RG, 22.03.1895 - III 34/95

Daten
Fall: 
Beiordnung eines Rechtsanwalts gegen Antrag
Fundstellen: 
RGZ 35, 369
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.03.1895
Aktenzeichen: 
III 34/95
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • OLG Kiel

Ist der zum Armenrechte zugelassenen Partei ein Rechtsanwalt auch gegen ihren Antrag beizuordnen?

Gründe

"Obgleich die Klägerin und Widerbeklagte durch einen von ihr bestellten Rechtsanwalt Berufung eingelegt und in ihrem auf Bewilligung des Armenrechtes gerichteten Gesuche ausdrücklich erklärt hatte, daß sie aus diesem Grunde die Beiordnung eines Rechtsanwaltes nicht wünsche, hat das Oberlandesgericht einen solchen in der Person des bereits von der Partei bestellten Justizrates K. der Klägerin beigeordnet. Dies begründet es in seinem Einsendungsberichte aus Anlaß der von dem beigeordneten Anwälte erhobenen Beschwerde damit, daß eine Bewilligung des Armenrechtes mit teilweiser Befreiung bezw. Beschränkung der durch § 107 Abs. 3 C.P.O. der armen Partei gewährleisteten Rechte den gesetzlichen Bestimmungen über Erteilung des Armenrechtes nicht entspreche, daher unzulässig sei. Dem kann jedoch nicht beigetreten, vielmehr muß die Beschwerde in Übereinstimmung mit einem Beschlüsse des I. Civilsenates vom 22. April 1882, vgl. Jurist. Wochenschrift Jahrg. 1882 S. 127, als begründet angesehen werden.

Der die Wirkungen des Armenrechtes für die arme Partei aufzählende § 107 C.P.O. läßt unter den Ziff. 1 und 2 ohne weiteres die Befreiung von den Gerichtsgebühren und Auslagen sowie von der Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten eintreten; wesentlich verschieden ist aber der Wortlaut der Ziff. 3, durch welche die Partei das Recht erhält, daß ihr ein Gerichtsvollzieher und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden. Danach soll sie also das Recht haben zu verlangen, daß diese Beiordnung erfolge. Ob sie von diesem Rechte Gebrauch macht, hängt von ihrem Willen ab, wie schon daraus sich ergiebt, daß sie gewiß nicht verpflichtet ist, sich durch einen gegen ihren Willen ihr beigeordneten Rechtsanwalt vertreten zu lassen und ihm Vollmacht zu erteilen. Man mag zwar in der allgemein gehaltenen Bitte um Bewilligung des Armenrechtes im Wege der Auslegung auch das Gesuch um Beiordnung eines Anwaltes finden können; keinesfalls aber ist die Beiordnung zulässig, wenn die Partei widerspricht. Das Oberlandesgericht irrt in der Annahme, daß dann die der Partei durch § 107 Ziff. 3 C.P.O. gewährten Rechte illusorisch gemacht werden könnten; ob und wieweit der für die Partei mit dieser Beschränkung das Armenrecht nachsuchende Rechtsanwalt, um seine Berufstätigkeit gewissenhaft auszuüben (§ 28 der Rechtsanwaltsordnung), die Partei über das ihr zustehende Recht, die Beiordnung eines zur unentgeltlichen Vertretung verpflichteten Rechtsanwaltes zu verlangen, belehren muß, ist jedoch hier nicht zu entscheiden." ...