RG, 29.10.1920 - II 324/14

Daten
Fall: 
Individualbezeichnung
Fundstellen: 
RGZ 100, 182
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.10.1920
Aktenzeichen: 
II 324/14
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht l Berlin
  • Kammergericht Berlin

1. Unter welchen Voraussetzungen kann eine Benennung, die ursprünglich Individualbezeichnung war, als Angabe über die Beschaffenheit einer Ware beurteilt werden?
2. Zur Frage des Namensschutzes, wenn der Name von einem Dritten als Warenbenennung gebraucht wird.

Tatbestand

Im Jahre 1848 gründete Charles Gervais in Paris eine Käsefabrik, die später von einer die Firma Charles Gervais führenden offenen Handelsgesellschaft betrieben wurde. Diese Gesellschaft wurde auf den 1. März 1911 aufgelöst. An ihre Stelle trat eine mit einem Kapitale von 5 Millionen Franken gegründete Aktiengesellschaft, die Klägerin zu 1. der die damaligen Teilhaber der offenen Handelsgesellschaft, Jules Charles Gervais und Paul Alfred Gervais, das Geschäft einschließlich der Warenzeichen bei der Gründung übertrugen. Die Erzeugnisse der Fabrik, ein weicher, überfetteter Käse von besonderer Beschaffenheit, der in drei Sorten hergestellt wird, wurden seit 1869 in erheblichem Umfang auch in Deutschland abgesetzt. In die Zeichenrolle des deutschen Patentamts waren zur Zeit der Gründung der Aktiengesellschaft zwei im Jahre 1905 angemeldete Warenzeichen für die Firma Charles Gervais eingetragen. Das Zeichen Nr. 82675, eingetragen am 3. November 1905, weist in einem ovalen Mittelschilde die Worte "Ch. Gervais" auf, um dieses Mittelstück ziehen sich zwischen zwei parallel verlaufenden Linien die Worte hin: _"A la Renommée des Fromages Double Créme dits Suisses".-- Das Zeichen Nr. 85658, eingetragen am 26. Februar 1906, besteht lediglich aus den Worten "Charles Gervais". Sodann wurde am 30. September 1911 - im Laufe des gegenwärtigen Rechtsstreits - zufolge Anmeldung vom 27. Januar 1911 das nur aus dem Worte "Gervais" bestehende Zeichen Nr. 149339 eingetragen. Die drei Zeichen wurden am 21. Juni 1913 auf die Aktiengesellschaft (die Klägerin zu 1) umgeschrieben.

Mit der im Mai 1911 gegen 15 Firmen erhobenen Klage beantragten beide Kläger, die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Namen Gervais mit oder ohne Vornamen oder mit sonstigem Zusatz im geschäftlichen Verkehr für Käseerzeugnisse, die nicht von der Klägerin stammen, zu benutzen, besonders ihn nicht auf der Ware, ihrer Verpackung, Umhüllung, in den Ankündigungen, auf Fakturen, Etiketten oder anderen Geschäftspapieren anzubringen.

Außerdem wurden Anträge gestellt, die ein Verbot der von einzelnen der Beklagten benutzten Ausstattung bezweckten. Die Klägerin zu 1 stützte ihre Ansprüche auf das Warenzeichengesetz, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und die §§ 823, 826 BGB., der Kläger zu 2 berief sich auf sein Namensrecht.

Das Landgericht hat gegenüber den neun Beklagten, gegen die in der mündlichen Verhandlung Anträge gestellt wurden, im wesentlichen der Klage entsprochen und insbesondere dem die Namensbenutzung betreffenden Antrage stattgegeben. Auf die von einem Teile der Verurteilten eingelegte Berufung erließ das Kammergericht ein Teilurteil, wodurch es, entsprechend den Anträgen der Kläger, das Rechtsmittel bezüglich des die Namensbenutzung betreffenden Klagantrags mit der Maßgabe zurückwies, daß an Stelle der Worte "oder mit sonstigem Zusatz" gesagt wird:

"auch dann, wenn durch einen Zusatz auf eine andere Herkunft als auf die aus dem Betriebe der Klägerin zu 1 hingewiesen wird, insbesondere auch dann, wenn die Bezeichnung "deutsch" oder eine andere geographische Herkunftsangabe zugefügt wird".

