Die Konkurrenz von deutschen Grundrechten, EU-Grundrechten und der Europäischen Menschenrechtskonvention

In Europa gibt es mehrere Ebenen und Quellen von Grundrechten, die miteinander verflochten sind. Sie beanspruchen jeweils einen eigenen Anwendungsbereich und werden von unterschiedlichen Gerichten überprüft. Dadurch entstehen häufig Überschneidungen, die gewöhnlich nicht in purer rechtlicher Übereinstimmung enden. Vielmehr treten die diversen Grundrechtsordnungen miteinander in Konkurrenz und durch langjährige Rechtsprechung kann der Überblick über das komplexe System schnell verloren gehen.

1. Überblick über die Grundrechtsquellen

In einem europäischen Kontext sind aus deutscher Verfassungssicht mehrere Grundrechtsquellen für die Beantwortung der Frage nach deren Konkurrenzverhältnis relevant. Zunächst muss sich über diese verschiedenen Quellen ein Überblick geschaffen werden. Offensichtlich ist dabei zunächst das Grundgesetz, welches neben den in Art. 1–19 GG normierten Grundrechten auch grundrechtsgleiche Rechte (aufgelistet in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) und bloß grundrechtsähnliche Rechte (bspw. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) enthält.1

Vor allem ins Auge stechen daneben die EU-Grundrechte. Zu diesen gehört zunächst die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, welche gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EUV gleichrangig zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und dem EU-Vertrag ist und einen Bestandteil des europarechtlichen Primärrechts darstellt.2 Außerdem bestehen weitere Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze gem. Art. 6 Abs. 3 EUV, wenn solche zuvor in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelt worden sind; da auch diese Grundrechte in Art. 6 Abs. 3 EUV als Teil des Unionsrechts bezeichnet werden, stehen sie mit Grundrechten der Grundrechte-Charta auf demselben Rang.3 Zur Entwicklung dieser Grundrechte wird rechtsvergleichend nach einer übereinstimmenden Auffassung der Mitgliedsstaaten gesucht oder die Europäische Menschenrechtskonvention dazu herangezogen.4 Schließlich gibt es nicht nur im Grundgesetz, sondern auch im Europarecht bloße grundrechtsähnliche Rechte, welche im Gegensatz zu Unionsgrundrechten keine subjektiv-öffentlichen Rechte auf oberster Normhierarchie sind oder sich nicht primär gegen die Europäische Union richten.5 Dazu zählen beispielsweise die Grundfreiheiten, die Vertragsgrundrechte6 (dabei insb. das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV)7 und die Unionsbürgerschaft.8

Schließlich enthält die Europäische Menschenrechtskonvention ebenfalls Grundrechte, welche in Menschenrechte als Abwehrrechte und in Verfahrensgarantien als positive „Gewährleistungspflichten“9 unterteilt werden können.10

2. Die Notwendigkeit eines Konkurrenzfalls

Die Frage von Konkurrenzen stellt sich immer nur, wenn es einen Konkurrenzfall gibt; ein Sachverhalt muss also die Anwendungsvoraussetzungen von mehreren (Grund-)rechten zur selben Zeit erfüllen.11 Die Frage, wann die jeweiligen Grundrechtsquellen Anwendung finden, ist jedoch eine andere, durchaus komplizierte Frage. Daher wird im Folgenden ausschließlich auf die Konkurrenzfälle eingegangen.

3. Konkurrenz von Grundgesetz und EU-Grundrechten

Der erste Konkurrenzfall ergibt sich, wenn die Grundrechte des Grundgesetzes nicht bereits gem. Art. 6 Abs. 3 EUV als Rechtserkenntnisquelle der EU-Grundrechte in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen kongruent sind.12

3.1. Solange-Rechtsprechung und deren Wandel

Das Bundesverfassungsgericht fasste 1974 den bedeutsamen Solange I Beschluss zur Regelung des Konkurrenzverhältnisses von Grundrechten des Grundgesetzes und EU-Grundrechten.13 Vor Gericht stand ein Normenkontrollantrag gem. Art. 100 Abs. 1 GG, der sich gegen eine Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft richtete.14 Das Bundesverfassungsgericht beschloss daraufhin, dass ein solcher Normenkontrollantrag zulässig ist, solange kein parlamentarisch beschlossener und geltender Grundrechtskatalog auf europäischer Ebene besteht, der ein ähnliches Schutzniveau bietet, wie es das Grundgesetz gewährt.15 Erfolg habe der Antrag dann, wenn vorher der Europäische Gerichtshof angerufen wurde und das Gemeinschaftsrecht in dessen Auslegung gegen deutsche Grundrechte verstoße.16 Hintergrund des Beschlusses war die rechtspolitische Überlegung, dass das Europarecht damals keinen bzw. nur geringen Grundrechtsschutz besaß,17 weshalb das Bundesverfassungsgericht dem Anwendungsvorrang18 des Europarechts die Grenze deutscher Grundrechte zog.19

