Das Kindergeld in der familienrechtlichen Praxis

Welcher Elternteil erhält Kindergeld? Was gilt nach Trennung der Eltern? Welche Mitwirkungspflichten bestehen? Was gilt, wenn das Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat? Kann Kindergeld zurückgefordert werden? Gibt es Rückzahlungserleichterungen? Kindergeld ist eine steuerliche Leistung, es gehört daher zum Steuerrecht. Gerade steuerrechtliche Regelungen sind jedoch starr und gehen des Öfteren an der Lebenswirklichkeit vorbei. Eine Anpassung des eigenen Verhaltens an die gesetzlichen Vorschriften ist erforderlich. Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der gesetzlichen Systematik, um die es im folgenden Beitrag gehen soll.

(Hinweis: Fälle mit Auslandsberührung werden in diesem Beitrag nicht behandelt.)

1. Welche Funktion hat das Kindergeld?

Das Kindergeld als auch der Kinderfreibetrag dienen der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages der Eltern in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung, § 31 S. 1 EStG. Soweit das Kindergeld hierfür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie, § 31 S. 2 EStG.

2. Wem (welchem Elternteil) wird Kindergeld gezahlt?

Kindergeld wird nur einem Berechtigten gezahlt, auch wenn beide Elternteile anspruchsberechtigt sind, § 64 EStG.

Sind mehrere Anspruchsberechtigte vorhanden, trifft das Gesetz eine differenzierte Regelung, und zwar wie folgt in absteigender Reihenfolge.

Kindergeldzahlung an:

  • denjenigen, welcher das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, es gilt das Obhutsprinzip (entscheidend ist danach die Aufnahme in die Familiengemeinschaft einschließlich der materiellen Versorgung des Kindes mit Nahrung und Kleidung sowie der immateriellen Betreuung durch Erziehung und Fürsorge)

bei gemeinsamem Haushalt von Eltern und Kind:

  • denjenigen, welchen beide Elternteile als Zahlungsempfänger bestimmt haben,
  • denjenigen, welchen das Familiengericht als Zahlungsempfänger bestimmt hat (das Familiengericht entscheidet auf Antrag, wenn beide Elternteile sich nicht einigen können),

lebt das Kind in keinem Haushalt eines Elternteils:

  • denjenigen, welcher dem Kind Unterhalt zahlt,

bei Unterhaltszahlung durch beide Eltern:

  • denjenigen, welcher dem Kind den höchsten Unterhalt zahlt,

bei gleich hoher Unterhaltszahlung beziehungsweise keiner Unterhaltszahlung durch beide Elternteile:

  • denjenigen, welchen beide Elternteile als Zahlungsempfänger bestimmt haben,
  • denjenigen, welchen das Familiengericht als Zahlungsempfänger bestimmt hat (das Familiengericht entscheidet auf Antrag, wenn beide Elternteile sich nicht einigen können).
Trennen sich die Eltern, ergibt sich die Kindergeldzahlung aus den soeben aufgeführten Grundsätzen. Hierfür einige Beispiele:
Beispiel 1:
Die Eltern trennen sich innerhalb der gemeinsam bewohnten Wohnung. Das Kind ist weiterhin in den Haushalt beider Elternteile aufgenommen. Die vor der Trennung getroffene Bestimmung zum Zahlungsempfänger gilt nach der Trennung fort. Sie kann widerrufen werden.
Abwandlung von Beispiel 1:
Nach der Trennung (innerhalb der gemeinsam bewohnten Wohnung) beteiligt sich ein Elternteil weder an der Versorgung des Kindes noch an dessen Betreuung. Das Kind gehört nicht mehr zum Haushalt des Elternteils, welcher das Kind nicht mehr versorgt und betreut. Die Berechtigtenbestimmung endet. Kindergeld ist nur noch an den das Kind versorgenden und betreuenden Elternteil zu zahlen.1
Beispiel 2:
Die Eltern trennen sich. Der Vater verlässt die gemeinsame Wohnung, in der die Mutter und das Kind zurück bleiben. Das Kind lebt im Haushalt der Mutter. Nur die Mutter hat Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes.
Abwandlung zu Beispiel 2:
Die Mutter verlässt die Familienwohnung und nimmt das Kind mit. Die Haushaltszugehörigkeit in der ehemaligen Familienwohnung endet. Die Mutter hat das Kind in ihren Haushalt der neuen Wohnung aufgenommen. Nur die Mutter hat Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes.
Beispiel 3:
Die Eltern trennen sich und vereinbaren bezüglich des gemeinsamen Kindes das Wechselmodell. Danach hält sich das Kind bei beiden Elternteilen in annähernd gleichem zeitlichen Umfang auf. Das Kind ist in den Haushalt beider Elternteile aufgenommen. Diese Konstellation wird analog dem gesetzlich geregelten Fall des gemeinsamen Haushaltes von Eltern und Kind entschieden, das heißt beide Elternteile bestimmen den Zahlungsempfänger beziehungsweise -bei Nichteinigung- bestimmt das Familiengericht auf Antrag den Empfänger des Kindergeldes. Die vor der Trennung getroffene Bestimmung des Zahlungsempfängers gilt weiter; sie kann widerrufen werden.2
Beispiel 4:
Die Eltern trennen sich und vereinbaren ein großzügiges Umgangsrecht des Vaters mit seinem Kind, welches bei der Mutter lebt. Das Kind ist allein in den Haushalt der Mutter aufgenommen. Diese trägt die größeren Unterhaltslasten durch Betreuung, Erziehung und Versorgung. Kindergeld ist an die Mutter zu zahlen.3

