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BVerfG, 05.04.1990 - 2 BvR 413/88

Daten
Fall: 
Ausschluß eines Verfassungsrichters
Fundstellen: 
BVerfGE 82, 30; NJW 1990, 2457; JuS 1991, 243; DVBl 1990, 821
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
05.04.1990
Aktenzeichen: 
2 BvR 413/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Mahrenholz, Böckenförde, Klein, Graßhof, Kruis, Franßen, Winter

Zu den Voraussetzungen des Ausschlusses eines Richters von der Ausübung des Richteramts nach § 18 I Nr. 2 BVerfGG und der Besorgnis der Befangenheit nach § 19 BVerfGG.

Gründe

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen Bestimmungen des Gesetzes zur Änderung des Wassergesetzes für Baden-Württemberg (Entgelt für Wasserentnahmen) vom 27. Juli 1987 (GBl. S. 224). Sie hält den Richter Kirchhof für ausgeschlossen, jedenfalls aber für befangen, weil er vor seiner Wahl zum Bundesverfassungsrichter ein Gutachten u. a. zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes für die baden-württembergische Landesregierung erstattet hat.

I.

Die Landesregierung Baden-Württemberg beschloß 1985, für Wasserentnahmen ein Entgelt (den sog. Wasserpfennig) einzuführen und im Zusammenhang damit Landwirten einen finanziellen Ausgleich für ertragsmindernde Düngebeschränkungen zu gewähren. Nach Einholung von Rechtsgutachten der Professoren Salzwedel und Mußgnug sollte der im Regierungsentwurf vorgesehene Wasserpfennig gegenüber der Ausgleichsgewährung verselbständigt und als Gebühr ausgestaltet werden. Die Landesregierung leitete im August 1986 das Anhörungsverfahren ein.

Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelung blieb umstritten; ebenso wurde die Frage aufgeworfen, ob das Land sich das Abgabenaufkommen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs anrechnen lassen müsse. Die CDU-Fraktion im Landtag schloß sich den kritischen Stimmen an und befürwortete ein "dezentrales Modell", bei dem die Träger der öffentlichen Wasserversorgung unmittelbar die durch die Düngebeschränkungen betroffenen Landwirte entschädigen sollten. Im Januar 1987 wurden die verfassungsrechtlichen Fragen in einem Gespräch mit Professor Paul Kirchhof erörtert, an dem der Ministerpräsident, mehrere Landesminister und Ministerialbeamte sowie Mitglieder der CDU-Fraktion teilnahmen. Nach diesem Gespräch erteilte die Landesregierung Professor Kirchhof den Auftrag, die Verfassungsmäßigkeit der beiden Modelle sowie ihre Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich zu prüfen. Die CDU-Fraktion stellte ihre Entscheidung zwischen den Modellen bis zur Gutachtenerstattung zurück.

Im Februar 1987 legte Professor Kirchhof sein Gutachten vor. Hierin befürwortete er aus verfassungsrechtlicher Sicht das Regierungsmodell. Dieses gestalte den Wasserpfennig als Sondernutzungsgebühr aus, wofür dem Land die Gesetzgebungskompetenz zukomme. Das dezentrale Modell begegne demgegenüber erheblichen Bedenken im Hinblick auf Verfassungsgrundsätze des öffentlichen Abgaben- und Haushaltswesens. In den Länderfinanzausgleich müßten weder nach dem einen noch nach dem anderen Modell Einnahmen eingestellt werden.

Im Auftrag der CDU-Fraktion erstattete - ebenfalls im Februar 1987 - Professor Hans Schneider ein Rechtsgutachten, das das "dezentrale Modell" für verfassungsrechtlich unbedenklich hielt.