Als jedoch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der europäische Grundrechtsschutz auf ein dem Grundgesetz ähnliches Niveau gehoben wurde,20 beschloss das Bundesverfassungsgericht in Solange II, die vorherige Rechtsprechung abzumildern.21 Es wurde entschieden, dass Normenkontrollanträge gegen EWG-Rechtsakte unzulässig seien, solange auf europäischer Ebene wirksamer Grundrechtsschutz generell gewährleistet werde, der im Wesentlichen dem Schutzniveau des Grundgesetzes gleichstehe.22 Eine weitere Abschwächung geschah in dem Bananenmarktordnungsbeschluss.23 Demnach seien solche Normenkontrollanträge von Anfang an unzulässig, wenn nicht hinreichend begründet werde, dass das Schutzniveau der europäischen Grundrechte so abgesunken sei, dass der unerlässliche Grundrechtsschutz generell nicht mehr gewährleistet sei.24 Schlussendlich beschloss das Bundesverfassungsgericht in der Recht auf Vergessen II Entscheidung25 den „Reservevorbehalt“26, wonach deutsche Grundrechte nur dann im Rahmen von EU-Rechtsakten überprüft werden können, wenn der europäische Grundrechtsschutz grundlegend wegbricht; davon ist allerdings nur in Ausnahmefällen auszugehen, da dieses Vorgehen dem Ziel eines einheitlichen EU-Rechts entgegensteht.27

Im Ergebnis wurden deutsche Grundrechte auf europäische Sachverhalte früher deutlich häufiger angewendet, da es auf EU-Ebene nicht hinreichenden Grundrechtsschutz gab. Mit der zunehmenden Erhöhung des Schutzniveaus durch europäische Grundrechte, schränkte das Bundesverfassungsgericht jedoch diese damalige Leitregel im Interesse der effektiven und einheitlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union immer weiter ein.

3.2. Grundsätzlicher Vorrang der EU-Grundrechte mit Ausnahme der Verfassungsidentität

Inzwischen gilt nun der Grundsatz, dass EU-Grundrechte grundsätzlich denen des Grundgesetzes in der Anwendung vorrangig sind.28 Allerdings gibt es auch Ausnahmen. In dem Lissabon-Urteil29 zog das Bundesverfassungsgericht dem Anwendungsvorrang des EU-Rechts die endgültige Grenze der Verfassungsidentität, die der „Ewigkeitsklausel“30 des Art. 79 Abs. 3 GG entspricht.31 Die in dieser Norm geschützten grundgesetzlichen Gewährleistungen dürfen auch nicht durch EU-Recht berührt werden.32 Eine solche klare Grenze mag zwar die europäische Integration beschränken,33 ist aber hinsichtlich dem Zweck der eindeutig unabänderbaren Prinzipien des Art. 79 Abs. 3 GG, die das Selbstbildnis des Grundgesetzes prägen,34 aus deutscher Verfassungssicht konsequent. Diese Rechtsprechung kam schließlich in der Entscheidung namens Europäischer Haftbefehl II35 zur Anwendung; dabei wurde ein Verstoß gegen die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG wegen Missachtung des strafrechtlichen Schuldprinzips festgestellt, da ein Rahmenbeschluss eines europäischen Haftbefehls vollzogen wurde, welcher aber auf einer Verurteilung in Abwesenheit beruhte.36

3.3. Kooperation im Grundrechtsschutz?

EU-Grundrechte sind auch für Prüfungen des deutschen Verfassungsrechts durch das Bundesverfassungsgericht relevant. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge hat nämlich jeder Mitgliedsstaat die Verantwortung, zur Entwicklung der europäischen Union beizutragen.37 Um dem gerecht zu werden, gelten daher die EU-Grundrechte als Prüfungsmaßstab für verfassungsgerichtliche Kontrollen,38 wenn andernfalls eine Rechtsschutzlücke im derzeitigen Unionsrecht besteht, da es insb. kein zu der deutschen Verfassungsbeschwerde vergleichbares Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gibt.39 Prozessual geschieht diese Überprüfung als Verfassungsbeschwerde; d. h., dass Grundrechte i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG auch EU-Grundrechte sein können.40 Dabei obliegt jedoch die Auslegung der EU-Grundrechte stets dem Europäischen Gerichtshof, während die bloße Anwendung auch dem Bundesverfassungsgericht zusteht.41

Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet dieses Vorgehen als „enge[…] Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof“42. Dieser Begriff ist jedoch v.a. wegen des umstrittenen EZB-Urteils43 des Bundesverfassungsgerichts in Verruf geraten,44 da dort das Staatsanleihenprogramm der Europäischen Zentralbank als offensichtlich kompetenzwidrig betitelt wurde,45 wobei fraglich war, ob eine so bedeutende europäische Frage wirklich ein deutsches Gericht zu beantworten habe.46 Die Kooperation bezieht sich also anscheinend nur auf die Überprüfung von Grundrechten.

