Aktuelle Nachrichten

EU-Entgelttransparenz-Richtlinie: Handlungsbedarf bei Entgeltsystemen – jetzt!

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 12.07.2024 - 13:00

Am 6. Juni 2023 ist die EU-Entgelttransparenzrichtlinie der Europäischen Union (Richtlinie [EU] 2023/970 – EntgTranspRL) in Kraft getreten, die bis spätestens 7. Juni 2026 in nationales Recht transformiert werden muss.

Doch Obacht: Eine Umsetzung ist noch in dieser Legislaturperiode geplant. Auszugehen ist von einer umfangreichen Änderung oder gar Neufassung des seit 2017 geltenden Entgelttransparenzgesetzes.

Stärkung der Entgelttransparenz

Die EU-Richtlinie enthält im Wesentlichen Transparenz- sowie Durchsetzungsinstrumente, um dem Gebot der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern zu besserer Geltung zu verhelfen. Neben Informationsverpflichtungen gegenüber Bewerbern, erweiterten Informations- und Auskunftsrechten, Berichts- und daraus etwaig resultierenden gemeinsamen Entgeltbewertungspflichten regelt die Richtlinie vor allem auch Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche, eine Beweislastumkehr, die § 22 AGG bereits jetzt als nationales Recht enthält, sowie Sanktionen bei Verstößen gegen Rechte und Pflichten. Anders als nach der derzeit geltenden Rechtslage drohen künftig empfindliche Geldbußen. Nach dem Erwägungsgrund 55 der Richtlinie können diese auf dem Bruttojahresumsatz des Arbeitgebers oder der Gesamtentgeltsumme des Arbeitgebers beruhen.

"Äpfel und Birnen" – Vergleichbarkeit

Entgeltsysteme müssen verständlich sein und auf objektiven, geschlechtsunabhängigen Kriterien beruhen. Vergütungsstrukturen sind so zu gestalten, dass die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gewährleistet wird. Dies bedeutet nicht, dass es keinerlei Entgeltunterschiede geben darf. Weiterhin gilt, dass "Äpfel nicht mit Birnen" verglichen werden können. Personen müssen miteinander vergleichbar sein. Die Bestimmung gleicher oder gleichwertiger Arbeit ist häufig nicht klar. In diesem Zusammenhang bleibt abzuwarten, ob die Angemessenheitsvermutung bei Tarifverträgen nach § 4 Abs. 5 EntgTranspG, deren Anwendung auch für Betriebsvereinbarungen vertreten wird, auch künftig gilt. Streitet momentan die Eingruppierung in unterschiedliche Entgeltgruppen gegen eine Gleichwertigkeit der Tätigkeit, so wird dies unter Geltung der Entgelttransparenzrichtlinie für europarechtswidrig gehalten. Auch hier bleibt abzuwarten, wie der Bundesgesetzgeber die Eingruppierung in kollektivrechtliche Entgeltsysteme bewerten und dies regeln wird.

Ist eine Vergleichbarkeit zu bejahen, so kann ein sachlicher und diskriminierungsfreier Grund dennoch unterschiedliche Entgelthöhen rechtfertigen. Die Begründung sollte in diesem Fall sorgfältig vorbereitet und dokumentiert werden.

Transparenz im Bewerbungsverfahren

Bewerber müssen künftig über das stellenbezogene Einstiegsentgelt oder dessen Spanne sowie über für die Stelle einschlägige Tarifbestimmungen informiert werden (Art. 5 Abs. 1 S. 1 EntgTranspRL), damit sie fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt führen können.
Die bisher im Bewerbungsgespräch übliche Frage nach der bisherigen Gehaltsentwicklung des Bewerbers wird nicht mehr zulässig sein (Art. 5 Abs. 2 EntgTranspRL); Gespräche über die Gehaltsvorstellungen bleiben möglich.

Transparenz im laufenden Arbeitsverhältnis

Alle Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer unaufgefordert und in leicht zugänglicher Weise über alle Kriterien für die Festlegung des Entgelts, der Entgelthöhen und der Entgeltentwicklung informieren (Art. 6 EntgTranspRL). Die Mitgliedstaaten können Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern von dieser Verpflichtung befreien (Art. 6 Abs. 2 EntgTranspRL). Inwiefern der deutsche Gesetzgeber hiervon Gebrauch machen wird, ist noch nicht abzusehen.

Das auch bereits nach geltender Rechtslage bestehende Auskunftsrecht wird durch Art. 7 EntgTranspRL erweitert. Künftig ist die Anzahl der beim Arbeitgeber Beschäftigten für die Auskunftsverpflichtung unerheblich. Inhaltlich ist das Auskunftsrecht nicht mehr allein auf die Mitteilung des statistischen Medians gerichtet, sondern auf das durchschnittliche Entgelt des anderen, aber auch des eigenen Geschlechts. Auf die Größe der Vergleichsgruppe kommt es nach der Richtlinie entgegen dem aktuell geltenden § 12 Abs. 3 S. 2 EntgTranspG ebenfalls nicht an.

Über dieses Auskunftsrecht sowie den Prozess der Auskunftserteilung müssen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer künftig jährlich aktiv informieren. Angesichts des Geheimhaltungsinteresses des Unternehmens können Arbeitgeber verlangen, dass die zum Vergleichsentgelt erhaltenen Informationen nur zur Ausübung ihres Rechts auf gleiches Entgelt verwendet werden.

Arbeitgeber mit mindestens 100 Arbeitnehmern müssen zukünftig regelmäßig über das Entgeltgefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berichten (Art. 9 EntgTranspRL). Wie genau die Berichterstattung hierüber ablaufen wird, bleibt der nationalen Umsetzung vorbehalten.

Fazit

Die zu erwartenden Neuregelungen auf nationaler Ebene dürften bei einer Vielzahl von Arbeitgebern zu grundlegenden Veränderungen im Umgang mit der Entgeltfindung führen. Dies sollten Unternehmen nicht "auf die lange Bank" schieben. Andernfalls droht aus dem Handlungsbedarf ein erheblicher Handlungsdruck zu werden. Hierbei ist auch die Zeitschiene zu berücksichtigen, die bei Einbeziehung von Tarifpartnern oder Betriebsräten zu erwarten ist. Arbeitgeber sollten sich bereits jetzt mit den zu erwartenden Neuerungen befassen und die angewendeten Entgeltsstrukturen und -regeln einschließlich der Entgeltfindung analysieren und bei Bedarf anpassen.

Sebastian Kroll

KI & Arbeitsrecht – Diese Regeln müssen berücksichtigt werden

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 12.07.2024 - 13:00

Künstliche Intelligenz ("KI") ist seit geraumer Zeit in aller Munde – sei es in Fach-, Sozialen oder anderen Medien, bei (Fach)Tagungen oder andernorts. Im Arbeitsverhältnis und im HR-Bereich dürfte "KI" ebenfalls zunehmend an Bedeutung gewinnen (z.B. im Recruiting, aber beispielsweise auch bei der Erstellung von Einsatzplänen oder Leistungskontrollen).

Doch welche grundlegenden Regeln müssen beim Einsatz von "KI" arbeitsrechtlich berücksichtigt werden?

Wesentlicher Rechtsrahmen

Bereits vor Inkrafttreten des weltweit ersten "KI-Gesetzes" ("AI Act") galten im Zusammenhang mit der "KI"-Nutzung insbesondere die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, des Betriebsverfassungsgesetzes, der Datenschutz-Grundverordnung und des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Landesdatenschutzgesetze, die neben dem "AI Act" weiterhin zu beachten sind.

Anbahnungs- und Bewerbungsphase

Eine sehr praxisrelevante Einsatzmöglichkeit für "KI" stellt das Recruiting dar. Dieser Einsatz muss sich vor allem an Art. 22 Abs. 1 DS-GVO messen lassen. Hiernach ist eine automatisierte Entscheidung unzulässig. Die letzte Entscheidung muss von einem Menschen getroffen werden. Die Anwendung komplexer IT-Systeme fällt in den Anwendungsbereich des Art. 22 Abs. 1 DS-GVO, wenn mit selbstlernenden Algorithmen finale Entscheidungen getroffen werden; jedenfalls dann, wenn die Entscheidungsfindung letztlich nicht mehr nachvollziehbar ist. Es geht um die Schaffung eines mehr oder weniger finalen Zustandes mittels automatisierter Entscheidungsfindung. Das wäre bei Vorauswahl mittels "KI" möglicherweise der Fall im Sinne einer Negativauswahl. Allerdings wird es häufig als ausreichend erachtet, wenn ein Mensch das Ergebnis nochmals stichprobenartig oder auf Plausibilität überprüft. Dieses Vorgehen sollte gründlich dokumentiert werden, um in möglichen Streitigkeiten die Beteiligung eines Menschen nachweisen zu können. Ausnahmen von Art. 22 Abs. 1 DS-GVO werden lediglich für eine besonders große Anzahl von Bewerbungen ("tausende") diskutiert.

