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18.11.2024 - Zivilprozess der Zukunft: Expertinnen und Experten machen Vorschläge zur Reform des Zivilprozesses

Wie können wir den deutschen Zivilprozess im digitalen Zeitalter zukunftsfähig machen? Darüber diskutieren Expertinnen und Experten aus Justiz, Rechtsanwaltschaft und Wissenschaft seit Beginn des Jahres intensiv – und haben im Oberlandesgericht Celle nun die Ergebnisse vorgestellt. 

Das Bundesverfassungsgericht muss besser vor dem Einfluss demokratiefeindlicher Kräfte geschützt werden. Darin sind sich viele in der öffentlichen Diskussion einig. Doch braucht es nicht auch an anderer Stelle, etwa in der Zivilgerichtsbarkeit, einer Stärkung der Resilienz? Diese Frage steht am Ende des Kongresses im Oberlandesgericht Celle. Am Samstag, 16. November, sind dort etwa 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammengekommen, um unter Federführung der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Celle ihre konkreten Reformvorschläge für einen "Zivilprozess der Zukunft" zu präsentieren und zu diskutieren.

"Eine moderne, effiziente, transparente und vor allem bürgernahe Ziviljustiz – auch das stärkt unsere Gerichte, unseren Rechtsstaat und damit auch unsere Demokratie", sagt Stefanie Otte, Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle. Das Ziel der von den Obergerichten initiierten Diskussion: ein modernes Bild des Zivilverfahrens im digitalen Zeitalter zu entwerfen. Darüber diskutieren seit Anfang des Jahres Expertinnen und Experten aus der Justiz, aber auch aus der Rechtsanwaltschaft und Wissenschaft. "Wir brauchen angesichts einer digitalisierten Welt dringend Reformen, um den Zivilprozess zukunftsfähig zu machen", sagt Dr. Werner Richter, Präsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf. "Deswegen freuen wir uns umso mehr, dass wir so vielen namhaften Expertinnen und Experten aus den verschiedenen Disziplinen ein Forum bieten können."

In drei Arbeitsgruppen "Zugang zum Recht", "Qualität und Effizienz der Rechtsprechung" und "Wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten" präsentierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Abschlussveranstaltung ihre Vorschläge für einen modernen Zivilprozess. Die Ergebnisse im Überblick:

Der Zugang zum Recht muss einfacher und offener gestaltet werden – digital und analog

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe "Zugang zum Recht" schlagen ein bundeseinheitliches Justizportal als zentrale Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger vor, das die digitalen Dienstleistungen der Justiz einheitlich zusammenfasst. Eine zeitgemäße und benutzerfreundliche Kommunikationsplattform soll perspektivisch den elektronischen Rechtsverkehr ersetzen und so auch den Austausch zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem Gericht erleichtern, findet die Arbeitsgruppe unter Leitung von Stefanie Otte und Prof. Dr. Thomas Riehm.

Zudem soll ein besonderes Online-Verfahren geschaffen werden, das einen niedrigschwelligen und günstigeren Zugang zum Recht ermöglicht. Die Justizsysteme sollen – ähnlich wie in der Anwaltschaft bereits üblich - strukturierte Daten verarbeiten können und so effizienter werden. Es besteht allerdings auch Einigkeit dahin, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Der Zugang zum Recht soll daher auch jenseits digitaler Lösungen erleichtert werden.

Der Zivilprozess muss effizienter werden, gleichzeitig muss die hohe Qualität der Rechtsprechung garantiert werden

Mit verschiedenen Maßnahmen soll der Zivilprozess nach dem Willen der Arbeitsgruppe "Qualität und Effizienz der Rechtsprechung" einfacher und effizienter gestaltet werden. So soll durch Änderungen im Prozessrecht unter anderem langen Verfahrensdauern noch besser entgegengewirkt werden und Komplexitäten abgebaut werden.  Zudem schlägt die Arbeitsgruppe unter Leitung der Präsidentin des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen, Ann-Marie Wolff, und des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Dr. Thomas Dickert, mehr Strukturierung des Verfahrens sowohl durch das Gericht als auch die Verfahrensbeteiligten vor.

Mithilfe weiterer Spezialzuständigkeiten bei den Amts- und Landgerichten, aber beispielsweise auch durch die Stärkung der Kammern an den Landgerichten und einer Fortbildungspflicht, soll eine höhere Qualität der Rechtsprechung gesichert werden. Zugleich können dadurch Massenverfahren, wie zuletzt die Diesel-Verfahren, bei den Gerichten konzentriert werden. Um mehr Transparenz der Rechtsprechung zu erreichen, sollen mehr Entscheidungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten bedürfen einer Neuausrichtung und müssen internationaler werden

Gerichtliche Entscheidungen prägen die Wirtschaftsordnung. Eine schnelle, effiziente und transparente Verfahrensführung mit qualitativ hochwertiger und überzeugender Rechtsprechung ist ein Standortfaktor. Darin sind sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe "Wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten" unter Leitung von Dr. Werner Richter und dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Stuttgart, Dr. Andreas Singer, einig.

