RG, 28.02.1919 - II 343/19

Daten
Fall: 
Kartelle
Fundstellen: 
RGZ 95, 91
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.02.1919
Aktenzeichen: 
II 343/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Elberfeld, Kammer für Handelssachen
  • OLG Düsseldorf

1. Kartelle. Kann das von einem Mitgliede des einen Verbandes einem Mitgliede des andern gemachte Vertragsangebot als stillschweigend angenommen auch dann gelten, wenn es mit einer zwischen den Verbänden getroffenen Vereinbarung in Widerspruch steht?
2. Unterschied zwischen Vertragsangebot und Bestätigungsschreiben.

Tatbestand

Auf Grund des Bestellscheins der Beklagten vom 8. Januar 1918 hat die Klägerin der Beklagten die dort verzeichnete Einfaßborde geliefert. Der Bestellschein trägt am Fuße in formularmäßigem, zum Teil handschriftlich ausgefülltem Vordruck eine Reihe dem Gegner in den Mund gelegter Vertragsbedingungen, darunter die folgende:

"Ich verpflichte mich, für die nächsten 5 Jahre die von mir vertriebenen Artikel der Firma H. T. auf ihr Verlangen sogleich nach Fertigstellung der Kollektion zu bemustern und die Bestellung derselben innerhalb der meinen anderen Kunden bewilligten kürzesten Lieferungstermine und zu den meinen bevorzugten Abnehmern, insbesondere den Grossisten, berechneten billigsten Preisen und Konditionen auszuführen, und zwar unter den mir bekannten Geschäftsbedingungen der Firma H. T. Dagegen verpflichtet sich die Firma H. T., soweit dies ihre geschäftlichen Dispositionen zulassen, die Kollektionen obiger Firma zu besichtigen und einer Prüfung in dem ihr geeignet erscheinenden Umfange zu unterziehen.

Falls dieses Abkommen nicht 6 Monate vor Ablauf gekündigt wird, verlängert es sich um weitere 3 Jahre."

Die Klägerin ist Mitglied des Bergischen Fabrikanten-Verbandes in Barmen. Zwischen diesem und dem Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser in Berlin, dem die verklagte Firma angehört, ist eine Vereinbarung über einzuhaltende Verkaufsbedingungen getroffen worden, welche teilweise von den oben erwähnten Bedingungen der Firma H. T. abweichen. Die Klägerin bestreitet, daß sie durch Annahme und Ausführung obiger Bestellung die Bedingungen der Beklagten angenommen habe, und behauptet, daß vielmehr in ihrem Verhältnis zur Beklagten die Barmer Bedingungen maßgeblich seien. Die Beklagte steht auf dem entgegengesetzten Standpunkt. Sie hat das der Klägerin erklärt, was dieser Veranlassung gegeben hat, Feststellungsklage mit dem Antrage zu erheben: festzustellen, daß der in Verfolg der Bestellung der Beklagten vom 8. Januar 1916 zwischen den Parteien abgeschlossene Kaufvertrag über Einfaßborde nur auf der Grundlage der allgemeinen Verkaufsbedingungen des Bergischen Fabrikanten-Verbandes abgeschlossen ist, und daß die Geschäftsbedingungen der Beklagten, welche den die erwähnte Bestellung enthaltenden Auftragszetteln der Beklagten aufgedruckt sind, nicht zum Inhalt der Vereinbarung der Parteien gemacht worden sind.

Das Landgericht erkannte im wesentlichen im Sinne des Klagantrages. Die Berufung der Beklagten wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache in die Instanz.

