Wie grenzt man Schaden, Aufwendung und Selbstschädigung ab?
Der weit verbreitete Merkspruch zur Abgrenzung von Schäden, Aufwendungen (und Selbstschädigungen) bringt für diese Frage nur wenig Licht ins Dunkle. Ein Schaden wird allgemein als „Unfreiwillige Einbuße an Gütern“1 und eine Aufwendung als „Freiwillige[s] Opfer“2 bezeichnet. Diese Abgrenzung kann jedoch Probleme bereiten, insbesondere, wenn man eine Selbstschädigung (v. a. die Herausforderungsfälle) als Schaden versteht, der aber durch den eigenen Willen des Geschädigten entstanden ist – auch wenn er vom Schädiger veranlasst wurde.3 Auf den ersten Blick erscheint das als ein Widerspruch: Es handelt sich bei einer Selbstschädigung um einen Schaden, der bekanntlich unfreiwillig eintritt, aber dennoch auf einem freien Willen des Geschädigten basiert?
Spätestens anhand des folgenden Beispielsfalls wird klar, dass diese Abgrenzungskriterien deutlicher durchleuchtet werden müssen, um sie verständlich darzustellen:
A fährt dem B hinten auf dessen Auto auf. Dabei wird das Blech des Autos des As stark eingedellt, woraufhin A es in die Reparatur gibt, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch fahrtauglich ist. Die Schäden können zwar behoben werden, allerdings ist A auch bewusst, dass sein Unfallfahrzeug nun dauerhaft im Wert gemindert ist.
Einleuchtend ist noch, dass die Wertminderung völlig unfreiwillig eingetreten ist und es sich daher wahrscheinlich um einen Schaden handeln muss. Allerdings ist es schwieriger, die anfallenden Reparaturkosten zu beurteilen. Einerseits hätte A das Auto nicht anlasslos reparieren lassen, sodass eine Unfreiwilligkeit nahe liegt. Andererseits war die Reparatur streng genommen freiwillig, da das Auto auch mit dem Blechschaden noch fahren kann. Damit sollte nun klar werden, dass die Abgrenzung von Schäden, Aufwendungen und Selbstschädigungen komplizierter sein muss, als der Merkspruch es vermuten lässt.
1. Schaden
Es gibt zwei Arten von Schäden: Nichtvermögensschäden und Vermögensschäden; die Abgrenzung zwischen beiden ist im Einzelfall sehr umstritten.4
Nichtvermögensschäden sind aber in der Regel immer nur mit erheblicheren Schwierigkeiten oder überhaupt nicht exakt in Geld messbar.5 Klassische Fallgruppen sind gem. § 253 Abs. 2 BGB: Verletzung des Körpers, der Gesundheit (einschließlich der psychischen)6, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung. Außerdem ist insb. auch der Schadensersatz für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als immaterieller Schaden möglich.7
Falls ein Nichtvermögensschaden nicht vorliegt, kommt ein Vermögensschaden in Betracht. Dieser bestimmt sich (grundsätzlich)8 nach der Differenzhypothese: Das hypothetisch aktuelle Vermögen (Wie stünde der Geschädigte ohne die Schädigung jetzt?) muss von dem aktuellen Vermögen (Wie steht der Geschädigte jetzt?) nachteilig abweichen.9
Das Feststellen eines Schadens ist damit komplizierter, als nur zu bestimmen, ob eine Position eine unfreiwillige Einbuße ist.
2. Aufwendung
Die Frage, ob eine Aufwendung vorliegt, stellt sich erst, nachdem man festgestellt hat, dass kein Nichtvermögensschaden vorliegt, ein Vermögensschaden im Rahmen der Differenzhypothese scheitert und dennoch ein anderweitiger wirtschaftlicher Nachteil bestehen bleibt, der freilich freiwillig herbeigeführt worden musste.10 Die Freiwilligkeit ist dabei aber eher nur als Voraussetzung des Vorliegens einer Aufwendung anzusehen, als ein geeignetes Abgrenzungskriterium zum Schaden. Im Ausgangsfall mit dem Autounfall ergibt sich in beiden diskutierten Positionen durch die Differenzhypothese ein nachteiliges Abweichen, sodass beide einen Vermögensschaden darstellen.
