Die Leitungsbaulast, ChatGPT und der VGH BW
Es war einmal eine Baulast, die im Jahre 1994 per schriftlicher Verfügung des Landratsamts ins Baulastenbuch der Gemeinde hineinkam. Die Baulast war zwar klein, jedoch sollte ihr eine wichtige Aufgabe zukommen. Indem sie in dem ihr beigefügten Lageplan den Verlauf einer gemeindlichen Abwasserleitung darstellte, war der Zweck klar: Sie sollte den Verlauf der Leitung absichern. Stand ihr vielleicht noch Größeres bevor? Sollte sie möglicherweise sogar die Erschließung sichern? Zur Zeit ihrer Geburtsstunde war dies jedenfalls noch nicht klar.
Sechs Jahre später, im Jahr 2000, ereilte die Leitungsbaulast ein für sie unvorhersehbares Ereignis, das ihr für kurze Zeit den Boden unter den Füßen wegreißen sollte. Eine Grundstücksteilung brachte einen Schicksalsschlag in das Leben der noch jungen Baulast. Diesen verkraftete sie jedoch gut, insbesondere auch, weil die jeweiligen behördlichen Sachbearbeiter es gut mit ihr meinten. So erklärte der Vater der Leitungsbaulast diese weiterhin für wirksam, indem er sie hinsichtlich der geänderten Grundstücksverhältnisse neu aussprach. Außerdem erhielt die Leitungsbaulast ein neues Gewand mit schickem Logo.
Ein paar weitere Jahre gingen ins Land und die Baulast verhielt sich, wie es für Baulasten meistens so üblich ist, unauffällig. Das war selbst noch der Fall, als die Gemeinde bauleitplanerisch tätig war und, immer noch in den 2000ern, ein Gewerbegebiet auswies, welches nun neben der Leitungsbaulast bestand. Welch ein Spaß! Neue Nachbarn!
Da die Gemeinde das Gebiet weiter harmonisieren wollte, plante sie im Jahr 2017 weiter und schloss ihre Planungen im Jahr 2018 mit weiterem Satzungsbeschluss ab. Das Gewerbegebiet sollte in Richtung Osten ein bisschen weiter eingeschränkt werden. Außerdem war eine planexterne Ausgleichsfläche erforderlich.
Da die Gemeinde aber auch bei der Harmonisierungsplanung nicht daran dachte, Leitungsverläufe im Bebauungsplan festzusetzen (§ 9 Abs. 1 Nr. 13 BauGB), war die Baulast mehr als glücklich und verhielt sich, wie zu erwarten, unauffällig.
Die Ruhe sollte jedoch nur für den Moment sein. Bereits ein paar Monate später stellte eine Bauherrin ein Baugesuch. Plötzlich wurde die Leitungsbaulast entdeckt, indem die Gemeinde der unteren Baurechtsbehörde Informationen über sie zuschob. Welch ein Schreck! Neue Nachbarn! War die Baulast etwa im Weg? Jedenfalls sollte sie nun teilweise auf privatem Grund liegen.
Der Bauherrin gefiel die Leitungsbaulast jedenfalls gar nicht. Sie war ihr im Weg. Deshalb sollte die Baurechtsbehörde auf sie verzichten. Ein Todesstoß, aber jedenfalls das Exil. Die Baurechtsbehörde meinte es jedoch weiter gut mit der Baulast und wollte dies nicht. Daher lehnte sie die Verzichtsbitte der Bauherrin ab.
Es kam wie es kommen musste. Ein Streit brach aus. Die Akten gelangten zu dem Regierungspräsidium im Widerspruchsverfahren. Dieses wies den Widerspruch zurück, eine Klage wurde erhoben, das Verwaltungsgericht wies diese ab.