Am 17. März 1987 entschied sich die CDU-Fraktion für den Regierungsentwurf, den die Landesregierung am selben Tage im Landtag einbrachte. Hinsichtlich der rechtlichen Qualifizierung des Wasserpfennigs folgte die Begründung im wesentlichen dem Gutachten Kirchhof (LTDrucks. 9/4237, S. 13 f.). Bei den Beratungen brachte die Landesregierung wiederholt zum Ausdruck, sie habe mehrere Gutachten anerkannter Rechtslehrer eingeholt, um sich über den verfassungsrechtlich zulässigen Weg zur Realisierung ihres Vorhabens nach Möglichkeit Gewißheit zu verschaffen (LT-Plenarprot., 9. WP, S. 5662, 6239, 6245). Das Gesetz wurde am 1. Juli 1987 vom Landtag beschlossen.

Professor Kirchhof ist seit November 1987 Richter des Bundesverfassungsgerichts.

II.

1.

Die Beschwerdeführerin hat gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie rügt die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Sie beantragt festzustellen, daß der Richter Kirchhof nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen sei. Die Erstattung seines Gutachtens habe Charakter und Funktion einer begleitenden Beratung im Gesetzgebungsverfahren gehabt; denn mit seiner Hilfe hätten von Anfang an bestehende verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetzesvorhaben überwunden werden sollen. Damit sei der Richter Kirchhof bereits von Berufs wegen in derselben Sache, die nunmehr zur verfassungsgerichtlichen Beurteilung anstehe, tätig gewesen. Da er jedoch am Gesetzgebungsverfahren nicht in offizieller Funktion beteiligt gewesen sei, greife § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG nicht ein. Das von ihm erstattete Gutachten sei auch nicht als wissenschaftliche Meinungsäußerung im Sinne des § 18 Abs. 3 Nr. 2 BVerfGG anzusehen; das sei nur bei der auftragsunabhängigen, ergebnisoffenen wissenschaftlichen Betätigung, nicht jedoch bei der Erstellung eines Auftragsgutachtens im Rahmen einer wissenschaftlichen Beratungstätigkeit anzunehmen, die interessengebunden und ergebnisorientiert sei und obendrein vorliegend Entscheidungsverantwortung mit übernehme.

b) Die Beschwerdeführerin lehnt den Richter Kirchhof hilfsweise als befangen ab. Er erscheine ihr infolge der Gutachtenerstattung in seiner Haltung bereits als so festgelegt, daß er für eine Erörterung seiner Rechtsansicht nicht mehr offen sei. Dies ergebe sich schon daraus, daß er sein Gutachten für die Landesregierung, mithin - in einem materiellen Sinne - für die "Gegenpartei" im Verfassungsbeschwerdeverfahren, und zudem nicht lediglich zu einer Vorfrage dieses Verfahrens, sondern zur Streitfrage selbst erstattet habe; eine neuerliche Überprüfung seiner Rechtsansicht könne ihn daher in Konflikt mit seinem früheren Auftraggeber bringen. Hinzu komme, daß sein Gutachten wesentlich Einfluß auf die schließliche Gestalt des Gesetzes gewonnen habe, weshalb er sich bei Erfolg der Verfassungsbeschwerde dem Vorwurf nicht genügend sorgfältiger Gutachtenerstattung ausgesetzt sehen könnte; auch dies beeinträchtige seine richterliche Unbefangenheit.

2.

In seiner dienstlichen Äußerung erklärt der Richter Kirchhof, nicht befangen zu sein, und meint, seine gutachtliche Tätigkeit habe der Beschwerdeführerin auch keinen Anlaß gegeben, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln.

Er sei zu Beginn des Jahres 1987 von Vertretern der Landesregierung und der Mehrheitsfraktion zu einer Anhörung im Landtag eingeladen worden, deren einziger Gegenstand die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Wasserabgabe gewesen sei. Die einzelnen Fragen seien ihm zuvor nicht bekannt gewesen; vorbereitende Kontakte habe es nicht gegeben. Im Verlauf der Anhörung, die einen ganzen Nachmittag gedauert habe, habe er auf Fragen zur Gesetzgebungskompetenz, zu Verfassungsfragen der beiden alternativen Modelle, zum Länderfinanzausgleich sowie dazu, ob das Naturprodukt "Wasser" überhaupt Gegenstand einer Abgabe sein könne, unter Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geantwortet. Gegen Ende der Sitzung sei er gebeten worden, seine Antworten schriftlich niederzulegen; dem sei er nachgekommen. Das schriftliche Gutachten stelle daher lediglich die geordnete und vertiefte, um Nachweisungen und andere Anmerkungen ergänzte Wiedergabe seiner mündlichen Ausführungen dar. Spätere Kontakte hätten nicht mehr stattgefunden.

