstoßenden Wegen und den angrenzenden Häusern und Höfen gedient hat und von uralten Zeiten her als öffentlicher Weg nicht bloß von den Anwohnern, sondern von jedermann benutzt worden ist. B. hat die Benutzung dieses Weges durch Anlegung einer Treppe, eines verschlossen gehaltenen Thores und Aufstellung einer großen Bütte verhindert. Er hält sich zu diesen Anlagen berechtigt, weil das fragliche Grundstück sein Eigentum sei. Nachdem die zuständige Verwaltungsbehörde die Anträge des U., die Freihaltung des Weges anzuordnen, abgewiesen hatte,

"weil nicht anzunehmen sei, daß der von B. gesperrte Weg einen für den öffentlichen Verkehr so notwendigen Weg bilde, daß ein amtliches Einschreiten zur Vermeidung polizeilicher Unzuträglichkeiten geboten wäre und den Beteiligten überlassen bleiben müsse, den Streit im Rechtswege zum Austrage zu bringen",

erhob U. Klage gegen B. mit dem Antrage, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Absperrung des fraglichen öffentlichen Weges zu unterlassen, die gemachten Anlagen hinwegzuräumen, den früheren Zustand wiederherzustellen, auch dem Kläger allen durch die Versperrung des Weges entstandenen Schaden salv liq. zu ersetzen. Kläger hat dabei näher dargelegt, wie er namentlich mit Rücksicht auf die Lage seiner verschiedenen Gebäude durch die Absperrung des fraglichen Weges benachteiligt werde.

Nachdem das erste Gericht die Klage abgewiesen hatte, indem es annahm, daß Beklagter Eigentümer des fraglichen Terrains sei, verurteilte das Appellationsgericht den Beklagten klaggemäß, indem es davon ausging, daß die Voraussetzungen des in 1. 2. §. 45 Dig. ne quid in loco publ. (43. 8) gegebenen Interdikts vorhanden seien. Beklagter hat diese Entscheidung mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten und namentlich Verletzung der über die Zulässigkeit des Rechtsweges im Königreich Preußen bestehenden Vorschriften gerügt.

Gründe

"Die Beschwerde ist aus folgenden Gründen verworfen:

Mit Unrecht bestreitet der Kläger die Zulässigkeit des ersten vom Beklagten geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes, weil die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges in den Vorinstanzen nicht erhoben sei. Denn da der Richter seine Zuständigkeit, also namentlich auch die Frage, ob der Rechtsweg eröffnet sei, von Amts wegen zu prüfen hat, so können auch die Parteien in jeder Instanz, auch noch im Nichtigkeitsverfahren in dieser Richtung Einwendungen erheben.

Die Beschwerde des Beklagten ist jedoch nicht begründet.

Die erste Ausführung des Imploranten: da Kläger keine seiner Hofraithe zustehende privatrechtliche Gang- und Fahrgerechtigkeit geltend mache, sondern Schutz im Gebrauche eines öffentlichen Weges verlange, also kein Privatrecht, sondern ein publizistisches Recht in Frage stehe und weil nach den in der preußischen Monarchie geltenden Gesetzen die Gerichte zur Aburteilung über publizistische Rechte nicht befugt seien, so verletze der Appellationsrichter durch Zulassung der vom Kläger erhobenen Klage den Art. I der Königlichen Verordnung vom 16. September 1867, betreffend die Zulässigkeit des Rechtsweges, den §. 1 der Einleitung zur Allgemeinen Gerichts-Ordnung und den darin ausgesprochenen, auch in den neu erworbenen Landesteilen geltenden Rechtssatz:

"daß die Gerichte nur zur Entscheidung über solche Sachen und Rechte berufen seien, welche Gegenstand des Privatrechtes sind"

ist nicht zutreffend.

Da nach den im Geltungsgebiete des preußischen Allgemeinen Landrechtes bestehenden, durch die Königliche Verordnung vom 16. September 1867, betreffend die Zulässigkeit des Rechtsweges, auch auf die durch die Gesetze vom 20. September und 24. Dezember 1866 der preußischen Monarchie einverleibten Landesteile ausgedehnten allgemeinen Bestimmungen ein Prozeßverfahren in denjenigen Angelegenheiten nicht stattfindet, welche nach der bestehenden Staats- und Landesverfassung zum Ressort der Verwaltungsbehörden gehören, da ferner zu diesen Angelegenheiten auch die Sorge für die öffentlichen Straßen und Wege, insbesondere die Sorge für die Freihaltung des Verkehres auf denselben im öffentlichen Interesse zu rechnen ist, indem diese zu den den Polizeibehörden überwiesenen Funktionen gehört, so können allerdings die nach dem römischen Rechte zum Schutze des Gebrauches öffentlicher Wege gegebenen Rechtsmittel, soweit dadurch das öffentliche Interesse gewahrt werden sollte und dieselben daher von jedem Staatsbürger, auch dem nicht durch die Störung des Gebrauches Benachteiligten erhoben werden konnten, für anwendbar nicht mehr angesehen werden. Erachten die zuständigen Verwaltungsbehörden ein Einschreiten gegen die den Gebrauch öffentlicher Wege und Straßen beeinträchtigenden Handlungen im öffentlichen, polizeilichen Interesse nicht für geboten, so kann nicht im Wege des prozessualischen Verfahrens die Frage, ob im öffentlichen Interesse ein Einschreiten geboten oder gerechtfertigt sei, zur Erörterung und Entscheidung gebracht werden. Aus jenen Vorschriften über die Ausschließung des Rechtsweges in den zum Ressort der Verwaltungsbehörden gehörenden Angelegenheiten folgt aber keineswegs, daß auch diejenigen Rechtsmittel, welche das gemeine Recht zum Schutze des Sonderinteresses des einzelnen Staatsangehörigen auf Benutzung eines öffentlichen Weges gewährt, nicht mehr zulässig seien; diese Rechtsmittel müssen vielmehr, wenn die Polizeibehörden die Beseitigung der den Gebrauch eines öffentlichen Weges beeinträchtigenden Anlagen nicht anordnen wollen, für statthaft erachtet werden, weil sie zum Schutze gegen unbefugte Eingriffe in das dem einzelnen zustehende Recht auf Benutzung öffentlicher Wege dienen und zugleich auf Ersatz des durch solche unbefugte Eingriffe dem Kläger entstandenen Schadens gerichtet sind, also nicht publizistische Rechte, sondern einen privatrechtlichen Anspruch betreffen.

Im vorliegenden Falle handelt es sich aber, wie die Begründung der Klage, das Klagegesuch und der Tenor des den Beklagten verurteilenden Erkenntnisses ergeben, nur um den Schutz des Interesses, welches der Kläger an dem Gebrauche des in Frage stehenden öffentlichen Weges mit Rücksicht auf die Lage seiner Scheune und auf die erleichterte Kommunikation mit den höher gelegenen Teilen der Stadt hat, sowie um den Ersatz des Schadens, welcher ihm durch die unbefugte Verhinderung beziehungsweise Erschwerung der Benutzung des Weges durch den Beklagten verursacht ist."...