RG, 20.06.1917 - V 87/17

Daten
Fall: 
Anfechtbarkeit wegen Vertrauensunwürdigkeit und Unzuverlässigkeit
Fundstellen: 
RGZ 90, 342
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.06.1917
Aktenzeichen: 
V 87/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Braunschweig
  • Oberlandesgericht Braunschweig

Zur Frage der Anfechtbarkeit einer Willenserklärung wegen Vertrauensunwürdigkeit und Unzuverlässigkeit des Erklärungsgegners.

Gründe

"Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen Nichteinhaltung einer Vereinbarung geltend. Das Berufungsgericht gelangte zur Klagabweisung, weil die Vereinbarung infolge berechtigter und rechtzeitiger Anfechtung wegen Irrtums über Eigenschaften des Klägers nichtig sei.

Die Vereinbarung ging nach der Feststellung des Berufungsgerichts dahin, daß der Kläger zwei Hypotheken der Beklagten von je 10.000 M auf zwei Grundstücken ausbieten und, wenn er den Zuschlag erhielte, unverzüglich die Fertigstellung der auf den Grundstücken errichteten Häuser, soweit solche noch nicht fertiggestellt seien, zu betreiben habe. Dafür sollten die Beklagten die Hypotheken 5 Jahre stehen lassen. Die Beklagten wollen sich hierbei, in einem Irrtum über die Zahlungsfähigkeit, Kreditwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit des Klägers gegenüber übernommenen Verpflichtungen befunden haben. Das Urteil scheidet die Annahme eines Irrtums über die beiden ersten Umstände als zweifelhaft aus, stellt aber fest, daß die Persönlichkeit des Klägers nach den beiden letzteren Richtungen nicht die von den Beklagten irrig vorausgesetzte Gewähr biete, und erachtet dies zur Anfechtung wegen Irrtums für ausreichend. Diese Ausführungen lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Es handelt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend darlegt, um ein auf längere Dauer berechnetes Rechtsgeschäft, das, insbesondere infolge der Verpflichtung zur Fertigstellung der Häuser durch den Kläger, Vertrauen auf seine Bereitwilligkeit, die übernommenen Verpflichtungen freiwillig, gewissenhaft, vollständig und ohne Weiterungen zu erfüllen, voraussetzte. Bei derartigen, sich nicht sofort abwickelnden Geschäften werde aber, wie das Berufungsgericht erklärt, ein verständiger Mensch größere Anforderungen an die Eigenschaften, insbesondere die Vertrauenswürdigkeit des Vertragsgegners stellen und dazu nach der Verkehrsanschauung berechtigt sein. Auf Grund tatsächlicher Würdigung gelangt es zu der Feststellung, daß der Kläger keine Persönlichkeit sei, bei der auf freiwillige und gewissenhafte Erfüllung übernommener Verpflichtungen zu rechnen und Streit oder Unstimmigkeit dieserhalb nicht zu befürchten sei.

Um ein Rechtsgeschäft wegen Irrtums über die Eigenschaften einer Person mit Erfolg anfechten zu können, ist erforderlich, daß diese Eigenschaften im Verkehr als wesentlich angesehen werden, und daß der, der sich über sie geirrt haben will, seine Willenserklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Ob diese Erfordernisse vorliegen, unterliegt der Nachprüfung des Revisionsgerichts (Warneyer 1909 Nr. 2; Jur. Wochenschr. 1912 S. 25 Nr. 5).