Weiter spielt der Diskriminierungsschutz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eine wichtige Rolle. Der Einsatz "KI"-gestützter Tools in der Anbahnungs- bzw. Bewerbungsphase birgt Diskriminierungsrisiken, die teilweise schwer zu identifizieren sind, vor allem bei sogenannten selbstlernenden Anwendungen. Wenn eine "KI"-gestützte Anwendung Entscheidungen trifft bzw. Vorschläge macht, die unmittelbar oder mittelbar aus einem in § 1 AGG pönalisierten Grund erfolgt, können sich Diskriminierungsrisiken realisieren. Diese Risiken bzw. eine gewisse Voreingenommenheit der "KI" kann auf fehlerhaften Datensätzen oder Programmierungsfehlern basieren. Die Mängel und vor allem auch die Qualität des Datenbestands, insbesondere der Trainingsdaten, können eine Diskriminierung im Bewerbungsverfahren verursachen. Sind bestimmte Gruppen in den Trainingsdaten des Algorithmus unterrepräsentiert, kann es zu einer Verzerrung und zu einer Diskriminierung kommen. Insofern ist dringend zu empfehlen, dass Arbeitgeber vor dem Einsatz "KI"-gestützter Anwendungen die Qualität des Datenbestands kritisch hinterfragen und auch einen Nachweis von Qualitätskontrollen vom Anbieter einfordern. Auch dies sollte dokumentiert werden. Eine bewusst diskriminierend programmierte "KI" dürfte eher selten sein. Praxisrelevanter ist das Risiko der mittelbaren Benachteiligung, die beispielsweise entstehen kann, wenn die dem Algorithmus vorgelegten Bewerbungen zwar keine Angabe zu einem Geschlecht beinhalten, die Anwendung allerdings die Dauer der Berufsjahre bei gleichem Alter als vermeintlich neutrales Bewertungskriterium berücksichtigt. Frauen können mittelbar benachteiligt werden, da sie durch Geburten durchschnittlich weniger Berufsjahre aufweisen. Häufig findet die "KI" auch andere Ersatzvariablen, die die geschlechtsspezifische Diskriminierung indirekt fördern (z.B. Studienort, Hobbys, die mehrheitlich ein Geschlecht ausübt).

Durchführung des Arbeitsverhältnisses

Arbeitsleistungen sind persönlich zu erbringen (§ 613 BGB), wobei der Einsatz von "KI" arbeitsrechtlich nicht generell ausgeschlossen ist. Arbeitgeber können aber (und sollten auch) im Rahmen ihres Weisungsrechts die "KI"-Nutzung regulieren. Eine entsprechende Weisung nebst Vorgaben zur Nutzung ist mitbestimmungsfrei (ArbG Hamburg v. 16.01.2024 – 24 BVGa 1/24). Je nach Branche, Einsatzgebiet und Tätigkeit kann eine "KI"-Nutzung einerseits geradezu gewünscht sein und gefördert werden, anderseits unerwünscht und zu untersagen sein. Die Nutzung von "KI" birgt verschiedene rechtliche Risiken. Insbesondere können unter Umständen Unternehmensdaten und Geschäftsgeheimnisse offenbart werden oder Arbeitsergebnisse, die durch "KI" geschaffen wurden, nicht schutzfähig sein im Sinne des Urhebergesetzes. Dies kann wiederum zu Haftungsansprüchen des Unternehmens gegenüber Kunden führen.

Beteiligung des Betriebsrats

Durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat "KI" 2021 ausdrückliche Erwähnung im Betriebsverfassungsgesetz gefunden, allerdings nicht im Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG, sondern in den Informations- bzw. Mitwirkungsrechten nach § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG (Hinzuziehung eines Sachverständigen bei Fragen der Einführung und Anwendung von "KI" im Betrieb), nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG (Information bei Einsatz von "KI") und nach § 95 Abs. 2a BetrVG (Zustimmung bei Aufstellung von Auswahlrichtlinien durch "KI").

Hierneben kommt auch ohne ausdrückliche Erwähnung die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats nach "allgemeinen" Regeln gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 (Ordnung und Verhalten im Betrieb) und Nr. 6 (Einführung und Anwendung technischer Überwachungseinrichtungen) in Betracht. Von den Regelungen zur Ordnung und zum Verhalten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sind Weisungen abzugrenzen, die das Arbeitsverhalten betreffen und keiner Mitbestimmung nach vorgenannter Nr. 1 unterliegen (z.B. Vorgaben zur Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Tools in Richtlinien, Handbüchern etc.). Im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist genau zu prüfen, ob der Arbeitgeber die Möglichkeit der Überwachung des Verhaltens oder der Leistung der Arbeitnehmer hat. Hieran fehlt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber keinen Zugriff auf die von der "KI" gespeicherten Daten hat. Zudem kommt der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Gesundheitsschutz) in Betracht. Die Verwendung von "KI" kann – je nach Art der "KI" – zu psychischen Belastungen für die Arbeitnehmer führen.

"AI Act"

Nachdem das Europäische Parlament den "AI Act" im März 2024 verabschiedet und der Europäische Rat im Mai 2024 seine Zustimmung erteilt hat, wird das Gesetz am 20. Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten. Es wird mit Ausnahme einiger Teile, die bereits früher bzw. später gelten, 24 Monate nach seinem Inkrafttreten vollumfänglich anwendbar sein.

Die Inhalte des "AI Act" werden in der aktuell in 3. Auflage von ADVANT Beiten herausgegebenen Broschüre "Recht der Künstlichen Intelligenz" (Recht der Künstlichen Intelligenz | Advant Beiten (advant-beiten.com)) rechtsgebietsübergreifend erläutert.

Fazit

"KI" wird für Arbeitsverhältnisse zunehmend von Bedeutung sein, sei es bei der Arbeitsleistung oder im HR-Bereich. Eine besondere Herausforderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen einerseits und der tatsächlichen Handhabung andererseits dürfte die rasche Entwicklung der "KI" und ihrer Möglichkeiten sein. Der Einsatz von "KI" bietet Chancen und Nutzen und birgt zugleich Risiken. Er unterliegt zudem (auch) arbeitsrechtlichen Anforderungen und Grenzen. Arbeitgeber sollten sich daher frühzeitig die Frage stellen, ob, zu welchen Zwecken und unter welchen Vorgaben "KI" zum Einsatz kommen soll, bevor sich infolge einer unklaren betrieblichen Regelungslage die Nutzung unkontrolliert verselbständigt, Risiken nicht minimiert, ebenso aber auch Chancen und Nutzen möglicherweise nicht bestmöglich ausgeschöpft werden.

Dr. Sebastian Kroll

Geändertes chinesisches Gesellschaftsgesetz ab 1. Juli 2024

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 12.07.2024 - 13:00

Hier erfahren Sie, was deutsche Gesellschaften beachten müssen, um in Bezug auf Ihre chinesischen Tochtergesellschaften und Beteiligungen die Vorgaben des überarbeiteten chinesischen Gesellschaftsgesetzes und der neuen Regularien zu Kapitaleinlagen zu erfüllen. Daneben hat das Oberste Volksgericht der VR China am 29. Juni 2024 eine Interpretation zu den neuen Bestimmungen erlassen, die einige, aber nicht alle Unklarheiten in Bezug auf die neuen Bestimmungen, die seit dem 1. Juli 2024 in Kraft getreten sind, beseitigen. Klar ist schon jetzt, dass sich u.a. die Regeln zur Kapitaleinlage, Haftung bei Anteilsübertragungen, Mitbestimmung der Arbeitnehmer und zur Organhaftung geändert haben.1

1. Kapitaleinlagen

Seit 2014 wurden die Anforderungen an das Mindeststammkapital weitgehend aufgehoben2 und die Fristen zur Einlageleistung gelockert. Nun wurden einige dieser früheren Lockerungen aufgrund von teils missbräuchlicher Anwendung wieder verschärft:

Gesellschaften, die ab 1. Juli 2024 gegründet werden, müssen das volle Stammkapital innerhalb von fünf Jahren ab Gründung erhalten.

