Der Unterhaltsanspruch in der Insolvenz des Unterhaltsschuldners

Unterhaltsforderungen werden in der Insolvenz des Unterhaltsschuldners nicht anders als andere Forderungen behandelt. Das bedeutet, Unterhaltsforderungen, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, sind Insolvenzforderungen mit der Folge, dass der Schuldner von diesen bzw. der jeweiligen Restschuld grundsätzlich befreit werden kann; während Unterhaltsforderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, und die nicht bedient werden, bestehen bleiben. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bildet damit die Zäsur. Das Interesse des Unterhaltsgläubigers geht demnach dahin, dass seine Insolvenzforderungen auch nach dem Insolvenzverfahren durchsetzbar bleiben; dagegen das Interesse des Unterhaltsschuldners von seinen Unterhaltsschulden befreit zu werden.

Auch wenn Urteile zunächst nur zwischen den am Verfahren beteiligten Parteien wirken, dienen Urteile darüber hinaus auch der Rechtsfortbildung und Rechtsklarheit. Die Entscheidung des BGH vom 21.03.2024, Az: IX ZB 56/22 macht vor diesem Hintergrund deutlich, welche (insolvenzspezifischen) Anforderungen erfüllt sein müssen, damit eine Befreiung des Unterhaltsschuldners von der unerfüllt gebliebenen Insolvenzforderung nicht erfolgt (Interesse des Gläubigers) bzw. erfolgt (Interesse des Schuldners).

1. Der Fall

Der genannten Entscheidung des BGH vom 21.03.2024, Az: IX ZB 56/22 lag dieser typische Sachverhalt zugrunde:

Das Familiengericht verpflichtete den Schuldner, der Gläubigerin für den Zeitraum 01.01.2008 bis 31.08.2010 rückständigen Trennungsunterhalt und ab 01.09.2010 laufenden Trennungsunterhalt zu zahlen. Der Unterhaltsschuldner zahlte nicht.

Am 23.06.2014 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Unterhaltsgläubigerin meldete für den Zeitraum 01.01.2008 bis 22.06.2014 eine Forderung in Höhe von 57.126,00 € an und machte zugleich geltend, dass es sich dabei um eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung handelt. Der Schuldner erhob dagegen, d. h. gegen die Geltendmachung als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, Widerspruch. Mit Beschluss vom 10.10.2018 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben und mit Beschluss vom 05.01.2021 die Restschuldbefreiung erteilt.

Der Unterhaltsschuldner beantragte schließlich, die Vollstreckung aus dem familiengerichtlichen Unterhaltsbeschluss für unzulässig zu erklären und die Unterhaltsgläubigerin zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung des familiengerichtlichen Unterhaltsbeschlusses herauszugeben; die Unterhaltsgläubigerin stellte einen Widerantrag, der darauf gerichtet war, festzustellen, dass die Forderungen aus dem familiengerichtlichen Unterhaltsbeschluss aus dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung bestehen.

2. Die Normen

Die maßgeblichen Normen, wobei auf eine vollständige Zitierung des Gesetzes verzichtet wird, sind:

  • § 174 InsO Anmeldung der Forderung
  • § 178 InsO Voraussetzungen und Wirkungen der Feststellungen
  • § 184 InsO Klage gegen einen Widerspruch des Schuldners
  • § 201 InsO Rechte der Insolvenzgläubiger nach Verfahrensaufhebung
  • § 302 InsO (von der Restschuldbefreiung) Ausgenommene Forderungen
  • § 113 Abs.1 S. 2 FamFG i. V. m. § 767 ZPO Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung i. V. m. der Vollstreckungsabwehrklage nach ZPO
  • § 238 FamFG Abänderung gerichtlicher Entscheidungen
  • § 195 BGB Regelmäßige Verjährungsfrist
  • § 197 BGB Dreißigjährige Verjährungsfrist
  • § 204 BGB Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung

3. Die Entscheidung

Der BGH löst den Fall Schritt für Schritt anhand der oben genannten gesetzlichen Regelungen. Er hebt die Entscheidung des Beschwerdegerichtes teilweise auf und verweist die Angelegenheit mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen durch das Beschwerdegericht im Übrigen an das Rechtsbeschwerdegericht zurück.

3.1. Unzulässigkeit der Vollstreckung

Die Unterhaltsgläubigerin kann aus dem familiengerichtlichen Trennungsunterhaltsbeschluss nicht mehr vollstrecken. Der in diesem Beschluss titulierte Trennungsunterhalt war, jedenfalls der bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene und von der Unterhaltsgläubigerin angemeldete Trennungsunterhalt, eine Insolvenzforderung. Der Unterhaltsschuldner erhielt durch Beschluss des Insolvenzgerichtes davon Restschuldbefreiung.