Die von fünf der Beklagten eingelegte Revision hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

... Sachlich bewegt sich der Streit, soweit er den durch das angefochtene Teilurteil erledigten Anspruch der Klägerin zu 1 betrifft, in der Hauptsache um die Frage, ob die Bezeichnung von Käse als Gervaiskäse oder kurzweg Gervais eine auf die Pariser Fabrik als Erzeugungsstätte hinweisende Herkunftsbezeichnung oder nur eine Beschaffenheitsangabe (Sortenbezeichnung) enthält. Letzteres behaupten die Beklagten, um darzutun, daß sie nach § 13 WZG. durch die Zeichenrechte der Klägerin nicht gehindert seien, sich der in Rede stehenden Bezeichnung ihrer Ware zu bedienen. Das Berufungsgericht hat, ebenso wie der erste Richter, die Frage zugunsten der Klägerin beantwortet. An der Hand der Beweisaufnahme legt es eingehend dar, daß zwar weite deutsche Verkehrskreise sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt hätten, in dem Worte Gervais eine Beschaffenheitsangabe zu erblicken, daß aber anderseits bei dem für den Konsum des echten Gervais in Betracht kommenden sog. besseren Publikum die Erinnerung an die bestimmte Erzeugungsstätte noch nicht erloschen sei, daß vielmehr dieser Kundenkreis auch jetzt noch beim Kaufe von Gervais einen Käse der bestimmten Herkunft verlange (= erwarte). Diese Ausführungen, die in tatsächlicher Hinsicht von dem Revisionsgerichte nicht nachzuprüfen sind, rechtfertigen die Annahme, daß das Wort Gervais noch nicht zur bloßen Beschaffenheitsangabe geworden ist. Es genügt dazu, daß ein nicht unerheblicher Teil der beteiligten Kreise im geschäftlichen Verkehr dem Wort immer noch die ursprüngliche Bedeutung beilegt. Das aber hat das Berufungsgericht festgestellt. Dabei ist es, wie das Berufungsgericht zutreffend weiter bemerkt, ausreichend, wenn das Publikum weiß, daß hinter der Bezeichnung überhaupt eine bestimmte Produktionsstätte steht, die Einzelheiten braucht es nicht zu kennen.

Das Vorbringen, womit die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts als rechtsirrtümlich beanstandet, wird den tatsächlichen Feststellungen des Urteils nicht gerecht und greift teilweise selbst in unzulässiger Weise auf das tatsächliche Gebiet über. Einzuräumen ist der Revision, daß es nicht gebilligt werden kann, wenn das Berufungsgericht meint, bei der Prüfung der Frage, ob Herkunftsbezeichnung oder Beschaffenheitsangabe vorliege, seien grundsätzlich nur die Personen zu berücksichtigen, die den Käse verzehrten, nicht diejenigen, die damit handelten. Zu berücksichtigen sind vielmehr an sich alle Personen, die im Verkehr für die Verwechselungsgefahr in Betracht kommen, und die Konsumenten nehmen hierbei nur insofern eine in den tatsächlichen Verhältnissen begründete besondere Stellung ein, als vornehmlich bei ihnen jene Gefahr besteht und ihre Auffassung daher auch vornehmlich zu beachten ist. Indessen ist dieser Punkt nach der Sachlage belanglos, weil die entscheidende Feststellung, daß ein nicht unerheblicher Teil der in Betracht kommenden Verkehrskreise an dem Gebrauche des Wortes Gervais als Herkunftsbezeichnung festgehalten hat, davon nicht berührt wird und weil es jedenfalls nicht erforderlich ist, daß dieser Teil ganz oder teilweise nicht zu den Konsumenten gehört.

Ungerechtfertigt ist auch die prozessuale Beschwerde, daß das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung erhebliche Behauptungen der Beklagten übergangen habe. Die Umstände, die nach dem Vorbringen der Beklagten allmählich zur Entstehung der angeblichen Sortenbezeichnung geführt haben, brauchten nicht im einzelnen erörtert zu werden. Sie sind bedeutungslos gegenüber der Tatsache, daß eine abgeschlossene Entwicklung zur Sortenbezeichnung nicht vorliegt. Auf die Entwicklung in Österreich kommt es hier, wo nur die deutschen Verhältnisse in Frage stehen, nicht an. Ebenso ist es unerheblich, aus welchem Grunde die französische Firma erst neuerdings dazu gelangt ist, ihr Zeichenrecht geltend zu machen, und wie sich das Mengenverhältnis zwischen dem nach Deutschland eingeführten echten Gervaiskäse und dem in Deutschland erzeugten Käse derselben Art stellt. ...