3.4. Zwischenfazit

Das Konkurrenzverhältnis zwischen Grundrechten aus dem Grundgesetz und den EU-Grundrechten beurteilt sich nach alledem wie folgt. Grundsätzlich genießen die EU-Grundrechte Vorrang, welcher durch die Grenze der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) beschränkt ist. Das Bundesverfassungsgericht bezieht außerdem bei seinen Entscheidungen EU-Grundrechte u.U. als Prüfungsmaßstab mit ein, um Lücken im Rechtsschutz des Europäischen Gerichtshofs zu füllen.

4. Konkurrenz von Grundgesetz und Europäischer Menschenrechtskonvention

Der zweite Konkurrenzfall ergibt sich zwischen den Grundrechten des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention.

4.1. Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit

Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der besonders ist, da er die Staaten, die die Konvention ratifiziert haben, unmittelbar dazu verpflichtet, die Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention den ihnen unterstehenden Personen zu gewährleisten (Art. 1 EMRK).47 Grundsätzlich sind nun völkerrechtliche Verträge ein von deutschem Recht unabhängiges Regelwerk,48 die den einfachen Gesetzen gem. Art. 25 S. 2 GG in der Anwendung vorgehen.49 Das Grundgesetz bleibt jedoch im Rang über ihnen stehen,50 da es sich sonst selbst in Frage stellen würde, wenn es den sog. „Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit“51 so weit verstünde, dass es sich selbst im Rang niedriger sähe.52 Dennoch resultiert aus der Völkerrechtsfreundlichkeit, das die Bundesrepublik das Völkerrecht beachten und Verstöße gegen das Völkerrecht vermeiden muss, solche ggf. wiedergutmachen muss und die Geltung des Völkerrechts bei der Verletzung durch fremde Staaten bestärken muss.53

Diese Pflichten wurden in dem bedeutsamen Fall Görgülü für das Konkurrenzverhältnis von Grundgesetz und Europäischer Menschenrechtskonvention getestet, der auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgte.54 Dieser entschied, dass in einem Rechtsstreit vor dem OLG Naumburg55 um die Entziehung des Sorge- und Umgangsrechts der Art. 8 EMRK verletzt wurde.56 Im weiteren Verfahrensverlauf behauptete das OLG Naumburg jedoch, es sei nicht an die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden, da lediglich die Bundesrepublik als solche das Rechtssubjekt im Sinne des Völkerrechts sei.57 Das Bundesverfassungsgericht sah darin zu Recht einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG, welches gebietet, dass auch die Auslegung des Europäischen Gerichtshof alle staatlichen Organe bindet.58 Außerdem sollen Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in die Abwägung der Verhältnismäßigkeitsprüfung miteinfließen.59 Im Ergebnis gibt es jedoch in diesem Konkurrenzverhältnis kein klares Unter- und Überordnungsverhältnis, wie es mit EU-Grundrechten der Fall ist.

4.2. Ausnahme bei geringerem Schutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention und der Verfassungsidentität

Der Grundsatz der EMRK-freundlichen Auslegung hat laut dem Bundesverfassungsgericht ebenfalls Grenzen, wie es sie auch für die EU-Grundrechte gibt; das gilt insb. dann, wenn der Grundrechtsschutz durch das Grundgesetz bei einer solchen Auslegung beschränkt wird.60 Außerdem gilt konsequent parallel zum Konkurrenzverhältnis zwischen Grundgesetz und EU-Grundrechten erneut die absolute Grenze der Verfassungsidentität des Art. 79 Abs. 3 GG.61 Es findet daher keine „schematische Parallelisierung“62 zwischen beiden Regelungswerken statt.

4.3. Zwischenfazit

Im Ergebnis ist die Europäische Menschenrechtskonvention bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes von allen Staatsorganen zu beachten und deren Wertungen in Abwägungen der Verhältnismäßigkeit zu übertragen. Eine Grenze findet dieses Vorgehen jedoch dort, wo die Europäische Menschenrechtskonvention geringeren Schutz als das Grundgesetz bietet oder, wenn die Verfassungsidentität berührt wird.

