RG, 20.10.1920 - V 144/20

Daten
Fall: 
Abtretung von Hypothekenzinsrückständen
Fundstellen: 
RGZ 100, 155
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.10.1920
Aktenzeichen: 
V 144/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht I Berlin
  • Kammergericht Berlin

1. Ist die Abtretung von Hypothekenzinsrückständen von seiten eines Hypothekengläubigers an den Nießbraucher des Grundstücks wirksam, auch wenn der Nießbraucher das Entgelt für die Abtretung mit Mitteln bezahlt, die aus den Einkünften des Grundstücks herrühren, von ihm aber nicht zur Bezahlung der Hypothekenzinsen verwendet worden sind?
2. Enthält das vorbezeichnete Verhalten des Nießbrauchers einen Verstoß gegen die guten Sitten?

Tatbestand

Das Grundstück Berlin, L.straße 203 / 204, gelangte am 25. Februar 1918 zur Zwangsversteigerung. Die Kläger gaben das Meistgebot ab und erhielten den Zuschlag. Die Grundstückseigentümerin Frau K. hatte durch Vertrag vom 30. November 1914 / 19. August 1915 dem Beklagten den Nießbrauch an dem Grundstück eingeräumt. Die Eintragung des Nießbrauchs im Grundbuch ist am 8. März 1916 erfolgt. Auf dem Grundstücke hafteten an erster Stelle 234000 M Hypotheken für die G.'er Lebensversicherungsbank. Diese hatte durch Zessionen vom 31. Mai, 16. August und 9. Dezember 1916 ihre Ansprüche auf rückständige Zinsen aus der Zeit vom 1. Oktober 1915 bis 1. Oktober 1916 an den Beklagten abgetreten. Im Kaufgelderbelegungstermin vom 5. Dezember 1918 forderte der Beklagte auf Grund dieser Zessionen an Zinsen und Kosten den Betrag von 8563,10 M. An zweiter Stelle standen im Grundbuche für den Rentner H. 45 000 M eingetragen, wovon dieser einen Teilbetrag nebst Zinsbeträgen durch Zessionen vom 3. Februar 1918 an die Kläger abgetreten hatte. Die Kläger beanspruchten die ihnen abgetretenen Beträge ebenfalls in der Kaufgelderbelegungsverhandlung, fielen damit aber zum größten Teil aus, während die Forderung des Beklagten voll zur Hebung kam. Die Kläger erhoben darauf Widerspruch gegen das Liquidat des Beklagten. Mit der Klage verfolgen sie ihren Widerspruch und beantragen, ihn für begründet zu erklären, während der Beklagte Abweisung der Klage beantragt hat.

Das Landgericht erklärte den Widerspruch für begründet. Auf die Berufung des Beklagten hat jedoch das Kammergericht den Widerspruch für unbegründet erklärt und die Klage abgewiesen. Die Revision der Kläger wurde zurückgewiesen.

Gründe

Das Landgericht hat angenommen, daß der Nießbrauch zu Recht bestand und daß der Beklagte als Nießbraucher nach § 1047 BGB. dem Eigentümer gegenüber zur Zahlung der Hypothekenzinsen verpflichtet war. Seien aber die Zinsen aus den Einkünften des Grundstücks bezahlt, dann würde der Beklagte, wenn er die Zinsbeträge jetzt aus der Masse erhielte, doppelt bereichert sein. Dagegen hat das Kammergericht allein die dingliche Rechtslage für entscheidend angesehen; nach seiner Ansicht kommt es nur darauf an, ob der Beklagte ein dingliches Recht erworben hat, das dem Rechte der Kläger vorgeht. Der Beklagte habe nicht die Zinsen an die G.'er Lebensversicherungsbank mit der Wirkung bezahlt, daß die Zinsen getilgt seien und das Hypothekenrecht erloschen sei, sondern er habe die Zinsforderungen nebst dem dafür bestehenden Hypothekenrechte durch die Abtretungen erworben. Mit welchen Mitteln der Kaufpreis von ihm bezahlt sei, ob mit geborgtem Gelde oder mit den Mietseinnahmen, sei gleichgültig. Daher könne dahingestellt bleiben, ob der Nießbrauch für den Beklagten nur zum Schein bestellt sei, und ob, falls er gültig bestellt war, der Beklagte der Eigentümerin gegenüber zur Tragung der Lasten nur insoweit verpflichtet war, als die Einkünfte des Grundstücks reichten, sowie ob er tatsächlich die Forderung der G.'er Lebensversicherungsbank mit anderen Mitteln bezahlt habe. Jedenfalls gehe die Hypothekenforderung des Beklagten der Hypothekenforderung der Kläger im Range vor; der Widerspruch der Kläger sei daher nicht begründet.