Abgesehen von den bisher erörterten, die Anwendbarkeit des § 13 WZG. betreffenden Rügen greift die Revision die Annahme des Berufungsgerichts, daß das jetzt der Klägerin zu 1 zustehende Zeichenrecht von den Beklagten verletzt worden sei, nicht an. Die Beklagten haben denn auch die Behauptung, daß sie in ihren Geschäftsbetrieben das Wort Gervais zur Bezeichnung ihrer Waren gebraucht hätten, nicht bestritten. Auch genügt schon das eine Zeichen "Charles Gervais" (Nr. 85658), um den auf den Gebrauch des Wortes Gervais gestützten Unterlassungsanspruch zu begründen, und es kommt nicht darauf an, ob, wie das Berufungsgericht annimmt, der Anspruch auch aus den beiden weiteren Zeichen, von denen das eine ("Gervais") erst im Laufe des Prozesses eingetragen wurde, hergeleitet werden kann.

Da es sich im gegenwärtigen Rechtsstreite nur um den Unterlassungsanspruch handelt und dieser schon aus § 12 WZG. folgt, braucht nicht geprüft zu werden, ob das Berufungsgericht einwandfrei der Ansicht ist, daß der Anspruch auch aus § 14 WZG.. §§ 1, 3, 16 UWG. und §§ 823, 826 BGB. begründet sei. Bemerkt sei nur, daß die Revision mit Recht den Vorwurf erhebt, nach der Sachlage hätte das Berufungsgericht nicht die Beklagten ohne besondere Begründung als bösgläubig behandeln dürfen. Die Erwägung des Urteils, das Verhalten aller derer, die einen Handelsnamen oder eine Herkunftsangabe zur Kennzeichnung einer nicht echten Ware mißbrauchten, lasse keinen anderen Schluß zu, als daß es ihnen darauf ankomme, den Ruf der echten Ware für sich auszunutzen, trifft nicht die Frage, welche Vorstellung die Beklagten von der Bedeutung des Wortes Gervais als Herkunftsbezeichnung oder Beschaffenheitsangabe hatten oder haben durften. ...

Bei der Prüfung des von dem Kläger zu 2 erhobenen Anspruchs erörtert das Berufungsgericht zunächst die Frage des anzuwendenden Rechtes. Es ist der Ansicht, daß der dem Kläger zukommende Namensschutz, weil es sich um ein Persönlichkeitsrecht handle, nach dem Personalstatut, also nach französischem Rechte zu beurteilen sei, mit der Einschränkung, daß der Kläger als Ausländer im Inlande keinen weiteren Schutz genießen könne, als § 12 BGB. es zulasse. Hierbei sei, nachdem die Beklagten sich auf die Bestreitung beschränkt hätten, daß das französische Recht solche Schutzvorschriften kenne, davon auszugehen, daß dieses Recht dem Kläger den gleichen Schutz gewähre wie das deutsche. Überdies schütze aber das französische Recht den Namen gegen mißbräuchliche Verwendung und zwar noch stärker als das deutsche. Der Kläger genieße also bei einer Verletzung seines Namensrechts innerhalb der Grenzen des § 12 in Deutschland Rechtsschutz. Sodann ist dargelegt, daß eine unter § 12 fallende Verletzung des Namensrechts des Klägers darin liege, daß die Beklagten ihre Waren mit seinem Namen Gervais bezeichnet hätten. Der Kläger, der ein Enkel des Begründers und Sohn eines jetzigen Vorstandsmitglieds des Hauses Gervais sei und in dem Hause die Stellung eines Prokuristen bekleide, habe das von dem Gesetz erforderte Interesse an der Beseitigung der Beeinträchtigung. Das Interesse sei nicht nur ein ideelles, sondern es bestehe für ihn auch ein gewichtiges materielles Interesse daran, daß nicht durch den unbefugten Gebrauch seines Namens der Absatz der Erzeugnisse seines Hauses geschmälert werde. Aus dem, was die Beklagten über das sonstige Vorkommen des Namens Gervais ausgeführt hätten, folge nicht ein solches Maß der Verbreitung, daß dadurch das Interesse des Klägers an der Wahrung seines Namens ausgeschlossen wäre. Verfehlt sei auch der Hinweis der Beklagten, daß sie nicht sich selbst, sondern ihre Ware mit Gervais bezeichneten, denn auch in der Geschäfts- und Warenbenennung liege ein unbefugter Gebrauch des Namens.

