BGHSt 16, 261; MDR 1962, 149; NJW 1961, 2359
Titel zum Volltext
Daten
- Landgericht Essen
Seitennummerierung nach:
Seiten:
BGHSt 16, 261 (261):
1. Schädliche Neigungen eines Jugendlichen können sich bereits in seiner ersten Straftat auswirken. Es bedarf dann aber regelmäßig der Feststellung schon vor der Tat entwickelt gewesener Persönlichkeitsmängel, die auf die Tat Einfluß gehabt haben und befürchten lassen, daß weitere Straftaten begangen werden.
2. Die Nichtfreistellung Jugendlicher, die einer Straftat für schuldig befunden worden sind, von Kosten und Auslagen bedarf namentlich dann ausdrücklicher Erörterung, wenn bei mehreren Jugendlichen unterschiedliche geldliche Verhältnisse vorliegen.
JGG §§ 17, 74
4. Strafsenat
Urteil
vom 29. September 1961 g.C.u.a.
- 4 StR 301/61 -
I. Landgericht Essen
Aus den Gründen:
Die Strafkammer hat die drei Angeklagten als Mittäter eines auf öffentlicher Straße verübten Raubes verurteilt.
1. Der Angeklagte G. wendet sich gegen die Annahme, daß bei ihm schädliche Neigungen in seiner Tatbeteiligung offenbar geworden seien und daß seine Schuld schwer wiege.
Die Annahme der Strafkammer, bei ihm hätten sich schädliche Neigungen in seiner Tat gezeigt, begegnet auf Grund der bisherigen Feststellungen erheblichen Bedenken. Bei der Schilderung des Werdegangs dieses Angeklagten, der zur Zeit der Tat den Beruf eines Bergmanns erlernte und diese Lehre nach Entlassung aus der vorübergehenden Untersuchungshaft in vorliegender Sache fortsetzte, erwähnt die Strafkammer, daß er - abgesehen von zwei geringfügigen Verkehrsübertretungen - bis zur jetzigen Tat nicht nachteilig aufgefallen sei. Er wie seine Großeltern, bei denen er unter besten persönlichen und räumlichen Umständen untergebracht sei, genössen einen ein
BGHSt 16, 261 (262):
wandfreien Ruf. Außer einem wöchentlichen Taschengeld von 5 DM liefere er ihnen seinen gesamten Lohn ab, den sie für ihn ansparen.
Dennoch glaubt die Strafkammer auf schädliche Neigungen bei ihm allein "aus der Art der Tat" und "den Umständen ihrer Ausführung" schließen zu dürfen.
Es sind zwar Straftaten jugendlicher Täter denkbar, in denen sich schädliche Neigungen schon dann kundtun, wenn es sich um erstmalige Verfehlungen handelt. Dann wird es aber regelmäßig der Feststellung von Persönlichkeitsmängeln des Jugendlichen bedürfen, die entscheidend zur Begehung der Tat beigetragen haben. Denn von schädlichen Neigungen eines Menschen, die in einer bestimmten Tat hervorgetreten sind, kann regelmäßig nur gesprochen werden, wenn sie schon vor der Tat in seinem Charakter, wenn auch verborgen, angelegt waren. Es muß sich dabei mindestens um, sei es anlagebedingte, sei es durch unzulängliche Erziehung oder ungünstige Umwelteinflüsse 'begründete Mängel der Charakterbildung handeln, die den Jugendlichen in seiner Entwicklung zu einem brauchbaren Glied der sozialen Gemeinschaft gefährdet erscheinen und namentlich befürchten lassen, daß er durch weitere Straftaten deren Ordnung stören werde (BGH GA 1958, 47 bei Herlan = MDR 1957, 397 bei Dallinger). Zu alledem enthält das Urteil keinerlei Erwägungen.
Bei ihrer hiernach erforderlichen neuen Beurteilung wird die Strafkammer Gelegenheit haben, zu bedenken, ob es sich bei dem Beitrag des Angeklagten G. nicht um eine durch die Umstände begünstigte Gelegenheitstat gehandelt und dabei falsch verstandene Abenteuerlust mitgespielt haben kann.