Als Beispiel für eine Aufwendung gilt dagegen folgender Fall:
K kauft bei V ein Fahrrad, das V am 14.01.2025 liefern soll. Als das nicht geschieht, setzt der K dem V eine angemessene Nachfrist. Als auch diese erfolglos abläuft, verlangt K von V Ersatz der Anschaffungskosten für eine inzwischen bei einem Händler gekaufte Handyhalterung für das Fahrrad.
Ein Nichtvermögensschaden hinsichtlich der Handyhalterung ist eindeutig nicht gegeben. Vergleicht man dann bzgl. der Anschaffungskosten die aktuelle Vermögenslage Ks, so hat dieser vergeblich Geld für die Handyhalterung ausgegeben. Hätte der V jedoch den K nicht geschädigt und ordnungsgemäß das Fahrrad übergeben und übereignet (hypothetisch aktuelle Lage), so hätte K dennoch vorher das Geld für die Handyhalterung an den Händler gezahlt. Im Vergleich dieser beiden Situationen ergibt sich also kein nachteiliges Abweichen hinsichtlich der Halterung. Das Geld hat K so oder so „verloren“ – und zwar freiwillig. Hierin liegt also eine Aufwendung, für die K über § 284 BGB Ersatz verlangen kann.
3. Selbstschädigung
Das letzte Puzzlestück ist die Selbstschädigung, die sich nach den obigen Feststellungen einfacher erschließen lässt: Diese Konstellation tritt nur auf, wenn ein Schaden vorliegt; unter dem Prüfungspunkt der Haftungsausfüllung prüft man das Problem einer Selbstschädigung dann eben nicht beim Vorliegen eines Schadens, sondern im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität.11 Bei einer Selbstschädigung fordert der Schädiger den Geschädigten durch ein Verhalten dazu heraus, selbst den eigentlichen Schaden herbeizuführen.12 Die Frage ist dann, ob das eigene selbstschädigende Verhalten dem Schädiger noch zugerechnet werden kann; das ist nur dann der Fall, wenn die Verletzungshandlung des Schädigers den Geschädigten zur Selbstschädigung herausgefordert hat und er sich billigerweise auch herausgefordert fühlen durfte.13 Im Ausgangsfall stellt die Verursachung der Reparaturkosten eine Selbstschädigung dar.
4. Fazit
Die Abgrenzung von Schaden, Aufwendung und Selbstschädigung ist nicht so einfach, wie manche Merksprüche es scheinbar verlauten lassen. Sicher ist diese Frage nur zu beantworten, wenn im ersten (Gedanken-)Schritt geprüft wird, ob ein Nichtvermögensschaden oder ein Vermögensschaden vorliegt. Ist das zu bejahen, kann sich das Kausalitätsproblem einer Selbstschädigung anschließen. Ist das hingegen zu verneinen, kann über eine Aufwendung nachgedacht werden.
- 1. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 48. Auflage 2024, § 29 Rn. 1 .
- 2. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 44 Rn. 1.
- 3. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 45 Rn. 35.
- 4. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 44 Rn. 7.
- 5. Vgl. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 44 Rn. 3, 6, 7.
- 6. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 48. Auflage 2024, § 29 Rn. 4.
- 7. Grundlegend BGH, Urteil v. 14.02.1958 – I ZR 151/56, GRUR 1958, 408 (409 f.) – Herrenreiter.
- 8. Daneben sind beachtliche Ausnahmen der sog. normativen Schäden beachtlich, vgl. hierzu Oetker, in: MüKo BGB, 9. Auflage 2022, § 249 Rn. 23 ff.
- 9. Siehe nur Flume, in: BeckOK/BGB, 72. Edition v. 01.05.2024, § 249 BGB Rn. 37.
- 10. Vgl. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 30 Rn. 1, 6.
- 11. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 45 Rn. 35.
- 12. Vgl. BGH, Urteil v. 16.04.2002 – VI ZR 227/01, NJW 2002, 2232 (2233).
- 13. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 48. Auflage 2024, § 30 Rn. 23.