Schadensersatz nach §§ 280 ff. BGB – Welche Anspruchsgrundlage ist richtig?

Die Frage nach der richtigen Anspruchsgrundlage für Schadensersatz bei den §§ 280 ff. BGB ist essenziell, da sich die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der verschiedenen Ansprüche deutlich unterscheiden. Allerdings bereitet die Wahl der korrekten Anspruchsgrundlage immer wieder Schwierigkeiten, womit dieser Beitrag weiterhelfen soll. Dabei wird mehr auf die Grundlagen des hierfür erfolgreichen Vorgehens eingegangen als auf Einzelheiten der Anspruchsvoraussetzungen und etwaige Ausnahmen von den hier dargestellten Grundsätzen. Im Wesentlichen sind es „auch nur“ drei Gedankenschritte, die zum richtigen Ergebnis führen. In Klausuren muss die Wahl der Anspruchsgrundlage grundsätzlich nicht begründet werden, sondern lediglich fehlerlos geschehen. Die folgenden Überlegungen geschehen also grundsätzlich auch nur im Kopf.

1. Schritt 1: Welche Pflichtverletzung liegt vor?

Zuerst muss man sich fragen, welche Art der Pflichtverletzung vorliegt. Am einfachsten gelingt die Lösung des Problems um die richtige Anspruchsgrundlage, wenn man die Pflichtverletzungen in vier Gruppen unterteilt: Unmöglichkeit, Nichtleistung, Schlechtleistung und Rücksichtslosigkeit.1 Ob eine Pflichtverletzung vorliegt, bestimmt sich nur objektiv und ist losgelöst von der späteren Frage, ob der Schadensersatzschuldner diese auch zu vertreten hat.2

1.1. Unmöglichkeit

Unmöglichkeit meint die dauerhafte Nichterbringbarkeit eines geschuldeten Leistungserfolgs – entweder nur für den Schuldner oder sogar für alle erdenklichen Personen, § 275 Abs. 1 Alt. 1 bzw. 2 BGB.3 Man unterscheidet zwischen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit, wobei bei anfänglicher Unmöglichkeit diese bereits vor Vertragsschluss vorliegt und bei nachträglicher erst nach Vertragsschluss, § 311a Abs. 1 BGB. Neben der Unmöglichkeit gibt es auch noch die Fälle von § 275 Abs. 2, 3 BGB, welche jedoch seltener vorkommen, aber genauso wie Unmöglichkeit zu behandeln sind, wenn es um die Wahl der richtigen Anspruchsgrundlage geht.4 Fälle der Unmöglichkeit sind dabei letztlich die einfachsten, da nur zwei Normen für die Schadensersatzansprüche in Frage kommen: Bei nachträglicher Unmöglichkeit die §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB und bei anfänglicher der § 311a Abs. 2 S. 1 BGB.5 Das hat den Hintergrund, dass bei Unmöglichkeit der zweite Gedankenschritt (dazu später) wegfällt. Man muss sich bei Unmöglichkeit eben nicht fragen, ob der Schadensersatz anstelle der Leistung tritt oder neben die Leistung. Die „Leistung“ ist ja eben unmöglich. Der Schadensersatzanspruch kann nur anstelle der Leistung treten. Stellt man sich die Frage nach der richtigen Anspruchsgrundlage für Schadensersatz bei den §§ 280 ff. BGB, ist es daher am sinnvollsten, erst zu überlegen, ob Unmöglichkeit vorliegt, da mit dieser Feststellung alleine die Frage schon beantwortet sein kann.

1.2. Nichtleistung

Nichtleistung meint schlicht, dass ein geschuldeter Leistungserfolg nicht bei Fälligkeit erbracht wurde, also nicht rechtzeitig oder auch überhaupt nicht mehr erbracht wird und ausbleibt.6 Eingebürgert hat sich hierfür auch der inhaltlich identische Begriff der „Verzögerung“, nicht zu verwechseln mit einem Verzug i. S. d. § 286 BGB.7 Eine Unmöglichkeit ist dabei keine Form der Nichtleistung im Sinne dieser Erklärung, sondern sinnvollerweise immer als gesondertes spezielleres Instrument zu betrachten.8

1.3. Schlechtleistung

Schlechtleistung ist das Erbringen der Leistung in einer Qualität, die nicht der Vereinbarung entspricht.9 Es liegt dann also eine mangelhafte Leistung vor.10 An einigen Stellen im Gesetz, insb. im Kauf- und Werkrecht, die §§ 434, 435 bzw. § 633 BGB, ist der Mangelbegriff besonders definiert.11

1.4. Rücksichtslosigkeit

Schließlich beschreibt Rücksichtslosigkeit einen Verstoß gegen das Gebot des § 241 Abs. 2 BGB, wonach jeder Teil eines Schuldverhältnisses Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils nehmen muss.12

2. Schritt 2: Handelt es sich um Schadensersatz statt oder neben der Leistung?

Hat man die Art der Pflichtverletzung bestimmt und ist zu dem Entschluss gekommen, dass Unmöglichkeit vorliegt, steht die entsprechende Anspruchsgrundlage auch ohne diesen zweiten Gedankenschritt fest. Andernfalls ist jedoch eine zweite Überlegung notwendig: Handelt es sich um Schadensersatz statt oder um Schadensersatz neben der Leistung? Wie die Namen es schon vermuten lassen, erhält der Schadensersatzgläubiger beim Schadensersatz statt der Leistung nur noch den Schadensersatz und nicht mehr die Leistung; dagegen erhält er beim Schadensersatz neben der Leistung sowohl Leistung als auch Schadensersatz.13

Ob Schadensersatz statt der Leistung vorliegt, bestimmt sich mit einem Gedankenexperiment namens „Zauberformel“: Wenn der Schuldner einer Leistung im Zeitpunkt, in dem der Gläubiger die Leistung fordert, diese rein hypothetisch14 ordnungsgemäß erbringen würde und dadurch der Eintritt des Schadens verhindert wäre, handelt es sich um Schadensersatz statt der Leistung.15 Wird der Schadenseintritt nicht verhindert, liegt im Umkehrschluss ein Fall von Schadensersatz neben der Leistung vor.

