Staatsanwalt war Pornodarsteller: Ja, und?

Gestern berichtete Denis Krick (dkr) von Spiegel Online unter dem Titel „YouTube-Video enttarnt Staatsanwalt als früheren Pornostar“ über den New Yorker Staatsanwalt Mark Suben, dessen Vergangenheit als Pornodarsteller in den siebziger Jahren in einem YouTube-Video vom 15. November enthüllt wurde. Der lediglich wiedergebende Artikel möchte – wie die zuvor veröffentlichten englischsprachigen Artikel in anderen Magazinen – zumindest ein leichtes Gefühl des Entsetzens wegen der Verleugnung der Vergangenheit für eine Wiederwahl, vielleicht gar Abscheu wegen der Gegensätzlichkeit von ehemaliger zu aktueller Tätigkeit beim Leser hervorrufen, er erreicht aber mit seiner oberflächlichen, einseitigen und unkritischen Betrachtungsweise genau das Gegenteil: Die Presse enthüllt damit ihre eigene Geilheit.

Bereits der erste Satz des Artikel-Teasers offenbart die fehlende Empathie zum Enthüllungsopfer: „Der Schnurbart ist noch derselbe, nur den Beruf hat Mark Suben still und heimlich gewechselt.“ Der Schnurbart sei als witziges, kontinuierliches Element zwischen einem vermeintlichen Tief und Hoch einmal dahingestellt, aber hätte der Staatsanwalt Suben etwa mit seiner Ex-Pornokarriere überall hausieren, in Vita und auf Visitenkarte ein „Pornostar a.D.“ vermerken sollen?

An dieser Stelle versäumt es der Autor völlig – sowie auch andere Autoren vor ihm – differenziert der Frage nachzugehen, inwieweit eine vierzig Jahre zurückliegende Tätigkeit Bedeutung für den aktuellen Beruf als Staatsanwalt und einer Wiederwahl hierzu haben kann. Nämlich keine: Von einer unüberbrückbaren Beeinflussung oder Beeinträchtigung bei der Strafverfolgung kann keine Rede sein. Oder um es einmal von der anderen Seite zu betrachten: Auch bei einem Staatsanwalt, der Pornos zwar nicht macht, aber sie schaut (ob nun aktuell oder vor vierzig Jahren), wird man zu der Einsicht gelangen, dass sie ihn nicht in einem mit der Berufsausübung unvereinbaren Maße beeinflussen. Der Produzent handelt in diesem Fall nicht gesellschaftlich verwerflicher als der Konsument. Darauf stellt aber der Artikel einseitig ab.

Ferner heißt es im Teaser: „Um seine Wiederwahl nicht zu gefährden, log er die Medien an - und musste nun doch die Wahrheit sagen.“ Zunächst: Dass der Autor hier einen Viertelgeviertstrich statt des typografisch und orthografisch richtigen Halbgeviertstrich gebraucht, ist zwar inhaltlich unschädlich, untermauert aber die unsaubere Arbeitsweise. Von einer ordentlichen Arbeitsweise hätte hingegen die kritische Würdigung dieser Lüge gezeugt: Was hat ihn zu dieser Lüge bewegt, ist das Lügen nachvollziehbar?

Suben legte sich seinerzeit als Pornodarsteller den Künstlernamen Gus Thomas an. Dies zeigt, dass er diese Tätigkeit nicht mit seinem bürgerlichen Namen in Verbindung bringen wollte. Es ist verständlich, dass man so etwas grundsätzlich im Geheimen halten möchte. Seine Sprecherin äußerte hinsichtlich jener Zeit folgendes: „This was nearly 40 years ago. It was not illegal. Mark Suben was not yet married. He was not practicing law and he was not a law student”. Soweit die ex-ante-Betrachtung.
Aus der ex-post-Sicht ist die Geheimhaltung umso verständlicher: Wahlkampf hin oder her, die Bekleidung eines öffentlichen Amtes ist keine Generalvollmacht für die Presse, auf alle privaten Fragen, die das Amt nicht tangieren, eine wahrheitsgemäße Antwort zu verlangen – zumal ein Staatsanwalt keine absolute Person des öffentlichen Lebens ist. Nun ist dennoch alles raus und sie fallen über ihn her, es passiert das, was Suben vermeiden wollte. Oder um es wieder von der anderen Seite aufzuzäumen: Ein Mann, der in einer kurzen Periode seines Lebens in den 70ern blankgezogen hat und nun bekleidet seinem Leben wie viele andere nachgeht, wird von einer sensationsgeilen Presse bloßgestellt. Das ist das Unanständige dieser Story.

Entblößt wurde Suben vor dieser Bloßstellung durch das YouTube-Video eines anonymen Users, der sich Irwin Schmeck nennt. Zuvor hatte dieser verschiedene New Yorker Medien von der Vergangenheit des Staatsanwaltes zu überzeugen versucht. Doch erst durch das Video war durch Suben nichts mehr abstreitbar. Dieser Anonyme wurde als „Whistleblower” tituliert, so auch im hier diskutierten Spiegel-Artikel. Doch er hat keinen Missstand aufgedeckt. Ganz im Gegenteil: Er möchte schädigen. Er hat eine Person angeschwärzt und sie damit ein Leben lang mit einem Stigma belegt. Dieser Anonyme ist ein Denunziant – sowohl in analytischer als auch in pejorativer Hinsicht.

Hier wurde nichts enthüllt, hier wurde jemand entblößt und bloßgestellt: Vor sich selbst, seiner Familie, seinen Freunden, der Öffentlichkeit. Und statt dass man sich bei ihm für die Lage entschuldigt, entschuldigt sich dieser für die Mittel, die eigentlich hätten seine peinliche Lage verhindern sollen:

„A few weeks ago, when asked, I denied this to members of the press. I regret that and I apologize for it. I was shocked and embarrassed to be confronted with this so many years later. I was embarrassed for my family and friends who have stood by me. I also denied my actions to my family, my friends and my staff.”

Die Voyeure blicken und zeigen auf den Nackten und merken in ihrer besessenen Geilheit nicht, dass auch sie dabei beobachtet werden.