Donald Trump: Narr, König und Joker
Donald Trump ist schon seit vielen Jahrzehnten öffentlich aufgetreten und bei jedem dieser Auftritte hat er uns wissen lassen, wie er die Welt sieht und wenn andere das für erfunden, wenn nicht sogar für gelogen hielten, hat er sie lächerlich gemacht. Woraufhin die anderen ihn für einen Narren erklärt haben. Was ihn über Jahrzehnte nicht daran gehindert hat, seine Einsichten für die überlegene Wahrheit zu erklären. Da steht er in einer interessanten Tradition – der des Hofnarren.
Joker und Narr, Bild: Wikimedia, Actorface, Luca Volpi from Milan, Italy, Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0.
Die Ursprünge dieser Institution liegen bereits in der griechischen und römischen Antike, dürften aber noch in weit frühere Zeiten vor der Entwicklung der Schrift zurückreichen. Erste Beschreibungen finden sich in Xenophons Satire Symposion: Dort gehört der Komödiant, der die Gäste nachahmt, ihnen ständig widerspricht oder sie belustigt, zum Programm eines gelungenen Abends.1 Philipp von Makedonien, der Vater Alexanders des Großen unterhielt eine „Gesellschaft der Sechziger“, deren Aufgabe es war, provozierende Sprüche zu verfertigen. Daher entstand „das Sprüchwort, wenn einer etwas Lächerliches gesagt hatte: Dieses haben die Sechziger gesagt.“ Lukian berichtet Szenen mit dem Spaßmacher Satyrion, „einem hässlichen Kerl mit einem geschorenen Kopfe und noch einigen wenigen übrig gebliebenen Haaren“2. Im Dialog Der in die Enge getriebene Zeus schildert er eine Diskussion zwischen Zeus und Kyniskos, der dem Gott ständig widerspricht.3 Unter dem römischen Kaiser Augustus finden wir den Dichter Horaz am Tisch sowohl des Kaisers wie des Maecenas, wo es zu seinen Pflichten gehört, die hohen Herren zu unterhalten. Er gehörte allerdings zu den „geehrten Parasiten“, die sich durch intellektuelle Brillianz und nicht durch platte Komik auszeichneten.4 Im Tarotspiel, dessen älteste Wurzeln vermutlich aus dem ägyptischen Kulturkreis stammen, gehört der Narr zu den zweiundzwanzig zentralen Figuren, die das menschliche Leben bestimmen5 – er ist unverzichtbar. Wir brauchen ihn für unser seelisches Überleben, eine Figur, die über uns lacht und über die wir uns amüsieren, weil wir den Ernst des Lebens sonst nicht ertragen könnten. Diese instinktive Einsicht liegt schon den frühesten kulturellen Anfängen der Institution des Hofnarren zugrunde. Der Narr soll den Mächtigen die Wahrheit sagen, zu der sie recht bald keinen Zugang mehr finden, wenn sie sich in ihren Blasen nur mit Jasagern umgeben – eine unvermeidliche Entwicklung: Wer in seinem Amt die Verpflichtung sieht, die Ordnung, die ihm vor Augen schwebte, in die Wirklichkeit umzusetzen, hat genug damit zu tun, sich gegen den Widerspruch der politischen Gegner wirksam zur Wehr zu setzen. Es muss also jemand da sein, dessen Pflicht es ist, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass sein Zugang zur Wirklichkeit lückenhaft oder falsch ist.
Um den Mächtigen die Wahrheit sagen zu können, muss der Narr – geschützt von der Narrenfreiheit – die Brücke zwischen den Perspektiven der Mächtigen und jenen schlagen, die seine Gegner (oder die Wirklichkeit) für richtig halten. Er muss eine Metaebene betreten, er darf nicht Partei für die eine oder andere Seite ergreifen. Um eine – stets gespielte – Augenhöhe mit allen anderen zu erreichen, muss er sich vor allem über sich selbst lustig machen können; ein guter Narr muss den König und die anderen gleichzeitig spiegeln und spielen (Shakespeare hat dieses Zusammenspiel im King Lear dargestellt). Das ist ein hohes Risiko, für das mancher Narr mit dem Leben hat bezahlen müssen. Um diese Risiken drückt sich der US-Präsident, er hat niemand die Wahrheit gesagt, sondern meistens nur fake news geboten: Die USA haben die Ukraine nicht mit 350 Milliarden € unterstützt, sondern nur mit 114 Milliarden €, die Europäische Union hingegen mit 132 Milliarden €.6 Und: Die Ukraine hat nicht Russland angegriffen, es war umgekehrt! Und wenn irgendjemand Russland zuvor provoziert hat, dann waren es die USA mit ihrer Einkreisungspolitik.
So ist ihm der Sprung vom Narren auf den Thron des Königs gelungen. In revolutionären Zeiten kommt es hin und wieder vor, dass Personen, die sich offen und unter hohen Risiken gegen die Macht gestellt haben, selbst politische Ämter übernehmen. Manchmal handelt es sich um heilige Narren (Erich Mühsam), die die Macht zwar ärgern, aber nicht beherrschen können. Donald Trump verdankt seine Ämter nicht einem Staatsstreich, wohl aber einer sich über Jahre hinziehenden Systemkrise, die sich aus der Unfähigkeit der etablierten Parteien entwickelt hat, die Sorgen ihrer Wähler wirklich ernst zu nehmen und sich nicht nur mit sich selbst und ihren Machtspielen zu beschäftigen. Der Sturm seiner Anhänger auf das Weiße Haus deutet diesen inneren Zusammenbruch der Parteienlandschaft an, der sich dann in der Wahl 2024 realisierte.
Noch nie hat ein Politiker den Weg zur Macht über die Rolle eines Narren gefunden, der sich frei von jeder Selbstironie genau mit diesen Eigenschaften zur Wahl stellt. Das Volk braucht keine Hofnarren, weil es selbst Narren genug hat, aber dass ein Politiker seine eigene subjektive Wahrheit verkündet, ohne auf die Partei, die Fraktion oder andere Politiker Rücksicht zu nehmen, hat die Leute fasziniert. Endlich mal jemand, der politisch unkorrekt das ausspricht, was man selbst nicht sagen darf, ohne Ärger zu bekommen! Es war und ist der zentrale Fehler der Republikaner wie der Demokraten, den Menschen nicht genau genug zuzuhören, die sie wählen. Jonathan Lethem schreibt7:
„Die Gegenwart, in der wir uns befinden, ist eben auch eine Fortschreibung der Vergangenheit. Und die Demokratische Partei war immer Teil eines ganzen politischen Systems. Da ging es um Macht und Geld. Die grossen Konzerne im Silicon Valley waren auf der Seite der Demokraten, bis sie zu Trump umgeschwenkt sind. Auch die Demokraten hatten ihr Pyramidenspiel. Sie waren die Privilegierten, und es gab auch damals viele Verlierer. Heute kann man aus den Demokraten nicht plötzlich eine Arbeiterpartei machen, wenn sie seit Jahrzehnten keine war. Dieses politische Lager hatte ein fast bösartiges Verständnis der amerikanischen Klassenstruktur. Man hat die Unterschiede zwischen den Bevölkerungsschichten geleugnet und sich nicht darum gekümmert. Den Leuten, die keine Gesundheitsversorgung haben und die auf der Strasse leben, kann man nicht sagen: Die Börsenkurse schauen gut aus, alles ok.“
Auch Donald Trump hört den Leuten nicht zu, er spiegelt nur, was sie sagen; er hat nichts mitzuteilen außer sich selbst. So wird er zum schlagenden war Beweis für Marshall McLuhans These: Das Medium ist die Botschaft! Trumps Sicht auf die politischen Zusammenhänge bewegt sich auf dem Niveau der meisten US-Amerikaner, die gar keine Chance haben, sich auf dem hohen Niveau Informationen zu verschaffen, wie dies die intellektuelle Elite, die ihn bekämpft, für selbstverständlich hält. Deshalb hat sie ihn für einen Idioten erklärt, aber da ihm der Überblick und die Selbstironie fehlt, hätte er es zum Hofnarren nicht bringen können – er hat nur dem Volk nach dem Mund geredet. Aber vermutlich verstehen die meisten Wähler auch international das politische Geschehen nur auf diesem, in „einfacher Sprache“ darstellbaren Niveau – und gehen gleichwohl zur Wahl (Idioten sind sie nicht)8. Im Unterschied zu anderen Politikern hat Donald Trump aus dieser Schwäche eine Stärke machen können: Er legt den Finger auf die Wunde der faulen politischen Kompromisse, die die etablierten Parteien in ihren internen Machtkämpfen ständig schließen, ohne sich darum zu scheren, welche Interessen die Menschen haben, die sie wählen.
Solange er merkt, dass jede seine Äußerungen zu einem Sturm in der medialen Landschaft führt, wird sich das nicht ändern. Die Leute behaupten zwar, er sei ein Narr, behandeln aber jede seine Voraussagen wie die eines gut informierten Politikers, der eine Strategie verfolgt, über die er nachgedacht hat und als realisierbar einschätzt. Donald Trumps Äußerungen fehlt diese Basis.
Viele hoffen, er könne das, was er sagt, nicht umsetzen, aber das hat man auch von Boris Johnson geglaubt, der die Diskussion über den Brexit mit lauter Lügen in seine Richtung gelenkt hat. Bis er dann Wirklichkeit wurde. Seit Donald Trump Präsident ist, bleibt es auch bei ihm nicht bei fake news und törichten Worten, er nimmt sich selbst die Freiheit willkürlicher Handlungen und verbietet seinen Gegnern bereits die Freiheit der Worte. Damit greift er nicht nur die demokratischen Institutionen an, wir sehen auch eine „Verwüstung der Rechtsordnung“ (Clemens Kochinke). Das Recht stützt zwar die Macht, aber es begrenzt sie auch. Diese Grenze bricht jetzt an vielen Stellen zusammen.
Donald Trump hat nur ein politisches Ziel: An der Spitze der Nation sichtbar zu sein und er entwickelt seinen Genuss daran, dass andere ihm folgen müssen, wenn sie die Opposition nicht bitter bezahlen sollen. Der Narr wird nicht dadurch zum König, dass er dessen Thron besetzt. Würde Trump einen Narren in seiner Umgebung ertragen, könnte er vielleicht die Macht, die er hat, verstehen lernen. Aber lieber ist er sein eigener Clown. Wie der Narr im Tarotspiel wandert er ständig am Abgrund, unbekümmert um die bellenden Hunde – die Karawane zieht weiter. Seine willkürlichen Aktionen machen ihn in jeder Hinsicht unberechenbar, aber genau deshalb kann ihm durch Zufall die Rolle des Jokers in die Hand fallen, der das Spiel entscheidet.
Wir können nur hoffen, dass die Gewaltenteilung noch so gut funktioniert, dass die Gerichte ihn in Schranken weisen können. Nur unter dem Schutz der Rechtsordnung können sich auch die demokratischen Institutionen wieder rekonstruieren und Republikaner und Demokraten vielleicht wieder die Fähigkeit entwickeln, den Menschen zuzuhören, die sie wählen.
- 1. Karl Friedrich Flögel: Geschichte der Hofnarren. David Siegert, Liegnitz und Leipzig 1789, S. 90 ff. (digitale-sammlungen.de [abgerufen am 24. März 2025] Vollständiges gut lesbares Digitalisat).
- 2. Karl Friedrich Flögel: Geschichte der Hofnarren. David Siegert, Liegnitz und Leipzig 1789, S. 92 ff.
- 3. Lukian von Samosata (ca. 120 – 180 n. Chr.): Vergnügliche Gespräche und burleske Szenen. Dietrich‘sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1985, S. 338 ff.
- 4. Karl Friedrich Flögel: Geschichte der Hofnarren. David Siegert, Liegnitz und Leipzig 1789, S. 122 ff.
- 5. Papus (Gerard Encausse), Tarot der Zigeuner (1911), Ansata-Verlag, Schwarzenburg Schweiz 1979, S. 156, 211.
- 6. https://www.ostheimer.at/vergleich-der-unterstuetzung-von-usa-und-eu-fue...
- 7. https://www.nzz.ch/feuilleton/der-amerikanische-schriftsteller-jonathan-...
- 8. Josef Joffe: „Erstaunlich genug: Zwei Drittel der Deutschen hätten Trump gewählt.“ https://www.nzz.ch/feuilleton/trump-wuetet-europa-duckt-sich-und-grosse-...