RG, 14.03.1899 - IV 331/88

Daten
Fall: 
Geltungsgebiete des preußischen Allgem. Landrechtes für eine Klage
Fundstellen: 
RGZ 23, 384
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.03.1899
Aktenzeichen: 
IV 331/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht I Berlin
  • Kammergericht Berlin

Ist im Geltungsgebiete des preußischen Allgem. Landrechtes für eine Klage, mittels deren, nachdem die Ehe der Eltern rechtskräftig getrennt worden, derjenige Parens, welcher für den unschuldigen Teil erklärt und dem durch Beschluß des Vormundschaftsgerichtes die Erziehung der Kinder ans der geschiedenen Ehe zugesprochen ist, von dem anderen Parens die Herausgabe der Kinder behufs der Erziehung fordert, der Rechtsweg ausgeschlossen?

Tatbestand

Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichtes I zu Berlin vom 2. Dezember 1886 ist die Ehe der Parteien getrennt und die Beklagte für den schuldigen Teil erklärt. Auf Antrag des Klägers hat dann das Amtsgericht zu Charlottenburg als Vormundschaftsgericht durch Beschluß vom 28. März 1887 die Erziehung der aus der Ehe der Parteien hervorgegangenen Kinder Kurt und Katharine L. dem Kläger zugesprochen und der Beklagten aufgegeben, den Sohn Kurt an Kläger herauszugeben. Auf Grund dieses Beschlusses hat Kläger, nachdem seine Versuche, die Herausgabe des Sohnes Kurt von der Beklagten zu erwirken, fruchtlos geblieben sind, gegen die Beklagte Klage auf Herausgabe erhoben. Seitens der Beklagten ist vorab die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges vorgeschützt, weil die Entscheidung der Streitfrage ausschließlich dem Vormundschaftsgerichte zustehe.

Die Vorinstanzen haben die Verhandlung und Entscheidung auf diese prozeßhindernde Einrede beschränkt. Während vom Landgerichte die Einrede für begründet erachtet und daher die Klage abgewiesen ist, hat auf Berufung des Klägers das Kammergericht die Einrede verworfen und deshalb gemäß §. 500 Nr. 2 C.P.O. die Sache in die erste Instanz zurückverwiesen.

Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Revision ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das Berufungsurteil beruht auf folgenden Erwägungen:
Allerdings gehöre die Bestimmung darüber, welchem der geschiedenen Gatten die Erziehung der Kinder zu überlassen, vor das Vormundschaftsgericht. Aber diese Bestimmung sei vorliegend bereits durch den Beschluß des Vormundschaftsgerichtes vom 28. März 1887 getroffen, und zwar dahin, daß dem Kläger die Erziehung zugesprochen sei. Deshalb handle es sich jetzt nur noch darum, ob eine Klage auf Grund dieses Beschlusses zulässig sei. Dies müsse bejaht werden, da ein solcher Beschluß ebenso, wie Gesetz und Vertrag, eine Verbindlichkeit begründe, auf deren Erfüllung zur Erlangung eines vollstreckbaren Titels im ordentlichen Rechtswege geklagt werden könne.

In dieser Ausführung ist eine Rechtsnormverletzung nicht zu finden.

Die für die Frage, bei wem Kinder aus geschiedenen Ehen zu erziehen, maßgebenden Vorschriften der §§. 92 flg. A.L.R. II. 2 gehören dem Abschnitte über die Rechte und Pflichten der Eltern und der in väterlicher Gewalt stehenden ehelichen Kinder an. In diesem Abschnitte ist bezüglich der Rechte und Pflichten der Eltern der Satz an die Spitze gestellt (§. 64), daß beide Eheleute für Unterhalt und Erziehung der Kinder mit vereinten Kräften Sorge zu tragen haben. Daran schließt sich die nähere Ausgestaltung dieses Rechtsverhältnisses unter Berücksichtigung einerseits des Interesses der Kinder, andererseits der für die Ehe der Eltern möglichen Eventualitäten, namentlich auch einer etwaigen Ehescheidung. Die Wahrnehmung des Interesses der Kinder ist dabei, sofern dasselbe in der Hand der Eltern gefährdet erscheint, in allen Fällen kraft staatlicher Fürsorge dem Vormundschaftsgerichte übertragen, welches auf Antrag, aber auch von Amts wegen einschreiten kann (§§. 72. 90. 96--100 a. a. O.). Wo kein Anlaß zu derartigem Einschreiten sich bietet, vielmehr es sich lediglich um die Rechte der Eltern untereinander in Beziehung aus die Kinder handelt, liegt naturgemäß ein lediglich privatrechtliches Verhältnis nur. Daher muß ein unter den Eltern betreffs des Erziehungsrechtes entstehender Streit auch als privatrechtlicher Streit gelten und an sich im Sinne des §. 1 der Einl. zur preuß. A.G.O. dem ordentlichen Rechtswege unterfallen. Es fragt sich nur, ob durch positive Gesetzesbestimmung etwa der Rechtsweg ausgeschlossen ist. Daß dies vom Standpunkte des gemeinen Rechtes aus nicht der Fall ist, hat das Reichsgericht in mehreren Entscheidungen bereits ausgesprochen.

Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 10 S. 116, Bd. 17 S. 129, Bd. 18 S. 186, Bd. 21 S. 160.

Anlangend das preuß. A.L.R. ist zuzugeben, daß, soweit der Streit unter Eheleuten über die Pflege von Kindern unter vier Jahren entsteht, nach §. 72 A.L.R. II. 2 das Vormundschaftsgericht ohne Zulassung eines Prozesses die Entscheidung zu treffen hat. In dem Falle, wo die Erziehung von Kindern aus einer geschiedenen Ehe den Streitgegenstand bildet, wie vorliegend, spricht das Gesetzbuch in den §§. 92--100 a. a. O. nur allgemein von der Entscheidung des Richters, wobei bestimmt ist, daß für dieselbe der Regel nach die Entscheidung der Schuldfrage im Ehescheidungsprozesse maßgebend sein soll (§§. 92--96), während unter Umständen der Richter nach freiem Ermessen, auch unter Ausschluß beider Eltern, Anordnung treffen darf (§§. 97--100). Dagegen enthielt der §. 51 A.G.O. I. 40 die Vorschrift, daß im Ehescheidungsurteile das Erforderliche wegen der Schuldstrafen und der Kindererziehung festzusetzen sei. Aus dieser Vorschrift ergiebt sich, daß, insoweit im Ehescheidungsprozesse die Erziehung der Kinder unter den Eltern Gegenstand des Streites würde, die Entscheidung dem Prozeßrichter zustehen sollte. Ließ das Gesetz aber insoweit den Rechtsweg zu, so ist nicht abzusehen, inwiefern es solchen für einen erst nach der Scheidung entstehenden Streit hätte ausschließen sollen. Dem ist auch der §. 8 der Verordnung vom 23. Juni 1844, betreffend das Verfahren in Ehesachen, nicht entgegengetreten; denn, wenn derselbe vorschrieb, daß im Eheprozesse etwaige Rechte und Interessen der Kinder von einem zu bestellenden Kurator bezw. vom Staatsanwalte wahrzunehmen seien, so ist dabei immerhin an Wahrung der Interessen der Kinder in einem ordentlichen Rechtsstreite gedacht. Auf dem Boden dieser Anschauung steht auch das von den Vorinstanzen bereits angezogene Urteil des Reichsgerichtes vom 3. Mai 1880 (abgedruckt bei Gruchot, Bd. 25 S. 465); und ebenso bezeichnen es die Motive zum deutschen bürgerlichen Gesetzbuche (Bd. 4 S. 626) als geltendes preußisches Recht, daß bei einem Streite der Eltern über die Erziehung der Kinder die Entscheidung darüber, welchem Teile mit Rücksicht auf die Schuldfrage gemäß §§. 92 flg. A.L.R. II. 2 die Erziehung zu überlassen, dem Prozeßrichter zustehe, vorbehaltlich des Rechtes des Vormundschaftsgerichtes, jederzeit im Interesse der Kinder einzuschreiten. Die Lage des gegenwärtigen Rechtfalles bietet aber noch ein besonderes Moment zu Gunsten des ordentlichen Rechtsweges. Das Vormundschaftsgericht ist hier nämlich im Interesse der L.'schen Kinder bereits eingeschritten und hat in seinem Beschlusse vom 28. März 1887 die Erziehung derselben dem Vater anvertraut. Der letztere vermag aber nicht die Vollziehung dieser Anordnung zu erwirken; und die Frage, ob eine solche überhaupt einen vollstreckbaren Titel verleiht, ist nicht unbedenklich (vgl. Jastrow bei Gruchot Bd. 30 S. 299). Wollte man daher nicht den Rechtsweg zur Erlangung eines solchen Titels zulassen, so könnte der Beschluß des Vormundschaftsgerichtes unter Umständen ohne alle rechtliche Wirkung bleiben. -- Die gegen vorstehende Auffassung seitens der Revision vorgebrachten Argumente sind ohne durchgreifende Bedeutung. Insbesondere das Reskript des preußischen Justizministers vom 3. März 1820 (Jahrbücher Bd. 15 S. 8) und die Urteile des vormaligen preußischen Obertribunales (Präjudiz Nr. 404 in Samml. S. 164 und in den Entsch. desselben Bd. 37 S. 232) haben, wie auch in dem diesseitigen Urteile bei Gruchot, Bd. 25 S. 465 angenommen ist, wesentlich das Interesse der Kinder im Auge, und lediglich auf diesem Gesichtspunkte beruht die diesseitige Entscheidung vom 24. September 1888 in Sachen Heder w. Heder, indem es sich damals um eine Alimentationsklage von Kindern gegen den Vater handelte."