5. Konkurrenz von EU-Grundrechten und Europäischer Menschenrechtskonvention

Der letzte Konkurrenzfall ist der zwischen EU-Grundrechten und der Europäischen Menschenrechtskonvention.

5.1. Europäische Menschenrechtskonvention als Rechtserkenntnisquelle und Mindeststandard

De lege lata gilt die Europäische Menschenrechtskonvention gem. Art. 52 Abs. 3 GRCh als Mindestschutzstandard zur EU-Grundrechtecharta, der stets bei der Prüfung der EU-Grundrechte beachtet werden muss.63 Die Charta kann jedoch auch weiterführenden Schutz bieten.64 Außerdem berücksichtigt die EU-Grundrechtecharta die Rechte aus der Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte laut ihrer Präambel. Letztere ist also eine Rechtserkenntnisquelle der Charta,65 der allerdings eine erhöhte Bedeutung zukommt, da sie zugleich eben einen Mindeststandard bildet.66 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt die Relevanz eines gleichwertigen Schutzniveaus zwischen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta; er urteilt daher, dass wenn ein solcher vergleichbarer (nicht: zwingend identischer) Schutz besteht, die Vermutung gilt, dass Mitgliedsstaaten, die europarechtliche Verpflichtungen erfüllen, auch grundsätzlich die Rechte der Konvention achten.67 Die Vermutung kann nur widerlegt werden, wenn der Schutz der Konventionsrechte „offensichtlich unzureichend“68 ist – der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zieht sich also zum Gelingen der Zusammenarbeit mit EU-Institutionen und anderen internationalen Einrichtungen mit seiner sog. „Bosphorus-Vermutung“69 weit zurück.70

5.2. Europäische Menschenrechtskonvention als baldige Rechtsquelle und Prüfungsmaßstab?

In Art. 6 Abs. 2 S. 1 EUV ist festgeschrieben, dass die Europäische Union (als solche) der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten wird. Dieser Fall ist jedoch noch nicht eingetreten – die Verhandlungen dauern seit 2010 an.71 Der Europäische Gerichtshof lehnte jedoch in einem Gutachten diesen Beitritt ab,72 da dieser sowohl die Eigenständigkeit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als auch die Einheitlichkeit der Rechtsauslegung beeinträchtigen kann;73 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wäre schließlich ein weiteres Gericht in Europa, das losgelöst vom Rahmen der Europäischen Union potenzielle Menschenrechtsverstöße extern überprüft.74 Ob diese Probleme beseitigt werden, ggf. EU-intern geregelt werden,75 oder ob eine Einigung in den Verhandlungen erzielt wird, bleibt abzuwarten.

Falls der Beitritt demnächst erfolgt, wären alle Unionsorgane gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV unmittelbar an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden und müssten ihr Verhalten anhand der Konvention prüfen, sodass diese sich von der Rechtserkenntnisquelle zur Rechtsquelle wandeln würde.76

5.3. Zwischenfazit

Es lässt sich festhalten, dass die Europäische Menschenrechtskonvention bis dato der Mindeststandard der EU-Grundrechte und deren Rechtserkenntnisquelle ist. Das kann sich jedoch ändern, wenn die Europäische Union der Konvention beitritt, wodurch diese zur Rechtsquelle werden würde.

6. Fazit und Ausblick

Im Ergebnis gestalten sich Hierarchie und Konkurrenz im europäischen Grundrechtsgeflecht wie folgt. Vorrang haben grundsätzlich die EU-Grundrechte – es sei denn, die deutsche Verfassungsidentität ist berührt oder das Schutzniveau auf EU-Ebene bricht generell ein. Das Bundesverfassungsgericht bemüht sich dabei um eine Kooperation zum Schutze der EU-Grundrechte und wendet diese in Verfassungsbeschwerden anhand der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs an, wenn eine Rechtsschutzlücke am Europäischen Gerichtshof besteht. Die Europäische Menschenrechtskonvention beansprucht dagegen keinen bestimmten Rang, sondern nimmt Einfluss auf die bereits bestehenden Grundrechtsquellen, indem sie die Auslegung der deutschen Grundrechte und deren Verhältnismäßigkeitsprüfung lenkt. Erneut gilt hier die Ausnahme der Verfassungsidentität und die Ausnahme, dass das Schutzniveau des Grundgesetzes nicht beschränkt werden darf. Zugleich ist die Europäische Menschenrechtskonvention der Mindeststandard und eine Rechtserkenntnisquelle für EU-Grundrechte. Es bleibt abzuwarten, ob sich durch Verhandlungen ein Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt und diese zu einer Rechtsquelle gewandelt wird, wodurch sie dann unmittelbare Bindungswirkung auf EU-Organe entfalten kann.

Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Siehe Fußnoten.