Gründe

"Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Feststellung des Vorderrichters, daß das im Jahre 1908 zwischen den beiden Verbänden verhandelte Abkommen, das nach der Behauptung der Klägerin mit den "allgemeinen Bedingungen" der Firma H. T. in unlöslichem Widerspruch stehen soll, tatsächlich zum Abschluß gediehen und rechtswirksam geworden ist. Was die Revision hiergegen einwendet, schlägt nicht durch. Es ist zwar bedenklich, wenn der Berufungsrichter ausspricht, daß die beiden Vorstände das Abkommen zugleich auch im Namen der einzelnen Verbandsmitglieder geschlossen hätten. Es sind zwei eingetragene Vereine, zwischen denen der Vertrag verhandelt worden ist. Gehandelt haben hierbei die beiderseitigen Vorstände im Namen ihres Vereins. Worauf es beruhen sollte, daß sie gleichzeitig als Vertreter der einzelnen Mitglieder auftreten konnten und aufgetreten wären, ist nicht ersichtlich. Aber es ist das tatsächlich ohne Bedeutung. Der Vorderrichter erkennt an, daß ein schuldrechtliches Verhältnis der einzelnen Mitglieder des einen Vereins zu denen des anderen nicht zustande gekommen ist. Daran kann kein Zweifel bestehen, daß, wofern nur der Vorstand im Rahmen seiner Befugnisse handelte, die einzelnen Mitglieder ihrem Verein gegenüber verpflichtet waren, sich nach dem Vereinbarten zu richten, und daher verlieren die in diesem Punkte entscheidenden Erwägungen des Vorderrichters, die einzelnen Mitglieder hätten nur unter Verletzung der durch das Abkommen begründeten Verbindlichkeit Abweichendes bedingen können und ein jedes Mitglied des einen Vereins habe darauf vertrauen dürfen, daß jedes Mitglied auch des anderen Vereins seine Verpflichtungen einhalten werde, nichts an ihrer Bedeutung.

Es kann auch keine Rede davon sein, daß das Abkommen aus dem Rahmen des dem einen oder dem anderen Verein gestellten Zweckes fiele und darum nichtig wäre. Die Satzung des Fabrikanten-Verbandes nennt in § 1 unter Nr. 2 geradezu Verträge der in Rede stehenden Art als Gegenstand seiner Aufgabe, und was den Warenhausverband angeht, der u. a. die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen, insbesondere der Waren- und Kaufhäuser den Konventionen gegenüber zum Zweck hat, so kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß gerade Abkommen von der Art des vorliegenden der Gedanke eines mit vereinten Kräften durchzusetzenden Schutzes der gewerblichen Interessen aller Beteiligten zugrunde liegt. Es ist auch nicht richtig, daß der Verein, weil das im Rahmen seines satzungsmäßigen Zweckes liegt, nicht habe eingetragen werden dürfen. Mit dem wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe der einzelnen Mitglieder stehen derartige Preiskonventionen mehr oder weniger in Verbindung und Beziehung. Aber das ist nicht das Entscheidende. Es kommt darauf an, ob der Verein es auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb abgesehen hat, und das liegt hier nicht vor. Übrigens aber würde auch, wenn man die Satzung des Verbandes enger auslegen und annehmen wollte, daß das gegenwärtige Abkommen außerhalb des statutenmäßigen Zweckes des Verbandes fiel, damit der Vertrag selbst noch nicht hinfällig sein. Und schließlich käme es nicht einmal hierauf an. Für die Erwägungen, welche der Vorderrichter an dieses Abkommen anknüpft, würde es vollkommen ausreichen, daß beide Parteien an der Gültigkeit des Abkommens nicht gezweifelt haben, wie es auch ohne Bedeutung wäre, ob sie sich über die juristische Struktur des Verhältnisses gar keine oder unrichtige Gedanken gemacht haben.