3. Welche Kinder werden berücksichtigt?

Kinder, für die Kindergeld gezahlt wird, sind:

  • Kinder, die im ersten Grad mit dem Berechtigten verwandt sind, §§ 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG
  • Pflegekinder (das sind Personen, mit denen der Berechtigte durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht), §§ 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG
  • vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG
  • vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG.

Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr werden ohne Einschränkung berücksichtigt, § 32 Abs. 3 EStG.

Im Übrigen gelten folgende Voraussetzungen:

  • zwischen dem vollendeten 18. und dem vollendeten 21. Lebensjahr des Kindes, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG
    • das Kind steht in keinem Beschäftigungsverhältnis und ist bei einer Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender gemeldet, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG
  • zwischen dem vollendeten 18. Lebensjahr und dem vollendeten 25. Lebensjahr des Kindes
    • das Kind wird für einen Beruf ausgebildet, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a) EStG oder
    • das Kind befindet sich in einer Übergangszeit von höchstens 4 Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (zum Beispiel Schulausbildung und Studium) oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines geregelten Freiwilligendienstes (zum Beispiel Schulausbildung und Zivildienst), § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 b) EStG oder
    • das Kind kann eine Berufsausbildung mangels eines Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder nicht fortsetzen, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 c) EStG oder
    • das Kind leistet einen Freiwilligendienst, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 d) EStG

Hinweis: das Kind wird nicht berücksichtigt, wenn es nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums einer Erwerbstätigkeit nachgeht; unschädlich sind jedoch eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder eine geringfügige Beschäftigung, § 32 Abs. 4 S. 2 und 3 EStG.

  • das Kind kann sich aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht selbst unterhalten, wenn die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG.

In besonderen Fällen (Ableistung von Grundwehrdienst, 3-jährigem Wehrdienst, Zivildienst, Dienst als Entwicklungshelfer) kann das Kind für die Dauer des geleisteten Dienstes auch über das 21. oder 25. Lebensjahr hinaus berücksichtigt werden, § 32 Abs. 5 EStG.

4. Welche Mitwirkungspflichten der Eltern bestehen?

Wer Kindergeld beantragt oder erhält, hat Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen, § 68 Abs.1 S. 1 EStG.

Die Zahlung von Kindergeld ist, wie dargelegt, an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. Daraus resultieren zahlreiche Mitteilungspflichten bei Änderungen in den Lebensverhältnissen.

Vor Vollendendung des 18. Lebensjahres des Kindes betrifft dies vor allem:

  • eine Änderung der Haushaltszugehörigkeit (zum Beispiel bei Trennung der Eltern)
  • eine Änderung der Berechtigtenbestimmung

Nach Vollendung des 18. Lebensjahres sind beispielsweise mitzuteilen:

  • das Kind hat ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen
  • das Kind ist nicht mehr bei einer Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet
  • das Kind hat die Berufsausbildung abgebrochen
  • das Kind hat den Freiwilligendienst vorzeitig beendet
  • das behinderte Kind hat Einkommen und kann sich selbst unterhalten

Da einem Elternteil als dem Berechtigten das Kindergeld gezahlt wird, hat dieser sämtliche Änderungen in den Lebensverhältnissen der Familienkasse mitzuteilen. Werden Änderungen nicht mitgeteilt, drohen hohe Rückforderungsansprüche der Familienkasse. Gerade mit zunehmendem Alter des Kindes kann es für den berechtigten Elternteil schwierig werden, immer über die aktuelle Lebenssituation des Kindes informiert zu sein. Gleichwohl besteht die Mitteilungspflicht gegenüber der Familienkasse. Dem berechtigten Elternteil kann daher nur empfohlen werden, sich aktiv für die Lebensverhältnisse des Kindes zu interessieren und diese zu hinterfragen.

