Zur juristischen Auslegung von Rechtsnormen

Die Auslegung von Rechtsnormen ist elementarer Bestandteil der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre und Kerngeschäft der Rechtsanwendung.

1. Einleitung

Die Rechtsanwendung, also die Anwendung von Rechtsnormen auf Sachverhalte, meint die generell-abstrakten Voraussetzungen einer Rechtsnorm zu definieren und diese unter die individuell-konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts zu subsumieren. Aufgrund des generell-abstrakten Charakters einer Rechtsnorm zeichnet sich diese in der Regel, anders als mathematische Gleichungen oder chemische Formeln, durch eine Unschärfe aus, die einen gewissen Bedeutungsspielraum zulässt. Aufgrund dessen ist eine Interpretation bzw. Klärung erforderlich. Die Definition und die Subsumtion verlangen, dass verstanden worden ist, was Rechtsnorm und Sachverhaltsumstände bedeuten. Die juristische Auslegung kann daher als das Verfahren dieses Verstehens beschrieben werden.1

Als Auslegungshilfe kann zuweilen auf eine gesetzliche Definition (Legaldefinition) zurückgegriffen werden. So definiert beispielsweise § 90 BGB: Sachen im Sinne dieses Gesetzes sind körperliche Gegenstände. Allein aus der Formulierung „im Sinne dieses Gesetzes“ wird allerdings deutlich, die Legaldefinition des Normgebers beansprucht keine universelle Geltung. So umfasst etwa der Begriff der öffentlichen Sachen auch sonstige öffentliche Gegenstände (Rechte) und öffentliche Vermögenswerte und ist damit nicht mehr identisch mit den Sachenbegriff des § 90 BGB.2 Um in der Rechtsanwendung zum „richtigen“ Ergebnis zu kommen, bedarf es regelmäßig weitergehender Bemühungen. Juristen bedienen sich daher etablierter Auslegungsmethoden (2.) die durch bestimmte Auslegungsmaßstäbe (3.) konkretisiert werden.

2. Auslegungsmethoden

Die heutigen Auslegungsmethoden werden im Wesentlichen auf Friedrich Carl von Savigny zurückgeführt. Von Savigny unterschied vier „Tätigkeiten, die vereinigt wirken müssen, wenn die Auslegung gelingen soll“: das grammatische, das logische, das historische und das systematische Element der Auslegung. Wissenschaft3 und Rechtsprechung4 orientieren sich bis heute bei der Auslegung von Rechtsnormen an diesen vier klassischen Auslegungskriterien. Allgemein haben sich die Wortlautauslegung, die systematische, die historische und die teleologische Auslegung etabliert.5 Ergänzt wird dieser Kanon durch die rechtsvergleichende Auslegung, die verfassungskonforme Auslegung und die europarechtskonforme Auslegung.

2.1. Wortlautauslegung

Das naheliegendste Auslegungskriterium ist zumeist der unmittelbare Wortlaut der Rechtsnorm selbst. Die Wortlautauslegung wird auch grammatische oder philologische Auslegung genannt. Die Wortlautauslegung orientiert sich vordergründig nach der juristischen Fachsprache und darüber hinaus auch an dem allgemeinen Wortgebrauch. Im Rahmen der Auslegung ist somit sowohl eine restriktive als auch eine extensive Wortauslegung denkbar. Eine Analyse von Semantik (Wortwahl) und Syntax (Satzbau) der Rechtsnorm kann Argumente für verschiedene Auslegungsvarianten liefern.

Ausgangspunkt bleibt allerdings der Sprachgebrauch der Rechtsnorm. Auch unter Verwendung etwaiger Legaldefinitionen ist zu berücksichtigen, dass selbst innerhalb desselben Gesetzes ein Begriff nicht immer dieselbe Bedeutung zukommen muss. Jedenfalls innerhalb der klassischen Auslegungskriterien stellt der Wortlaut in der Regel auch die letzte Grenze der Auslegung dar. Auslegungshypothesen, welche auch im weitesten Sinne nicht mit dem Wortsinn vereinbar sind, sind zu verwerfen. Allerdings kann die Auslegung über den Wortlaut hinaus, unter weitergehenden Voraussetzungen, als Analogie zulässig sein, während die Begrenzung entgegen des Wortsinns als teleologische Reduktion möglich ist.