Dagegen beanstandet die Revision mit Recht die für die weitere Begründung entscheidende Annahme des Vorderrichters, daß es sich bei den einander gegenübergestellten Vereinbarungen - dem Abkommen der Verbände und den Geschäftsbedingungen des Beklagten - um ein Ganzes handle, das bei der Prüfung, ob sie miteinander in Einklang zu bringen sind, nicht in die Einzelheiten aufgelöst werden dürfe. Der Vorderrichter führt aus, daß die Klägerin sich durch Annahme der T.schen Bedingungen von dem Abkommen ihres Verbandes losgesagt habe, und fährt fort, es treffe das auf die vorgedruckten Vertragsbestimmungen in ihrem ganzen Umfange zu, also einschließlich solcher Bestimmungen, die nicht dem Abkommen ausdrücklich widersprechen sondern neben diesem vereinbart werden könnten, wie die hier streitigen über die "Bemusterung" und die "Meistbegünstigung". "Denn" - so lautet es - "sowohl der Vordruck der Beklagten als auch das Verbandsabkommen sollen nach ihrem Inhalte die Vertragsbestimmungen umfassend regeln, die Verbandsbestimmungen sollen ausschließlich gelten und keine Umgehung durch besondere Begünstigung zulassen." Das allerletzte mag richtig sein, ist aber für den vorliegenden Fall belanglos. Im übrigen steht das Gesagte mit den gegebenen Tatsachen im offenen Widerspruch. Weder von den T.schen Bedingungen noch von den Verbandsbestimmungen läßt sich sagen, daß sie die Vertragsbestimmungen umfassend regeln oder daß sie ausschließlich gelten sollen. Im Gegenteil sind es "allgemeine" Bedingungen, die für jeden einzelnen Fall gelten sollen, mithin für jeden einzelnen Fall noch wesentlicher Ergänzung bedürfen. Dabei stehen, was namentlich die T.schen Bedingungen angeht, die einzelnen Bestimmungen unter einander in keinem inneren oder gar notwendigen Zusammenhang. Überhaupt ergibt sich bei näherem Zusehen, daß der von der Beklagten so lebhaft betonte Widerspruch zwischen den beiderseitigen Bedingungen, wenn auch nicht völlig verschwindet, so doch an Bedeutung verliert. Offenbar handelt es sich bei dem Fabrikanten-Verband nicht um ein eigentliches Preiskartell. Jedenfalls haben, nach den allgemeinen Bedingungen zu schließen, die Einzelnen in der Preisstellung ganz freie Hand. Nur für die Nebenbedingungen sind bestimmte Normen gesetzt, unverkennbar in der Tendenz, den vielfach üblich gewordenen Verschleierungen des wahren Preissatzes vorzubeugen. Daher hat es denn, wenn auch formell der Gegensatz besteht, sachlich wenig Bedeutung, wenn die Firma H. T. sich frachtfreie Zusendung usw. bedingt, während der Fabrikanten-Verband vorschreibt, daß die Preise frei Abgangsstation zu stellen sind. Der Widerspruch ließe sich durch eine geringfügige Änderung des Preises, worin die Parteien ja freie Hand haben, zum Ausgleich bringen. Und wenn T. sich neben dem Kasseskonto von 2% ein Warenskonto von 3% bedingt, während die Fabrikanten neben ersterem das Warenskonto nur in Höhe von 2% zubilligen sollen, so fällt auf, daß in den T.schen Bedingungen die ausdrückliche Einschränkung gemacht wird: oder nach Konventionszahlungsbedingungen. Es läßt das sehr wohl die Deutung zu, als habe man gerade eine Sachlage wie die gegenwärtige im Auge gehabt und für sie den Vorbehalt gemacht, um den Konflikt zu vermeiden. Die Beklagte will freilich den Zusatz so verstehen, daß es in ihre Wahl gestellt sei, nach welchen Bedingungen sie sich richten wolle. Es kann hier und braucht darüber nicht entschieden zu werden. Selbst wenn in diesen Punkten ein gewisser Widerspruch bestehen bleibt, so berührt doch jedenfalls die hier streitige Verpflichtung zum Angebot der Ware nach Fertigstellung der Kollektion und zur Meistbegünstigung nicht im geringsten das, was man mit den Verbandsbedingungen hat erreichen wollen und erreicht hat.