5. Wann wird Kindergeld zurückgefordert?

Die Kindergeldzahlung an den Berechtigten erfolgt aufgrund der Kindergeldfestsetzung, das heißt aufgrund eines Bescheides, der dem Berechtigten bekannt gegeben wird. Die Kindergeldfestsetzung beruht dabei auf den vom Berechtigten mitgeteilten Verhältnissen. Ändern sich die Verhältnisse, sind diese der Familienkasse mitzuteilen.

§ 70 Abs. 2 S. 1 EStG bestimmt sodann:

Soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern.

Die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung ist damit sowohl für die Zukunft als auch rückwirkend bis zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse entweder abzuändern oder ganz aufzuheben (wenn kein Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes besteht).

Das danach für die Vergangenheit zu Unrecht gezahlte Kindergeld ist zu erstatten, § 37 Abs. 2 AO.
Beispiel 5:
Mutter M und Vater V leben gemeinsam mit Sohn S in der Familienwohnung. Mutter M und Vater V einigen sich und bestimmen Vater V als den Berechtigten für das Kindergeld für Sohn S. Nach 5 Jahren gemeinsamen Zusammenlebens trennen sich M und V; Mutter M zieht aus der Familienwohnung aus und nimmt Sohn S mit in ihre neue Wohnung. Vater V erhält weiter das Kindergeld für Sohn S. Eine Mitteilung an die Familienkasse erfolgt nicht. Seit dem Auszug von M und S aus der ehemaligen Familienwohnung hat Vater V keinen Anspruch auf Zahlung von Kindergeld für Sohn S. Nach 3 Jahren erfährt die Familienkasse von dem Auszug. Diese hebt die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung ab dem Auszug von M und S auf und fordert Erstattung des für 3 Jahre zu Unrecht gezahlten Kindergeldes.
Beispiel 6:
Mutter M erhält für ihren Sohn S, 19 Jahre alt, der sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld. Sohn S bricht die Berufsausbildung ab, behält dies jedoch für sich. Nach 18 Monaten kommt heraus, dass der Sohn seit 1 ½ Jahren nicht für einen Beruf ausgebildet wird. Sohn S hat sich auch nicht bei einer Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet. Ein Anspruch auf Kindergeld besteht seit dem Abbruch der Berufsausbildung nicht. Nachdem die Familienkasse hiervon erfährt, hebt diese die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung ab dem Zeitpunkt des Abbruchs der Berufsausbildung auf und fordert Erstattung des für 18 Monate zu Unrecht gezahlten Kindergeldes.

Erstattungsansprüche können somit schnell eine beträchtliche Summe erreichen.

Bei der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung aufgrund geänderter Verhältnisse kommt es nicht auf Verschulden an. Maßgeblich ist allein die Tatsache, dass sich die Verhältnisse geändert haben und nach den neuen Verhältnissen kein (oder ein geringerer) Anspruch auf Kindergeldzahlung besteht.

6. Wie ist die Sachlage, wenn das Kindergeld weitergeleitet wurde?

Eine Weiterleitung des Kindergeldes an denjenigen Elternteil, bei welchem sich das Kind aufhält, wird nur unter sehr engen Voraussetzungen von der Familienkasse akzeptiert. Grundsätzlich verhindert eine Weiterleitung des Kindergeldes nicht den Erstattungsanspruch der Familienkasse gegenüber demjenigen Elternteil, welchem das Kindergeld zu Unrecht gezahlt wurde.

Eine Rückforderung wird nur dann unterbleiben, wenn:

  • das Kindergeld von der zuständigen Familienkasse noch nicht an den tatsächlich Berechtigten ausgezahlt wurde,
  • derjenige, dem das Kindergeld zu Unrecht gezahlt wurde, dieses an den tatsächlich Berechtigten weitergeleitet hat,
  • der tatsächlich Berechtigte die Weiterleitung und den Erhalt des Kindergeldes bestätigt und
  • der tatsächlich Berechtigte auf seinen Auszahlungsanspruch verzichtet.