Für Gesellschaften, die vor dem 1. Juli 2024 gegründet wurden, gilt Folgendes:

  • Wenn die satzungsgemäße Einzahlungsfrist vor dem 1. Juli 2032 abläuft, bleibt diese Frist bestehen.
  • Wenn die satzungsgemäße Einzahlungsfrist nach dem 30. Juni 2032 abläuft, ist die Satzung spätestens bis zum 30. Juni 2027 dahingehend zu ändern3, dass entweder die Einzahlungsfrist bis zum 30. Juni 2032 verkürzt wird oder das gezeichnete Stammkapital auf das bereits eingebrachte Stammkapital herabgesetzt wird.
  • Das Board of Directors ("Vorstand") ist verpflichtet, die fristgerechte Zahlung der Kapitaleinlagen zu überprüfen, und die Gesellschaft muss säumige Gesellschafter unverzüglich schriftlich auffordern, die überfälligen Einlagen innerhalb einer Nachfrist von mindestens 60 Tagen ab dem Datum der Aufforderung zu leisten.
  • Wenn innerhalb dieser Frist die Leistung der Einlagen nicht erbracht wird, muss die Gesellschaft den säumigen Gesellschafter über den Verlust seines Anteils an der Gesellschaft in Höhe des überfälligen Stammkapitals benachrichtigen.4
  • Wird das verwirkte Stammkapital nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Nachfrist auf andere Gesellschafter/Dritte übertragen oder durch Kapitalherabsetzung abgewickelt, so haben die übrigen Gesellschafter (sofern vorhanden) die entsprechende Einlage im Verhältnis zu ihrer Beteiligung an der Gesellschaft zu leisten.
  • Wenn die Gesellschaft unfähig ist, fällige Schulden zu begleichen, sind die Gesellschaft bzw. deren Gläubiger auch vor Ablauf der satzungsgemäßen Einzahlungsfrist berechtigt, von den Gesellschaftern die Einlageleistung zu verlangen.

Die Behörden können Verwaltungsmaßnahmen und Bußgelder gegen die Gesellschaft und ihre Organe und Gesellschafter verhängen, sofern diese ihren Pflichten in Bezug auf das Stammkapital oder dessen Einforderung nicht nachkommen. Insoweit besteht nunmehr auf allen Ebenen ein stark erhöhter Handlungsbedarf bei Einlageverzug.

2. Anteilsübertragung

Übertragende Gesellschafter müssen Mitgesellschafter schriftlich benachrichtigen, wenn Anteile am gemeinsamen Unternehmen veräußert werden sollen. Mitgesellschafter haben dann 30 Tage Zeit zu entscheiden, ob sie ihr Vorkaufsrecht ausüben wollen. Von einem Vorkaufsrechtsverzicht wird ausgegangen, wenn Mitgesellschafter die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht innerhalb von 30 Tagen bestätigen. D.h. das bisherige aktive Zustimmungserfordernis der Mitgesellschafter zur Anteilsübertragung entfällt, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts Anderes vorsieht.

Hinsichtlich der Haftung für nicht eingezahltes, aber übertragenes Stammkapital gilt nunmehr Folgendes: Der Käufer trägt die Einlageverpflichtung hierfür; falls er die Einlage nicht leistet, haftet auch der Verkäufer selbst nach Vollzug der Kapitalübertragung für diese Einlage. Darüber hinaus haften Käufer und Verkäufer gesamtschuldnerisch, wenn Verkäufer ihre Einlagen nicht fristgemäß geleistet haben oder der Wert ihrer Sacheinlagen sich als wesentlich niedriger erweist als ursprünglich angegeben. Es kommt also zu einer Verschärfung der gegenseitigen Haftung und damit zu einem erweiterten Regelungsbedarf bei Anteilsübertragungen.

3. Organhaftung

Die Organhaftung war bereits im bisherigen Gesellschaftsgesetz rudimentär angelegt, ist nun aber auf alle Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsrats ("AR") und der Geschäftsleitung ("GL") anwendbar und wurde spezifiziert. Die vorgenannten Organe sind nunmehr verpflichtet:

  • Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten zu ergreifen,
  • Befugnisse nicht zur Verfolgung "unzulässiger Interessen" zu nutzen,
  • angemessene Sorgfalt walten zu lassen, damit Befugnisse im besten Interesse des Unternehmens ausgeübt werden,
  • der Gesellschafterversammlung bzw. dem Vorstand Transaktionen mit verbundenen Parteien/nahestehenden Personen5 zu melden und zur Prüfung vorzulegen, und
  • alle Verbote gegen unfairen Wettbewerb einzuhalten.

Mitglieder des Vorstands sind bei Entscheidungen, die sie persönlich betreffen nicht stimmberechtigt. Falls dadurch kein ausreichendes Quorum im Vorstand erreicht wird, entscheidet die Gesellschafterversammlung.

In folgenden Fällen haften zum Beispiel Mitglieder aus Vorstand, AR und GL persönlich bei:

  • unerlaubter Gewährung finanzieller Hilfe an Dritte zum Erwerb von Gesellschaftsanteilen,
  • illegalen Stammkapitalentnahmen, Gewinnausschüttungen oder Kapitalreduzierungen,
  • Schäden Dritter, die durch das betreffende Organ vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurden.
4. Organstruktur

Gesetzliche Vertreter sind befugt, Gesellschaften gegenüber Dritten zu vertreten, wobei jede Gesellschaft nur einen gesetzlichen Vertreter hat. Bisher konnte entweder der Geschäftsführer ("GF") oder der Vorstandsvorsitzende diese Position innehaben. Gerade in letzterem Fall waren diese Personen oft wenig im Tagesgeschäft der Gesellschaft involviert. Ab dem 1. Juli 2024 gilt, dass diese Position entweder durch den GF oder durch einen im Tagesgeschäft der Gesellschaft involvierten Vorstand besetzt wird. Damit soll sichergestellt werden, dass gesetzliche Vertreter tatsächlich an der Führung der Geschäfte der Gesellschaft beteiligt sind.

AR vs. Prüfungsausschuss: Bisher waren Gesellschaften verpflichtet, einen AR mit mindestens drei Mitgliedern (davon ein Arbeitnehmervertreter) einzurichten bzw. im Falle von KMU ein oder zwei Aufsichtsräte zu ernennen (dann war ein Arbeitnehmervertreter nicht zwingend). Ab dem 1. Juli 2024 gilt in Bezug auf ARs nun Folgendes:

  • KMU benötigen keinen AR mehr, sofern die Gesellschafter dies beschließen,
  • statt eines AR kann innerhalb des Vorstands ein "Prüfungsausschuss" eingerichtet werden, der die AR-Aufgaben übernimmt,
  • Gesellschaften mit 300+ Arbeitnehmer, die keinen AR mit einem Arbeitnehmervertreter haben, müssen einen Arbeitnehmervertreter in den Vorstand berufen.

Ferner gelten nun folgende verbindliche Mindeststandards für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und des Vorstands:

  • Beschlüsse der Gesellschafterversammlung erfordern immer eine Zustimmung von mehr als 50 % der Stimmrechte,
  • Beschlüsse des Vorstands bedürfen immer einer Zustimmung von mehr als 50 % der Mitglieder.
5. Arbeitnehmermitbestimmung

Gesellschaften mit mehr als 300 Arbeitnehmern müssen einen Arbeitnehmervertreter entweder in den Vorstand oder AR entsenden. Diese Arbeitnehmervertreter müssen von den Arbeitnehmerorganen auf demokratische Weise gewählt werden. Bisher galt die Verpflichtung der Entsendung von Arbeitnehmern nur für den AR, sofern ein solcher mit mindestens drei Mitgliedern installiert war.

Angesichts der unterschiedlichen Aufgaben von Vorstand und Aufsichtstrat ist auch die Rolle der Arbeitnehmervertreter in diesen Organen unterschiedlich. In beiden Funktionen können die Mehrheitserfordernisse so gestaltet sein, dass die Stimme des Arbeitnehmervertreters kein Vetorecht o.Ä. begründet.

