RG, 08.11.1881 - III 466/81

Daten
Fall: 
Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens
Fundstellen: 
RGZ 6, 149
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.11.1881
Aktenzeichen: 
III 466/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kassel
  • OLG Kassel

1. Revisibilität in Ehesachen.
2. Erfordernisse der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens.
3. Können dieser Klage im Wege der Einrede Thatsachen entgegengehalten werden, welche eine zeitliche Trennung von Tisch und Bett rechtfertigen würden?
4. Wirkung einer Klagabweisung auf Grund solcher Thatsachen.

Tatbestand

Die beklagte Ehefrau hat sich im Frühjahr 1879 und, nachdem sie auf kurze Zeit zurückgekehrt war, zum zweiten Male im August 1879 von ihrem Ehemanne entfernt und lebt seitdem faktisch getrennt von demselben. Mit der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens belangt, hat sie eingewendet, daß sie von dem Kläger eine fortgesetzt rohe Behandlung zu erdulden gehabt habe, in deren Folge sie sich, ohne erst die Scheidungsklage anzustellen, für berechtigt ansehe, die Rückkehr zu ihrem Ehemanne zu verweigern.

Der Richter erster Instanz hat diese Einwendung tatsächlich und rechtlich für begründet erkannt und die Klage abgewiesen. Der Richter zweiter Instanz hat dem Klagantrage gemäß erkannt, indem er die der Beklagten zugefügten Injurien und Thätlichkeiten nicht für erheblich genug ansah und deshalb dahingestellt ließ, ob nicht die Ehefrau wegen der von ihr behaupteten Mißhandlung widerklagend auf Scheidung anzutragen gehabt hätte. An diesen letzteren Gedanken wurde von dem Anwalte des Revisionsbeklagten angeknüpft und ausgeführt: das Verlangen der Revisionsklägerin sei unstatthaft, sie wolle von ihrem Ehemanne auf unbestimmte Zeit sich entfernt halten, ohne gerichtlich geschieden zu sein; dies gehe während der Dauer des Ehebandes nicht an, die Beklagte müsse also entweder mit einer Ehescheidungsklage auftreten oder zu ihrem Manne zurückkehren.

Das Reichsgericht hob das Urteil der zweiten Instanz auf und wies in der Sache selbst die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurück aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Revisibilität der vorliegenden Sache kann nicht deshalb beanstandet werden, weil bei dem Ausspruche des Berufungsrichters. daß Kläger seiner Ehefrau keinen hinreichenden Grund für ihr Entferntbleiben von ihm gegeben habe, nur thatsächliche Feststellungen oder Beweiswürdigungen in Frage stehen. Allerdings ist für die Revisionsinstanz dasjenige maßgebend, was der Berufungsrichter in betreff des Benehmens des Klägers gegen seine Ehefrau als bewiesen angenommen hat. Allein wie dieses Benehmen vom Standpunkte des Eherechtes aus zu qualifizieren, insbesondere ob es als ein solches zu prädizieren ist, das der Ehefrau einen rechtlich begründeten Einwand gegen die angestellte Klage an die Hand gebe, ist der Würdigung des Revisionsgerichtes nicht entzogen.

Die gegenwärtige Klage ist die von dem Ehemanne wider seine von ihm getrennt lebende Ehefrau angestellte Klage auf eheliche Folge, bezw. auf Herstellung des ehelichen Lebens. Eine solche Klage wird durch §. 508 Abs. 1 C. P. O. für zulässig erklärt. Zwar ist diese Bestimmung nicht dahin zu verstehen, daß damit die Klage auf Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft auch in Rechtsgebiete eingeführt werden sollte, denen sie bis jetzt unbekannt war; das Gesetz will nur, daß sie in den Gebieten, in welchen sie nach dem geltenden Eherechte besteht, als Ehesache, nämlich als ein nach den Grundsätzen der Civilprozeßordnung zu entscheidender Rechtsstreit, behandelt werde. Allein nach dem Zeugnisse von Strippelmann, Ehescheidungsrecht S. 151, Roth und Meibom, Kurhessisches Privatrecht S. 344, sowie auf Grund der Praxis der vormals kurhessischen Gerichte (vgl. Strippelmann a. a. O.) kann als zweifellos angenommen werden, daß im Gebiete des vormaligen Kurfürstentums Hessen, welchem die streitenden Teile angehören, die Klage auf eheliche Folge anerkannt war.