Für die Bestätigung der Weiterleitung von Kindergeld zur Vorlage bei der Familienkasse gibt es ein Formular, welches hierfür verwendet werden sollte.

Bestätigt der andere Elternteil die Weiterleitung nicht und/oder verzichtet er nicht auf seinen Auszahlungsanspruch, muss das zu Unrecht erhaltene Kindergeld an die Familienkasse erstattet werden.
Beispiel 7:
Mutter M und Vater V trennen sich, indem V aus der Familienwohnung auszieht. Sohn S bleibt bei M. V und M einigen sich, dass Vater V weiterhin das Kindergeld von der Familienkasse ausgezahlt erhält und dieses an M weiterleitet. Nach einem Jahr stellt Mutter M einen Kindergeldantrag, sie möchte das Kindergeld für Sohn S nun selbst von der Familienkasse erhalten. Die Familienkasse prüft den Fall und stellt fest, dass Vater V seit einem Jahr zu Unrecht die Kindergeldzahlung erhalten hat und fordert Erstattung für diesen Zeitraum. Vater V wendet die Weiterleitung des Kindergeldes ein. Mutter M ist jedoch nicht bereit, das Weiterleitungs-Formular zu unterschreiben und auf ihren Auszahlungsanspruch gegenüber der Familienkasse zu verzichten. Vater V muss das zu Unrecht erhaltene Kindergeld an die Familienkasse erstatten.

Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu dieser Sachlage ist eindeutig:

„Es ist höchstrichterlich geklärt, dass sich der Erstattungsschuldner gegenüber dem Rückforderungsanspruch der Familienkasse nicht darauf berufen kann, er habe das Kindergeld an den vorrangig Berechtigten weitergeleitet. Denn eine Weiterleitung schließt die Rückforderung nicht von Gesetzes wegen aus (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 14. Mai 2002 VIII R 64/00, BFH/NV 2002, 1425; vom 9. Dezember 2002 VIII R 80/01, BFH/NV 2003, 606; vom 11. März 2003 VIII R 77/01, BFH/NV 2004, 14; vom 16. März 2004 VIII R 48/03, BFH/NV 2004, 1218). Zwar kann die Weiterleitung von der Familienkasse aus Vereinfachungsgründen als Erfüllung des Rückforderungsanspruchs im verkürzten Zahlungswege berücksichtigt werden, soweit der vorrangig Berechtigte erklärt, dass er seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld als erfüllt anerkennt. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Familienkasse, Unterhaltsvereinbarungen bzw. -zahlungen unter verschiedenen Kindergeldberechtigten (Ehegatten) zu berücksichtigen, zu überprüfen und zivilrechtlich zu beurteilen. Danach ist es für die Entscheidung über das Bestehen des Erstattungsanspruchs ohne Belang, ob der nachrangig Berechtigte, im Streitfall die Klägerin, einen Betrag in Höhe des Kindergeldes an den vorrangig Berechtigten gezahlt hat. Bei Wechsel der Anspruchsberechtigung ist es vielmehr Sache der Kindergeldberechtigten, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen oder bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf privatrechtlichem Wege auszugleichen (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 14).“4

Zum obigen Beispiel:
Weiter zum Beispiel 7:
Ob Vater V einen familienrechtlichen Anspruch gegenüber Mutter M auf Rückzahlung des weitergeleiteten Kindergeldes hat, ist anhand des Familienrechtes zu klären. Insofern ist maßgebend, ob, in welcher Höhe, in welcher Form und in welchem Umfang Vater V dem Sohn S gegenüber unterhaltspflichtig war, ob, in welcher Höhe, in welcher Form und in welchem Umfang Vater V dem Sohn S gegenüber seine Unterhaltspflicht erfüllt hat und inwieweit Kindergeld in diesem Rahmen anzurechnen ist. Diese Fragen betreffen den Betreuungs- und den Barunterhalt. Sind diese Unterhaltsansprüche geklärt und hat Vater V damit zu viel gezahlt, kann ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch in Betracht kommen.5

Derartige Streitigkeiten können verhindert werden, indem der Familienkasse die Änderung in den Verhältnissen mitgeteilt wird.