In die Zahl von mehr als 300 Arbeitnehmern werden folgende Arbeitnehmer einbezogen: solche mit formellen Voll-/Teilzeitarbeitsverträgen (auch in der Probezeit), Mitarbeiter, die bei Niederlassungen der Gesellschaft angestellt sind, sowie alle anderen Arbeitnehmer, die in den gesetzlich vorgesehenen Mitbestimmungsorganen wahlberechtigt sind.

6. Schutz von Minderheitsgesellschaftern

Folgende Änderungen sollen der Missbrauchsgefahr durch Mehrheitsgesellschafter bzw. tatsächlich kontrollierende Gesellschafter entgegenwirken:

  • Die Einhaltung des Gebots der Treuepflichten wird nun nicht mehr nur von Organen der Gesellschaft, sondern auch von Mehrheitsgesellschaftern bzw. den tatsächlich kontrollierenden Gesellschaftern gefordert, selbst wenn diese formal keine Organfunktion innehaben.
  • Mehrheitsgesellschafter bzw. tatsächlich kontrollierende Gesellschafter, die die GL anweisen, Handlungen gegen die Interessen des Unternehmens bzw. deren Gesellschafter vorzunehmen, haften gesamtschuldnerisch mit der angewiesenen GL.
  • Wenn Mehrheitsgesellschafter bzw. tatsächlich kontrollierende Gesellschafter ihre Gesellschafterrechte zum materiellen Nachteil des Unternehmens oder anderer Gesellschafter missbrauchen, sind Minderheitsgesellschafter berechtigt, von diesen den Rückkauf ihrer Gesellschaftsanteile zu einem angemessenen Preis zu verlangen.
7. Fazit

Es ist an der Zeit, die Gesellschaftsverträge chinesische Tochtergesellschaften und Beteiligungen zu überprüfen und über eine Anpassung nachzudenken.

Susanne Rademacher
Lelu Li
Dr. Jenna Wang Metzner
Kelly Tang

1 Sofern nicht ausdrücklich anders angegeben, bezieht sich diese Veröffentlichung nur auf privat-investierte Gesellschaften mit beschränkter Haftung (d. h. nicht auf State Owned Enterprises und nicht auf Aktiengesellschaften).
2 Für einige begrenzte Branchen/Projekte bestehen nach wie vor Mindestanforderungen an das Stammkapital.
3 Ausnahmen gelten für Gesellschaften, deren Geschäft nationale Interessen bzw. bedeutende öffentliche Interessen berühren und für die die zuständigen Behörden abweichende Fristen gestattet.
4 Nach Erhalt der Verwirkungsmitteilung hat der Gesellschafter 30 Tage Zeit, beim örtlichen Volksgericht Klage einzureichen, falls er die Mitteilung für unrechtmäßig hält.
5 z.B. mit nahen Verwandten bzw. Gesellschaften, die (in)direkt von nahen Verwandten kontrolliert werden.

 

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

 

Stromsteuer und Dezentrale Energieversorgung – Vereinfachungen in Sicht

Beiten Burkhardt // BLOG - Do, 11.07.2024 - 13:00

Erneuerbare Energien, wie Wasser- und Solarkraft, Windenergie, Erdwärme und nachwachsende Rohstoffe ersetzen im Zuge der Energiewende die fossilen Energieträger kontinuierlich. Bis 2050 sollen sie rund 60 Prozent am Bruttoendenergieverbrauch und 80 Prozent am Bruttostromverbrauch ausmachen. Zentrale Elemente eines Energiesystems, das auf Erneuerbaren Energien basiert, sind dabei neue Speicherkonzepte und intelligente Energienetze. Der Charakter des Energieversorgungssystems wandelt sich von konventionellen, zentralen Großkraftwerken stärker zu einer dezentralisierten Struktur mit zahlreichen kleinen Erzeugungsanlagen.

Worum geht es?

Damit das Steuerrecht dem Aufbau einer dezentralen Versorgungsstruktur nicht im Weg steht, hat die Bundesregierung unter der Federführung des Bundesministeriums der Finanzen das Gesetz zur Modernisierung und zum Bürokratieabbau im Energie- und Stromsteuerrecht entworfen (vgl. auch unseren Blogbeitrag zum Thema "Stromsteuer und E-Mobility – Vereinfachungen in Sicht"). Denn nach aktueller Rechtslage gibt es aus Sicht des Stromsteuerrechts einige bürokratische Hürden und hinderliche Regelungen im Rahmen von Konzepten der dezentralen Energieversorgung.

Was soll kommen?

1. Aufhebung der Anlagenverklammerung
Bisher kam es bei der Bestimmung der Größe bzw. Leistung einer Stromerzeugungsanlage zur sog. Anlagenverklammerung, das heißt, dass Anlagen, sofern diese fernsteuerbar sind, zu einer Anlage zusammengefasst wurden. Da die Fernsteuerbarkeit von Stromerzeugungsanlagen aber mittlerweile Standard ist, kommt es dazu, dass auch örtlich unzusammenhängende Anlagen stromsteuerrechtlich zu einer Einheit zusammengefasst werden und daher die Leistungsgrenze für eine Stromsteuerbefreiung überschreiten. Diese Anlagenverklammerung wird nunmehr mit der Einführung eines stromsteuerlichen Anlagenbegriffs, der auf einer Bewertung der Verhältnisse vor Ort basiert, abgeschafft.

2. Erweiterung der Stromspeicherdefinition
Nach aktueller Rechtslage sieht das Gesetz nur für stationäre Batteriespeicher auf elektrochemischer Basis Vereinfachungen vor. Die neue Definition des Stromspeichers ist technologieoffen gestaltet und umfassend erweitert. Indem dieser erweiterte Kreis an Speichern in der Folge zu Teilen des Versorgungsnetzes erklärt wird, wird in der Mehrzahl der Fälle eine Doppelbelastung mit Stromsteuer vermieden, da die Steuer erst entsteht, wenn der rückumgewandelte Strom aus dem Speicher entnommen wird.  In dem Zusammenhang wird auch erstmals normiert, dass steuerfrei erzeugter und eingespeicherter Strom bei der anschließenden Rückumwandlung steuerfrei bleibt.

3. Vereinfachung bei KWK-Anlagen und Kundenanlagen
KWK-Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von weniger als einem Megawatt (MW), die hocheffizient sind, benötigen keine förmliche Erlaubnis für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung. Dies war bisher nur für Anlagen mit erneuerbaren Energieträgern der Fall. Für hocheffiziente KWK-Anlagen entfällt die Notwendigkeit, Monats- oder Jahresnutzungsgrade nachzuweisen. Stattdessen genügt ein einfacher Effizienznachweis, der durch Gutachten, Herstellernachweise oder Zulassungsbescheide des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle erbracht werden kann. Für Anlagen, die fossile Brennstoffe nutzen, gilt der Nachweis der Hocheffizienz als erbracht, sofern die direkten CO2-Emissionen aus der kombinierten Erzeugung weniger als 270 Gramm pro Kilowattstunde Energieertrag betragen.

Die Kundenanlage gem. Definition im EnWG wird in der jeweils geltenden Fassung auch im Stromsteuergesetz übernommen. Dabei wird in Zweifelsfällen für stromsteuerrechtliche Zwecke zunächst vermutet, dass eine Kundenanlage vorliegt. Dies erleichtert die Abgrenzung von Kundenanlagen gegenüber dem Netz der allgemeinen Versorgung und bietet mehr Rechtssicherheit für Betreiber und die Verwaltung. Für die dezentrale Stromerzeugung, insbesondere im Rahmen von Mieterstromprojekten und der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung, entfallen die Anzeige- und Meldepflichten für steuerfreie Strommengen bei KWK-Anlagen bis 1 MW Leistung.

Wer profitiert?

Von den neuen Regelungen profitieren sowohl die an den Konzepten beteiligten Akteure als auch die Verwaltung und durch das Vorantreiben der Energiewende am Ende wir alle. Klarere und erweiterte Begriffe bringen Rechtssicherheit und bieten innovativen Lösungsansätzen einen Anreiz. Durch die Reduzierung der Nachweispflichten wird ein Anreiz geschaffen, hocheffiziente und umweltfreundliche Technologien zu nutzen und die dezentrale Energieversorgung auszubauen.