Ein besonderer Fokus soll neben der bereits beschlossenen Einführung von Commercial Courts auf der Stärkung der Kammern für Handelssachen liegen, deren Zuständigkeit und Besetzung reformiert werden sollen. Zugleich soll durch Konzentrationen bei Gerichten und Fortbildungen die Spezialisierung sichergestellt werden. Grenzüberschreitende Verfahren müssen zudem schnell und effektiv bearbeitet werden, etwa durch die Verfahrensführung auf Englisch und die Möglichkeit, Videoverhandlungen durchzuführen.

Alle Ergebnisse werden im Detail veröffentlicht

Alle Ergebnisse im Detail werden zeitnah in einem Tagungsband zusammengefasst und veröffentlicht. "Die Diskussion um die Ausgestaltung eines modernen Zivilprozesses ist noch lange nicht beendet, sie wird sich durch die neuen technischen Möglichkeiten auch immer wieder verändern", sagt Stefanie Otte. "Wir hoffen, dass unsere Vorschläge und Ideen auch Anklang bei der Bund-Länder-Reformkommission finden."

Genug Inspiration für Veränderungsprozesse gab es bereits zu Beginn der Veranstaltung: Bei Kurzvorträgen informierten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem über die Plattformlösung für Klagen in Dänemark, die Justizdigitalisierung in Österreich und der Schweiz, die Überlegungen der EU-Kommission im Bereich der Digitalisierung der Justiz und die Digitalisierungsprojekte des Bundes. Dass die Debatte über den "Zivilprozess der Zukunft" weitergehen wird, zeigte auch die abschließende Podiumsdiskussion im Anschluss unter der Moderation von Dr. Cord Brügmann von der Stiftung Forum Recht. Mit dabei war unter anderem auch der Staatssekretär Dr. Thomas Smollich vom Niedersächsischen Justizministerium.

Eine gemeinsame Initiative der Obergerichte: "Zivilprozess der Zukunft"

"Zivilprozess der Zukunft" geht auf eine gemeinsame Initiative der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs zurück. Im Rahmen der Auftaktveranstaltung am Oberlandesgericht Düsseldorf im März dieses Jahres wurden Vorschläge diskutiert und erste Eckpunkte entworfen, die in einem Tagungsband veröffentlicht wurden. Auf Grundlage dieser Ergebnisse beschlossen die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landgerichts und des Bundesgerichtshofs die Münchener Thesen zum Zivilprozess der Zukunft bei ihrer Jahrestagung im Mai 2024 in München.


 

Christina Klein Reesink                                                             Alina Stillahn

Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf                     Pressereferentin am Oberlandesgericht Celle
Pressesprecherin                                                                        stv. Pressesprecherin
Tel.: +49 211 4971-771                                                                Tel.: +49 5141 206-165       
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15.11.2024 - Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen: Eilantrag gegen das Verbot des Vereins Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) erfolglos

Das Oberverwaltungsgericht hat heute den Eilantrag des Vereins PSDU, das Verbot des Vereins durch das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) vorläufig auszusetzen, abgelehnt.

Mit Verbotsverfügung vom 18.03.2024 stellte das IM NRW unter Anordnung der sofortigen Vollziehung fest, dass der Verein PSDU sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richte, deshalb verboten sei und aufgelöst werde. Der dagegen gerichtete Eilantrag des Vereins PSDU, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verbotsverfügung wiederherzustellen, hatte beim erstinstanzlich zuständigen Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg.

Zur Begründung hat der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts im Wesentlichen ausgeführt: Nach der Prüfung im Eilverfahren trifft die Annahme des IM NRW zu, dass der Verein PSDU sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, indem er kontinuierlich gegen den Staat Israel hetzt und damit Hass und Gewalt in das Verhältnis von Israelis und Palästinensern hineinträgt. Eine Gesamtbetrachtung der in der angefochtenen Verbotsverfügung aufgeführten Indizien belegt, dass der Verein PSDU sich nicht, wie er vorträgt, für ein friedliches Zusammenleben der Völker einsetzt und lediglich die gewaltsamen Zustände, Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen etc. kritisiert sowie vom Völkerrecht gedeckte Positionen vertritt. In der Verbotsverfügung wird ihm auch nachgewiesen, dass er konkrete Gewalthandlungen, die nicht vom Völkerrecht gedeckt sind, gebilligt hat.