7. Kann der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt sein?

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO bestimmen:

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
...
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

Das bedeutet:

  • wer bei der Antragstellung unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
  • wer Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung von Kindergeld erheblich sind, nicht mitteilt,
  • und dadurch zu Unrecht Kindergeld erhält,
  • macht sich der Steuerhinterziehung strafbar.

Für den Tatbestand der Steuerhinterziehung bedarf es des Vorsatzes. Vorsatz bedeutet: Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Es genügt jedoch Eventualvorsatz, das heißt „der bedingt vorsätzlich Handelnde ist mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet“6.

8. Können weitere Kosten entstehen?

8.1. Zinsen

Die Familienkasse erhebt Zinsen, und zwar

  • bei Gewährung einer Stundung (§ 234 AO)
  • bei der Aussetzung der Vollziehung, wenn der eingelegte Rechtsbehelf (zum Beispiel der Einspruch gegen den Bescheid über die Erstattung von Kindergeld) endgültig keinen Erfolg gehabt hat (§ 237 AO)
  • bei der Hinterziehung von Kindergeld - § 370 Abs. 1 AO (siehe Ziffer 7. Kann Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt sein?)

Die Zinsen betragen für jeden Monat 0,5 Prozent, § 238 AO.

8.2. Säumniszuschläge

Wird der Erstattungsbetrag nicht bis zum Fälligkeitstag entrichtet, entstehen Säumniszuschläge, § 240 Abs. 1 AO. Diese müssen nicht gesondert festgesetzt werden, § 218 Abs. 1 AO. Ein Verschulden des Erstattungspflichtigen ist nicht erforderlich.

Für jeden angefangenen Monat der Säumnis entsteht ein Säumniszuschlag in Höhe von 1 Prozent, § 240 Abs. 1 AO.

9. Gibt es Erleichterungen bezüglich der Erstattung?

9.1. Stundung

Gemäß § 222 S. 1 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, hier die Erstattung von zu Unrecht erhaltenem Kindergeld, ganz oder teilweise gestundet werden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.

  • Die Einziehung muss demzufolge eine erhebliche Härte bedeuten und
  • der Anspruch auf Erstattung darf durch die Stundung nicht gefährdet sein

Eine erhebliche Härte kann

  • sachlich begründet sein, wenn der Erstattungsschuldner Gegenansprüche hat, mit denen die Familienkasse aufrechnen kann, zum Beispiel einen Anspruch auf Nachzahlung von Kindergeld für ein anderes Kind
  • persönlich begründet sein, wenn der Erstattungsschuldner stundungsbedürftig und stundungswürdig ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Erstattungsschuldner seine Situation nicht selbst herbeigeführt hat, nicht gegen Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat, zum Beispiel Änderungen in den Verhältnissen mitgeteilt hat, und die Rückforderung am Tag der Fälligkeit seine wirtschaftliche Existenz gefährdet.

Hinweis: Das Finanzgericht Bremen hat dagegen eine Stundungswürdigkeit noch bejaht, wenn dem Schuldner nur leichte Fahrlässigkeit bei der Nichtbeachtung seiner Mitteilungspflicht zur Last gelegt werden kann.7

Eine Gefährdung des Erstattungsanspruchs ist dann gegeben, wenn die Leistungsfähigkeit des Erstattungsschuldners nicht nur vorübergehend gemindert ist. In diesem Fall ist eine Stundung ausgeschlossen.

Nur im Rahmen einer Stundung ist die Vereinbarung von Ratenzahlungen möglich.

9.2. Erlass

Gemäß § 227 S. 1 HS 1 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.

Die Einziehung muss demzufolge unbillig sein.

Die Unbilligkeit kann

  • sachlich begründet sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Rückforderung im Einzelfall unbillig ist, weil sie zwar dem Gesetzeswortlaut entspricht, aber Sinn und Zweck des Gesetzes widerspricht.

„Bei Einwänden, die die materiell-rechtliche Richtigkeit der Steuerfestsetzung betreffen, ist ein Erlass aus Billigkeitsgründen nur möglich, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten war, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wenden.“8

  • persönlich begründet sein. Das bedingt Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit. Diese sind dann gegeben, wenn der Erstattungsschuldner seine Situation nicht selbst herbeigeführt hat, nicht gegen Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat, zum Beispiel Änderungen in den Verhältnissen mitgeteilt hat, und die Rückforderung seine wirtschaftliche Existenz gefährdet.