Die dargelegten Mängel in der Begründung der Meinung, beim Angeklagten seien schädliche Neigungen zu Tage getreten, müßten selbst dann zur Aufhebung des Strafausspruchs führen, wenn die Strafkammer mit Recht die in seiner Tat liegende Schuld als schwer hätte beurteilen und deshalb Strafe für erforderlich halten dürfen. Denn mindestens könnte dieser Mangel die Höhe der erkannten Jugendstrafe zu seinem Nach
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teil beeinflußt haben. Indessen wird die Strafkammer in der neuen Hauptverhandlung aus dem in § 17 JGG vorgesehenen Grund der Schwere der Schuld nur dann auf Jugendstrafe erkennen dürfen, wenn diese aus erzieherischen Gründen erforderlich ist. Denn für die Frage, ob und in welcher Höhe die reine Schuldstrafe dieser Bestimmung verhängt werden soll, ist in erster Linie das Wohl des Jugendlichen maßgebend. Von ausschlaggebender Bedeutung sind dabei seine charakterliche Haltung und sein Persönlichkeitsbild. Demgegenüber kommt dem äußeren Unrechtsgehalt seiner Tat nur insofern Bedeutung bei, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Schuldhöhe gezogen werden können. Gesichtspunkte des Schutzes der Allgemeinheit müssen dagegen zurücktreten (BGHSt 15, 224).
2. Die Strafkammer hat die Kosten des Verfahrens den Angeklagten, soweit sie verurteilt worden sind, auferlegt. Zur Begründung dieses Teils ihrer Entscheidung verweist sie lediglich "auf §§ 465, 467 StPO". Sie sagt nichts darüber, daß sie von der Möglichkeit, nach § 74 JGG von einer Kostenbelastung der Angeklagten abzusehen, keinen Gebrauch mache.
Die Revision schließt daraus im Ergebnis mit Recht, daß die Strafkammer sich dieser Möglichkeit bei der Kostenentscheidung nicht bewußt war. Allerdings hat der erkennende Senat zu einem anderen Fall, in welchem die Kostenentscheidung einer Jugendkammer zu Lasten des jugendlichen Verurteilten ebenfalls ohne Hinweis auf die Möglichkeit des § 74 JGG lediglich damit begründet war, daß "sich die Kostenentscheidung nach den §§ 465, 467 StPO rechtfertige", dargelegt, es könne daraus nicht geschlossen werden, die Jugendkammer habe "diese seit Jahren bestehende und ihr naturgemäß geläufige Vorschrift" übersehen. Damals brachte der Senat zum Ausdruck, daß sich die Jugendkammer bei der gegebenen Sachlage nicht dazu veranlaßt gesehen habe, die Bestimmung des § 74 JGG anzuwenden.
Im Gegensatz zu dem damaligen Fall, in welchem es sich nur um einen einzigen Angeklagten handelte, betrifft die gleichlautende Kostenentscheidung in dieser Sache sieben verurteilte
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Angeklagte. Zur Begründung der Kostenentscheidung ist einheitlich nur auf §§ 465, 467 StPO hingewiesen. Dafür, daß etwa die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der einzelnen Verurteilten so sehr miteinander übereingestimmt hätten, daß die Kostenentscheidung einheitlich nachteilig für sie lauten durfte, fehlt es an jedem Anhalt. Im Gegenteil lassen schon die Feststellungen des Landgerichts erhebliche Unterschiede bei den einzelnen Angeklagten erkennen, die auch für die Kostenentscheidung in die Waagschale fallen können. Unter diesen Umständen entnimmt der Senat der Tatsache, daß die Kostenentscheidung unterschiedslos getroffen worden ist und so hätte getroffen werden dürfen, wenn lediglich die Bestimmungen der Strafprozeßordnung anwendbar gewesen wären, daß die Strafkammer die Möglichkeit des § 74 JGG übersehen hat.