Als Wissenschaftler habe er seine Stellungnahme unabhängig und nicht ergebnisorientiert abgegeben. Selbstverständlich hege jeder Wissenschaftler, der im Vorfeld eines Gesetzgebungsverfahrens angehört werde, die Erwartung, daß seine Aussagen vom Gesetzgeber aufgegriffen und verarbeitet würden. Zwar sei in diesem Falle - anders als andere Auftraggeber in anderen Fällen - der Gesetzgeber seinen Hinweisen gefolgt; Entscheidungsverantwortung habe er damit jedoch nicht übernommen. Keinesfalls aber könne eine derartige wissenschaftliche Tätigkeit die Besorgnis der Befangenheit in einem späteren Gerichtsverfahren begründen. Andernfalls dürften Rechtswissenschaftler, die aktuelle Verfassungsfragen in ihre Tätigkeit einbezögen, das Amt eines Bundesverfassungsrichters nicht mehr übernehmen oder ausüben.

3.

Die Beschwerdeführerin bezweifelt in ihrer Stellungnahme zur dienstlichen Äußerung nicht, daß Professor Kirchhof sein Gutachten in wissenschaftlicher Unabhängigkeit erstattet habe und daß er sich auch heute um eine unbefangene Betrachtungsweise bemühen werde. Dies hält sie jedoch für unerheblich. Solange ein Rechtswissenschaftler im Rahmen einer Anhörung im Gesetzgebungsverfahren Fragen beantworte, sei dies für die spätere Ausübung eines Richteramtes unschädlich. Zum Ausschluß, jedenfalls aber zur Besorgnis der Befangenheit führe, daß Professor Kirchhof seine Rechtsauffassung hernach gegen Honorar schriftlich niedergelegt habe. Damit habe er sich gegenüber einem Partner vertraglich gebunden, der im Verfahren ein ganz bestimmtes, ihm auch bekanntes Interesse verfolge. Auch wenn dies den Inhalt des Gutachtens nicht beeinflußt haben müsse, so sei und bleibe er seinem Auftraggeber doch verpflichtet.

4.

Das Land Baden-Württemberg ist der Auffassung, der Richter Kirchhof sei von der Ausübung seines Richteramtes nicht ausgeschlossen. Eine Auskunftserteilung über Rechtsfragen sei kein Tätigwerden "in der Sache" nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG, zumindest stehe dem Ausschluß § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG entgegen.

Der Ablehnungsantrag sei bereits unzulässig, weil nichts vorgetragen werde, was nicht schon von § 18 Abs. 3 BVerfGG erfaßt sei, jedenfalls aber unbegründet. Allgemein gelte im deutschen Verfahrensrecht die Vermutung, daß der Richter auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantrete, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet habe. Der vorliegende Fall biete keinen Anlaß, von dieser Vermutung abzuweichen. Für den Rechtswissenschaftler sei es ein grundlegendes Gebot des Berufsethos, auch in Gutachten nur Auffassungen zu vertreten, die seiner Einsicht und Überzeugung entsprächen; zugleich sei er zur ständigen Offenheit für neue Erkenntnisse verpflichtet. Darin unterscheide sich die Erstattung eines wissenschaftlichen Gutachtens von einer Prozeß- oder Interessenvertretung. Auch aus der Annahme des Auftrags zur schriftlichen Gutachtenerstattung gegen Honorar ergebe sich nichts anderes. Denn die hierdurch übernommene Verpflichtung habe lediglich darin bestanden, das bereits mündlich Ausgeführte schriftlich zu fixieren, nicht aber darin, das Gutachten zu einem bestimmten Ergebnis zu führen.