Rechtsanwälte wurden von der Bauherrin eingeschaltet und der Streit gelangte zum Verwaltungsgerichtshof. Dieser lies die Berufung der Bauherrin zu, obwohl doch alle vorher gesagt hatten, die Baulast dürfe bleiben. Auch auf Nachfrage der Baurechtsbehörde, die ChatGPT folgendermaßen befragte, orakelte die künstliche Intelligenz sogar:
„Darf eine Baulast herangezogen werden, um ein Leitungsrecht und eine Leitung zu sichern?“
ChatGPT:
„Eine Baulast kann verwendet werden, um ein Leitungsrecht und eine Leitung zu sichern, indem sie auf das Grundstück eingetragen wird, auf dem die Leitung verlegt werden soll. Eine Baulast ist eine Art von Grundpfandrecht, das dem Eigentümer des Grundstücks eine bestimmte Verpflichtung auferlegt, die erfüllt werden muss, bevor er das Grundstück veräußern oder belasten kann. In diesem Fall würde die Baulast besagen, dass der Eigentümer das Recht hat, die Leitung auf dem Grundstück zu verlegen und zu betreiben und dass er verpflichtet ist, die Leitung in einwandfreiem Zustand zu halten und zu reparieren, falls erforderlich.“.
In der mündlichen Verhandlung vor dem VGH BW kam es jedoch, wie es kommen musste. Dieser sagte „Nein!“ und berief sich unter anderem auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 04.10.1994 – 4 B 175/94. Dieser formulierte in den Entscheidungsgründen unter anderem:
„Das Rechtsinstitut der öffentlichen Baulast ist dem Bauordnungsrecht zuzurechnen. Mit der Baulast sollen Hindernisse ausgeräumt werden, die im Einzelfall einer Bebauung (oder Nutzungsänderung) entgegenstehen können (BVerwG, Beschluß vom 27. September 1990 - BVerwG 4 B 34 u. 35.90 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 32). Die Baulast kann jedoch nicht mit der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit oder mit ähnlichen Sachenrechten des bürgerlichen Rechts (§§ 1018 ff. BGB) auf eine Stufe gestellt werden. Als ein Rechtsinstitut des Bauordnungsrechts setzt sie nämlich einen Zusammenhang mit einem baurechtlich relevanten Tun, Dulden oder Unterlassen voraus; sie greift unmittelbar in das Regelungsgefüge ein, das für die Zulassung der baulichen Nutzung und damit für die Entscheidung über die Baugenehmigung bestimmend ist. Damit eröffnet sie nicht generell die Möglichkeit, in öffentlich-rechtlicher Form Verpflichtungen auch dann zu übernehmen, wenn hierfür unter baurechtlichen Aspekten kein auch nur entferntes Bedürfnis erkennbar ist.“.
Die Baulast erschreckte dies zutiefst, als sie aus dem gemeindlichen Baulastenverzeichnis entfernt werden sollte. Wie konnte die Leitung künftig ohne sie gesichert sein? Außerdem hatte es doch die ganze Zeit geklappt. Ohnehin war die Baulast sehr viel unkomplizierter und günstiger als eine beurkundungsbedürftige Leitungsdienstbarkeit oder Duldungsverfügung.
Und die Moral von der Geschicht:
Rohre verlegen können viele, mit den Konsequenzen umgehen nur manche. Baulasten allein zur Absicherung von (Ab)Wasserleitungen – also wasserrechtlichen Thematiken (§ 93 S. 1 WHG) – lohnen sich nicht.
Zwar können sie unwirksam, aber nicht nutzlos sein. Drum dürfen sie gegebenenfalls trotzdem gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 LBO ins Bulastenverzeichnis als Bauvermerke rein. Gerade bei unterirdischen Leitungen, bietet es sich an, denn diese sind unsichtbar für Jedermann. Die Vorschrift gebietet den Gemeinden in das Baulastenverzeichnis auch andere – nicht baulastfähige – Verpflichtungen des Grundstückseigentümers baurechtlicher Art zu einem das Grundstück des Eigentümers betreffenden Tun, Dulden oder Unterlassen als sog. Bauvermerke einzutragen, falls ein öffentliches Interesse daran besteht. Bei fehlendem öffentlichem Eintragungsinteresse liegt die Eintragung im pflichtgemäßen Ermessen der das Baulastverzeichnis führenden Gemeinde.1
Abschließend, das sei gewiss, ist rechtsfrei in Deutschland nichts: Das private Nachbarrecht kann helfen, in den § 7f NRG, § 917 BGB ist das Notleitungsrecht geregelt. Die Vorschrift des § 7f NRG ist als als Eigentumsschranke zu verstehen. Das belastete (fremde) Grundstücke muss an das begünstigte Grundstück nicht unmittelbar angrenzen. Das Notleitungsrecht dient dem Anschluss eines Grundstücks an eine Versorgungsleitung, eine Abwasserleitung oder einen Vorfluter.2