Beispiel:
Eine gefährliche Körperverletzung liegt nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor, wenn die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen wird. Ein Hammer wird man als typisches Werkzeug auch in den strafrechtlichen Werkzeugbegriff des § 224 StGB subsumieren können. Wird die Körperverletzung jedoch mittels eines metallenen Thermobechers oder eines Bordsteins begangen, ist der Fall nach umgangssprachlichem Sprachgebrauch nicht mehr so eindeutig. Sowohl Thermobechers als auch Bordstein würden umgangssprachlich nur dann als Werkzeug bezeichnet werden, wenn sie als solches verwendet würden. Also wenn sie beispielsweise dazu benutzt würden einen Nagel in die Wand zu schlagen. Thermobechers und Bordstein unterfallen aufgrund ihrer umgangssprachlichen Bedeutung im Begriffskern an sich daher dem Begriff des Werkzeugs. Der fest mit dem Boden verbundenen (unbewegliche) Bordstein tut dies dann allerdings nicht mehr.

2.2. Systematische Auslegung

Mit der systematischen Auslegung wird sich bemüht das Gemeinte aus dem Sinnzusammenhang zu erschließen. Einzelne Rechtssätze sind dabei so auszulegen, dass sie logisch miteinander vereinbar sind.6 Dabei sind maßgeblich drei Kollisionsregeln zu berücksichtigen:

  • Lex specialis derogat legi gernerali (ein spezielles Gesetz verdrängt das allgemeine)
  • Lex posterior derogat legi priori (das spätere Gesetz verdrängt das frühere)
  • Lex superior derogat legi inferiori (das höherrangige Gesetz verdrängt das niederrangige).

Eine systematische Auslegung kann allgemein im Kontext des äußeren Systems (äußerer Regelungszusammenhang) und dem inneren System erfolgen.7

2.2.1. Äußerer Regelungszusammenhang

Im Hinblick auf den äußeren Regelungszusammenhang (äußeres System) wird untersucht, welche Stellung der auszulegende Rechtssatz im Textzusammenhang zukommt.

Hierfür kann zunächst untersucht werden, in welchem Verhältnis sich Halbsatz, Satz, Absatz, Paragraph, Abschnitt, Kapitel und Buch zu einander befinden. Klarstellend können insoweit auch die Überschriften im Gesetz oder die Stellung der Rechtsnorm innerhalb der sie umgebenden Vorschriften wirken. Schlussendlich gehört auch die Einbettung in das Normengefüge und die Normenhierarchie hierzu.

Beispiel:
Art. 1 Abs. 1 GG besagt, die Würde des Menschen ist unantastbar. Im Rahmen einer eingelegten Verfassungsbeschwerde stellt sich die Frage ob Art. 1 GG ein Grundrecht ist. Gegen die Annahme spricht der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG „die nachfolgenden Grundrechte…“. Diese Formulierung spricht dafür, dass die Grundrechte erst nach Art. 1 GG aufgelistet werden. Dafür spricht hingegen, dass der Art. 1 GG im I. Abschnitt des GG, mit der Überschrift: „Die Grundrechte“ verortet ist.8

2.2.2. Inneres System

Das innere System des Rechts basiert auf dem Gedanken einer inneren hierarchischen Ordnung, die legislatorische Leit- und Strukturgedanken vorgibt. Es folgt der Annahme, dass das Recht auf Prinzipien (bspw. Rechtsstaatsprinzip oder Demokratieprinzip), Unterprinzipien (bspw. Prinzip der Chancengleichheit) und Rechtssätzen (bspw. § 17 SGB XII „Anspruch auf Sozialleistungen“) basiert. Prinzipien unterscheiden sich von (subsumtionsfähigen) Rechtsnormen dadurch, dass sie so allgemein sind, dass sie lediglich eine Zielrichtung für die Normenauslegung zu erkennen geben.9

Beispiele:
Pacta sunt servanda, in dubio pro reo, Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip, Sozialstaatsprinzip.

2.3. Historische/genetische Auslegung

Die historische und die genetische Auslegung knüpfen an den geschichtlichen Zusammenhang an. Über sie werden Maßstäbe, Motive und Zwecke der damaligen Normgebung ermittelt.

Die historische Auslegung richtet den Blick dabei auf die Abstammungsgeschichte. Jede neue Rechtsnorm folgt auf einen vorherigen Rechtszustand, der durch die Rechtsnorm teilweise bewahrt oder geändert werden soll.