Daher hätte von seinem Standpunkt aus der Vorderrichter sich der Prüfung der Frage nicht entschlagen dürfen, ob die Beklagte nicht wenigstens hinsichtlich derjenigen ihrer Bedingungen, die mit den Verbandsbedingungen vereinbar sind, aus dem Stillschweigen der Klägerin auf deren Zustimmung hätte schließen können und schließen müssen. Aber aus einem anderen Grund liegt es hier allerdings so, daß die Klägerin dem Schreiben vom 8. Januar 1916 gegenüber keine andere Wahl hatte, als die Bedingungen der Beklagten als Ganzes entweder anzunehmen ober abzulehnen. Hier tritt ein weiterer Rechtsirrtum in der Begründung des angefochtenen Urteils hervor. Der Vorderrichter führt aus, der unterlassene Widerspruch gegen den Inhalt des Vordrucks berechtige nach der Verkehrsübung dann nicht zu dem Schlusse auf die Zustimmung, wenn nach ausdrücklicher Abrede andere Vertragsbestimmungen gelten sollten; Stillschweigen gelte auch nach Handelsrecht nicht allgemein als Genehmigung. Unverkennbar tritt hier der Vorderrichter an die Prüfung der zu entscheidenden Frage mit den Rechtsgrundsätzen heran, welche Anwendung zu finden haben gegenüber Bestätigungen, Schlußscheinen, kurz Urkunden, wie sie im Anschluß an mündlichen Vertragschluß gewechselt werden, um den Inhalt des Vereinbarten objektiv festzulegen. Darum handelt es sich hier nicht. Die Parteien standen außer aller schuldrechtlichen Beziehung zueinander, als die Beklagte das Schreiben vom 8. Januar 1916 an die Klägerin richtete, und dieses Schreiben kennzeichnet sich als ein Vertragsangebot, das die Klägerin, wie gesagt, nur entweder annehmen oder ablehnen konnte so, wie es lautete. Und die Klägerin hat es angenommen. Nicht freilich durch ausdrückliche Erklärung, aber ebensowenig lediglich durch Stillschweigen. Die Offerte ging auf Lieferung der verzeichneten Ware unter den angegebenen Bedingungen und die Annahme erfolgte durch diese Lieferung (konkludente Handlung, vgl. auch § 121 BGB.). Der Vorderrichter unterstellt der Klägerin verschiedene Erwägungen, aus denen sie von einem Widerspruch gegen die ihr angesonnenen Bedingungen habe Abstand nehmen können, ohne befürchten zu müssen, als zustimmend angesehen zu werden. Das ist schon insofern gegenstandslos, als die Klägerin selbst nicht behauptet, daß sie sich bei ihrem Verhalten durch Erwägungen dieser Art habe leiten lassen, vielmehr darauf sich beruft, daß sie die formularmäßig vorgedruckten Bedingungen überhaupt nicht beachtet und daher mit ihrer Annahme eine Erklärung abgegeben habe, die sie in Wahrheit nicht habe abgeben wollen (§ 119 BGB). Anderseits kann hier, wo kein nach Abschluß des Vertrags gesandtes Bestätigungsschreiben in Frage steht, darauf nichts ankommen, daß es sich bei den streitigen Bedingungen um solche handelt, welche mit dem angebotenen Rechtsgeschäfte, dem Ankauf einer verhältnismäßig geringen Menge von Ware, in keinem inneren Zusammenhang und an Bedeutung und Tragweite außer Verhältnis zu ihm standen. Auch daraus läßt sich in diesem Zusammenhange für den Standpunkt der Klägerin nichts herleiten, daß es nicht nur zu diesem einen Fall gekommen ist, vielmehr eine ganze Anzahl regelmäßig wiederkehrender Fälle ganz gleicher oder annähernd gleicher Art vorausgegangen waren. Nur um so unverständlicher wird dadurch, daß man dem Schreiben der Gegenseite - abgesehen von der eigentlichen Warenbestellung - so beharrlich mit Nichtachtung begegnet sein sollte. Daran ist einfach nicht zu rütteln, daß die Klägerin durch ihr Verhalten die ihr angebotenen hier in Rede stehenden Bedingungen angenommen hat. Damit ist der Tatbestand des entsprechenden Vertragsschlusses gegeben. Ob damit der Vertrag auch mangelfrei zustande gekommen ist, oder ob nicht vielmehr die Klägerin ihn wegen Irrtums oder wegen arglistiger Täuschung anfechten kann, ob er wegen übermäßiger Fesselung der Klägerin als gegen die guten Sitten verstoßend nichtig ist, das sind Fragen, über die der Vorderrichter von seinem Standpunkt aus nicht zu entscheiden brauchte und nicht entschieden hat, die aber nicht entschieden werden können ohne weitere Verhandlung."