RG, 23.02.1880 - Va 3/79

Daten
Fall: 
Rechtsweg über Benutzung der Meeresufer
Fundstellen: 
RGZ 1, 366
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.02.1880
Aktenzeichen: 
Va 3/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadt- und Kreisgericht Danzig
  • Appellationsgericht Marienwerder

Ist über die Befugnis zur Benutzung der Meeresufer der Rechtsweg zulässig?

Tatbestand

Am Ausfluß der Weichsel haben sich in der Ostsee fünf Inseln gebildet, welche der Forstfiskus occupiert hat und nutzt. Die Beklagten, welche diese Inseln zum Zwecke der Ausübung der Fischerei betraten, sind auf die vom Forstfiskus angestrengte negatorische Eigentumsklage rechtskräftig verurteilt, das Eigentum desselben an den fünf Inseln anzuerkennen und sich der Benutzung derselben außerhalb der Ufer zu enthalten. Streitig geblieben ist der Klageantrag in betreff der Ufer, sowie der von den Beklagten in der Wiederklage gestellte Antrag, den Forstfiskus zu verurteilen, ihnen zu gestatten, daß sie die Ufer der fünf Inseln, soweit die höchste Flut steigt, zur Ausübung der Fischerei betreten und benutzen.

Sie gründen ihren Antrag darauf, daß die Meeresufer zu den res publicae zu rechnen seien, von deren Benutzung niemand ausgeschlossen werden könne, während Kläger behauptet, daß die Ufer solcher Inseln überhaupt nicht als Meeresufer im Sinne des §. 80 A.L.R. II. 15 anzusehen seien, und daß sie eventuell nur wie die Landstraßen zum Reisen und zum Transport von Sachen benutzt werden dürften.

Der erste Richter hat die Beklagten nach dem Klageantrage verurteilt und mit ihrem Wiederklageantrage abgewiesen, weil die Meeresufer Eigentum des Staates seien und Kläger nach §. 1 und 9 bis 13 I. 8 und §. 24 II. 14 A.L.R. jeden von der Benutzung derselben ausschließen könne.

Auf die Appellation der Beklagten erkannte der Appellationsrichter abändernd auf Abweisung des Klägers mit dem Klageantrage und auf Verurteilung desselben nach dem Antrage der Widerklage, weil die Meeresufer nicht wie die res fisci zum besonderen, sondern als res publicae zum gemeinen Eigentume des Staates gehörten, und durch die dem Staate daran als niedrige Regalien vorbehaltenen Nutzungsrechte der allen Personen gestattete Gebrauch derselben nicht ausgeschlossen werde.

Auf die Revision des Klägers ist diese Entscheidung in betreff der Abweisung des Klageantrages bestätigt, in betreff der Wiederklage aber dahin abgeändert, daß der Rechtsweg für unzulässig zu erachten.

Gründe

"Mit Recht hat der Appellationsrichter die Ufer von Inseln für Meeresufer im Sinne des §. 21 A.L.R. II. 14 erachtet. Nach der klaren Vorschrift dieser Bestimmung und des §. 80 A.L.R. I. 15 stehen sie in denselben rechtlichen Verhältnissen wie die Land- und Heerstraßen und die von Natur schiffbaren Ströme, d. h. sie stehen im gemeinen Eigentume des Staates, gehören aber zu den res publicae im engeren Sinne, d.h. zu demjenigen Staatseigentume, dessen Gebrauch jedermann offen steht. Sie fallen daher nur soweit in das Gebiet des privatrechtlichen fiskalischen Eigentums, als eine Nutzung unbeschadet ihrer Bestimmung zum öffentlichen Gebrauch daran möglich ist. Soweit diese Bestimmung reicht, ist das Privateigentum an denselben einer Beschränkung unterworfen, und sie stehen allein unter der Herrschaft der allgemeinen Staatsgewalt vermöge der publizistischen Staatshoheit derselben.

Daraus folgt, daß die auf das unbeschränkte privative oder besondere Eigentumsrecht des Fiskus gestützte negatorische Klage, soweit sie sich auf die Ufer der Inseln bezieht, mit Recht abgewiesen ist, weil dem Kläger ein solches Eigentumsrecht nicht zusteht, und daß über die Frage, wie weit den einzelnen Mitgliedern der Staatsgemeinschaft eine Befugnis zur Benützung der Meeresufer gebühre, nicht die Gerichte, sondern allein die das öffentliche Interesse wahrnehmenden Organe der Staatsgewalt zu entscheiden haben. Denn diese Befugnis wird nicht aus dem Privatrecht hergeleitet, und es liegt daher auch nicht in der Kompetenz der Gerichte, auf Grund einer privatrechtlichen Eigentumsklage den Untertanen eine ihnen durch das öffentliche Recht verbürgte Befugnis zu entziehen, bezw. zu beschränken, oder ihnen dieselbe auf Grund einer konfessorischen Klage zuzusprechen (§. 1 der Einleit. zur A.G.O.; §§. 35 und 36 der Verordnung vom 26. Dezbr. 1808; Instruktion vom 20. Oktbr. 1817; Kabinetsordre vom 31. Dezbr. 1825; Entsch. des Obertribunales, Bd. 20 S. 401; Erkenntnis des Gerichtshofes zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten vom 14. Januar 1854 [Justiz-Ministerialblatt S. 180]). Namentlich hat auch über die von dem Revidenten angeregte Frage, ob das Recht zur Benutzung der Meeresufer gemäß A.L.R. II. 15. §. 7 auf das Reisen und das Fortschaffen von Sachen beschränkt sei, nicht der Richter, sondern die Staatsverwaltung zu entscheiden, an welche sich die Beteiligten um Abhilfe zu wenden haben, wenn einerseits einzelne Mitglieder des Publikums bei Benutzung der Meeresufer durch Überschreitung der ihnen nach dem öffentlichen Rechte zustehenden Befugnisse dem fiskalischen Eigentumsrechte zu nahe treten, oder andererseits der Fiskus als Eigentümer jenen bei Ausübung ihrer öffentlichen Befugnisse Hindernisse in den Weg legt."