Abschließend weist das Land darauf hin, daß der Beschwerdeführerin - einem Großunternehmen mit kompetenter Rechtsabteilung - diese Zusammenhänge auch geläufig seien, so daß von ihr erwartet werden dürfe, daß sie die Besorgnis der Befangenheit nicht leichthin hege.

B.

I.

Der Richter Kirchhof ist im vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Die Erstattung des Rechtsgutachtens durch ihn im Auftrag der Landesregierung Baden-Württemberg gilt nach der Regelung des § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG nicht als Tätigwerden in derselben Sache im Sinne des Abs. 1 Nr. 2 dieser Vorschrift.

1.

Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ist ein Richter von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen, wenn er bereits in derselben Sache von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist. Diese Vorschrift will ebenso wie die entsprechenden Bestimmungen der fachgerichtlichen Verfahrensordnungen die subjektive Unabhängigkeit des Richters garantieren, seine Offenheit und Unbefangenheit im Hinblick auf den zur Entscheidung anstehenden Fall (BVerfGE 78, 331 (338 f.)). Das Tatbestandsmerkmal "dieselbe Sache" ist hierbei in Übereinstimmung mit den Ausschlußregelungen anderer gerichtlicher Verfahrensordnungen (vgl. etwa § 41 Ziff. 4 und 6 ZPO) in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn zu verstehen. Es meint zunächst das verfassungsgerichtliche Verfahren selbst. Im Blick auf Verfassungsbeschwerdeverfahren, die sich gegen eine gerichtliche Entscheidung wenden, hat der Vorprüfungsausschuß (BVerfGE 47, 105 (108) [BVerfG 02.01.1978 - 2 BvR 33/77] [BVerfG 02.01.1978 - 2 BvR 33/77]) auch das diesem Verfahren unmittelbar vorangegangene und ihm sachlich zugeordnete Verfahren (Ausgangsverfahren) als zu "derselben Sache" gehörend angesehen; dem ist der Senat in seiner Rechtsprechung gefolgt (vgl. BVerfGE 72, 278 (288) [BVerfG 14.05.1986 - 2 BvL 19/84] [BVerfG 14.05.1986 - 2 BvL 19/84]; 78, 331 (336) [BVerfG 15.06.1988 - 1 BvR 1301/86]).

2.

Die von daher naheliegende Erstreckung des Begriffs "dieselbe Sache" auf das Gesetzgebungsverfahren in den Fällen, in denen sich das verfassungsgerichtliche Verfahren gegen Gesetze richtet (Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2, Art. 100 Abs. 1 GG; Kommunalverfassungsbeschwerden und Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze - Art. 93 Abs. 1 Ziff. 4a und b GG, §§ 90, 91 BVerfGG), ist jedoch durch die Regelung des § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG ausgeschlossen. Diese Vorschrift bestimmt, daß die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren nicht als Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 "gilt". Sie trifft damit nicht lediglich eine Ausnahmeregelung von einer an sich gegebenen Tätigkeit in derselben Sache für einen bestimmten Kreis von Mitwirkenden, vielmehr legt sie fest, daß das Gesetzgebungsverfahren als solches vom Begriff derselben Sache im Sinne des Abs. 1 Nr. 2 der Bestimmung ausgenommen sein soll; demgemäß kommt es als "Ausgangsverfahren" im Sinne der Entscheidung BVerfGE 78, 331 (336) nicht in Betracht.

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber Folgerungen aus dem besonderen Charakter des Gesetzgebungsverfahrens gezogen. Das Gesetzgebungsverfahren ist in der Demokratie von vornherein auf breite Beteiligung der Öffentlichkeit angelegt, läßt auch dem öffentlichen Austragen von Meinungsverschiedenheiten und Interessengegensätzen bewußt Raum; es will durch einen öffentlichen demokratischen Prozeß der Meinungs- und Willensbildung für eine mit Allgemeinverbindlichkeit ausgestattete normative Regelung, wie das Gesetz sie darstellt, das Erreichen einer am Gemeinwohl orientierten Entscheidung ermöglichen und fördern (vgl. auch Adolf Arndt, DVBl. 1952, S. 1). Diese Eigenart des Gesetzgebungsverfahrens steht seiner Gleichstellung mit einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entgegen; sie schließt es auch aus, den verfahrensrechtlichen Streit um die Gültigkeit eines Gesetzes, in dem es primär um eine Rechtsfindung für und gegen jedermann geht, wie ein Parteiverfahren anzusehen, in dem der Bürger mit dem Gesetzgeber als gegnerischer "Partei" streitet.