Die genetische Auslegung orientiert sich an der Schöpfungsgeschichte. Keine Rechtsnorm entsteht aus dem Nichts. Jede Normsetzung geht aus einem Verfahren hervor, in dem der Regelungsbedarf, das Regelungsprogramm und Alternativregelungen erwogen und dokumentiert worden sind. Jede Rechtsnorm ist in Anbetracht der damaligen Umstände und Wertvorstellungen erlassen worden. Auch diese Umstände können für eine bestimmte Auslegung der Rechtsnorm sprechen. Konkret lassen sich Erkundigungen etwa über Gesetzmaterialen (Begründung von Regierungsentwürfen, Erörterungen des wissenschaftlichen Dienstes usw.) einholen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nicht zwingend alles wirklich gewollte zwangsläufig niedergeschrieben sein muss.

Beispiel:
Zu klären ist die Frage, ob zur gewerbsmäßigen Zucht von Nerzen zu Zwecken der Pelzerzeugung eine tierschutzrechtliche Genehmigung nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 lit. A TierSchG erforderlich ist.
Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 lit. a TierSchG bedarf der Erlaubnis, wer Wirbeltiere, außer landwirtschaftliche Nutztiere und Gehegewild, züchten oder halten will.
Eine Legaldefinition des Begriffs landwirtschaftliches Nutztier gibt es nicht.

Zur Beantwortung der Frage kann allerdings die Regierungsbegründung zur Einführung des § 11 Abs. 1 Nr. 3 lit. a TierSchG herangezogen werden.

BT-Drs. 13/7015, S. 32 f.
„[…]. Die Zucht und Haltung u.a. exotischer Tiere oder Tiere zur Pelzgewinnung ist häufig problematisch. Bei Personen, die solche Tiere halten oder züchten, sind oft keine oder nur unzureichende Kenntnisse über die Anforderungen an Ernährung, Pflege, Unterbringung und Aufzucht vorhanden, was zum Teil zu erheblichen tierschutzrelevanten Mißständen führt. Eine Erlaubnispflicht sowie der Nachweis der entsprechenden Sachkunde ist daher zwingend erforderlich und stellt eine sinnvolle Ergänzung zur Erlaubnispflicht für den gewerbsmäßigen Handel mit Wirbeltieren (§ 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe b) dar.“

Aus der Regierungsbegründung ergibt sich das historische Argument, dass es sich bei Nerzen nicht um landwirtschaftlich Nutztiere handelt. Die gewerbsmäßige Zucht von Nerzen fällt nach dieser Auslegung also unter die tierschutzrechtliche Genehmigungspflicht.10

2.4. Teleologische Auslegung

Die teleologische Auslegung forscht nach der ratio legis, fragt also nach dem Sinn und Zweck einer Rechtsnorm. Keine Rechtsnorm erfüllt einen Selbstzweck. Mit der Rechtsnorm wollte der Normgeber ein gewisses Ergebnis erreichen oder eine bestimmte Bewertung vornehmen, um konkrete Folgen zu erreichen oder zu verhindern. Für oder gegen ein bestimmtes Verständnis der Rechtsnorm kann daher sprechen, welche Regelungsfolgen dadurch eintreten würden im Vergleich zu den vom Gesetz beabsichtigten.11 Vielfach normiert der Gesetzgeber auch den Zweck des Gesetzes, in dem Versuch Klarheit zu schaffen.

Beispiele:
Gemäß § 1 TierSchG ist es Zweck dieses Gesetzes, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

§1 ArbZG beschreibt:
Zweck des Gesetzes ist es,
1. die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland und in der ausschließlichen Wirtschaftszone bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern sowie
2. den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen.

Allerdings steht nicht in jedem Fall eindeutig fest, welcher Sinn und Zweck mit einer Rechtsnorm verfolgt wird. Rechtsnormen sind vielfach Kompromisse ihrer Erschaffer. Es besteht somit stets auch das Risiko, dass im Zuge der teleologischen Auslegung der Auslegende seine eigenen Zielvorstellungen zugrunde legt.

Vielfach findet daher auch eine Kombination von historischer und teleologischer Auslegung Anwendung, indem der Sinn und Zweck des Gesetzes aus den Gesetzgebungsmaterialien abgeleitet (historische Auslegung) wird und in der Folge so geprüft wird, welche Auslegungshypothese diesem Regelungskonzept am ehesten gerecht wird.12

2.5. Rechtsvergleichende Auslegung

Im Rahmen der rechtsvergleichenden Auslegung wird die auszulegende Rechtsnorm mit ähnlichen Rechtsnormen einer anderen ausländischen Rechtsordnung verglichen. Daneben ist auch der Rechtsvergleich zwischen landesrechtlichen Regelungen einzelner Bundesländer denkbar.

