*Die Hilflosigkeit, die wir bei der Diskussion des Flüchtlingsproblems empfinden, beruht überwiegend auf dem Gefühl, dass wir uns einseitig mit Leistungen verausgaben, aber keine Gegenleistung und keinen Dank zu erwarten haben. Andere Staaten, die die europäischen Vereinbarungen offen brechen, werfen uns sogar vor, ihnen Schuldgefühle zu vermitteln, weil wir uns an diese Verträge halten. Zudem vermischt sich in der öffentlichen Diskussion das Verhalten asylberechtigter Menschen mit dem von Horden Kleinkrimineller, die uns saisonweise überziehen und ihre Landsleute in Misskredit bringen. So entstehen Gerüchte – »das älteste Massenmedium der Welt1« – die sich im Internet und anderen neuen Medien irrational verstärken und Angst auslösen. Viele sehen ihre Sorgen in den klassischen Medien nicht mehr richtig erkannt, andere halten es für politisch unkorrekt, über die Unterschiede zwischen uns und den Flüchtlingen zu diskutieren und betonen die Notwendigkeit einer »Willkommenskultur«: »Jeder hat das Recht BWLer zu sein – auch Geflüchtete!« – so eine Kampagne der betterplace.org. Recht besteht aus Regeln, die Menschen einer Gruppe für und gegen sich gelten lassen wollen und in sie ist nicht »jeder« eingebunden. In diese Verwirrung moralischer Appelle mit politischen Visionen kann man Klarheit bringen, wenn man die praktischen Auswirkungen des Problems analysiert2, und sie an dem rechtlichen Handlungsspielraum prüft, in dem sie sich verwirklichen können.
- *. Überarbeitete und ergänzte Fassung. Eine Kurzfassung wurde veröffentlicht im Merkur – Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken – Heft 803/2016 S. 85-93
- 1. Jean-Noel Kapferer: Gerüchte, Gustav Kiepenheuer Leipzig 1996.
- 2. Aktuelle Zahlen Bericht 08/2023 (bamf.de).