Wie geht es weiter?

Das Gesetz zur Modernisierung und zum Bürokratieabbau im Strom- und Energiesteuerrecht soll mit Wirkung zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Die Verbände und der Bundesrat haben zu dem Entwurf bereits Stellung genommen und sich nicht gegen diese Neuerungen ausgesprochen. Im nächsten Schritt erfolgt die Zuleitung zum und Beratung im Bundestag. Anhaltspunkte dafür, dass die Regelungen nicht kommen, bestehen nicht. Stay tuned! Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Bei Fragen zu energierechtlichen Themen steht Ihnen ebenso unser Energy-Team zur Verfügung.

Teresa Werner
 

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Die überarbeitete Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum relevanten Markt in der Praxis

Beiten Burkhardt // BLOG - Mi, 10.07.2024 - 13:00

Die Marktabgrenzung ist Bestandteil jeder kartellrechtlichen Beurteilung. Sie ist ein wesentliches Instrument, um die Grenzen des Wettbewerbs zu definieren: Wer konkurriert mit wem? Wie groß ist die Marktmacht eines Unternehmens? Werden die fusionierenden Unternehmen in Zukunft ausreichendem Wettbewerbsdruck ausgesetzt sein?

Die erste Überarbeitung der Bekanntmachung der Europäischen Kommission über die Abgrenzung des relevanten Marktes seit mehr als 25 Jahren war daher nicht nur von Wettbewerbsrechtlern mit Spannung erwartet worden. Die Kommission hat sie schließlich am 22. Februar 2024 veröffentlicht. Im Folgenden stellen wir sowohl die überarbeitete Bekanntmachung der Kommission als auch die allerersten Anwendungsfälle der französischen Wettbewerbsbehörde, des Europäischen Gerichtshofs und der Kommission selbst vor.

Die Bibel der Marktabgrenzung

Die überarbeitete Bekanntmachung zum relevanten Markt mag den Eindruck erwecken, es handele sich um ein bescheidenes Verwaltungsdokument der Europäischen Kommission – doch in Wirklichkeit ist sie die Bibel der Marktabgrenzung in ganz Europa. Die ursprüngliche Bekanntmachung war seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 1997 ein Bezugspunkt für Behörden und Gerichte sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene. Die überarbeitete Bekanntmachung ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden in der EU und berücksichtigt auch die Beiträge weiterer Interessengruppen.

Evolution, nicht Revolution

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die französische Wettbewerbsbehörde die überarbeitete Bekanntmachung zum relevanten Markt bereits weniger als drei Monate nach ihrer Veröffentlichung verwendete, als sie am 21. Mai 2024 eine Kartellbußgeldentscheidung gegen elf Unternehmen erließ. Mit Blick auf die betroffenen Betonfertigteile erinnert die Behörde daran, dass der sachlich relevante Markt alle Produkte umfasst, die die Kunden als austauschbar oder substituierbar ansehen, und dass der räumlich relevante Markt das geografische Gebiet umfasst, in dem unter anderem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind. Diese Grundprinzipien bleiben in der überarbeiteten Bekanntmachung im Vergleich zur vorherigen Bekanntmachung weitgehend unverändert.

Der Preis ist nicht alles

Es gibt jedoch auch wesentliche Änderungen im Vergleich zur vorherigen Fassung. Eine dieser Änderungen besteht darin, dass die Kommission bei der Definition des relevanten Produktmarktes "außerökonomische" Wettbewerbsparameter anerkennt. Dies ist eine echte Neuerung im Vergleich zur vorherigen Bekanntmachung, die sich bei der Marktabgrenzung auf den Preis konzentrierte. Nach der überarbeiteten Bekanntmachung zum relevanten Markt betrachtet die Kommission nichtpreisliche Parameter wie den Innovationsgrad des Produkts, seine Qualität, das von ihm vermittelte Image oder sogar seine Nachhaltigkeit als relevante Parameter für die Marktabgrenzung. Die überarbeitete Bekanntmachung beschränkt sich jedoch nicht nur auf Klarstellungen zu den Konzepten der vorherigen Fassung der Bekanntmachung, sondern enthält auch zusätzliche Hinweise zu bestimmten Arten von Märkten:

Neue Werkzeuge für neue Märkte: Pipeline-Produkte

Die Kommission stellt fest, dass Innovationen und die damit verbundenen F&E-Investitionen in vielen Sektoren, z. B. in der Digital- und in der Pharmaindustrie, zu einem zentralen Wettbewerbsparameter geworden sind. Um neue Produktmärkte bereits vor der Vermarktung der Produkte zu erfassen, behält sich die Kommission nun das Recht vor, Pipeline-Produkte in ihre wettbewerbsrechtliche Würdigung eines neuen oder bereits bestehenden Produktmarktes einzubeziehen. Diese Auffassung hat erhebliche Folgen, insbesondere für die Fusionskontrolle, da die fusionierenden Unternehmen noch stärker als bislang laufende Entwicklungsprojekte als potenzielle Substitute bestehender Produkte berücksichtigen müssen.

Neue Werkzeuge für neue Märkte: Mehrseitige Plattformen

Die überarbeitete Bekanntmachung zum relevanten Markt befasst sich auch mit mehrseitigen Plattformen (z. B. Online-Marktplätze und soziale Medien), bei denen die Nachfrage einer Nutzergruppe die Nachfrage einer oder mehrerer anderer Gruppen (z. B. Käufer, Werbetreibende) beeinflussen kann, so genannte "indirekte Netzwerkeffekte". Die überarbeitete Bekanntmachung enthält insofern neue Leitlinien, die ausdrücklich feststellen, dass mehrseitige Märkte je nach Sachlage entweder als Ganzes, d. h. unter Einbeziehung der verschiedenen betroffenen Nutzergruppen, oder als separate Märkte definiert werden können.

Diese Grundsätze der überarbeiteten Bekanntmachung wurden von Generalanwalt Collins in seinen Schlussanträgen vom 6. Juni 2024 bei der Abgrenzung des Marktes, auf dem Booking.com tätig ist, herangezogen. In seinen Schlussanträgen betrachtet er Booking.com als Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten für Hotels und geht damit von getrennten Märkten für die beiden Seiten des Marktes aus.

Neue Werkzeuge für neue Märkte: Ökosysteme

Die Kommission erkennt auch die Besonderheiten von Anschlussmärkten, Produktbündeln und digitalen Ökosystemen an, bei denen der Konsum eines Primärprodukts zum Konsum eines Sekundärprodukts führt. Gemäß der überarbeiteten Bekanntmachung zum relevanten Markt ist es angemessen, diese Märkte entweder als einen einzigen Markt zu definieren, der Primär- und Sekundärprodukte umfasst, oder als getrennte Märkte.

Die Kommission hat diese Regeln angewandt, als sie am 25. März 2024 die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens für "smart farming"-Produkte genehmigte. Die Untersuchung der Kommission ergab eine erhebliche Substituierbarkeit zwischen den einzelnen Produkten (Displays, Receiver usw.) einerseits und den Steuersystemen insgesamt andererseits. Die einzelnen Komponenten können nämlich leicht zu einem kombinierten System zusammengefügt werden; auch sind mehrere Integratoren in diesem Bereich tätig. Die Kommission ist daher von einem einheitlichen Systemmarkt ausgegangen.

Neue Marktanteils-Benchmarks

Ein weiterer wichtiger Beitrag der überarbeiteten Bekanntmachung zum relevanten Markt ist die von der Europäischen Kommission ausdrücklich anerkannte Möglichkeit, die Marktanteile von Unternehmen auf der Grundlage anderer Messgrößen als ihrer Umsatzerlöse oder Absatzmengen zu berechnen. Von nun an kann die Kommission auch Benchmarks wie die Anzahl der Anbieter, die Anzahl der Besuche/Abrufe/Downloads oder sogar die F&E-Ausgaben zur Messung der Marktanteile von Unternehmen heranziehen. Diese zusätzliche Flexibilität ist besonders für den digitalen Sektor, den Pharmasektor und neu entstehende Märkte im Allgemeinen von Bedeutung.

