BGHSt 47, 52; JR 2002, 473; NJW 2001, 3560
Titel zum Volltext
Daten
- Sicherungsverfahrensantrag - Staatsanwaltschaft - Beschwerdeverfahren - Hauptverfahren - Unterbringung - Seelische Störung - Gesamtwürdigung - Verhältnismäßigkeit - Beleidigung
Rechtsnormen
Seitennummerierung nach:
Seiten:
BGHSt 47, 52 (52):
Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens kann im Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft noch im Beschwerdeverfahren nach Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gestellt werden.
StPO § 414 Abs. 2.
2. Strafsenat
Urteil
vom 6. Juni 2001 g.H.
- 2 StR 136/01 -
Landgericht Koblenz
Aus den Gründen:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
Die Verfahrensvoraussetzungen einer zulässigen Antragsschrift und eines demgemäß wirksamen Eröffnungsbeschlusses ist gegeben. Im einzelnen:
Dem Verfahren liegen zwei ursprünglich an das Amtsgericht St. Goar gerichtete Anklagen vom 12. August und 9. November 1999 zugrunde. In dem einen Strafverfahren hat die Staatsanwaltschaft Koblenz am 23. Dezember 1999 die einstweilige Unterbringung
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des Beschuldigten nach § 126a StPO beantragt und im Hinblick auf die zu erwartende Maßregelanordnung die Vorlage der Akten an das Landgericht gemäß § 209 Abs. 2 StPO oder § 225a StPO angeregt. Durch Beschluß vom 7. Februar 2000 hat das Landgericht Koblenz nach Verbindung der beiden Verfahren das Sicherungsverfahren bezüglich der Tat II.4. eröffnet und im übrigen die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Gegen die teilweise Nichteröffnung des Sicherungsverfahrens hat die Staatsanwaltschaft Koblenz fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt und in der Beschwerdebegründung ausdrücklich die Eröffnung des Sicherungsverfahrens beantragt. Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit Beschluß vom 15. März 2000 auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft das Sicherungsverfahren auch hinsichtlich der weiteren Taten eröffnet.
Die Antragsschrift nach § 414 Abs. 2 StPO ist Prozeßvoraussetzung für das Sicherungsverfahren und wird durch eine Anklageschrift nicht ersetzt (Fischer in KK 4. Aufl. Rn. 9 ff.; Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Rn. 18; Pfeiffer, StPO 3. Aufl. Rn. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Rn. 3 jeweils zu § 414). Auf eine die Durchführung des Strafverfahrens bezweckende Anklageschrift kann das Hauptverfahren im Sicherungsverfahren nicht eröffnet werden, weil der Eröffnungsrichter damit in unzulässiger Weise in das hinsichtlich der Durchführung des selbständigen Sicherungsverfahrens bestehende Ermessen der Staatsanwaltschaft eingreifen würde (RGSt 72, 143). Am Fehlen des erforderlichen Antrags nach § 414 Abs. 2 StPO vermag auch die nachträgliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Eröffnung des Sicherungsverfahrens nichts zu ändern.
Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens kann jedoch von der Staatsanwaltschaft als Hilfsantrag mit einer Anklageschrift verbunden (RGSt a.a.O., Fischer a.a.O. Rn. 10; Gössel a.a.O.) oder im weiteren Verlauf des Zwischenverfahrens gestellt werden (a.A. wohl Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 416 Rn. 1). Auch in diesem Fall ist das Einleitungsermessen der Staatsanwaltschaft gewahrt. Im übrigen ist die Staatsanwaltschaft bis zu einer Eröffnungsentscheidung des Gerichts ohnehin befugt, die Anklageschrift zurückzunehmen und eine Antragsschrift nach § 414
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Abs. 2 StPO neu einzureichen. Die Stellung eines Sicherungsverfahrensantrags ist darüber hinaus auch noch im Beschwerdeverfahren nach Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens möglich. Die Entscheidungsfreiheit der Staatsanwaltschaft wird nicht eingeschränkt und die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten sind durch dessen Beteiligung im Beschwerdeverfahren gewahrt. Daß eine Anklage über den Wortlaut des § 156 StPO hinaus auch nach einem die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Beschluß von der Staatsanwaltschaft nicht mehr zurückgenommen werden kann (OLG Frankfurt JR 1986, 470; Schoreit in KK 4. Aufl. § 156 Rn. 4; Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl. § 156 Rn. 7), steht dem nicht entgegen. Denn diese Beschränkung der Rücknahmemöglichkeit dient dazu, dem Angeschuldigten die Sperrwirkungen des § 211 StPO zu erhalten (Rieß a.a.O.; Meyer-Goßner JR 1986, 471, 472). Die Vorschrift des § 211 StPO steht aber bei einer Ablehnung der Eröffnung des Strafverfahrens wegen Schuldunfähigkeit der anschließenden Durchführung eines Sicherungsverfahrens gerade nicht entgegen (Tolksdorf in KK 4. Aufl. § 211 Rn. 5; Rieß a.a.O. § 211 Rn. 7).Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 23. Dezember 1999 nicht als Hilfsantrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens ausgelegt werden. Die einstweilige Unterbringung in § 126a StPO ist ebenso wie die Unterbringung nach § 63 StGB ohne weiteres im Strafverfahren möglich. In der Antragsbegründung wird ausgeführt, daß aufgrund der vorliegenden gutachterlichen Äußerungen von einer zumindest verminderten Schuldfähigkeit des Beschuldigten auszugehen und das Vorliegen der Maßregelvoraussetzungen durch eine ausführliche Begutachtung im Verlauf des weiteren Strafverfahrens zu klären sei.
Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens ist jedoch bezüglich der vom Landgericht nicht eröffneten Taten II.1. - 3. und 5. - 8. von der Staatsanwaltschaft in dem sofortigen Beschwerdeverfahren - nach dem oben Ausgeführten wirksam - gestellt worden. Hinsichtlich dieser Taten liegen somit die Verfahrensvoraussetzungen einer Antragsschrift nach § 414 Abs. 2 StPO und eines Eröffnungsbeschlusses vor.