Die Revision rügt Verletzung der §§ 1047 und 826 BGB. Sie führt aus, der Beklagte sei nach § 1047 dem Eigentümer gegenüber verpflichtet gewesen, die Hypothekenzinsen zu entrichten, zunächst aus den Mitteln des Grundstücks, eventuell aber auch aus eigenen Mitteln. Wenn ein Nießbraucher Hypothekenzinsen bezahle, so erfülle er damit eine Verbindlichkeit dem Eigentümer gegenüber. Die Zahlung sei so anzusehen, als ob sie vom Eigentümer selbst vorgenommen wäre. Sie bewirke Tilgung der Schuld. Der Nießbraucher könne sich demgegenüber nicht auf eine ihm erteilte Zession des Gläubigers berufen, die angesichts der Sachlage der Wirksamkeit entbehre. Jedenfalls könne er dies nicht tun, wenn er die Zinsen mit Mitteln des Grundstücks bezahlt habe, wie hier zu unterstellen sei. Es würde ihm die Einrede der Arglist entgegenstehen.

Der Revision war der Erfolg zu versagen.

Es ist davon auszugehen, daß der Nießbrauch zu Recht bestand und daß der Beklagte das Entgelt für die erworbenen Hypothekenzinsforderungen aus den Einkünften des Grundstücks bezahlt hat. Hierdurch wird jedoch der von den Klägern gegen die Forderung des Beklagten im Verteilungstermin erhobene Widerspruch nicht gerechtfertigt. Allerdings erlischt gemäß § 1178 BGB. die Hypothek für Rückstände von Zinsen, wenn der Eigentümer die Zinsen bezahlt (RGZ. Bd. 88 S. 162). Dies gilt auch, wenn ein Dritter die Zahlung für ihn bewirkt. Ein Übergang der Forderung auf den Zahlenden findet nach § 267 nicht statt (RGZ. Bd. 94 S. 90). Auch der Nießbraucher, der in Gemäßheit des § 1047 die Hypothekenzinsen bezahlt, berichtigt damit dem Gläubiger der Hypothek gegenüber keine eigene Schuld, sondern eine Schuld des Eigentümers und bringt deshalb die Hypothek für die Zinsrückstände durch die Zahlung zum Erlöschen. Die Forderung auf Rückstände von Zinsen kann aber von dem Hypothekengläubiger auch übertragen werden (§1159). In diesem Falle geht nach § 401 auch die Hypothek auf den neuen Gläubiger mit über. Eine derartige Übertragung der Zinsforderungen der G.'er Lebensversicherungsbank an den Beklagten hat hier stattgefunden. Die Ausführung der Revision, daß eine solche Übertragung an den Nießbraucher des Grundstücks wirksam nicht erfolgen könne, ist rechtlich nicht haltbar und findet in § 1047 keine Stütze. Denn nach dieser Vorschrift ist der Nießbraucher dem Eigentümer gegenüber allerdings verpflichtet, die Zinsen der Hypotheken, welche schon zur Zeit der Bestellung des Nießbrauchs auf dem Grundstücke ruhten, zu bezahlen. Der Hypothekengläubiger hat aber keinen Anspruch gegen den Nießbraucher darauf, daß dieser ihm die Zinsen seiner Forderung zahle und daß er die Einkünfte des Grundstücks hierzu verwende. Die Nutzungen des Grundstücks, also auch die Mietzinsen, gebühren dem Nießbraucher (§ 1030). Gegen die Einziehung der Mietzinsen oder die sonstige Verfügung darüber kann sich der Hypothekengläubiger gemäß §§ 1123, 1124 durch die Beschlagnahme schützen. Dem Eigentümer gegenüber kann der Nießbraucher gemäß § 1047 oder auf Grund eines zwischen ihnen bestehenden Vertrags verantwortlich sein, wenn er die Mietzinsen nicht zur Berichtigung der Hypothekenzinsen verwendet. Der Hypothekengläubiger hat kein unmittelbares Recht gegen den Nießbraucher. Es ist daher unerheblich, ob der Beklagte die Forderung auf die Zinsrückstände mit den Einkünften des Grundstücks erworben hat. Diese Einkünfte flossen in sein Vermögen und unterstanden seiner Verfügung. Die Zinsforderungen mit dem Hypothekenrechte sind deshalb rechtsgültig auf ihn übergegangen, auch wenn er sie mit Mitteln, die aus dem Grundstücke herrührten, bezahlt hat (vgl. Urt. des RG. vom 13. Februar 1907 V 278/06).