3. Schritt 3: Finale Auswahl der Anspruchsgrundlage

Die Wahl der richtigen Anspruchsgrundlage ist nun bereits möglich. An erster Stelle steht in allen Varianten – mit Ausnahme des Anspruchs auf Schadensersatz wegen anfänglicher Unmöglichkeit aus § 311a Abs. 2 S. 1 BGB allein – nun immer die Norm des § 280 Abs. 1 BGB.16 Für die Fälle des Schadensersatzes statt der Leistung muss stets der § 280 Abs. 3 BGB mit zitiert werden.

Bei Unmöglichkeit gibt es nur die Möglichkeit von Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB (für nachträgliche Unmöglichkeit) bzw. § 311a Abs. 2 S. 1 BGB (für anfängliche Unmöglichkeit).

Bei Nichtleistung für Schadensersatz statt der Leistung gelten die §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 Alt. 1 BGB.17 Im Fall von Nichtleistung bei Schadensersatz neben der Leistung die §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB (Verzug).18

Bei Schlechtleistung sind für Schadensersatz statt der Leistung die §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 Alt. 2 BGB maßgeblich.19 Für einen Schadensersatz neben der Leistung bei Schlechtleistung gilt der § 280 Abs. 1 BGB allein als die maßgebliche Anspruchsgrundlage.20

Bei Rücksichtslosigkeit richtet sich der Schadensersatz neben der Leistung nach den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB und der Schadensersatz statt der Leistung nach den §§ 280 Abs. 1, 3, 282 BGB.21
Am einfachsten lässt sich dieses System abschließend anhand einer Matrix veranschaulichen:

Unmöglichkeit Nichtleistung Schlechtleistung Rücksichtslosigkeit
Statt der Leistung §§ 280 Abs. 1, 3, 283 / § 311a Abs. 2 S. 1 §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 Alt. 1 §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 Alt. 2 §§ 280 Abs. 1, 3, 282
Neben der Leistung Nicht denkbar §§ 280 Abs. 1, 2, 286 § 280 Abs. 1 §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2
  • 1. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 22 Rn. 3, 9, 19, 21; diese Einteilung ist nicht unumstritten, siehe nur Ernst, in: MüKo BGB, 9. Auflage 2022, § 280 Rn. 13.
  • 2. BT-Drs. 14/6040, S. 92; Riehm, in: BeckOGK BGB, Stand 01.08.2023, § 280 Rn. 100.
  • 3. Schulze, in: Schulze u.a., BGB. Kommentar, 12. Auflage 2024, § 275 Rn. 2.
  • 4. § 283 S. 1 BGB spricht ausdrücklich von § 275 Abs. 1 bis 3 BGB, ebenso wie § 311a Abs. 1 BGB.
  • 5. vgl. nur Ernst, in: MüKo BGB, 9. Auflage 2022, § 311a Rn. 4.
  • 6. Riehm, in: BeckOGK BGB, Stand 01.08.2023, § 280 Rn. 101; Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 22 Rn. 3.
  • 7. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2024, § 22 Rn. 3.
  • 8. Andere Ansicht Riehm, in: BeckOGK BGB, Stand 01.08.2023, § 280 Rn. 101; die hier gewählte Sichtweise dient schlicht der Vereinfachung der Findung der richtigen Anspruchsgrundlage.
  • 9. Riehm, in: BeckOGK BGB, Stand 01.08.2023, § 280 Rn. 114.
  • 10. Ernst, in: MüKo BGB, 9. Auflage 2022, § 280 Rn. 13.
  • 11. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 48. Auflage 2024, § 24 Rn. 5.
  • 12. Riehm, in: BeckOGK BGB, Stand 01.08.2023, § 280 Rn. 168.
  • 13. Stadler, in: Jauernig, BGB. Kommentar, 19. Auflage 2023, § 280 Rn. 56.
  • 14. Ob die Leistungserbringung in einem konkreten Fall unmöglich ist, ist für das Gedankenexperiment egal – es geht um eine rein hypothetische Überlegung, in welcher man eine theoretische ordnungsgemäße Leistungserbringung unterstellen muss.
  • 15. Ernst, in: MüKo BGB, 9. Auflage 2022, § 280 Rn. 75.
  • 16. Schulze, in: Schulze u.a., BGB. Kommentar, 12. Auflage 2024, § 280 Rn. 1.
  • 17. vgl. Stadler, in: Jauernig, BGB. Kommentar, 19. Auflage 2023, § 280 Rn. 58.
  • 18. Stadler, in: Jauernig, BGB. Kommentar, 19. Auflage 2023, § 280 Rn. 49.
  • 19. Der § 281 Abs. 1 S. 1 BGB spricht von Nichtleistung und von Schlechtleistung („nicht wie geschuldet“ hierzu Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 48. Auflage 2024, § 24 Rn. 2), weshalb die beiden Fälle im Schadensersatz statt der Leistung gleichlaufen.
  • 20. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil 22. Auflage 2024, § 25 Rn. 8; vgl. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 48. Auflage 2024, § 24 Rn. 22.
  • 21. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 48. Auflage 2024, § 25 Rn. 1.
Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Siehe Fußnoten.