Diese Einschätzung ergibt sich bereits daraus, dass der Verein PSDU die HAMAS unterstützt, die ihrerseits durch Ausübung von Gewalt das friedliche Miteinander der Völker beeinträchtigt. Die HAMAS ist von der Europäischen Union als terroristische Vereinigung gelistet und das Bundesministerium des Innern und für Heimat hat mit Verfügung vom 02.11.2023 ein Betätigungsverbot gegenüber der HAMAS erlassen, weil ihre Tätigkeit in Deutschland Strafgesetzen zuwiderläuft und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Der Verein PSDU sympathisiert und solidarisiert sich mit den Angriffen der HAMAS. Er unterstützt diese terroristische Vereinigung, indem er sie und die von ihr verübten völkerrechtswidrigen Angriffe verherrlicht, propagiert und legitimiert. Darüber hinaus verneint der Verein PSDU das Existenzrecht des Staates Israel und ruft zu seiner gewaltsamen Beseitigung auf.

Erweist sich die Verbotsverfügung schon deshalb als rechtmäßig, kommt es auf die weiteren von dem IM NRW in der Verbotsverfügung angeführten Gründe und die entsprechenden Einwände des Vereins nicht an.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 5 B 558/24

Kategorien: Pressemitteilungen

15.11.2024 - Pressemitteilung Nr. 5 vom 15.11.2024

Mit Beschluss vom 29. Oktober 2024 (Az. 3 V 1270/24 Ew,F) hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass für die Aussetzung der Vollziehung der Grundsteuerwertfeststellung ein besonderes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen erforderlich ist, welches sich im Streitfall jedoch nicht feststellen ließ.

Der Antragsteller ist Berechtigter eines durch Bebauung ausgenutzten Teilerbbaurechts. Hierfür erließ das Finanzamt eine Grundsteuerwertfeststellung auf den 1. Januar 2022 und setzte zugleich den Grundsteuermessbetrag auf den 1. Januar 2025 fest. Über die vom Antragsteller eingelegten Einsprüche ist bisher nicht entschieden worden. Nachdem der außergerichtliche Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erfolglos blieb, beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung bei Gericht. Zur Begründung trug er vor, dass das neue Recht zur Grundsteuerwertermittlung verfassungswidrig sei.

Der 3. Senat hat den Antrag abgelehnt. Dabei ließ der Senat offen, ob im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide aufgrund einer möglichen Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlagen zur Grundsteuerwertfeststellung bestehen. Dem Antragsteller habe es jedenfalls an einem das öffentliche Interesse am Gesetzesvollzug überwiegenden besonderen Aussetzungsinteresse gefehlt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erfordere die Aussetzung der Vollziehung bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit eines dem Verwaltungsakt zugrundliegenden formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes grundsätzlich, dass ein besonderes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehe, dem Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukomme. Im Rahmen dieser Interessenabwägung komme es einerseits auf die Bedeutung des durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung für den Gesetzesvollzug sowie das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an.

Vorliegend sei dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers kein Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Gesetzesvollzug einzuräumen gewesen. Die Grundsteuerwertfeststellung sowie die Grundsteuermessbetragsfestsetzung würden nicht zu drohenden irreparablen Nachteilen des Antragstellers führen. Demgegenüber bestehe ein öffentliches Interesse am Gesetzesvollzug zur Sicherung einer geordneten Haushaltsführung. Eine faktische Außerkraftsetzung der sog. Grundsteuer B würde im Geltungsbereich des sog. „Bundesmodells“ für einen nicht absehbaren Zeitraum zu Einnahmeausfällen der hebeberechtigten Kommunen in Milliardenhöhe führen. So hätten sich im Jahr 2023 die Einnahmen aus der Grundsteuer B auf ca. 15,08 Milliarden Euro belaufen. Auch bei der konkret hebeberechtigten Kommune mache die Grundsteuer 15 % der gesamten kommunalen Einnahmen aus und sei damit von erheblicher Bedeutung. Es sei derzeit nicht ersichtlich, dass die Kommune die konjunkturunabhängigen Grundsteuereinnahmen durch konjunkturabhängige Steuern (Gewerbesteuer; Anteil Einkommen- und Umsatzsteuer) kompensieren könne. Aufgrund der Konjunkturunabhängigkeit und der eigenen Hebesatzkompetenz sei die Grundsteuer auch die einzige Einnahmequelle, die die Kommune planbar selbst steuern könne. Für die Gewichtung des öffentlichen Interesses könne der vorläufige Rechtsschutz auch nicht auf einzelne Steuerpflichtige beschränkt werden. Vielmehr sei zu erwarten, dass bei Häufungen stattgebender Aussetzungsbeschlüsse eine Vielzahl der Steuerpflichtigen ebenfalls unter Zuhilfenahme von Musteranträgen gerichtliche Aussetzung der Vollziehung beantragen werde. Die Aussetzung käme daher einer temporären Vorwegnahme des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts gleich.

Der 3. Senat hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.

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