Diese Ausführungen werden mit Unrecht von der Revision wegen Verletzung des § 12 BGB. angegriffen. Der erkennende Senat hat in dem auch von dem Berufungsgericht angezogenen Urteile RGZ. Bd. 74 S. 308 ausgesprochen, daß ein unbefugter Namensgebrauch im Sinne des § 12 BGB. auch darin gefunden werden kann, daß jemand im geschäftlichen Verkehr einen fremden Namen zur Bezeichnung von Waren verwendet. Denselben Standpunkt nimmt das Urteil Bd. 54 S. 42 ein. Daß ein solcher Fall hier vorliege, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum angenommen. Insbesondere hat es einwandfrei das Interesse festgestellt, das der Kläger vermöge seiner verwandtschaftlichen Beziehungen und seiner geschäftlichen Tätigkeit daran hat, daß der ihm zukommende Name nicht von irgendwelchen Konkurrenten mißbraucht wird. Wenn die Revision einwendet, daß der Name Gervais an sich für den Kläger nichts Individuelles sei, daß dem Kläger offenbar nur wegen des Käses gleichen Namens das Untersagungsrecht eingeräumt werden solle, so steht dem entgegen, daß der Name einer Person, wie dies in seinem Zwecke als Kennzeichen und Unterscheidungsmerkmal liegt, allerdings etwas Individuelles ist. Dabei kommt es auch grundsätzlich nicht darauf an, ob der Kläger das in seinem Namen enthaltene Unterscheidungsmerkmal noch mit anderen Trägern desselben Namens teilt. Bei einem weit verbreiteten Namen kann freilich wegen der abgeschwächten Unterscheidungskraft das Schutzinteresse des einzelnen Trägers wegfallen. Diesen Fall hat aber das Berufungsgericht auf Grund tatsächlicher Beurteilung einwandfrei nicht für gegeben erachtet. Sodann kann von einer Verletzung des Namensrechts dann nicht mehr die Rede sein, wenn der zu einer Ware in Beziehung gebrachte Personenname sich als Warenname (Beschaffenheitsangabe) eingebürgert und damit eine neue, selbständige Bedeutung erlangt hat, wie dies in den Sachen RGZ. Bd. 56 S. 160, Bd. 69 S. 810 zutraf. Aber auch insoweit bestehen nach dem bereits Dargelegten keine Bedenken. Was endlich noch das anzuwendende Recht betrifft, so kann nach der Sachlage dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft. Denn auch im Falle der Anwendbarkeit des an sich nicht revisiblen französischen Rechtes kommt es darauf an, ob die von dem Berufungsgericht als schließlich ausschlaggebend angesehene Vorschrift des § 12 BGB. nicht verletzt ist.

Der Revision kann auch nicht beigetreten werden, wenn sie geltend macht, daß der Tenor des angefochtenen Urteils jedenfalls insofern zu weit gehe, als er den Beklagten den Gebrauch des Wortes Gervais schlechthin, auch in jeder Zusammensetzung, verbiete. Allerdings können Gegenstand des Unterlassungsurteils grundsätzlich nur solche Zuwiderhandlungen gegen eine Verbotsvorschrift sein, die tatsächlich stattgefunden haben. Hiergegen verstößt aber das Berufungsgericht nicht und es verletzt auch sonst nicht die Rechtsstellung der Beklagten, indem es ausspricht, daß das Verbot der Benutzung des Namens Gervais für nicht von der Klägerin stammende Käseerzeugnisse auch dann zu gelten habe, wenn durch einen Zusatz auf eine andere Herkunft als auf die aus dem Betriebe der Klägerin hingewiesen wird, wenn insbesondere die Bezeichnung "deutsch" oder eine andere geographische Herkunftsangabe zugefügt wird. In diesem Ausspruch ist, wie das Urteil zu verstehen ist, nur eine Erläuterung des Verbots enthalten. Nachdem die Beklagten das Wort Gervais als frei verwendbare Beschaffenheitsangabe in Anspruch genommen, dabei auch zwei von ihnen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Zusätze gebraucht haben, soll klargestellt werden, daß ihnen die Benutzung des keine Beschaffenheitsangabe enthaltenden Wortes zur Bezeichnung ihrer Waren und damit eine Benutzung, in der eine Kennzeichnung der Herkunft liegt, unter allen Umständen verboten ist. Dagegen ist es den Beklagten durch das Urteil nicht verwehrt, das Wort in einem Zusammenhang oder einer Zusammenstellung zu gebrauchen, bei der die Gefahr der Verwechselung mit der Ware der Klägerin dadurch ausgeschlossen ist, daß das Wort außerhalb jeder Beziehung zur Herkunft der Ware steht.