3.

Wie der Begriff "Gesetzgebungsverfahren" in § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG im einzelnen näher zu bestimmen und einzugrenzen ist, bedarf aus Anlaß des vorliegenden Falles keiner näheren Erörterung. Der Richter Kirchhof hat im Auftrag der Landesregierung Baden-Württemberg ein Rechtsgutachten zu verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung nach Einleitung des Anhörungsverfahrens zu diesem Gesetzentwurf (vgl. LTDrucks. 9/3569, S. 2) erstattet. Sieht man in dieser Tätigkeit eine Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren, so ist dies kraft der Regelung des § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG jedenfalls keine Tätigkeit "in derselben Sache". Sieht man darin keine Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren, fehlt es aus anderen Gründen an ausreichenden Bezugspunkten für ein Vorliegen des in § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG genannten Ausschlußtatbestandes. Als "dieselbe Sache" im Sinne der genannten Vorschriften könnte dann nur die abstrakte Rechtsfrage nach der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden gesetzlichen Vorschriften über den Wasserpfennig in Betracht kommen; insoweit bestimmt jedoch § 18 Abs. 3 Nr. 2 BVerfGG, daß die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage gerade nicht als ein Tätigwerden "in derselben Sache" anzusehen ist.

II.

Der zulässige Antrag auf Ablehnung des Richters Kirchhof wegen Besorgnis der Befangenheit ist begründet.

1.

Die Ablehnung eines Richters des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt voraus, daß ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es kommt mithin nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich "parteilich" oder "befangen" ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfGE 73, 330 [BVerfG 12.07.1986 - 1 BvR 713/83] (335)).

Allerdings kann eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs. 2 und 3 BVerfGG einen Ausschluß von der Ausübung des Richteramts nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 2, 295 (297) [BVerfG 13.05.1953 - 1 BvR 344/51] [BVerfG 13.05.1953 - 1 BvR 344/51]); es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade wegen dieser Gründe dennoch über eine Befangenheitsablehnung ein Richter von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Es muß stets etwas Zusätzliches gegeben sein, das über die Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren und die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann.

2.

a) Dieses Zusätzliche kann nicht schon darin liegen, daß der Richter Kirchhof seine wissenschaftliche Meinung gerade als Gutachter und gezielt zu der im vorliegenden Verfahren im Streit befindlichen Rechtsfrage geäußert hat. Von jeher wird von einem Richter erwartet, daß er auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage ein Urteil gebildet hat (vgl. BVerfGE 78, 331 (337 f.), 30, 149 (153); Schumann, JZ 1973, S. 486; Knöpfle in: Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, 1. Bd., 1976, S. 142 (164); Wand in: Rüthers/Stern, Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, 1984, S. 515 (517)). Das gilt auch, wenn diese frühere Urteilsbildung nicht im Wege richterlicher Rechtsfindung, sondern in einem wissenschaftlichen Gutachten erfolgt ist. Die Auslegung insbesondere des Verfassungsrechts hat den Charakter eines Diskurses, in dem auch bei methodisch einwandfreier Arbeit nicht absolut richtige, unter Fachkundigen nicht bezweifelbare Aussagen dargeboten werden, sondern Gründe geltend gemacht, andere Gründe dagegengestellt werden und schließlich die besseren Gründe den Ausschlag geben sollen. In dieser wissenschaftlichen Arbeitsweise ist es angelegt, daß der Autor bereit ist, seine Auffassungen auch im Bereich des mit guten Gründen Vertretbaren in Frage zu stellen und seine Rechtsansicht gegebenenfalls zu ändern.

b) Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht zu übersehen, daß darüber hinaus weitere zusätzliche Umstände vorliegen, die insgesamt gesehen aus der Sicht der Antragstellerin, auf die es insoweit ankommt, Anlaß geben können, an der Unvoreingenommenheit des Richters Kirchhof zu zweifeln.