Streitgegenstand des familiengerichtlichen Unterhaltsbeschlusses waren ausschließlich Trennungsunterhaltsansprüche, nicht jedoch deliktische Ansprüche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. „Bei Ansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 170 Abs. 1 StGB handelt es sich - wie der Senat bereits entschieden hat - um einen anderen Streitgegenstand als den Unterhaltsanspruch ...“1 Der familiengerichtliche Unterhaltsbeschluss „enthält hierzu keine Entscheidung“2.

3.2. Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des familiengerichtlichen Unterhaltsbeschlusses

Ob die Unterhaltsgläubigerin den Unterhaltstitel, die vollstreckbare Ausfertigung des familiengerichtlichen Unterhaltsbeschlusses, an den Unterhaltsschuldner herauszugeben hat, konnte der BGH mangels Tatsachenfeststellung durch das Beschwerdegericht nicht entscheiden. Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab 23.06.2014 entstandenen Trennungsunterhaltsansprüche sind keine Insolvenzforderungen, sondern Neuverbindlichkeiten. Diese nehmen „an der Restschuldbefreiung nicht teil“3. Der laufende Trennungsunterhalt könnte jedoch „aus anderen Gründen – etwa der Rechtskraft der Ehescheidung – nicht mehr verlangt werden“; das hat das Beschwerdegericht noch aufzuklären.

3.3. Feststellung der zur Tabelle angemeldeten Forderung als Schadenersatzanspruch wegen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung

Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen durch das Beschwerdegericht konnte der BGH nicht entscheiden, ob der Antrag der Unterhaltsgläubigerin gemäß § 184 InsO auf Feststellung eines Schadenersatzanspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zulässig und begründet ist.

Der Unterhaltsschuldner hat Widerspruch gegen die Anmeldung als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung erhoben. Eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ist nicht tituliert, wie bereits oben ausgeführt. Demzufolge oblag es nicht dem Unterhaltsschuldner, sondern der Unterhaltsgläubigerin Klage gemäß § 184 InsO zu erheben.

Die von der Unterhaltsgläubigerin gemäß § 184 Abs.1 InsO erhobene Feststellungsklage kann auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung noch erfolgen.4 Zulässigkeitsvoraussetzung ist jedoch, dass die Unterhaltsgläubigerin den Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung wirksam angemeldet hat.5

Der BGH führt hierzu aus, dass die Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht ausreichen, um eine wirksame Anmeldung einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung annehmen zu können. Im Einzelnen:

„Der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung muss dazu in der Anmeldung so beschrieben werden, dass der aus ihm hergeleitete Anspruch in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei bestimmt ist und der Schuldner erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird ... Aus der Anmeldung muss daher klar hervorgehen, aus welchem Lebenssachverhalt sich der deliktische Charakter der Forderung ergibt. Es muss erkennbar sein, für welchen Zeitraum der Gläubiger Schadensersatz wegen nicht bezahlten Unterhalts fordert. Für einen Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlich begangenen Unterhaltspflichtverletzung sind daher mindestens drei Angaben erforderlich. Der Gläubiger muss aufzeigen, für welchen konkreten Zeitraum der Schuldner Unterhalt schuldet. Der Gläubiger muss weiter angeben, dass und in welchem Umfang der Schuldner den geschuldeten Unterhalt nicht bezahlt hat. Schließlich muss der Gläubiger mitteilen, dass es sich um einen Anspruch aus einem vorsätzlichen Delikt, beispielsweise einer Straftat - im Streitfall § 170 Abs. 1 StGB - handelt.“6

Weiter:

„Hingegen genügt es für eine wirksame Anmeldung nach § 174 Abs. 2 InsO nicht, wenn der Gläubiger ausschließlich den Forderungsbetrag angibt und auf dem Anmeldeformular das Kästchen ‚Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung‘ ankreuzt. Das Gesetz verlangt die Angabe von Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass der Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zugrunde liegt. Dem ist nicht schon dadurch Genüge getan, dass der Gläubiger die Forderung als eine solche ‚aus vorsätzlich begangener Handlung‘ bezeichnet.“7

Begründet wäre der Feststellungsantrag der Unterhaltsgläubigerin, wenn die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 170 Abs. 1 StGB bejaht werden kann, wie vorliegend geschehen, und dieser Anspruch nicht verjährt ist, nachdem der Unterhaltsschuldner die Einrede der Verjährung geltend gemacht hat.

Die regelmäßige Verjährungsfrist eines Schadenersatzanspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung beträgt 3 Jahre, § 195 BGB.