Die angestellte Klage bezweckt, die faktische Trennung der Ehefrau, ihr zeitweiliges Entferntbleiben von dem Ehemanne durch Anrufung des Richters im Prozeßwege zu beseitigen. Folgerichtig können dieser Klage solche Thatumstände entgegengehalten werden, welche geeignet sind, das zeitweilige Wegbleiben der beklagten Ehefrau zu rechtfertigen. Die fraglichen Thatsachen brauchen keineswegs derart zu sein, daß sie zu einer immerwährenden Trennung, zu einer Ehescheidung berechtigen würden. Eben weil es sich nur darum handelt, ob die Ehefrau zur Zeit der Anstellung der Klage ausreichende Ursachen hat, sich faktisch getrennt von ihrem Ehemanne zu halten, müssen im allgemeinen solche Thatumstände für genügend angesehen werden, welche eine zeitliche Separation von Tisch und Bett herbeiführen könnten. Es liegt kein Grund vor, weshalb diese Thatumstände nur mittels besonderer Klage auf vorübergehende Trennung sollten geltend gemacht und nicht auch im Wege der Einrede gegen die Klage auf eheliche Folge sollten verwertet werden können; nur ist, wenn letzteres geschieht und von günstigem Erfolge begleitet ist, daran festzuhalten, daß der Ehemann seine Klage, weil sie nur aus einem temporären Rechtsgrunde abgewiesen wurde, von neuem wieder anstellen kann, sobald die Verhältnisse in der entsprechenden Weise sich geändert haben.

Als allgemeine Richtschnur dafür, ob Gründe für eine vorübergehende Scheidung, bezw. ob gerechte Ursachen für die Entfernung der Ehefrau von ihrem Ehemanne vorhanden sind, wird von der gemeinrechtlichen Doktrin und Praxis der Gesichtspunkt aufgestellt, daß der Ehefrau durch das Benehmen des Mannes ein Zusammenleben mit ihm zu einer unerträglichen Last gemacht worden sein müsse.1

Von diesem rechtlichen Gesichtspunkte ausgegangen, wonach insbesondere auch rohe Mißhandlungen und Beschimpfungen seitens des Mannes die Frau berechtigen können, die Rückkehr zum Manne zu verweigern, muß in der die beklagte Ehefrau verurteilenden Entscheidung der Berufungsinstanz eine Rechtsverletzung gefunden werden.

Der vorige Richter nimmt den Inhalt der Aussagen der Witwe W. als erwiesen an. Er geht zwar weiter davon aus, daß die hiernach dem Kläger zur Last fallenden Mißhandlungen einen bleibenden Gesundheitsnachteil seiner Frau nicht zugefügt haben, auch daß die Drohungen, welche Kläger bei den betreffenden Mißhandlungen und Beschimpfungen ausgestoßen, nicht ernst gemeint waren. Allein, auch wenn von diesen thatsächlichen Feststellungen des vorigen Richters ausgegangen wird, bleibt noch soviel Rohheit auf seiten des Klägers und eine so schmähliche Beschimpfung und körperlich empfindliche und entwürdigende Mißhandlung der beklagten Ehefrau übrig, welche währenddessen teils im Zustande der Schwangerschaft, teils im Wochenbette sich befand, daß ihr auch bei Berücksichtigung ihrer Standes- und Bildungsverhältnisse nicht zugemutet werden kann, zu ihrem Ehemanne zurückzukehren. Die vom Kläger behauptete Versöhnung und Verzeihung kann hieran nichts ändern. Hat dieselbe in der Weise, wie Kläger vorbringt, stattgefunden, so bezieht sie sich nur auf dasjenige, was vor dem Mai 1879 sich zugetragen hat. Der Vorfall aber, den die Witwe W. vom August 1879 bezeugt, ist für sich allein betrachtet so schwerer Art und trägt, zumal er sich wenige Monate nach der ersten Mißhandlung der beklagten Ehefrau vom April 1879 zutrug, einen für diese so empfindlichen und gefährlichen Charakter an sich, daß ihr unerachtet des gedachten klägerischen Vorbringens genügende Gründe zur Seite stehen, die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft mit dem Kläger zu verweigern.

Hiernach ist das Urteil der Berufungsinstanz aufzuheben und das die Klage abweisende Urteil der ersten Instanz wiederherzustellen. Nach dem oben Bemerkten schließt diese Entscheidung nicht aus. daß der Kläger unter veränderten Verhältnissen seine Klage erneuern kann."

  • 1. Vgl. Richter, Kirchenrecht 7. Aufl. S. 1001; Walter, Kirchenrecht §. 253; Eichhorn, Kirchenrecht S. 479; Glück, Kommentar Bd. 26 S. 369; Seuffert, Archiv Bd. 7 Nr. 189; Bd. 27 Nr. 36.