Schlussfolgerungen

Die überarbeitete Bekanntmachung trägt dem gesellschaftlichen Wandel durch die Digitalisierung und der zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeitsfaktoren Rechnung. Darüber hinaus können wir die Hinweise der Kommission zur Abgrenzung des relevanten Marktes in Situationen wie zweiseitigen Märkten oder Produktbündeln nur begrüßen. Die ersten Anwendungsfälle der überarbeiteten Bekanntmachung zeigen bereits, dass ihre Neuerungen für die Entscheidungspraxis der Wettbewerbsbehörden von großer Bedeutung sind.

Ein Punkt wirft jedoch Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit auf: Die Kommission betont in ihrer überarbeiteten Bekanntmachung, dass sie nicht an ihre Präzedenzfälle gebunden sein wird. Diese Aussage weckt die Befürchtung, dass die Kommission frühere Marktdefinitionen in Abhängigkeit von angeblichen Marktentwicklungen oder dem jeweiligen Wettbewerbsparameter außer Kraft setzen könnte. Dadurch wird die zusätzliche Rechtssicherheit, die durch eine Definition der relevanten Märkte geschaffen werden sollte, in gefährlicher Weise beeinträchtigt.

Dennoch verspricht die überarbeitete Bekanntmachung über die Marktdefinition ein Meilenstein in der Entwicklung des EU-Wettbewerbsrechts in den kommenden Jahren zu werden. Sie verdient es daher, sorgfältig analysiert zu werden.

Christoph Heinrich
Lucie Giret (ADVANT Altana)
Francesco Mazzocchi (ADVANT Nctm)

The European Commission's Revised Market Definition Notice in Practice

Beiten Burkhardt // BLOG - Mi, 10.07.2024 - 13:00

Market definition permeates every competition law assessment. It is an essential tool to define competition’s boundaries: Who competes with whom? What is a company’s market power? Will the merging companies face sufficient competitive constraints in the future?

Therefore, the European Commission's first overhaul of its Notice on the definition of the relevant market in over twenty-five years had been eagerly awaited among competition law practitioners and beyond. The Commission finally published it on 22 February 2024. In the following, we present both the Commission's revised Notice and its very first applications by the French Competition Authority, the European Court of Justice and the Commission itself.

The Bible of Market Definition

While the revised Market Definition Notice may convey the impression of being a modest administrative document by the European Commission, it is in fact the bible of market definition across Europe. The original Notice had been a point of reference for authorities and courts both at the EU and at the national level since its publication in 1997. The revised Notice is the result of a close cooperation between the Commission and national competition authorities in the EU, and reflects input received from further stakeholders.

Evolution, not Revolution

It is therefore no surprise that the French Competition Authority used the revised Market Definition Notice less than three months after its publication when issuing a cartel fine decision against eleven companies on 21 May 2024. Regarding the pre-cast concrete products at stake, the Authority recalls that the relevant product market comprises all those products that customers regard as interchangeable or substitutable, and that the relevant geographic market comprises the geographic area in which, inter alia, the conditions of competition are sufficiently homogeneous. These basic principles remain largely unchanged in the revised Notice compared to the previous Notice.

Price Isn't Everything

However, there are also significant changes compared to the previous version. Such a change is the recognition by the Commission of “extra-economic" competition parameters when defining the relevant product market. This is a real innovation as compared to the previous Notice which focused on price to define the market. Under the revised Market Definition Notice, the Commission considers non-price parameters such as the degree of innovation of the product, its quality, the image it conveys or even its sustainability are relevant parameters to define the market. Far from simply clarifying the concepts covered by the previous Notice, the revised Notice also provides additional guidance relating to specific types of markets:

New Tools for New Markets: Pipeline Products

The Commission notes that innovation and related R&D investment have become a key parameter in many sectors, such as high-tech and pharmaceuticals. To capture new product markets ahead of the marketing stage, the Commission now reserves the right to include “pipeline products” in its competition assessment among a new product market or a pre-existing one. This perception has major consequences, particularly for merger control, where merging companies will have to increasingly consider ongoing development projects as potential substitutes of existing products.

New Tools for New Markets: Multi-Sided Platforms

The revised Market Definition Notice also addresses multi-sided platforms (such as online marketplaces and social media), where demand from one group of users can affect demand from one or more other groups (buyers, advertisers, for example), so-called “indirect network effects”. The revised Notice provides new guidance by explicitly stating that multi-sided markets can be defined either as a whole, thus encompassing the different groups of users concerned, or as separate markets, depending on the facts of the case.
These principles of the revised Notice were used by Advocate General Collins in its opinion of 6 June 2024 when defining the market on which Booking.com is active. In his opinion, he views Booking.com as a provider of online intermediation services to hotels, thereby assuming separate markets for the two sides of the market.

New Tools for New Markets: Ecosystems

The Commission also recognizes the specificities of after-markets, bundles and digital ecosystems, where the consumption of a primary product leads to the consumption of a secondary product. According to the revised Market Definition Notice, it is appropriate to define these markets either as a single market encompassing primary and secondary products, or as separate markets (multiple markets or dual markets).

The Commission applied these rules when authorizing the establishment of a joint venture for smart farming products on 25 March 2024. The Commission's investigation revealed significant substitutability between the individual products (displays, receivers etc.) on the one hand and guidance systems on the other hand. Namely, the individual components can be easily assembled to create a combined system, and several integrators are actively engaged in such bundling. The Commission hence assumed a single system market.

New Market Share Metrics

Another key contribution of the revised Market Definition Notice is the possibility explicitly offered by the European Commission to calculate companies' market shares based on metrics other than their sales revenues or sales volumes. From now on, the Commission may also use benchmarks such as the number of suppliers, the number of visits/views/downloads or even R&D expenditures to measure companies' market shares. This additional flexibility is particularly relevant for the digital sector, the pharma sector and nascent markets in general.

Conclusion

The revised Notice embraces the societal transformations induced by digitization and the increasing importance of sustainability factors. Furthermore, we can only welcome with satisfaction the Commission's advice on delineating the relevant market in settings such as two-sided markets or product bundles. The first use cases of the revised Notice already show that its innovations are very relevant for the decision-making practice of competition authorities.

However, one point raises concerns for legal certainty: The Commission emphasizes in its revised Notice that it will not be bound by its precedents. This statement raises fears that the Commission may overrule previous market definitions depending on alleged market developments or on the specific competition parameter concerned. As a result, the additional legal certainty that should be provided by a definition of relevant markets becomes dangerously fragile.

Still, the revised Market Definition Notice promises to be a milestone in the evolution of EU competition law over the coming years. It therefore deserves to be reviewed carefully.

Christoph Heinrich
Lucie Giret (ADVANT Altana)
Francesco Mazzocchi (ADVANT Nctm)

Mandatory electronic invoices for services between domestic entrepreneurs from January 1st 2025

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 08.07.2024 - 13:00

From January 1, 2025, entrepreneurs must be able to receive and store electronic invoices (e-invoices), otherwise they will not be able to deduct input VAT. It is assumed that the entrepreneur will have the technical requirements in place from 1.1.2025; his consent to receive e-invoices from other entrepreneurs is not required like in the past. At the very least, an email inbox must be provided for receipt. Other means of transmission can be agreed. Electronic processing in the accounting department is not mandatory but recommended. Without these requirements, the entrepreneur, as the recipient of the service, has no input VAT deduction for his incoming services that he receives via e-invoice. However, if the entrepreneur receives paper invoices during the transitional period until 1.1.2027 or 1.1.2028, these will initially continue to allow input VAT deduction.

From 1.1.2027 at the latest, an entrepreneur is obliged to issue e-invoices to other entrepreneurs, otherwise this is no proper invoice for VAT purposes. Companies with turnover of less than EUR 800 thousand within the meaning of the small business regulation (Section 19 UStG) are only obliged to issue e-invoices from January 1, 2028. For VAT groups, the turnover of the VAT group applies. This means that after the transition period 1.1.2027 or 1.1.2028, only e-invoices will allow input VAT deduction.

The mandatory information on an invoice (Section 14 (4) of the German Value Added Tax Act - UStG) has not changed.

Exempt from the obligation to issue an e-invoice are VAT-exempt services in accordance with § 4 no. 8-29 UStG, invoices for small amounts up to a gross amount of EUR 250 and tickets (§ 34 UStDV). This also affects VAT-exempt property sales (Section 4 no. 9 UStG) and VAT-exempt rents (Section 4 no. 12 UStG). Previously, the entrepreneur was not obliged to issue an invoice in this respect either. This did not and still does not apply if VAT is opted for for VAT-exempt services in accordance with Section 9 UStG. In this case, the obligation to issue e-invoices will apply from 1.1.2027 or 1.1.2028 at the latest.

