RG, 21.12.1917 - III 297/17

Daten
Fall: 
Amtspflichtverletzung von PoIizeibeamten
Fundstellen: 
RGZ 91, 347
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
21.12.1917
Aktenzeichen: 
III 297/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG II Berlin
  • Kammergericht Berlin

Amtspflichtverletzung von PoIizeibeamten. Zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges.

Tatbestand

Am Abend des 30. August 1914 besprach auf dem Bahnhofplatze Berlin-Lichterfelde West eine freudig erregte Menschenmenge die durch Sonderblätter des Berliner Tageblatts bekannt gewordene Nachricht von der siegreichen Schlacht bei Tannenberg. Der Polizeikommissar R. verbot dem Publikum die Besprechung, weil die amtlich nicht bestätigte Nachricht falsch sei. Der unter der Menge befindliche Ehemann und Vater der Kläger S., der von einer Verbreitung der Nachricht durch einen Offizier gehört hatte, äußerte zu Bekannten, ein Offizier werde das besser wissen als ein Schutzmann. Darauf fuhr ihn R., dem die Äußerung hinterbracht worden war, schroff an, packte ihn im Genick, nahm ihn fest und stieß ihn vor sich her. In derselben groben Weise behandelte ihn auch der Polizeidiener Sch., der die Verbringung zur Polizeiwache ausführte, und zwar trotz der Beteuerung des S.. daß er wegen seines Herzleidens nicht rasch gehen könne. Kurze Zeit nach dem Wiederverlassen der Polizeiwache ist S. auf der Straße infolge plötzlichen Herzstillstandes tot zusammengebrochen.

Die Kläger beanspruchten von der beklagten Gemeinde wegen Amtspflichtverletzung ihrer Polizeibeamten den Ersatz der Beerdigungskosten im Betrage von 294 M. Die Beklagte erhob Widerklage auf die Feststellung, daß den Klägern keine Ansprüche aus dem Unfalle gegen sie zuständen. In beiden Rechtszügen wurde der Klage unter Abweisung der Widerklage entsprochen. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Gründe

"Es besteht nicht der geringste Zweifel, daß der Polizeikommissar R. seine Amtspflicht gegenüber S. in schwerer Weise verletzt hat (§ 839 BGV.) ... Es unterliegt schon den erheblichsten Bedenken, ob der Sachverhalt überhaupt die Festnahme des S. rechtfertigte, ob insbesondere dem Polizeikommissar die Machtbefugnis zur Erlassung des Verbots zukam, ob sich S. durch die erwähnte Äußerung einer strafbaren Handlung schuldig machte, und ob nach den Umständen, die die Feststellung der Persönlichkeit des im Kreise von Bekannten befindlichen S. leicht ermöglichten, der Polizeikommissar zur Festnahme schreiten durfte. Aber auch, wenn man dies bejahen wollte, war doch die Festnahme eine die Pflicht des Polizeikommissars gröblich verletzende Handlung. Denn er hat nach den Feststellungen des Tatrichters die Festnahme nicht aus sachlichen Gründen wegen einer Straftat des S. vorgenommen, sondern lediglich zu dem Zweck, um an dem Festgenommenen für dessen Äußerung: "ein Offizier werde dies besser wissen als ein Schutzmann" durch die er sich in seiner Eitelkeit gekränkt fühlte, Rache zu nehmen. Zur Befriedigung persönlicher Rachegefühle darf aber ein Vollstreckungsbeamter von den ihm verliehenen Machtbefugnissen keinen Gebrauch machen; tut er dies dennoch, so verletzt er seine Amtspflicht auch in dem Falle, daß sachliche Gründe sein Verhalten rechtfertigen könnten. Der Polizeikommissar hat weiterhin bei der Ausführung seiner Festnahme seine Amtspflicht in gröblichster Weise dadurch verletzt, daß er den S. am Genick packte, ihn hin und her schüttelte und vor sich herstieß. Zu einer solchen Handlungsweise war er gegenüber dem keinerlei Widerstand leistenden Festgenommenen in keiner Weise veranlaßt und befugt.

Auch den Polizeidiener Sch,. der mit der Abführung des Festgenommenen beauftragt war, trifft, wie die Revision zu Unrecht bestreitet, der Vorwurf der Amtspflichtverletzung. Er war nicht berechtigt, den Festgenommenen vor sich herzustoßen. Da dieser erklärt hatte, daß er so rasch nicht gehen könne, keine Luft bekomme und an Herzschwache leide, war er nach den keineswegs bedrohlichen Umständen verpflichtet, auf die ihm mitgeteilten körperlichen Beschwerden des Festgenommenen Rücksicht zu nehmen; er durfte die Mitteilungen nicht mit der Bemerkung, daß sie ein dummes Gerede seien, unbeachtet lassen und sogar den Festgenommenen vor sich herstoßen.

Der Ursachenzusammenhang zwischen den Amtspflichtverletzungen und dem Tode des S. ist vom Berufungsgericht einwandfrei bejaht worden. Der Tod, der kurz nach der polizeilichen Entlassung auf der Straße eintrat, ist auf einen plötzlichen, der seelischen Erregung entspringenden Herzstillstand zurückzuführen. Ohne die Festnahme und die sich anschließende Mißhandlung wäre, wie das Berufungsgericht auf Grund des Gutachtens des Professors R. ohne Rechtsirrtum angenommen hat, der Tod nicht eingetreten; S. hätte, wenn er auch nach dem Sektionsbefunde sog. Schwielen des Herzens hatte, noch etwa zehn Jahre leben können. Unbegründet ist die Ausführung der Revision, für die Frage des Ursachenzusammenhangs habe die Festnahme auszuscheiden und die Kläger hätten zu beweisen, daß ohne die "robuste" Behandlung durch den Polizeikommissar der Tod nicht eingetreten wäre. Da nach den obigen Ausführungen schon die Festnahme selbst eine schuldhafte Amtspflichtverletzung begründete, so war es für die Entscheidung unerheblich, ob der Tod auf die Festnahme oder die robuste Art ihres Vollzugs zurückzuführen war. Übrigens beruht das angefochtene Urteil auf der durchaus einwandfreien, mit dem Gutachten sowohl des Professors R. als des Stabsarztes Re. übereinstimmenden Annahme, daß gerade auch diese Art der Festnahme eine wesentliche Mitursache des Todes gewesen sei."