Bei dessen Gutachten handelt es sich nicht lediglich um ein privates ergebnisoffenes Gutachten im Auftrag der Landesregierung. Der Gutachtenauftrag wurde vielmehr erst erteilt, nachdem die wissenschaftliche Meinung des Gutachters zu den streitigen verfassungsrechtlichen Fragen in der Anhörung bekannt geworden war, die Landesregierung also wußte, daß Professor Kirchhof ihre - und nicht die von der Fraktion bevorzugte - Regelungskonzeption für das Wasserentnahmeentgelt unterstützte. Das Gutachten war somit von vornherein dazu bestimmt, den Gesetzentwurf der Landesregierung verfassungsrechtlich abzustützen; ihm kam, wie der Gang des Gesetzgebungsverfahrens zeigt, eine für die Entscheidung in der politischen Kontroverse mit der eigenen Fraktion ausschlaggebende Funktion zu. Der im Landtag eingebrachte Gesetzentwurf stützte sich in seinen tragenden Regelungen auf das Gutachten, und in der Gesetzesberatung wurde es wiederholt als Gewähr für die verfassungsrechtliche Absicherung des Gesetzentwurfs in Bezug genommen. Der Gutachtenauftrag stand damit schon bei seiner Vergabe in einem spezifischen Erwartungshorizont der Landesregierung als dem Auftraggeber; das Gutachten wuchs so in eine besondere Gewährfunktion für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes gerade auch in den Punkten hinein, in denen es im vorliegenden Verfahren angegriffen wird. Angesichts dieser Umstände ist bei einer die Lebenswirklichkeit nicht außer acht lassenden Betrachtung die Besorgnis der Antragstellerin, daß der Richter Kirchhof der streitbefangenen Rechtsfrage nicht mehr mit der Unbefangenheit gegenübertreten könnte, wie wenn er - unabhängig hiervon - lediglich seine wissenschaftliche Meinung zu dieser Frage geäußert hätte, nicht von der Hand zu weisen. Dem kann hier auch nicht ein "besonders strenger Maßstab" für die Prüfung der Befangenheitserklärung von Verfassungsrichtern (vgl. BVerfGE 73, 330 [BVerfG 12.07.1986 - 1 BvR 713/83] (335 f.)) entgegengehalten werden. Dieser bezieht sich, soweit er denn Geltung hat, primär auf öffentliche und politische Äußerungen von Verfassungsrichtern (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 336 f.).

C.

Die Entscheidung ist zu Nr. 1 des Tenors einstimmig, zu Nr. 2 mit 4 : 3 Stimmen ergangen.

(gez.) Mahrenholz
Böckenförde
Klein
Graßhof
Kruis
Franßen
Winter

Abweichende Meinung der Richter Böckenförde und Klein zum Beschluß des Zweiten Senats vom 5. April 1990 - 2 BvR 413/88 -

Der Antrag auf Ablehnung des Richters Kirchhof wegen Besorgnis der Befangenheit ist - entgegen der Auffassung des Senats - unbegründet.

Der Senat hat zwar offengelassen, ob der Richter Kirchhof durch die Erstattung des Gutachtens im Auftrag der Landesregierung im Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt hat. Davon ist aber im vorliegenden Fall jedenfalls auszugehen. Das in Frage stehende Gutachten wurde von einem an der Gesetzgebung beteiligten Organ für die Zwecke des Gesetzgebungsverfahrens in Auftrag gegeben. Der Senat hätte dies auch entscheiden müssen. Wenn nämlich § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG festlegt, daß eine Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren nicht als Tätigkeit in derselben Sache gilt, die zum Ausschluß von der Ausübung des Richteramts führt (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG), hat das auch Auswirkungen auf die Gründe, die zur Besorgnis der Befangenheit führen können (§ 19 BVerfGG). Wie der Senat selbst feststellt, kann eine Besorgnis der Befangenheit nicht aus den Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs. 2 und 3 BVerfGG einen Ausschluß von der Ausübung des Richteramts nicht rechtfertigen (B. II. 1.); hierfür muß stets etwas Zusätzliches gegeben sein. Dies gilt nicht nur gegenüber der Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage (§ 18 Abs. 3 Nr. 2 BVerfGG), sondern ebenso gegenüber der Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren (§ 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG). Der Senat räumt dies zwar ein, entzieht sich aber der Anwendung auf den vorliegenden Fall.