In future, an e-invoice will only exist if the invoice is issued, transmitted and received in a structured electronic format and enables electronic processing. In future. e-invoices according to German VAT law will therefore no longer be PDF invoices or invoices as text in an email.

For the meaning of structured electronic format and further technical details, please refer to points 4 and 21-30 of the BMF draft letter.

The e-invoice must be machine-readable. Human readability is not required but is optional and recommended.

E-invoices can be sent by email or as a download via a (customer) portal. An e-invoice can be sent multiple times as long as it is the same invoice and the transmission only takes place as a multiple copy with identical content (see Section 14c 1 (4) of the VAT Application Decree - UStAE). Transmission via external memory (e.g. USB-stick) is not possible.

The obligation to issue e-invoices applies to entrepreneurs established in Germany, i.e. companies with their registered office, management or a permanent establishment for VAT purposes in Germany that is involved in the turnover. It should be noted that a permanent establishment for VAT purposes is not necessarily identical to a permanent establishment in accordance with Section 12 of the German General Fiscal Code. According to Section 18.10 (1) sentence 4 UStAE, entrepreneurs who own and rent out property located in Germany are deemed to be established in Germany.1

The obligation to use e-invoices also applies to invoices for which the recipient is liable for tax (Reverse Charge Mechanism) and for small business invoices (Section 19 UStG). The obligation also applies if the service recipient is a small business or only carries out tax-free transactions. This means that pure residential landlords with VAT-free rental turnover, for example, must also be able to receive e-invoices.

An e-invoice to non-entrepreneurs can only be issued for taxable supplies of work or other services in connection with a property if the recipient of the service agrees. Consent can be given implicitly by acceptance without objection.2 However, a paper invoice (in future other invoices) can still be issued in this respect.

Contracts can be regarded as e-invoices if they contain the required information in accordance with § 14 (4) UStG.

E-invoices must also be issued for continuing obligations (long-term rental invoices). For existing rental agreements, electronic long-term rental invoices must be issued by the end of the transition phase from 1.1.2027 or 1.1.2028 at the latest, even if the rental payments have not changed.

The BMF draft letter does not comment on which documents are required if an invoice consists of several documents in accordance with Section 31 (1) of the German VAT Implementation Ordinance (UStDV). The following can be found in paragraph 38:

"If there is an obligation to issue an e-invoice for a continuing obligation (e.g. tenancy), it is sufficient if an e-invoice is issued for the first partial performance period, to which the underlying contract is attached as an annex, or (...)".

It can therefore be assumed that if an invoice document refers to other documents in the text (e.g. real estate purchase agreements or rental agreements), these must also be provided electronically, otherwise there is no complete, proper invoice. Simplification rules are recommended here in future, as a real estate purchase agreement with all attachments, for example, may exceed the electronic reception capacity.

The correction or completion of an e-invoice must also be made in the electronic form prescribed for this (using the corresponding document type). It is not sufficient to transmit the missing or incorrect information in another form. Subject to the other requirements, an effective completion has retroactive effect to the date on which the original e-invoice was issued.

Recommendations

The introduction of e-invoices should mean huge changes in your organization and its proper implementation should be planned at an early stage.

It is recommended that the introduction of e-invoices be seen as an opportunity to increase the efficiency of automated processing in accounting processes.

The ADVANT Beiten tax teams at our 6 locations in Frankfurt, Düsseldorf, Munich, Hamburg, Berlin and Freiburg will be happy to answer your tax-related questions and assist you with the technical implementation of e-invoices.

Jens Müller

1 Please refer to the author's blog post from July 20, 2021 for information on the conflict with EU case law: Link 2 An e-invoice with a human-readable attachment is therefore recommended.

Handspiel: Was die Fußball-Europameisterschaft mit dem EU-Datenrecht zu tun hat

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 08.07.2024 - 13:00

Während das Land noch diskutiert, ob die Entscheidung von Schiedsrichter Taylor richtig war, Deutschland den Hand-Elfmeter zu verweigern, machen wir uns dazu ganz unaufgeregt ein paar Gedanken aus Sicht des EU-Datenrechts.

Wer die Spiele Deutschland gegen Dänemark und Deutschland gegen Spanien verfolgt hat, hat nicht nur Visualisierungen von Abseitssituationen erlebt, sondern auch gelernt: so ein Fußball hat heutzutage mehr Intus als heiße Luft, nämlich einen Sensor. Dieser misst in hoher Frequenz die exakte Position des Balls und kann so auch erkennen, wann der Ball berührt wird – wichtig für die Frage, ob der Ball die Hand eines Spielers berührt hat oder in welchem Moment er die Fußspitze berührt hat, was für die Beurteilung von Abseitssituationen wichtig sein kann. Informationen also, die den Videoschiedsrichtern zur Verfügung gestellt werden.

Damit wird es sich bei dem Ball um ein so genanntes vernetztes Produkt im Sinne des EU-Datengesetzes (auch bekannt als Data Act) handeln, die zugehörige Software könnte ein verbundener Dienst sein. Wenn der Data Act im September 2025 in Kraft tritt, wird sich auch für unseren Ball einiges ändern.

Vernetzte Produkte und damit verbundene Dienste müssen dann nämlich ermöglichen, dass die von ihnen erhobenen Daten für den Nutzer in einem gängigen und maschinenlesbaren Format zugänglich sind – nach Möglichkeit direkt. Soweit kein solcher Direktzugriff möglich, müssen dem Nutzer die Daten auf Anfrage übermittelt werden.

Kann also künftig jeder Kicker als "Nutzer" des Fußballs ein Kabel in das Leder stecken, um die Daten zu extrahieren? Eher nicht: „Nutzer“ wird im Data Act definiert als eine natürliche oder juristische Person, die ein vernetztes Produkt besitzt oder der vertraglich zeitweilige Rechte für die Nutzung des vernetzten Produkts übertragen wurden. Ob ein kurzzeitiger Ballbesitz hierfür ausreicht, ist sehr fraglich – Nutzer dürfte aber die UEFA sein (oder bei Weltmeisterschaften die FIFA).

In dem Verhältnis zwischen der UEFA und adidas als Hersteller des offiziellen Balls "FUSSBALLLIEBE" wird wohl ohnehin vertraglich geregelt sein, dass die Daten an die UEFA gehen. Spätestens bei der nächsten EM oder WM ist dann aber von Gesetzes wegen definiert, dass adidas im Grundsatz wirklich alle Daten herausgeben muss, die der Ball – wie auch immer er dann heißen wird – erhebt. Die – in anderen Bereichen nicht ganz einfache – Frage der Rechte der Spieler dürfte hier kaum eine Rolle spielen, allenfalls könnte adidas einen (sehr begrenzten) Schutz für Geschäftsgeheimnisse in Anspruch nehmen.

Spätesten dann, wenn UEFA oder FIFA Schiri Taylor durch eine automatisierte Entscheidungsfindung ersetzen wollte, käme aber das Datenschutzrecht ins Spiel: dieses schränkt die automatisierte Entscheidungsfindung im Einzelfall stark ein.

Was der Data Act für andere Unternehmern bedeutet, lesen Sie in unseren weiteren Blogbeiträgen:
Das EU-Datengesetz (Data Act): Relevanz für Unternehmen – Internet der Dinge und darüber hinaus | Advant Beiten (advant-beiten.com)
Cloud-, SaaS- und Edge-Geschäftsmodelle unter Feuer | Advant Beiten (advant-beiten.com)

Dr. Andreas Lober

Politische/Rechtsradikale Äußerungen im Arbeitsverhältnis

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 08.07.2024 - 13:00

In Deutschland findet derzeit die Fußballeuropameisterschaft statt. Im Achtelfinale der "EURO 2024" zwischen der Türkei und Österreich zeigte der türkische Nationalspieler Merih Demiral nach seinem Tor zum 2:0 den sogenannten Wolfsgruß mit beiden Händen. Dazu veröffentlichte er in den Sozialen Medien ein Bild mit seinem Torjubel und dem "Wolfsgruß". Der Wolfsgruß ist ein Handzeichen und Symbol der türkischen rechtsextremen Organisation "Graue Wölfe". Die Organisation steht unter der Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Organisation und Handzeichen sind in Deutschland jedoch nicht verboten. Die UEFA hat den türkischen Nationalspieler Merih Demiral für zwei Spiele gesperrt.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Die UEFA ist nicht der Arbeitgeber des Fußballers Demiral. Die Europameisterschaft folgt auch eigenen Regelungen, denen sich die Verbände, Nationalmannschaften und Spieler unterworfen haben. Doch wie sind solche Handlungen und Äußerungen in einem Arbeitsverhältnis zu bewerten? Das Grölen eines rechtsradikalen Liedes auf einer Party auf Sylt, Antisemitische Äußerungen von Studierenden an Unis und  rechtsradikale Hetze in den Sozialen Medien zeigen beispielhaft, dass es ich um ein aktuelles Thema handelt. Wie ist arbeitsrechtlich damit umzugehen?