2.6. Verfassungskonforme Auslegung

Die vom Bundesverfassungsgericht13 entwickelte verfassungskonforme Auslegung von Gesetzestexten weist Ähnlichkeiten zur systematischen Auslegung auf. Sie ergibt sich unmittelbar aus dem normenhierarchischen Vorrang der Verfassung aus Art. 20 Abs. 3 GG. Einfachgesetzliche Bestimmungen sind danach nur dann als verfassungswidrig anzusehen, wenn sie nach keiner der anderen Auslegungsmethoden so ausgelegt werden können, dass sie mit der Verfassung im Einklang stehen. Widersprechen hingegen nur einzelne Auslegungsergebnisse der Verfassung ist derjenigen Auslegungsmethode Vorzug zu geben, die im Ergebnis verfassungskonform ist.

Beispiel:
Gegen den Patienten eines Arztes richtet sich ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren. Aufgrund des Patientenverhältnisses steht dem Arzt ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Der Arzt stirbt und die Patientenunterlagen werden von einem neuen Arzt übernommen. Der neue Arzt behandelt allerdings niemals den Patienten, so dass auch kein Patientenverhältnis begründet wird und ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.

Die Ermittler sind überzeugt, dass sie den Patienten mit den Daten auf der Patientenkartei des verstorbenen Arztes überführen können. § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO regelt, dass ärztliche Untersuchungsbefunde einem Beschlagnahmeverbot unterliegen. Gemäß Abs. 2 gilt diese Beschränkung allerdings nur, wenn die Gegenstände sich im Gewahrsam des zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten befinden. Da der verstobene Arzt kein Gewahrsam an der Patientenkartei mehr ausüben kann, beschlagnahmen die staatsanwaltlichen Ermittler die Patientenkartei.

Das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes und das entsprechende Beschlagnahmeverbot dienen allerdings dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Geheimsphäre und fördern dadurch die Bereitschaft des Einzelnen, sich ohne Furcht vor staatlicher Ausforschung in ärztliche Behandlung zu begeben. Damit erfüllt die Beschlagnahmebeschränkung zugleich ein verfassungsrechtliches Postulat, das sich aus den Art. 1 und 2 GG ergibt. Die Ausstrahlungswirkung dieser Grundrechte nötigt dazu, das Beschlagnahmeverbot an ärztlichen Karteikarten fortdauern zu lassen, wenn der ursprüngliche Gewahrsaminhaber zwar verstorben ist, jedoch ein anderer Arzt die Praxis mitsamt der Kartei übernommen habt. Die gegenteilige Auslegung des § 97 StPO, verstößt gegen das Gebot verfassungskonformer Gesetzesinterpretation.14

2.7. Europarechtskonforme Auslegung

Die europarechtskonforme Auslegung wird auch als unionsrechtskonforme Auslegung bezeichnet. Die richtlinienkonforme Auslegung ist ein Unterfall davon, der das einfache nationale Recht im Lichte der EU-Richtlinien auslegt. Allgemein gilt auch die Europäischen Verträge und das auf ihnen beruhende europäische Sekundärrecht enthalten Vorgaben für das einfache Recht. Ähnlich wie bei der verfassungskonformen Auslegung gilt, kommen für eine Rechtsnorm mehrere Auslegungsergebnisse in Betracht und entspricht eine davon den europäischen Vorgaben und die anderen nicht, so ist diesem Auslegungsergebnis der Vorzug zu geben. Während allerdings die Grenze der verfassungskonformen Auslegung darin zu sehen ist, dass der Inhalt einer Rechtsnorm, wie sie sich nach den übrigen Auslegungsregeln aus Wortlaut, Systematik, Genesis und Telos darstellt, nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden darf, ist die genaue Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung schwieriger zu bestimmen und weniger „gesichert“. Das Europarecht schließt nicht zwingend eine Auslegung cotra legem aus.15

Beispiel:
In § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG aF hatte der deutsche Gesetzgeber als Legaldefinition der geschäftlichen Handlung den Begriff des „objektiven“ Zusammenhangs gewählt. Die Definition der Geschäftspraktiken in Art. 2 lit. d UGP-RL (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) verwendet hingegen den Begriff des „unmittelbaren“ Zusammenhangs. Daher ist es ein Gebot der richtlinienkonformen Auslegung, den Begriff des „objektiven“ Zusammenhangs jedenfalls im Anwendungsbereich der UGP-RL iSd „unmittelbaren“ Zusammenhangs auszulegen.