Der Grund dafür, daß das Gesetzgebungsverfahren als solches vom Begriff derselben Sache im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ausgenommen wird, liegt, wie der Senat zutreffend ausführt, darin, daß es in der Demokratie von vornherein auf breite Beteiligung der Öffentlichkeit angelegt ist, um durch einen öffentlichen demokratischen Prozeß der Meinungs- und Willensbildung eine am Gemeinwohl orientierte Entscheidung des Gesetzgebers zu ermöglichen und zu fördern. Wer im Gesetzgebungsverfahren mitwirkt - sei es von Amts wegen im Bereich der Regierung oder des Parlaments, sei es als Sachverständiger in einer parlamentarischen Anhörung oder als Gutachter im Auftrag eines am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten -, ist, auch wenn er einen individuellen Beitrag leistet, als dem Gemeinwohl verpflichteter Amtsträger oder als unabhängiger Sachverständiger Teil der demokratischen Öffentlichkeit und Allgemeinheit.

Geht man hiervor aus, kann eine Mitwirkung der genannten Art im Gesetzgebungsverfahren die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Die Erstattung eines Gutachtens im Auftrag der Landesregierung im Blick auf ein Gesetzesvorhaben und für das Gesetzgebungsverfahren geht über das, was im Gesetzgebungsverfahren normal und üblich ist, nicht hinaus. Dies gilt auch dann, wenn einem solchen Gutachten in den politischen Auseinandersetzungen für bestimmte Fragen ein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen wird oder ihm eine Gewährfunktion für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zuwächst. Es ist gerade der Sinn und Zweck solcher Gutachten, daß sie im Gesetzgebungsverfahren und in der kontroversen Auseinandersetzung um den Inhalt eines Gesetzes Bedeutung erlangen und womöglich in bestimmter Richtung maßgeblichen Einfluß ausüben. Der Gutachter tritt dadurch, daß dies geschieht, ebensowenig aus der demokratischen Allgemeinheit und Öffentlichkeit, die für das Gesetzgebungsvefahren charakteristisch ist, heraus, wie der Abgeordnete, der im Parlament für eine bestimmte Gestaltung des Gesetzes wirbt und sich damit durchsetzt, oder der unabhängige Sachverständige, der in einer Anhörung eine bestimmte Auffassung zur Verfassungsmäßigkeit oder Sachdienlichkeit eines Gesetzes mit Überzeugungskraft vertritt und dadurch Einfluß auf den Gesetzesinhalt gewinnt. Die gegenteilige Auffassung des Senats, die dies für bedeutungslos erachtet, entkleidet das Gesetzgebungsverfahren des ihm wesentlichen Bezugs auf demokratische Öffentlichkeit und Allgemeinheit; es wird gewissermaßen privatisiert und mit einem beliebigen Parteiverfahren auf eine Stufe gestellt. Die normative Bedeutung, die § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG auch für die Frage der Befangenheit nach § 19 BVerfGG hat, wird damit verkannt.

Das "Zusätzliche", das auch bei Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren eine Besorgnis der Befangenheit begründen kann, liegt nicht schon in dem Einfluß oder der Gewährfunktion, die von dieser Mitwirkung auf das Gesetz ausgegangen sind; sie kann sich u. a. aus der Art und Weise der Äußerung oder Stellungnahme ergeben, etwa wenn diese eine für Argumente nicht mehr offene Voreingenommenheit oder die Absolutsetzung des eigenen Standpunkts erkennen läßt. Dafür fehlt im vorliegenden Fall indes jeglicher Anhaltspunkt.

Böckenförde
Klein