Das Reichsgericht hat nicht verkannt, daß eine Gefährdung der Rechts- und Verkehrssicherheit besorgt werden könne, wenn bei Sachen und noch mehr bei Personen der Begriff der zu Anfechtbarkeit wegen Irrtums zureichenden Eigenschaften allzusehr verflacht und dadurch der rechtliche Bestand der Rechtsgeschäfte von der zufälligen Auffassung im Einzelfall abhängig gemacht werde. Es hat aber trotz dieser Bedenken erklärt, daß beim Kreditkauf im Handelsverkehr der Irrtum über die Zahlungsfähigkeit des Käufers beim Vertragsschluß als Irrtum über eine Eigenschaft der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. aufgefaßt werden könne (RGZ. Bd. 66 S. 389). Dagegen hat es gegenüber der Frage, ob der persönlichen Unzuverlässigkeit oder Vertrauensunwürdigkeit die gleiche Bedeutung beizumessen sei, eine erheblich mehr zurückhaltende Stellung eingenommen. Es hat zwar ausgesprochen, daß bei Verträgen mit höchstpersönlichen Leistungen des Vertragsgegners im einzelnen Falle seine persönliche Sachkunde und unter ganz besonderen Verhältnissen auch seine persönliche Vertrauenswürdigkeit als Eigenschaften der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. angesehen werden mögen und ein Irrtum hierüber wenigstens für die Zeit vor der Vertragserfüllung eine Anfechtung des Vertragsschlusses rechtfertigen möge. Da aber die Möglichkeit und Pflicht zur Erkundigung hier in der Regel zureichenden Ersatz für den durch § 119 Abs. 2 BGB. bei Irrtum über Eigenschaften der Person gegebenen Rechtsschutz böten, so entspreche es weder der Auffassung noch dem Bedürfnis des Verkehrs, einen durch die mangelhafte Art der Erfüllung und die darin liegende Vertragsverletzung in Wahrheit erst erheblich gewordenen Irrtum zur Anfechtung zu verwenden, auch wenn die Vertrauenswürdigkeit in Frage komme. Zudem sei es mit der ausschließlichen Regelung der Folgen vertragswidriger Nichterfüllung unvereinbar, noch eine Anfechtung des Vertragsschlusses wegen Irrtums über Eigenschaften zuzulassen, wenn die geschuldete Leistung ganz oder zum Teile bewirkt und das Fehlen der vorausgesetzten Eigenschaften erst durch diese mangelhafte Vertragserfüllung zutage getreten sei (RGZ. Bd. 62, S. 284/5; Warneyer 1908 Nr. 590). Anders dagegen in Fällen, in denen stark persönliche, insbesondere auf eine längere zukünftige Zeit sich erstreckende Leistungen den Vertragsinhalt bilden und der Irrtum sich nicht etwa erst infolge der mangelhaften oder ausbleibenden Vertragserfüllung herausstellte So hat der III. Zivilsenat in einem Urteile vom 28. September 1908 Warneyer 1909 Nr. 2) den Irrtum über die sittliche Einwandsfreiheit eines Arztes, der ein Kindersanatorium einrichten und eine längere Reihe von Jahren leiten sollte, für erheblich erachtet. Der VII. Zivilsenat hat in dem Urteile vom 17. Oktober 1911 (Jur. Wochenschr. 1912 S. 25 Nr. 5) zugegeben, daß privatrechtliche Verhältnisse wohl denkbar seien, bei denen die Vertrauenswürdigkeit des Vertragsgegners von solcher Bedeutung sei, daß seine Bestrafung allein (nur um Irrtum darüber handelte es sich), insbesondere wenn die geahndete Straftat Schlüsse auf schlechte Charaktereigenschaften zulasse, berechtigten Grund zur Anfechtung aus § 119 BGB. gebe. Die Bedeutung der Bescholtenheit sei nicht für alle Fälle die gleiche, sondern abhängig davon, inwieweit Unbescholtenheit und die bei einer solchen zu vermutende Vertrauenswürdigkeit bei dem Rechtsgeschäft als wesentlich vorausgesetzt werden durfte. Dies werde bei Rechtsgeschäften, die eine bloße Sachleistung zum Gegenstände haben, in der Regel nicht zutreffen, es sei denn, daß durch die Bescholtenheit die Sicherheit der Erfüllung fraglich werde. Anders dagegen bei rechtsgeschäftlicher Übertragung von Vertrauensstellungen. Der dem Urteile zugrunde liegende Fall war insofern dem jetzt zur Entscheidung stehenden sehr ähnlich, als dort der Anfechtende geltend machte, der Gegner bitte infolge seiner schweren Bestrafung keine Gewähr dafür, daß er die im einzelnen schwer oder gar nicht nachprüfbaren Vertragspflichten während der langen Vertragsdauer erfüllen werde (es handelte sich um die Verpflichtung eines Pächters, für die Einhaltung und Verbesserung des Fischbestandes durch gewisse Maßnahmen zu sorgen), somit sei Irrtum über seine Zuverlässigkeit der Anfechtungsgrund. Dieser Grund wurde an sich als ausreichend erachtet und das die Anfechtung als wirksam anerkennende Berufungsurteil nur deshalb aufgehoben, weil zur Beurteilung der Zuverlässigkeit, da die Bestrafung anderseits durch die Zuverlässigkeit erweisende Eigenschaften aufgewogen sein könne, die ganze Persönlichkeit in Betracht zu ziehen sei; denn das gehöre mit zu der Sachlage, deren Kenntnis für die verständige Würdigung des Falles zu unterstellen sei.

Diesen zu billigenden Grundsätzen wird das angefochtene Urteil gerecht. Es kann ihm nicht, wie die Revision will, entgegengetreten werden, wenn es mit Rücksicht auf die unterstellten Vermögensverhältnisse des Klägers die danach anzunehmende Möglichkeit der Vertragserfüllung gegenüber der erwiesenen Besorgnis, daß auf freiwillige und gewissenhafte Erfüllung ohne Streit oder Unstimmigkeit dennoch nicht zu rechnen sei, ausdrücklich außer Betracht läßt. Da der Kläger die Fertigstellung der Häuser übernommen hatte, die zweifelsohne auch für die Sicherheit der auf 5 Jahre festzulegenden Hypotheken der Beklagten von Erheblichkeit war, so mußte letzteren daran liegen, mit einer Persönlichkeit zu tun zu haben, die nicht die Gewähr dafür vermissen ließ, daß sie bei Erfüllung dieser von vornherein nicht ins einzelne genau bestimmbaren Verbindlichkeit gewissenhaft und in der Absicht handeln werde, den berechtigten Ansprüchen der Beklagten gerecht zu werden. Es lag also ein Rechtsgeschäft vor, das auf längere Zeit in die Zukunft wirken sollte und bei den Beklagten Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Klägers voraussetzte. Da die vom Berufungsgerichte festgestellten Tatsachen ein erschöpfendes Urteil über die Unzuverlässigkeit des Klägers gestatten - diese Würdigung der einzelnen Tatsachen liegt auf tatsächlichem, nicht nachprüfbarem Gebiete (Urt. vom 2. Oktober 1907, I. 586/06) -, so kann die Annahme des Berufungsgerichts nicht bemängelt werden, daß die Beklagten bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles den Vertrag mit ihm nicht geschlossen haben würden. Der von der Revision hervorgehobene Umstand, daß die Zulassung der Anfechtung dahin führen würde, daß der Kläger im Rechtsverkehr erhebliche Nachteile erleiden würde, kann hierauf keinen Einfluß ausüben, denn dies würden Nachteile sein, die er sich selbst zuzuschreiben hätte."