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Künstliche Intelligenz: Die Gehirne von Juristen sind keine feuchten Computer

Die Diskussion über die Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz in der Welt des Rechts wird immer dichter und kontroverser: Die einen sprechen davon, dass wir sehr bald keine Juristen mehr benötigen, die anderen unterschätzen die Mächtigkeit dieser Werkzeuge und ihre Bedeutung für die tägliche Arbeit.

 Die Gehirne von Juristen sind keine feuchten Computer

Ich habe vor einiger Zeit eine grundsätzliche Arbeit zu dieser Frage vorgelegt (Künstliche Intelligenz im Verfahren der Rechtsgewinnung, RPhZ (Zeitschrift für die Grundlagen des Rechts) IV/2023) und Anfang 2025 hier aktualisiert.

Erst jetzt bin ich auf eine naturwissenschaftliche Arbeit gestoßen, die meine damaligen Überlegungen stützt. Sie ist für Juristen zwar nicht leicht verständlich, man kann aber ihre Grundgedanken nachvollziehen. Christof Koch – Neurologe, Meritorious Investigator am Allen Institute in Seattle und Chief Scientist of the Tiny Blue Dot Foundation in Santa Monica – hat 2020 bei Springer Berlin ein Buch veröffentlicht, in dem die Unterschiede zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz verständlich dargestellt werden: »Bewusstsein – warum es weit verbreitet ist, aber nicht digitalisiert werden kann«. Das Buch zeigt in den Kapiteln 12 ff., dass »tiefe faltende Netzwerke«, wie wir sie etwa bei ChatGPT kennen, so trainiert werden können, dass sie die Leistung des menschlichen Gehirns – ja sogar der Gefühle – nachahmen können: Sie können mithilfe der Datenverarbeitung viele menschliche Reaktionen spiegelbildlich darstellen. Das Gehirn hingegen ist nicht nur eine Datenverarbeitungsmaschine, sondern darüber hinaus in der Lage, sich selbst bei der Verarbeitung der Informationen zu betrachten, zu analysieren, sie zu verwerfen, oder gar zu zerstören. Es sei eine fehlerhafte Metapher, das menschliche Gehirn nur als »feuchten Computer« zu betrachten: zwar sei noch unklar, wie diese Fähigkeiten (Bewusstsein) und die »intrinsische kausale Motivation« eines Menschen entstünden, aber beweisbar, dass technische Geräte sie nicht erreichen könnten. Diesen Überlegungen liegt die Integrated Information Theory (IIT) zugrunde, die nicht unbestritten, aber derzeit nicht widerlegt ist (Scott Aaronson – falls Sie das Glück haben, seine Ausführungen zu verstehen). Vorerst können wir jedenfalls mit Christof Kochs Thesen arbeiten.

Für unsere juristische Arbeit haben diese Forschungen eine grundsätzliche Bedeutung. Im Verfahren der Rechtsgewinnung erhalten wir zahllose Informationen über den Fall und die relevanten und irrelevanten Normen. Wir reagieren in jeder Phase des Verfahrens anders auf sie und auf die Menschen, die sie uns vermitteln: Einer sympathischen Anwältin hören wir lieber zu als jemandem, der querulatorisch auftritt. Jede Information ist mit direkten und indirekten Wirkungen (Rückkopplungen/re-entrys) verbunden, von denen nur wenige direkt ins Bewusstsein gelangen. Wir bilden zahllose Vorteile aus, die später oft nur schwer korrigiert werden können, weil die »richtige Lösung« unseren Gefühlen widerspricht. Jeder beantwortet die Frage nach der Gerechtigkeit aus seiner eigenen individuellen Perspektive: Welche Lösung ist gleichzeitig gleich, fair und ausgewogen? Die Beschäftigung mit dieser Frage wirkt verändernd auf jeden Juristen ein, der sich mit dem Fall beschäftigt und jeder von uns hat schon die Erfahrung gemacht, dass er seine Meinung im Laufe eines Verfahrens mehrfach ändert, weil wir uns der Probleme immer in einem neuen Licht bewusstwerden, sobald wir neue Informationen erhalten. Auf das Unterbewusstsein haben wir keinen Zugriff, obwohl es unsere Entscheidungen beeinflusst. Oft stellen wir uns die Frage: Was würde ich anstelle eines der Beteiligten getan haben? Solche Fragen können Computer sich nicht stellen. Sie werden die Juristen nicht ersetzen können. Aber sie werden uns als Werkzeuge dienen.

Naturwissenschaftler sind seit Jahrhunderten mit der Erfahrung vertraut, dass ihre Werkzeuge (Mikroskope, Fernrohre, Teilchenbeschleuniger usw.) ihre eigenen sinnlichen Fähigkeiten bei weitem übertreffen. Für Juristen ist das eine neue Erfahrung. Die Künstliche Intelligenz stellt in der Welt des Rechts für uns ganz ungewohnte Werkzeuge zur Verfügung, mit denen wir erst lernen müssen, richtig umzugehen.

Literaturverzeichnis