3. Auslegungsmaßstab

Die vorstehenden Auslegungsmethoden können sowohl nach einem subjektiven als auch nach einem objektiven Maßstab angewendet werden.

3.1. Die subjektive Auslegungstheorie

Die subjektive Auslegungstheorie orientiert sich an den Vorstellungen des historischen Normgebers. In der Auslegung soll dann Grundlage diejenige Wortbedeutung sein, die der historische Normgeber dem Text zugeordnet hat.

Auch bei der Betrachtung des systematischen Zusammenhangs der auszulegenden Rechtsnorm, der verfolgten Ziele und Zecke und der Inhalt der Gesetzgebungsmaterialien sowie der historische Lösungstopoi ist dann die Auffassung des historischen Normgebers maßgeblich. Verfechter dieser Theorie können insbesondere den Gedanken der rechtstaatlichen Gewaltenteilung heranführen. Die subjektive Theorie besticht auch in der Rechtsanwendung durch eine klare Abgrenzung zwischen der gesetzgebenden Gewalt einerseits und andererseits der rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt. Hierbei besteht allerdings freilich die Gefahr, dass sich Umstände und gesellschaftliche Werteentwicklungen so stark ändern, dass der historische Normgeber heute selbst nicht mehr an der damaligen Wertung festhalten würde. Im zahlreichen Fällen müsste der Normgeber permanent der tatsächlichen Entwicklung hinterherlaufen.

3.2. Die objektive Auslegungstheorie

Die objektiven Auslegungstheorie orientiert sich hingegen an dem im Gesetz objektivierten gesetzgeberischen Willen. Hier wird eine Fiktion genutzt. Das Willensmoment wird abstrahiert und verselbstständigt vom dem Willen des Normgebers und entwickelt damit ein Eigenleben. Die objektive Theorie wird von den Gerichten verfolgt16 Wobei auch hier die Grenze der Auslegung – jedenfalls nominell – der äußere noch mögliche philologische bzw. fachsprachliche Wortsinn eines Normtextes ist.17 Argumentativ lässt sich die Theorie u.a. über den Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG untermauern, die die rechtsprechende Gewalt nicht nur an das „Gesetz“ sondern auch an das „Recht“ bindet.

4. Zusammenfassung und Fazit

Die Anwendung von Rechtsnormen auf Sachverhalte verlangt die Definition der tatbestandlichen Voraussetzungen und die Subsumtion der Sachverhaltsumstände. Beide Aspekte setzen ein Verstehen voraus, welches durch Auslegung zu erbringen ist.

Als Auslegungsmethoden kommen der Wortlaut, die Systematik, der historische Kontext sowie die Teleologie in Betracht. Etabliert sind neben diesen klassischen Auslegungsmethoden auch die rechtsvergleichende, die verfassungskonforme sowie die europarechtskonforme Auslegung.

Allen Auslegungsmethoden gemein ist, dass als Auslegungsmaßstab entweder auf das Subjekt (dem Normgebers) oder auf das Objekt selbst (der Rechtsnorm) dienen kann.

Der Auslegung kommt damit der Charakter eines Diskurses zu.18 Auch bei präziser und methodisch nicht zu beanstandender Arbeit steht am Ende nicht das eine unumstößlich „richtige“ Ergebnis fest. Vielmehr werden Argumente vorgebracht, andere Argumente diesen wiederum entgegengestellt und schlussendlich den besseren Argumenten der Ausschlag gegeben. Natur einer solchen wissenschaftlichen Arbeitsweise ist es, dass Auffassungen auch wenn sie mit guten Gründen vertretbar sind, in Frage gestellt werden und die Rechtsansicht gegebenenfalls geändert wird.

Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Hermann Butzer; Volker Epping: Arbeitstechnik im Öffentlichen Recht, 3. Auflage 2006 Hannover
  • Karl Larenz; Claus-Wilhelm Canaris: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 1995 München
  • Hans Jarass, Martin Kment: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar, 16. Auflage 2020 München
  • Wolfgang Hau; Roman Poseck: Beck’sche Online-Kommentar, 68. Edition Stand: 01.11.2023 München
Rechtsprechung: