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Das Sinkflug-Modell – Die Kunst des Abschieds

Das Modell der freien Berufe bringt es mit sich, dass kein Anwalt allzu viele Gedanken darauf verschwendet, wann er nicht mehr beruflich tätig sein kann oder will. Für viele ist es selbstverständlich »in den Stiefeln zu sterben«, aber wenige realisieren, dass nur der Einzelanwalt die Freiheit hat, darüber zu entscheiden. Jede Sozietät braucht Strukturen, die dafür sorgen, dass die Führung der Sozietät rechtzeitig auf jüngere Partner übergeht und gleichzeitig der Goodwill (und der gute Wille) älterer Partner für die Sozietät gesichert wird.1

Quidquid agis prudenter agas et respice finem!2

1. Ausgangslage

In jeder Sozietät finden sich Altersschichtungen, die – abhängig von der Struktur und Entwicklung des Büros – unterschiedliche Formen annehmen können. (Über die Struktur der Anwaltsunternehmen in Deutschland: Vaagt/Zulauf: Der Kanzlei Markt in Deutschland, CH Beck 2017).

Bis etwa 1990 sind die meisten Sozietäten durch Neugründung entstanden: Ein junger Anwalt hat eine gewisse Zeit als Angestellter gearbeitet (wenn überhaupt) und sich dann selbstständig gemacht. Die Anwälte wurden damals auch berufsrechtlich nur als Einzelpersonen wahrgenommen. In den gängigen Registern waren keine Sozietätsnamen verzeichnet und es galt als problematisch, aus der Zusammenarbeit von Anwälten einen Wettbewerbsvorteil zu machen. Das war bis etwa 1960 auch in allen anderen europäischen Ländern der Fall, löste sich dann zuerst in Großbritannien unter dem amerikanischen Einfluss auf und griff auf weitere europäische Länder über. Am hartnäckigsten verteidigten die Franzosen das alte System. In Paris ist es zusammengebrochen, auf dem Land findet man es noch.

Dieses System hatte auch eine wirtschaftliche Logik, weil es aus der Perspektive der früheren Sozietäten relativ riskant war, jüngere Leute zu Partnern zu machen. Der Goodwill eines Anwalts bezog sich im Schwerpunkt auf seine Person. Man erwartete von einem Anwalt Durchsetzungskraft, aber keine Spezialisierung und jeder Anwalt arbeitete in allen Rechtsgebieten. Typisches Motto: »Ich bin auf die Rechtsprobleme spezialisiert, die meine Mandanten gerade haben«. Der typische Berliner Notar der sechziger Jahre war nicht nur im Immobilienrecht tätig, sondern (vormittags) gleichzeitig immer auch Strafverteidiger, ein »bread and butter«-Geschäft, das er nebenbei mitgenommen hat. Die Idee, einen Teil der Arbeit zu delegieren, liegt bei diesem System nicht nahe. Hinzu kommt: Solange ein Markt sich erkennbar nicht sehr dynamisch entwickelt, führt die Aufnahme neuer Partner automatisch dazu, dass die Entnahmen der Älteren sinken und das kann durch neues Geschäft nur schwer ausgeglichen werden. Weil Anwälte (auch heute noch) nur aus gesundheitlichen Gründen eine Altersgrenze akzeptieren, sind sie häufig »in den Stiefeln gestorben« und nur mit ein bisschen Glück konnte die Witwe, wenn sie schnell genug handelte, einen Nachfolger finden, der das Büro übernahm. Meist zerstreuten sich aber die Mandanten. In einigen Sozietäten fand man ein Pensionsmodell, das die jüngeren Partner verpflichtete, beim Ausscheiden eines älteren dessen Anteile an ihn (und meist seine Witwe) zu vergüten, durchweg in der Höhe der Pension eines Richters am Oberlandesgericht. Häufig war der Gegenwert für diese Leistungen nur noch in Bruchstücken vorhanden. In diesen Fällen lösten die jüngeren Partner das Problem durch rechtzeitigen Austritt und Neugründung eigener Büros. Heute sind solche Regelungen nicht mehr durchsetzbar3.

In Familienunternehmen, in denen die Söhne oder Neffen auf die Vätergeneration folgen, gab es Ausnahmen und einige wenige größere Sozietäten (Hengeler/Gleiss) haben schon früher die Ansätze einer strategischen Personalentwicklung gekannt. In den Familienunternehmen erhielten jüngere Rechtsanwälte ihre Anteile geschenkt, in anderen konnte ein junger Partner sich mit einem bestimmten Betrag »einkaufen« und erhielt beim Ausscheiden einen gleichwertigen Auszahlungsanspruch. (Dieses Modell ist heute noch bei einigen US-amerikanischen Firmen und in Deutschland bei Steuerberatern/Wirtschaftsprüfern verbreitet). In vielen Büros findet sich heute die Regelung, dass beim Eintritt ebenso wenig bezahlt wird, wie beim Austritt (naked in, naked out). Es ist – neben anderen Details – nur dann rechtswirksam, wenn der ausscheidende Anwalt auch seine Mandate ohne Wettbewerbsbeschränkungen mitnehmen darf und seinen Anteil am Sachvermögen und den Rücklagen erhält.

Verschiedene historische Ereignisse (Wiedervereinigung Deutschlands/Globalisierung) und verfassungsrechtlich notwendige Eingriffe in das Berufsrecht haben dieses Bild in den letzten 25 Jahren stark verändert. Anwälte sahen sich plötzlich im Zentrum dynamisch entwickelnder Märkte, konnten jüngere Anwälte auslasten und an der Differenz zwischen Honoraren und Kosten der jungen Leute profitieren. Das lag in erster Linie am Zwang des Marktes, sich zu spezialisieren. Auch heute noch ist die Persönlichkeit des Anwalts sein wichtigstes Kapital, aber wenn man von ihm keine Spezialkenntnisse erwarteten kann, wird er sich nicht mehr halten können. Er muss diese Kenntnisse wenigstens über ein Team bereitstellen, dass er führt. Anfang der Neunzigerjahre konnte ein junger Anwalt erwarten, in 3-5 Jahren zum Partner zu werden. So wurde er mit vielen anderen Patrnern Teil der Firma und weil sie sich ständig entwickelte, stieg er auch im Rang höher. Im Gewinnverteilungssystem wurde das durch Lock-Step Modelle4 abgebildet, in denen sich die Entnahmen nach Alter und Rang richteten.

Für die älteren Partner ergaben sich daraus häufig geradezu windfall-profits (solange die Büros gewachsen sind) und umso weniger zeigten sie sich geneigt, ihre Positionen zu räumen. Jeder merkt, wenn er auf die 60 zugeht, dass er nicht mehr die Konzentration und Leistungsfähigkeit eines 30-jährigen hat, eine Erfahrung, die Forschungsergebnisse bestätigen5. Als Anwalt hat man in einem größeren Büro aber immer die Möglichkeit, sich Tätigkeiten zu widmen, bei denen man sich noch voll leistungsfähig fühlt. Wer z. B. den ewigen Streit bei Gericht leid ist, verlegt sich eher auf die Vertragsberatung oder umgekehrt: Er geht wieder mehr zu Gericht, weil er sich da lebendiger fühlt! Wenn so ein älterer Anwalt nach wie vor fest im Sattel sitzt, warten die Jüngeren nicht mehr wie früher, bis sie drankommen. Sie wechseln bevorzugt in Büros, in denen ergebnisorientiert vergütet wurde (what you eat is, what you kill). In vielen dieser Büros gelang es aber älteren Partnern gleichwohl, sich durch Zurechnung entsprechender Umsätze auf hohem Niveau zu halten und diese Zurechnung beruhte im Wesentlichen auf ihrer Persönlichkeit und der Fähigkeit, herausragende Mandate zu beschaffen. Aber sie nahmen auch immer einen erheblichen Teil des Gewinns mit, den die Jüngeren für sich beanspruchten. Um dieses Problem zu lösen, sind vor allem im angloamerikanischen Raum Modelle entstanden, die ältere Partner verpflichten, bereits mit 55 (in den USA er 60-65) Jahren auszuscheiden, damit Platz für die Jungen frei wird. In diesem Alter – so wird unterstellt – haben sie 20-30 Jahre lang auf sehr hohem Niveau verdient und für ihre Versorgung im Alter Rücklagen gebildet. Wird so ein Modell radikal durchgeführt, enthauptet die Sozietät sich teilweise selbst und mutet älteren Partnern eine als verächtlich empfundene Behandlung zu. Einige wechseln offen als Of-Counsel zur Konkurrenz, andere wechseln in Rechtsabteilungen oder andere Positionen der Wirtschaft, sind ihrer früheren Sozietät aber nicht gewogen und wieder andere brechen seelisch zusammen.

2. Divergierende Interessen

Jede rechtliche Konstruktion, die das Ausscheiden älterer Partner regelt, muss gleichzeitig in befriedigender Weise divergierende Interessen in den Griff bekommen.

Wenn hier und im Folgenden von »jüngeren« oder »älteren« Anwälten gesprochen wird, so ist damit kein fester Generationsunterschied gemeint. Allerdings bilden sich typische Anwaltsgenerationen aus, die man ungefähr bei 30/45/60 Lebensjahren ansetzen kann. Sie ergeben sich daraus, dass man als Anwalt zwischen 27 und 30 Jahren in den Beruf eintritt und die dann etwa 15 Jahre älteren Kollegen mit höherem Respekt betrachtet, als die Peers. Die wiederum blicken auf die 60-jährigen, deren Urteil und Erfahrung in diesem Alter meist noch überlegen ist. Das kann noch etwa zehn Jahre so weiter gehen, aber Anwälte, die dann 40 Jahre oder länger im Beruf gewesen sind, haben sich an der Front schon ein wenig verschlissen. Gern würden sie im Generalstab arbeiten, wenn man sie nur ließe6. Sie wollen nicht mehr mit 30-jährigen an Konferenztischen sitzen und über Petitessen reden, sondern Strategie machen. Oder über den Golfplatz gehen und dort akquirieren – oder auch in der Oper, oder bei politischen Einladungen usw. Eines allerdings wollen Sie auf gar keinen Fall: Dass irgendjemand ihnen sagt, wann sie aufhören sollen! Zu den wichtigsten Kennzeichen des freien Berufes gehört auch die Freiheit der Entscheidung, den Beruf nicht mehr auszuüben. Man will nicht wie führende Ministerialdirektoren oder oberste Richter vom Platz geschickt werden, wenn man das Gefühl hat, noch viel interessante und nützliche Arbeit zu finden, die gleichzeitig auch ihre Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stellung hat. Einen »Rechtsanwalt a. D.« kann man sich nicht vorstellen.

Manche Anwälte sind schon in ihren Vierzigern in solchen Positionen. Manche haben erhebliches Privatvermögen aus anderen Quellen, manche sind als Anwälte berufstätig, um ihre gewerblichen Interessen zu befördern (z. B. als Immobilienentwickler), manche verwalten als Anwälte ihren Familien Trust und haben sonst keine Mandanten, wieder andere (wie Wolfgang Nix) sind hauptberuflich Intendanten eines Theaters und daher in ihrem Büro (als Arbeitsrechtler) selten zu sehen. Das Berufsrecht lässt all diese Berufsbilder bewusst zu, weil die damit verbundene Lebenserfahrung der anwaltlichen Arbeit förderlich ist. Natürlich sind auch Risiken damit verbunden, wie stets, wenn freier Beruf und Gewerbe in Interessenkonflikte geraten. Eine Sozietät wird ein genuines Interesse daran haben, auch solche Anwälte im Team zu halten, weil sie davon stark profitieren kann.

Kurz: Es hängt nicht in erster Linie von der Altersgrenze ab, ob man einen Anwalt als Partner im Team sehen will (oder muss), sondern ausschließlich von den jeweiligen Interessensphären, in denen ein Anwalt sich befindet.

Die älteren Partner verfügen meist über Mandatsbeziehungen, ein bestimmtes Branchen Know-how, soziale Netzwerke, höchst persönliche Beziehungen, einen Ruf im Markt und andere Werte, die man nicht durch Arbeit, sondern nur durch unablässige Tätigkeit im Lauf der Zeit gewinnen kann. Mandanten, die man zuletzt vor 20 Jahren in einer Scheidungssache gesehen hat, melden sich auf einmal in Erbschaftsangelegenheiten, Firmenübernahmen oder ähnlichen Projekten, für die sie selbst erst einmal alt werden müssen. Wenn der ältere Partner diese Werte so lange nutzt, bis er stirbt, wird die Sozietät sie nur in geringem Umfang auf sich übertragen können. In Lock-StepModellen können ältere Partner ihre Mandatsbeziehungen laufend auf Jüngere übertragen. In der Praxis wird allerdings häufig nur die Arbeit übertragen, die Beziehung hingegen monopolisiert. Es bleibt also immer ein bedeutender Rest, über den der ältere Partner selbst verfügt und die für seine Stellung in der Sozietät bedeutend ist. Diese Position verstärkt sich, wenn der ältere Partner sich im Bereich des Managements entsprechende Kompetenzen sichert. Entscheidend ist dabei das Gewicht der Stimme älterer Partner. Jüngere Partner empfinden es als unfair, dass ältere über wichtige Entscheidungen der Sozietät abstimmen können, die sie in der Zukunft voraussichtlich nicht mehr betreffen. Bereits die Aufnahme eines Quereinsteiger zu belastenden Bedingungen kann dazu gehören, aber auch die Sitzverlegung, ein neues IT-System usw. entscheidend ist es, dass der ältere Partner sich als Coach der Jüngeren fühlt und Ihnen aktiv Kompetenzen überträgt, aus denen er sich wirklich zurückzieht und sich nur einschaltet, wenn er gefragt wird7.

Die vergleichbaren Werte, über die jüngere Partner verfügen und die sie ständig neu schaffen, beziehen sich auf ihre eigene und jüngere Generationen. Deren Rechtsprobleme, ihr Stil und ihr Auftritt folgen aktuellen Bedingungen. Gelingt es dem jüngeren Partner, das Vertrauen der Mandanten des älteren auf sich zu übertragen, kann er die Generationsgrenze wirkungsvoll überwinden. Gleichzeitig müssen auch die Kompetenzen im Management auf jüngere Partner übergehen. Das gelingt entweder aufgrund entsprechender Mehrheitsverhältnisse oder freiwilliger Übertragung, wenn ältere Partner dies aktiv im Interesse der jüngeren tun, wobei sie den sicheren Bunker der eigenen Interessen verlassen müssen. Dazu bedarf es nachhaltiger Anreize. Das hier skizzierte Modell trägt den Namen »Sinkflug«, weil sich in ihm die Möglichkeit für den älteren Partner ausdrückt, sanft zu landen, also nicht so, dass für ihn selbst und die Sozietät daraus eine Bruchlandung wird.

3. Flexible Tätigkeitsgrenzen

Bei älteren Anwälten gibt es ein natürliches Interesse daran, die Arbeitslast zu verringern. Das kann gesundheitliche oder andere Gründe haben, jedenfalls sind 10-12 Stunden-Arbeitstage nichts, was ein 60-jähriger toll findet. Viele älteren Partner sorgen daher – recht oft sehr geschickt – dafür, dass der ihnen zugerechnete Umsatz nicht sinkt, auch wenn ihre effektive Arbeitszeit nur noch die Hälfte oder ein Drittel beträgt. Älteren Anwälten läuft das Wild aufgrund ihrer Netzwerke ins Gatter, während die jungen es mit viel höheren Risiken in freier Wildbahn erlegen müssen. Auch wenn Mandanten es nicht wahrhaben wollen: In den meisten Fällen »gehören sie« einzelnen Anwälten. All diese Umstände lassen den jüngeren wenig Chancen und sie empfinden es als illoyal, wenn sie in den Stunden der Nacht das abarbeiten müssen, was der ältere Partner gerade auf dem Golfplatz akquiriert hat.

Sie berücksichtigen dabei nicht, dass ein älterer Partner so handeln muss, wenn ihm keine aus seiner Sicht fairen Modelle angeboten werden. Älteren Partnern fällt es schwer, solche Modelle zu entwickeln. Sie bemühen sich umso weniger, wenn die rechtliche Situation, in der sie aufgrund der Verträge stecken, für sie günstig ist. Übernehmen aber die jüngeren Partner die Initiative, wird das oft als Palastrevolution betrachtet und nicht selten haben solche Entwicklung dazu geführt, dass ein älterer Partner sich verhält wie Saturn: Der frisst seine Kinder und paktiert mit den Enkeln, nimmt also eine kleine Handvoll Associates mit und macht sich selbstständig. Dann hat er die nächsten 15 Jahre Ruhe und die jungen Leute müssen sich ihren Goodwill halt selbst aufbauen.

4. Sinkflug = Cross-selling plus

Wollen die jüngeren Partner also den Goodwill der älteren für sich gewinnen, müssen sie die älteren dazu motivieren, sich aktiv daran zu beteiligen. Konkret bedeutet das: Förmliche Einführung bei Mandanten, Mitnahme zu gesellschaftlichen Ereignissen, gemeinsame Veröffentlichungen, gemeinsame Vorträge usw.

Die – schon vielfältig in den unterschiedlichsten Formen praktizierte – Lösung besteht darin, dass der ältere Partner in den Status als Of-Counsel wechselt, der mit der Sozietät aufs engste inhaltlich und technisch verbunden bleibt.

Das funktioniert aber nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, über die wir im nächsten Abschnitt nachdenken wollen. Mancher gutmütige ältere Kollege hat seine Stellung einfach aufgegeben und sich dann in der Position des King Lear vorgefunden, dem auf einmal wider Erwarten die erstaunlichsten Vorschriften gemacht werden – und am Ende sieht er sich in die Wüste geschickt, weil er sich »zwar entschlossen hat, die Macht aufzugeben, aber keine Abhängigkeit ertragen kann«8. Diese Eigenschaft ist für ältere Anwälte schwer zu gewinnen, wenn sie den größeren Teil ihres Berufslebens selbst entscheiden konnten.

5. Geben und Nehmen: Die Rahmenbedingungen

Das Prinzip vom Geben und Nehmen ist nicht nur seit Beginn unserer Kulturen das Grundgesetz unseres sozialen Lebens9, sondern prägt nahezu jede rechtliche Beziehung. Was also können jüngere und ältere Partner (im Folgenden: Of-Counsel) jeweils füreinander tun, um den Interessengegensätzen gerecht zu werden, die oben skizziert wurden?

Die wesentliche Voraussetzung ist der Rückzug des Seniorpartners aus der Partnerposition, wenn die vertraglichen Regeln ihn dazu nicht zwingen. Er wird (und kann) diese Position nur aufgeben, wenn er dafür eine faire Gegenleistung erhält, die nicht nur einen finanziellen Ausgleich darstellt, sondern gleichzeitig die Vielfalt seiner persönlichen Interessen abbildet.

Zunächst einmal müssen die Rahmenbedingungen stimmen, unter denen ein fairer Interessenausgleich möglich ist:

  • der Of-Counsel muss noch genügend werthaltige Transferleistungen besitzen (Mandatsbeziehungen/Know-how/Beziehungen zu anderen Partnern);
  • wenn er gegenüber der Sozietät ältere vertragliche Ansprüche hat, muss das Modell in finanzieller Hinsicht mindestens gleichwertig sein;
  • die Partner müssen an den Transferleistungen interessiert sein und den Of-Counsel wie einen Mandanten behandeln;
  • eine virtuelle Arbeitsumgebung muss geschaffen werden;
  • die Führungsgremien der Sozietät müssen das Modell aktiv unterstützen.

Von Seiten des Of-Counsel wird persönlich erwartet:

  • Bereitschaft zur Weiterarbeit in eingeschränktem Umfang
  • Fähigkeit zu delegieren
  • Fähigkeit, den Partnern die Führung zu überlassen
  • Fähigkeit, im virtuellen Netz zu arbeiten.

Die Partner müssen andere Fähigkeiten mitbringen:

  • Fähigkeit zur Kooperation
  • die Anerkennung des ausscheidenden Seniorpartners als künftigen Coach
  • Fähigkeit zur gelegentlichen Unterordnung und Zuarbeit.

6. Leistungen des Of-Counsel

Die Leistungen des Of-Counsel bestehen in der Übertragung seiner Beziehungen, die mit unterschiedlichen Mitteln und auf zahlreichen Wegen erreicht werden können. Das sind vor allem:

  • Beziehungen zu Mandanten
    • Einführung der Partner bei Mandanten
    • Offene Übertragung von Mandaten
    • Nachhaltige Pflege der übertragenen Mandate
  • Beziehungen zu anderen Personen
    • Kollegen
    • Familienbeziehungen
    • Gesellschaftliche Beziehungen
    • Politische Beziehungen
  • Beziehungen zu Institutionen
    • Netzwerke der Sozietät
    • Wissenschaftliche Netzwerke
    • Wirtschaftliche Netzwerk
  • Pflege dieser Beziehungen durch Reisen
    • auf Initiative des Seniorpartners
    • Auf Anforderung durch die Sozietät

Daneben gibt es andere Formen der Zusammenarbeit zwischen dem Seniorpartner und der Sozietät. Dazu gehört vor allem:

  • Spezial Know-how
    • Verträge
    • Pflege der Verträge der Sozietät
    • Schiedsverfahren
    • Berufungen
    • Revisionen
  • Know-how Management
    • Ausbildung und Fortbildung
    • Wissenschaftliche Veröffentlichungen
    • Vorträge und Seminare
  • Beratung in Managementfragen
    • strategische Beratung
    • Begleitung von Partnerversammlungen
    • Qualitätskontrolle
    • Mitarbeit im Controlling
    • Nachwuchsförderung
  • Repräsentation der Sozietät
    • In Fachgebieten
    • Auf Konferenzen
    • In Netzwerken
  • Konfliktmanagement zwischen Partnern
  • Ombudsmann
  • Technisch/organisatorische Rahmenbedingungen

Vielleicht wird die Sozietät mit dem Seniorpartner nur auf einem einzigen dieser Felder zusammenarbeiten, vielleicht soll das ganze Spektrum abgedeckt sein. Davon abhängig gestalten sich die Anforderungen an das Management der Sozietät, diesen Arbeitsbeziehungen einen technisch/organisatorischen Rahmen zu geben. Zunächst ist zu regeln, wer die Organisation einrichtet und die wesentlichen Kosten übernimmt:

  • Raumkosten
  • Sachkosten
  • Reisekosten
  • Personalkosten

Sie werden einmal auf Seiten des Of-Counsel, einmal auf Seiten der Sozietät anfangen, gelegentlich bei beiden. Ein typischer Fall ist die Lösung des Raumproblems. Viele Anwälte wollen ihr gewohntes Büro beibehalten, auch wenn sie nur einmal in der Woche dort sind. Für die Sozietät kann das ein teures Investment sein. Wenn der Seniorpartner aber diese Kosten selbst trägt, wird die Sozietät das eher akzeptieren. Viel Erleichterung schafft ein virtuelles Büro. Nur die Sozietät kann es einrichten (Datenschutz/Datensicherheit!), über die Kosten muss man reden. Das Sekretariat wird vermutlich in der Sozietät verbleiben, vielleicht hat der Seniorpartner aber auch zu Hause eine Privatsekretärin. Es kann eine ebenso beglückende wie atemlose Anstrengung sein, mit dem Fach und den jungen Anwälten Schritt zu halten (wie Fritz Stern einmal über die vergleichbare Lage in wissenschaftlichen Instituten gesagt hat).

7. Leistungen der Sozietät

Die Leistung der Sozietät besteht zunächst einmal darin, den Seniorpartner von allen technisch/organisatorischen Details freizuhalten, die die künftige Zusammenarbeit mit ihm als Of-Counsel betreffen und ihm geeignete Vorschläge dazu entwickelt, wie er sich selbst am besten organisieren kann. Darüber hinaus muss sie ihm ihr gesamtes Wissen zur Verfügung stellen, dass er braucht, um seine Leistungen erbringen zu können. Typisch ist der Zugang zu Datenbanken, aber auch zu Interna wie Beschlüssen der Partnerschaft – jeweils abhängig von dem Leistungskatalog, der vereinbart worden ist. Die Sozietät muss sich als Servicedienstleister des Of-Counsel verstehen, denn nur so kann sie von ihm Leistungen auf hohem Niveau erwarten. All das löst Kosten aus, die sich auf Art und Umfang der Vergütungen auswirken werden, die zwischen dem Of-Counsel und der Sozietät zu regeln sind. Dazu gibt es unterschiedliche Modelle, die letztlich zu einer Honorarteilung für verschiedene Leistungsarten führen. Zu unterscheiden sind:

  • Aktive Übertragung von Mandaten
  • Mitarbeit in Mandaten
  • Mitarbeit im Management, der Repräsentation etc.
  • Vergütung für Übertragung von Spezial Know-how außerhalb von Mandaten
  • Anbahnung/Pflege von Mandaten.

Je nach Tätigkeit kann das Honorar in einem Anteil der Honorare der Sozietät bestehen (auch Erfolgshonorare sind möglich), für Management-Tätigkeiten bieten sich Zeithonorare an, in beiden Fällen kann man sich aber auch auf pauschale Vergütungen einigen. In seltenen Fällen wird man dem Of-Counsel Lizenzen für Spezial Know-how bezahlen, dass er auf die Sozietät überträgt.

Ein geeigneter Vertrag mit dem Of-Counsel sollte alle diese Ansprüche möglichst einfach darstellen. So dürfte es selbstverständlich sein, dass der Of-Counsel von vermittelten Mandaten erst dann seinen Anteil erhält, wenn auch die Sozietät ihn erhalten hat, denn er ist der einzige, der das Delkredererisiko beurteilen kann. Er sollte auch in die Rechnungsstellung mit einbezogen werden, ja sogar für Mahnungen sorgen usw. Allerdings müssen Honorarteilungen jeder Art auch berufsrechtlich in Ordnung sein. Die bloße Vermittlung ist an sich nicht zuteilungsfähig, aber mit ihr ist doch immer ein Zeitaufwand verbunden, den man erfassen kann und im Übrigen bietet jedes vermittelte Mandat dem Of-Counsel genügend Auftrittsmöglichkeiten, um selbst Honorarwerte zu schaffen, die ihm gegebenenfalls allein zustehen.

Betrachten wir in einigen Stichworten die Chancen und Risiken, die sich aus dem Sinkflug-Modell für beide Seiten ergeben.

8. Chancen und Risiken für die Sozietät

Die Chancen der Sozietät sind folgende:

  • Der Goodwill geht auf sie in einem Stadium über, in dem er noch lebendig und werthaltig ist,
  • die enormen Mühen von Neuakquisition entfallen (Zusatzaufwand für Schnittstellen, Informationen, sonstige Kosten)
  • da der Goodwill über einen längeren Zeitraum unter aktiver Mithilfe des Of-Counsel übertragen wird, können Schwankungen in der Beziehung gemeinsam aufgefangen werden
  • die jüngeren Partner erhalten früher als sonst möglich Anteil an der Führung, Gesellschaftsanteile, Stimmrechte usw. des älteren Partners
  • über Mandatsbeziehungen hinaus kann das ganze Spektrum der Netzwerke des Of-Counsel genutzt werden
  • ihrer Verantwortung für das Management des Modells gibt der Sozietät eine natürliche Führung beim Ablauf der Prozesse
  • mit dem Of-Counsel gewinnt die Sozietät auch ein funktionierendes Konfliktmanagement, vielleicht einen Ombudsmann, vielleicht einen Repräsentanten, der die Sogwirkung der Marke auch dann verstärkt, wenn er am Ende nur noch sehr wenig tut.

Dem stehen nur wenige Risiken gegenüber:

  • Der Of-Counsel erbringt seine Leistungen nicht, schlecht oder unwillig
  • Die Kosten – Nutzen – Relation erweist sich als fehlkalkuliert.
  • Er versteht seine Rolle als Coach nicht und drängt sich wieder an die Front (wenn er darauf Lust hat, kann er als Einzelanwalt weiter direkte Mandate führen!)
  • Die jüngeren Partner verstehen (immer noch) nicht, was Führung bedeutet

Diese und etwaige weitere Risiken kann man in geeigneter Form in dem Vertrag mit dem Of-Counsel in den Griff bekommen. Nehmen wir an, er hat als Seniorpartner einen vertraglich unerschütterlichen Anspruch auf Abfindung gegenüber der Sozietät. Das Sinkflug-Modell muss so gerechnet werden, dass dieser Anspruch neben der Tätigkeitsvergütung, die der Of-Counsel beansprucht, innerhalb eines bestimmten Zeitraums erfüllt wird. Normalerweise sollten fünf Jahre dafür ausreichend sein. Wenn die Sozietät früher kündigen darf, muss sie den damit verbundenen Anspruch entsprechend früher erfüllen. Es wird noch verschiedene andere rechtliche Risiken geben, die hier nicht abstrakt dargestellt werden können. Aber Anwälte sind es gewöhnt, solche Probleme zu lösen und werden es meist auch erfolgreich tun können.

9. Chancen und Risiken für den Of-Counsel

Die Chancen des Of-Counsel sind folgende:

  • Alle erworbenen Ansprüche müssen in dem Modell am Ende erfüllt werden können
  • er gewinnt zeitlich früher viel Flexibilität für seine Privatinteressen
  • Wenn er in der Position des Seniorpartners verharrt, ohne die Leistungen zu erfüllen, die die jüngeren Partner von ihm verlangen, wird sich unausweichlich ein sehr unerfreuliches Spannungsverhältnis aufbauen, dem er ausweichen kann.
  • Das Modell kann auch den Wert der Stimme, die er den jüngeren Partnern überlässt, zum Ausdruck bringen
  • Beim Zuschnitt des Modells kann er den Leistungskatalog so definieren, wie es ihm geeignet erscheint. Der Vertrag sollte allerdings Flexibilität vorsehen und die Möglichkeiten, bestimmte Tätigkeiten zu zu wählen oder ab zu wählen.

Die Risiken des Of-Counsel sind:

  • Er geht eine längerfristige Bindung mit seiner früheren Sozietät ein, die andere Alternativen ausschließt (gegebenenfalls muss er dieses Problem mit Kündigungsrechten lösen).
  • Seine Loyalität darf sich also nicht anderen Modellen zuwenden, schon gar nicht dem Wettbewerb.
  • Das Modell ist von der Zukunftsfähigkeit der Sozietät abhängig (wenn seine Mandate nichts wert sind, oder die jüngeren Partner versagen, fällt das auf ihn zurück).

10. Vergleich mit der Ausgangslage

Vergleicht man Chancen und Risiken beider Seiten mit der Situation in der Ausgangslage, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die größeren Chancen im Sinkflug-Modell liegen. Wenn man berücksichtigt, wie mühevoll die Akquisition neuer Mandate und wie aufwendig die Errichtung von Netzwerken ist, liegt das auf der Hand. Die meisten jüngeren Partner haben aber aufgrund ihrer noch nicht ausreichenden Lebenserfahrung keine annähernde Vorstellung davon, wie stark der Zeitfaktor auf den Erfolg einwirkt. Allein die Tatsache, dass ein Anwalt über Jahrzehnte hinweg nachhaltig im Markt zu sehen ist, gibt ihm einen Einfluss, der seine konkreten Fähigkeiten (vor allem im Alter) weit übersteigt. Man kommt an ihm nicht mehr vorbei und er weiß das vor allem in den internen Diskussionen ins Spiel zu bringen. Spannungsfelder, die sich hier aufbauen, können eine Sozietät zerstören, aber auch das Leben des Seniorpartners negativ beeinträchtigen: Er muss weiter in den Sielen arbeiten, um seine Machtstellung zu sichern(manche Anwälte lügen sich das schön), er bekommt die Freiheit nicht, die ihm seine späteren Jahre erfreulich gestalten könnten.

Eine jüngere Untersuchung zeigt fünf zentrale Faktoren, die die Zusammenarbeit von Menschen erleichtern10:

  • Die Leistungen der Beteiligten werden gegenseitig als überwiegend gleichwertig betrachtet,
  • es wird offen delegiert und die gegenseitigen Abhängigkeiten sind sichtbar,
  • man begegnet sich häufig,
  • wer gegen allgemein akzetierte Regeln verstößt, muss mit Sanktionen rechnen,
  • die Beteiligten sind verwandt.

Die letzte Bedingung ist bei vielen kleineren und mittleren Büros die entscheidende Voraussetzung, aber man muss nicht gleich heiraten, um auch die anderen vier Bedingungen erfüllen zu können. Das Sinkflug-Modell kann den Interessen aller Beteiligten gerecht werden.

  • 1. Eine frühere Fassung dieses Aufsatzes ist veröffentlicht in Anwaltsblatt 2016, 185 bis 190.
  • 2. Was auch immer du tust, tu es klug und bedenke die Folgen (Äsop Fabel 45 – Der Esel und der Gärtner).
  • 3. »In einem Rechtsanwalts-Sozietätsvertrag stellt der Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung für einen Zeitraum von 30 Jahren auch dann eine unzulässige Kündigungsbeschränkung i.S. des § 723 III BGB dar, wenn sie Teil der Alterssicherung der Seniorpartner ist.« BGH, Urteil vom 18. 9. 2006 - II ZR 137/04 (OLG Düsseldorf), NJW 2007, 295 m. Anm. Römermann.
  • 4. Gewinnverteilungssystem: Einer geht in den Fußstapfen des anderen wie im Gänsemarsch.
  • 5. Manfred Spitzer: Nervenkitzel – neue Geschichten vom Gehirn, Suhrkamp 2006 Seite 30 ff., 70 ff.
  • 6. Dieses Problem ist schon Tausende von Jahren alt. Plutarch schildert Problem und Lösungen für Politiker in seinen Moralia § 59: https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN601233832?tify=%7B%22pages%22:%5...
  • 7. Dieses Problem ist schon Tausende von Jahren alt. Plutarch schildert Problem und Lösungen für Politiker in seinen Moralia § 59: https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN601233832?tify=%7B%22pages%22:%5...
  • 8. Stephen Greenblatt : Will in der Welt: Wie Shakespeare zu Shakespeare wurde, Pantheon, 2015.
  • 9. Marcel Mauss, Die Gabe, Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Suhrkamp, 4. Auflage 1999 ; Der Grundsatz »ist das unzerstörbare Fundament aller archaischen Rechtskulturen«, er ist »Rechtsmagie« (Hattenhauer Europäische Rechtsgeschichte C. F. MMüller,2. Auflage 1994, Seite 13,14) und entfaltet deshalb auch außerhalb aller Rechtssysteme seine Wirkung.
  • 10. Martin Novak/Roger Highfield: Super Cooperators: Altruism, Evolution, and Why We Need Each Other to Succeed, Simon & Schuster, 2011.
Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Siehe Fußnoten.