Innerbetriebliche Handlungen/Äußerungen

Grundsätzlich ist ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers während der Arbeitszeit und/oder am Arbeitsplatz dazu geeignet eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Politische Äußerungen können einerseits von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Äußerungen und Handlungen mit rechtsradikalem oder antisemitischem Inhalt können andererseits eine Straftat, z.B. eine Beleidigung darstellen. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann auch ohne Verwirklichung eines Straftatbestands in Betracht kommen, wenn das Verhalten zu einer Störung des Betriebsfriedens führt. Eine solche Störung stellt eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar und liegt vor, wenn durch eine provozierende politische Meinungsäußerung, durch die sich andere Arbeitnehmer belästigt fühlen und dadurch der Betriebsfrieden oder des Betriebsklimas konkret gestört wird oder die Erfüllung der Arbeitspflicht dadurch beeinträchtigt wird.

Außerbetriebliche Handlungen/Äußerungen

Schwieriger ist die rechtliche Bewertung bei rechtsradikalen oder antisemitischen Handlungen/Äußerungen außerhalb des Arbeitsbereichs. Ein nicht akzeptables politisches Verhalten des Arbeitnehmers in seiner Freizeit kann nur ausnahmsweise eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründen. Voraussetzung hierfür ist ein Bezug der politischen Handlung zum Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit/des Arbeitsplatzes dazu verpflichtet ist, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Eine Beeinträchtigung dieser Interessen liegt nur dann vor, wenn sich das rechtswidrige außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers, nachteilig auf den Betrieb auswirkt oder im Zusammenhang mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten oder seiner Tätigkeit steht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Betriebsmittel des Arbeitgebers genutzt werden, wie ein privates Video in Firmenkleidung oder sonst ein Bezug zum Arbeitgeber erkennbar ist.

Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes

Im öffentlichen Dienst gelten Besonderheiten. Zu den Nebenpflichten eines Mitarbeiters des öffentlichen Dienstes gehört es, sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetztes zu bekennen. Beamte haben eine gesteigerte Loyalitätspflicht zu beachten. Ein außerdienstliches Verhalten eines Beamten ist relevant, wenn es Rückschlüsse auf die Dienstausübung im Amt im konkretfunktionalen Sinne zulässt oder den Beamten in seiner Dienstausübung beeinträchtig. Der Beamte schuldet die politische Loyalität, die für eine funktionsgerechte Dienstausübung erforderlich ist.

Für die übrigen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes gilt die allgemeine Treupflicht. Danach dürfen Mitarbeiter nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, wie etwa den Staat, die Verfassung und ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen.
 
Mit herzlichen (arbeitsrechtlichen) Grüßen aus München

Ihr Dr. Erik Schmid

Dieser Blog ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Erik Schmid im Rehm-Verlag (www.rehm-verlag.de) erschienen.

Hauptsache irgendwo? – Die Eintragung des Rechtsformzusatzes "eGbR"

Beiten Burkhardt // BLOG - Di, 02.07.2024 - 13:00

Urteil des OLG Köln, Beschluss vom 24.04.2024 – 4 Wx 4/24

Seit Inkrafttreten des MoPeG ist eine Gesellschaft nach § 707a Abs. 2 S. 1 BGB mit ihrer Eintragung ins Gesellschaftsregister verpflichtet als Namenszusatz die Bezeichnung "eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts" oder "eGbR" zu führen. Das OLG Köln hatte jüngst darüber zu entscheiden, ob der Rechtsformzusatz zwingend am Ende des Namens stehen muss oder ob die Gesellschaft den Zusatz auch innerhalb der Gesellschaftsbezeichnung führen kann.

Sachverhalt

Die Gesellschafter einer eGbR haben die Eintragung ins Gesellschaftsregister unter der Bezeichnung "O. eGbR D.-straße N01" beantragt. Das Registergericht hat die Anmeldung zurückgewiesen, weil der Namenszusatz "eGbR" der Gesellschaftsbezeichnung angefügt werden müsse.

Beschluss des OLG Köln

Die gegen die Entscheidung des Registergerichts gerichtete Beschwerde hatte Erfolg. Das OLG Köln trat der Auffassung des Registergerichts entgegen und hielt die beantragte Gesellschaftsbezeichnung für eintragungsfähig. Der Zusatz "eGbR" müsse dem von der GbR geführten Namen nicht angefügt werden.

Hintergrund und Begründung

Ob die Abkürzung „eGbR“ zwingend am Schluss der Gesellschaftsbezeichnung zu stehen hat, wird in der Literatur und registergerichtlichen Praxis nicht einheitlich beurteilt.

Teile der Literatur entnehmen der Formulierung des § 707a Abs. 2 S. 1, dass es sich um einen „Zusatz“ handelt. Dieser sei daher dem geführten Namen anzufügen. Anders als die Rechtsträgerbeschreibung als Firmenbezeichnung gemäß § 19 HGB genüge nicht, dass der Zusatz innerhalb des Namens „enthalten“ sei. Er habe vielmehr den damit vollständig geführten Namen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts abzuschließen. Auch die nach § 65 BGB verpflichtende Beifügung des Zusatzes "eingetragener Verein" erfolge ausschließlich am Ende des Vereinsnamens.

Eine andere Ansicht betont indes lediglich, dass der in § 707 a BGB verwandte Begriff des „Namenszusatzes“ wie im Firmenrecht verlange, dass dieser vom Namenskern deutlich abgesetzt werde, mithin nicht damit verschwimme.

Das OLG Köln schließt sich explizit der letztgenannten Ansicht an und verweist darauf, dass der Wortlaut der Norm keinen Aufschluss darüber gebe, wo dieser Zusatz aufzunehmen sei. Dass die abgekürzte Bezeichnung des Rechtsformzusatzes "eGbR" lauten müsse und von der GbR zu führen sei, verbiete keine Zusätze, die in die Gesellschaftsbezeichnung integriert sind. Dass die zwingend aufzunehmende Rechtsform als "Zusatz" bezeichnet wird, sage nichts darüber aus, an welcher Stelle sich dieser befinden müsse.

Auch Sinn und Zweck des § 707a Abs. 2 S. 1 BGB sprechen nach Auffassung des OLG Köln nicht dafür, dass der Rechtsformzusatz der Gesellschaftsbezeichnung zwingend nachfolgen muss. Da der Rechtsformzusatz die Information des Rechtsverkehrs über die Gesellschafts- und Haftungsverhältnisse bezwecke, sei dessen Position in der Gesellschaftsbezeichnung allein daran zu messen, ob seine Informations- und Aussagekraft durch die Bezeichnung beeinträchtigt werde. Solange die Rechtsform nicht unklar werde, sei es unerheblich, an welcher Stelle der Rechtsformzusatz in die Gesellschaftsbezeichnung aufgenommen wird.

Praxistipp

Bis sich eine der Rechtsprechung des OLG Köln anschließende, einheitliche Linie der Registergerichte herausgebildet hat, sollte in zeitkritischen Fällen die Bezeichnung „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ oder „eGbR“ auch weiterhin dem geführten Namen angefügt werden. Dessen ungeachtet ist von einer Aufteilung der Bezeichnung abzusehen, d.h. dem Einschub des Namens zwischen „eingetragene Gesellschaft“ und „bürgerlichen Rechts“. Denn der Namenskern muss auch nach dem OLG Köln von dem „Zusatz“ stets deutlich abgesetzt sein und darf nicht damit verschwimmen.

Dr. Moritz Jenne
Andreas Scheffold

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.