„Erlasswürdigkeit setzt ein Verhalten des Steuerpflichtigen voraus, das nicht in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt und bei dem die mangelnde Leistungsfähigkeit nicht auf einem Verhalten des Steuerpflichtigen selbst beruht … Ein Verstoß gegen die Interessen der Allgemeinheit liegt beispielsweise auch dann vor, wenn der Steuerpflichtige bei der Entstehung der Forderung seine steuerlichen Mitwirkungspflichten verletzt.“9

9.3. Ermessen

Sowohl die Entscheidung über die Gewährung einer Stundung als auch die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung. Dies bedeutet, dass der Familienkasse ein Spielraum in der Entscheidung zugestanden wird.

Ist die Familienkasse ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, § 5 AO.

„Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt ... Dazu gehört die Auswertung und Erwägung des gesamten Akteninhalts, ggf. einschließlich beigezogener oder beizuziehender Akten, jeweils nach dem Stand zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung ... Im Rahmen ihrer Ermessensausübung hat die Behörde die Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen, die nach Sinn und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind ...“10

Die Familienkasse hat schließlich alle Gesichtspunkte zu würdigen, gegeneinander abzuwägen und in der Begründung ihrer Entscheidung darzulegen.

9.4. Säumniszuschläge

„Nach ständiger Rechtsprechung sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO ... den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen ...
Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen ... dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert ... Weil Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands dienen, kommt regelmäßig nur ein Teilerlass in Betracht, wenn sie ihren Zweck als Druckmittel verfehlen. Sie sind dann nur zur Hälfte zu erlassen, ...“11

Ein Erlass der Säumniszuschläge, die schnell die Höhe der Hauptforderung erreichen können, kommt damit, jedenfalls zur Hälfte, in Betracht, wenn das Ziel der Säumniszuschläge, Druck auf den Zahlungspflichtigen auszuüben, nicht erreicht werden kann, weil dem Schuldner die finanziellen Mittel fehlen. Der teilweise Erlass erfolgt hier wegen sachlicher Unbilligkeit.

Diese Grundsätze zum Erlass von Säumniszuschlägen sind auch anzuwenden, wenn eine Stundung der Säumniszuschläge begehrt wird.12

Die Entscheidung über den Erlass der Säumniszuschläge beziehungsweise die Entscheidung über die Gewährung einer Stundung der Zahlung der Säumniszuschläge sind ebenfalls Ermessensentscheidungen, die die Familienkasse unter Würdigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalles begründen muss.

10. Für welchen Zeitraum wird Kindergeld nachgezahlt?

Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, § 70 Abs. 1 S. 2 EStG.
Beispiel 8:
Mutter M beantragt im Januar Kindergeld für den bereits im Februar des vergangenen Jahres geborenen Sohn S. Kindergeld wird ab Februar des vergangenen Jahres festgesetzt; ausgezahlt erhält M Kindergeld jedoch erst ab Juli des vergangenen Jahres.
Dies gilt auch, wenn ein Anderer zu Unrecht Kindergeld erhalten hat.
Beispiel 9:
Mutter M und Vater V trennen sich; Vater V zieht aus; Sohn S verbleibt im Haushalt von M. Vater V erhielt bisher das Kindergeld ausgezahlt. Die mit der Trennung eingetretene Änderung der Verhältnisse wird der Familienkasse nicht mitgeteilt, so dass dem V weiterhin Kindergeld von der Familienkasse gezahlt wird. Das Kindergeld leitet V nicht an M weiter. Nach zwei Jahren beantragt Mutter M das Kindergeld für Sohn S. Sie erhält Kindergeld für sechs Monate rückwirkend nachgezahlt sowie das laufende Kindergeld ab Antragstellung. Vater V muss für zwei Jahre das Kindergeld an die Familienkasse erstatten.
Abwandlung zu Beispiel 9:
Vater V hat das Kindergeld seit der Trennung immer an Mutter M weitergeleitet. Mutter M stellt bei der Familienkasse einen Antrag auf Kindergeld für Sohn S; eine Auszahlung des Kindergeldes an M durch die Familienkasse erfolgte noch nicht. M bestätigt gegenüber der Familienkasse, dass V das Kindergeld in den vergangenen zwei Jahren an sie weitergeleitet hat und verzichtet auf ihren Auszahlungsanspruch gegenüber der Familienkasse für diese Zeit. V muss kein Kindergeld erstatten; M erhielt durchgängig seit der vor zwei Jahren erfolgten Trennung das Kindergeld für Sohn S.
Literaturverzeichnis