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Rechtshistorische Quellen für die Berufsethik

Rechtsanwälte1, Staatsanwälte und Richter unterliegen besonderen ethischen Regeln, die für die Rechtsanwälte in ihrem jeweiligen Berufsrecht normiert sind. Sie beruhen auf tiefen rechtshistorischen Wurzeln, von denen einige hier vorgestellt werden.

»Der ›Kern des Ethos‹ der Juristen2 zeigt sich – über die erforderlichen handwerklichen Kenntnisse und Fähigkeiten hinaus – in einer spezifischen Ausrichtung ihrer Arbeit an und mit dem gegebenen Recht, der Suche nach dem, was hier und jetzt konkret Recht ist.
Diese Ausrichtung zielt zunächst auf das jus suum cuique tribuere und den Parteilichkeit abwehrenden Grundsatz audiatur et altera pars; ferner auf das klare Erfassen nicht nur des jeweiligen Sachverhalts und seiner Probleme, sondern auch der sozialen Wirklichkeit in ihrer Gestalt und Veränderung, die das Recht ja ordnen will; schließlich auf die so wichtige Reziprozität, die Gegenseitigkeit des Rechts sowie den Sinn für die befriedigende Kraft geordneter Verfahren, die jedweden unmittelbaren Zugriff abwehren«.3

Wichtig ist in jedem Fall, dass der Richter mit keiner der Parteien (oder Parteivertreter) irgendwelche Interessen teilt, nicht bestechlich ist und weiß, dass er über den Fall entscheiden muss. Diesen Kriterien können Richter4 nur dann in geeigneter Weise handhaben, wenn sie nicht nur neutral – also an einem konkreten Konflikt nicht beteiligt – sind, sondern auch über charakterliche Eigenschaften wie Weisheit, Tapferkeit, Mäßigung verfügen, durch die die »dikaiosyne« in einen ausgewogenen Ausgleich5 gebracht werden kann, so wie es die Inschrift am Apollotempel von Delphi sagt: Nichts allzu sehr! (meden agan!)6

Für Anwälte ist die Beachtung gesetzlicher und ethischer Regeln weit schwerer als für Richter. Was die Mandanten im Grunde wollen ist nicht Rechtsrat, sie interessieren sich in keiner Weise für die Inhalte des Rechts, weil es ihre Handlungsalternativen beschränkt, sie wollen nur seine Grenzen kennen, um sie – wenn möglich – zu biegen oder zu brechen. Dieses Problem hat schon Plato erkannt7:

»So kommt es, dass die Anwälte durch all das zwar scharfsinnig und witzig werden und sich ausgezeichnet darauf verstehen, ihren Mandanten mit Worten zu schmeicheln und mit der Tat zu dienen; aber ihr Charakter wird dadurch klein und verbogen. Denn ihre Abhängigkeit von Anfang an hat ihnen das Wachstum und die Fähigkeit genommen, geradeaus zu sein. Sie müssen krumme Sachen machen und ihre anfangs naive Seele wird in große Gefahren und Schwierigkeiten verwickelt, die sie ohne Verletzung von Gerechtigkeit und Wahrheit nicht durchhalten können. So werden sie zur Lüge und dazu veranlasst, sich gegenseitig Unrecht zu tun und charakterlich völlig verkrüppelt, auch wenn sie sich nach vielen Jahren der Erfahrung für mächtige Durchblicker halten.«

Um die Rechtsanwälte vor solchen Gefahren zu schützen, hat Johann von Buch (ca. 1290 bis ca. 1356) ein brandenburgischer Jurist, den ersten Kommentar zum Sachsenspiegel erstellt (entstanden zwischen 1220 und 1230). Den Vorsprecher (Vorspreke) – also den Anwalt – nannte er »Ritter der Gerichte« und stellte 13 Regeln für das Verhalten von Mandanten und Anwälten auf, die man bis heute ohne Veränderung übernehmen kann8:

»1. Erstens, dass er sich anständig verhalte.
2. Zweitens, dass er nur sprechen soll, wenn der Richter ihn fragt, und dann möglichst kurz antworten. Und sei selbst so weise, dass du dich oft besprichst und handle nach dem Rat, dann ist es nicht deine Schuld, wenn der Prozess verloren geht.
3. Drittens, höre den Rat aller anderen, bevor du deinen gibst.
4. Viertens, hängt die Sache von Zeugenaussagen ab, so frage deine Partei, ob sie sich ihrer Aussage sicher sei.
5. Fünftens, mache deiner Partei lieber zu wenig Hoffnungen als zu viel. Wenn sie dann gewinnt, wird sie es dir umso mehr danken.
6. Sechstens, Hüte dich vor Zorn und davor, den Gegner zu erzürnen. Denn Zorn vernebelt den Verstand.
7. Siebtens, Hüte dich vor Gezänk, denn dein Sieg hängt ab von redlichen, nicht von schmähenden Worten
8. Achtens, hüte dich davor, den Richter zu erzürnen, denn es ist schwer, einen Prozess zu führen vor einem Richter, der dir nicht gewogen ist.
9. Neuntens, sei weise und höre nach Möglichkeit immer die Auffassung deines Gegners, bevor du dich äußerst. Denn auf diese Weise kannst du feststellen, wo er hin will, und daraus kannst du etwas entnehmen, das dir zugute kommt.
10. Zehntens, vertritt lieber einen Beklagten als einen Kläger, denn es ist einfacher, einem Mann zu helfen, der sich befreien will, als einem, der einen anderen belasten will.
11. Elftens, wenn du eine rechtmäßige Position vertritt, so gewinnst du. Wenn du eine ungerechte Position vertritt, so verlierst du in den allermeisten Fällen. Denn so gut man das Recht auch beherrscht, niemand kann sich erfolgreich mit Unrecht gegen das Recht wehren.
12. Zwölftens, sei weise und sprich bescheiden, langsam und laut genug, denn es ist wichtig, dass man dich gut versteht.
13. Dreizehntens., Wenn du Fürsprecher des Beklagten bist, achte darauf, dass du immer der Position bleibst, den Beweis führen zu dürfen; solange das so ist, kannst du nicht verlieren.«

Heute hat sich die Funktion der Rechtsanwälte in modernen Rechtsstaaten erheblich geändert. Sie haben – ebenso wie Ihre Mandanten – mehr Rechte als früher, aber nach wie vor ist ihre Tätigkeit an besondere berufsrechtliche Regelungen gebunden, die sie akzeptieren müssen, wenn sie den besonderen Schutz (Recht der Verschwiegenheit) genießen wollen, den der Rechtsstaat ihnen gibt. Auf diesem Hintergrund kann man drei Stile unterscheiden, die man als Anwalt in der jeweiligen prozessualen Situation einsetzen kann:

  1. Der Anwalt, der dem Mandanten mit seinen Erfahrungen dient, damit er nicht im Dschungel des Rechtssystems verloren geht. Das ist wohl in den meisten Fällen die richtige Haltung, die selten genug von den Mandanten oder den anderen Beteiligten anerkannt wird. Hier treffen wir auf »prozessuale Stürme und … die Windstille der Absprachen.«
  2. Der Anwalt, der das rechtliche Skalpell handhabt – dieser Stil ist zu empfehlen, wenn nicht die Tatsachen, sondern die Rechtsprobleme, die der Fall aufwirft, im Zentrum stehen.
  3. Der Anwalt, der mit seiner eigenen Glaubwürdigkeit hinter dem Mandanten steht – das ist notwendig, wenn der Anwalt nach Sachlage von der Unschuld seines Mandanten überzeugt ist, wenn also seine Funktion als »Fürsprecher« im Zentrum steht.9
  • 1. Im Deutschen Anwaltverein (DAV) gibt es neben dem berufsrechtlichen Ausschuss zusätzlich den »Ausschuss Anwaltsethik und Anwaltskultur«, in dem diese Fragen intensiv diskutiert werden. https://anwaltverein.de/interessenvertretung/ausschuesse-im-dav/ausschus.... Auch das Anwaltsblatt veröffentlicht hierzu.
  • 2. Mit Juristen sind hier nicht nur die Richter gemeint, sondern Staatsanwälte, Rechtsanwälte und andere Personen, die an einem Verfahren mitwirken, auch wenn sie das Verfahren nur aus der Sicht einer einzigen Partei betrachten müssen. Auch in diesem Fall müssen sie z. B. die Verfahrensregeln einhalten, die andere Seite hören, dürfen den Sachverhalt nicht verfälschen und müssen Rücksicht auf die soziale Wirklichkeit nehmen etc.
  • 3. Ernst Wolfgang Böckenförde: Vom Ethos der Juristen, Duncker & Humblodt 2010, S. 34.
  • 4. Zu den »Säulen richterlichen Handelns« Schleswig-Holsteiner Ethik-Runde, SchlHA Sonderheft Februar 2012, S. 14 ff.
  • 5. Platon: Politeia 427 d – 434 d.
  • 6. ähnlich später: Blaise Pascal: »Die Mitte verlassen heißt die Menschlichkeit verlassen«.
  • 7. Plato, Theaitetos in: Werke in 8 Bänden Griechisch und Deutsch (Friedrich Schleiermacher), 6. Band, Seite 97 (172c) Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1970.) Übersetzung durch den Autor; Schleiermacher übersetzt wortgetreu: „Wie gewaltig und weise sie auch geworden zu sein glauben“.
  • 8. cit.n. Bernd Kannowski: Die Ritter der Gerichte an der Schwelle von mündlicher zu schriftlicher Rechtskultur in: Anwälte und ihre Geschichte, Mohr Siebeck 2011, Seite 15, in der Übersetzung leicht verändert.
  • 9. Anwaltsblatt-Datenbank - Salditt, Franz | Aufsatz | Die Moral der Strafverteidigung | AnwBl 2009, 805-811.