Die Verjährungsfrist für rechtskräftig festgestellte Ansprüche gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB ist nicht anwendbar, weil etwaige Ansprüche der Unterhaltsschuldnerin aus einer vorsätzlichen Verletzung der Unterhaltspflicht nicht rechtskräftig festgestellt sind. Der familiengerichtliche Unterhaltsbeschluss betrifft nur Ansprüche auf Trennungsunterhalt, wobei für die künftig fällig werdenden Unterhaltsansprüche weiterhin die regelmäßige (dreijährige) Verjährungsfrist gilt.8

Ebenso wenig greift die 30-jährige Verjährung nach § 197 Abs. 1 Nr. 5 BGB in Verbindung mit § 201 Abs. 2 InsO. Der Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 170 Abs. 1 StGB ist nicht durch eine im Insolvenzverfahren erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden.9 Es steht zum einen nicht fest, dass die Unterhaltsgläubigerin den Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung wirksam zur Tabelle anmeldete; zum anderen hat der Unterhaltsschuldner Widerspruch gegen die Anmeldung als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung erhoben.

Der BGH führt im Weiteren aus, dass „nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts der Lauf der regelmäßigen Verjährungsfrist jedenfalls mit dem Beschluss über den Trennungsunterhalt vom 8. Mai 2013 in Gang gesetzt worden. Der Antragsgegnerin war aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts vom 8. Mai 2013 bewusst, dass zu ihren Gunsten eine Unterhaltspflicht besteht. Da ihr auch bewusst war, dass ihr Lebensbedarf nur aufgrund von Zahlungen Dritter nicht gefährdet wurde, kannte sie spätestens zu diesem Zeitpunkt die den deliktischen Rechtsgrund der Forderung begründenden Tatsachen. Die regelmäßige Verjährung für bis zum Ende des Jahres 2013 entstandene Ansprüche wäre danach mit Ende des 31. Dezember 2016 abgelaufen (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB).10

Der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung wäre gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gehemmt worden, wenn die Forderungsanmeldung bezüglich eines Schadensersatzanspruchs aus einer vorsätzlich begangenen Verletzung der Unterhaltspflicht wirksam erfolgt wäre. Dazu fehlen noch die erforderlichen Tatsachenfeststellungen des Beschwerdegerichtes (s. o.).

Die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB endet nicht erst mit der rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung, sondern „sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens (§ 204 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dabei kommt es auf den rechtskräftigen Abschluss des Insolvenzverfahrens durch Aufhebung gemäß §§ 200, 258 InsO oder Einstellung gemäß § 207, §§ 211 ff. InsO an …“.11

4. Schlussfolgerungen

In Fällen, in denen sich der Unterhaltsschuldner offensichtlich der Unterhaltspflicht entzieht bzw. rückständigen gesetzlichen Unterhalt vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt, macht es Sinn, bereits im familiengerichtlichen Verfahren den Anspruch (den rückständigen Unterhalt) als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung feststellen zu lassen. Das Familiengericht ist hierfür gemäß § 111 Nr. 10 FamFG (sonstige Familiensache) zuständig.

Bei der Anmeldung von Unterhaltsansprüchen im Insolvenzverfahren ist darauf zu achten, dass -bei entsprechenden Hinweisen- die Anmeldung als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung erfolgt und zwar unter Angabe von Grund und Betrag der Forderung sowie der Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung bzw. eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht zugrunde liegt, § 174 InsO.

Zu beachten ist vor allem die allgemeine Verjährungsfrist von 3 Jahren, welche auch für titulierte Ansprüche auf künftig fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen gilt, §§ 195, 197 Abs. 2 BGB.

Werden Ansprüche im Insolvenzverfahren angemeldet, können diese nur bei wirksamer Anmeldung zu einer Hemmung der Verjährung, einer vollstreckbaren Feststellung sowie einer Ausnahme von der Restschuldbefreiung (bei den in § 302 InsO genannten Verbindlichkeiten) führen.

Um Neuverbindlichkeiten nach Insolvenzeröffnung aufgrund von Unterhaltsforderungen zu vermeiden, muss der Unterhaltsschuldner ggf. eine Abänderung des Unterhaltstitels auf eine seiner Leistungsfähigkeit angepasste Verbindlichkeit bewirken. Hierfür steht ihm die Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO / § 238 FamFG zur Verfügung. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners bemisst sich im Insolvenzverfahren nach seinen nicht pfändbaren Einkommensbestandteilen. Der Pfändungsfreibetrag berücksichtigt die Unterhaltspflichten. Erfolgt keine Abänderung des Unterhaltstitels und zahlt der Unterhaltsschuldner keinen bzw. nicht den vollständigen Unterhalt, entstehen Neuverbindlichkeiten, für die die Restschuldbefreiung nicht gilt.

Literaturverzeichnis