Der bloße Umstand, daß der Beklagte es unterlassen hat, die Hypothekenzinsen für die Eigentümerin des Grundstücks zu zahlen und daß er statt dessen Hypothekenzinsrückstände für sich, wenn auch mit Mitteln, die aus den Einkünften des Grundstücks herrührten, erworben hat, reicht nicht aus, einen Verstoß gegen die guten Sitten anzunehmen und die Einrede der Arglist seinem Anspruche gegenüber zu begründen. Der Beklagte kann sich hierbei einer Vertragsverletzung oder der Nichterfüllung einer ihm gesetzlich obliegenden Verpflichtung der Bestellerin des Nießbrauchs gegenüber schuldig gemacht haben und ihr daher schadensersatzpflichtig sein. Die Hypothekengläubiger können sich dagegen nicht beklagen, wenn der Nießbraucher die in sein Vermögen geflossenen Mietseinnahmen des Grundstücks dazu benutzt, sich selbst wegen etwaiger Ansprüche an den Grundstückseigentümer zu befriedigen oder sich eine günstigere Stellung im Zwangsversteigerungsverfahren zu verschaffen. Sie sind in der Lage, durch Beschlagnahme der Mietzinsen deren Haftung für die Hypotheken zur Geltung zu bringen. Dem Nießbraucher kann es nicht verwehrt sein, Hypothekenzinsforderungen zu erwerben und dadurch nachstehenden Hypothekengläubigern bei der Zwangsversteigerung im Range voranzugehen. Er handelt nicht sittenwidrig, wenn er die ihm kraft seines Nießbrauchsrechts zugeflossenen Einkünfte des Grundstücks in eigenem Interesse verwendet; denn, abgesehen von den ihm nach § 1047 BGB. dem Eigentümer gegenüber obliegenden Verpflichtungen, ist eine Unterordnung seiner Interessen unter die Interessen der Hypothekengläubiger ihm nicht zuzumuten. Der Erwerb der rückständigen Hypothekenzinsforderungen von der G.'er Lebensversicherungsbank hat für die Kläger auch keinen anderen Erfolg gehabt, als wenn der Beklagte diese Zinsen lediglich unbezahlt gelassen hätte. Auch dann wären die Kläger nicht zur Hebung gekommen. In dem bloßen Unterlassen der Zinszahlung hätte aber nichts Sittenwidriges erblickt werden können. ... Jedenfalls ist aus dem von den Klägern behaupteten und vom Berufungsrichter unterstellten Sachverhalt ein sittenwidriges oder arglistiges Verhallen des Beklagten noch nicht zu entnehmen.