Können Sie diesen Inhalt erweitern? Als Leser kommentieren oder als Co-Autor bearbeiten.
ius cogens
Das ius cogens (dt. zwingendes Recht) bezeichnet das unabdingbare, zwingend einzuhaltende Recht. Vertragspartner können dementsprechend bei einer zwingenden Rechtsnorm keine abweichende Vereinbarung treffen. Es bildet den Gegensatz zum ius dispositivum.
1. Privatrecht
Im Privatrecht bildet das zwingende Recht eine Ausnahme vom Grundsatz der Privatautonomie, also der Freiheit des einzelnen seine Rechtsbeziehungen mit seinem Vertragspartner selbstverantwortlich zu gestalten. Eine solche Ausnahme ist regelmäßig dann nötig, wenn sie entweder der Rechtsklarheit und -sicherheit oder der Schutzbedürftigkeit einer Partei dient. So sind die meisten Normen des Sachen-, Familien- und Erbrechts zwingend, da sie die schutzwürdigen Interessen Dritter tangieren; die meisten Normen des Schuldrechts1 sind hingegen wegen der Freiheit der Vertragsgestaltung dispositiv. Teilweise kommt das zwingende Recht im BGB sogar explizit zum Ausdruck:
§ 619 BGB - Unabdingbarkeit der Fürsorgepflichten
Die dem Dienstberechtigten nach den §§ 617, 618 obliegenden Verpflichtungen können nicht im Voraus durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden.§ 1518 BGB - Zwingendes Recht
Anordnungen, die mit den Vorschriften der §§ 1483 bis 1517 in Widerspruch stehen, können von den Ehegatten weder durch letztwillige Verfügung noch durch Vertrag getroffen werden. Das Recht der Ehegatten, den Vertrag, durch den sie die Fortsetzung der Gütergemeinschaft vereinbart haben, durch Ehevertrag aufzuheben, bleibt unberührt.§ 2220 BGB - Zwingendes Recht
Der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker nicht von den ihm nach den §§ 2215, 2216, 2218, 2219 obliegenden Verpflichtungen befreien.
Weitere Beispiel wären §§ 444, 475 I 1, 536d BGB. Nur halbzwingendes Recht oder einseitig zwingendes Recht stellen hingegen Rechtsnormen dar, von denen nicht zum Nachteil, wohl aber zum Vorteil einer Partei abgewichen werden darf; etwa §§ 312 f., 651m BGB.
2. Völkerrecht
Auch im Völkerrecht kann das ius cogens weder durch einen völkerrechtlichen Vertrag noch durch entgegenstehendes Völkergewohnheitsrecht abbedungen werden. Die Wiener Vertragsrechtskonvention hat in Art. 53 S. 2 den Bestand solcher zwingenden Regeln ausdrücklich anerkannt:
Art. 53 WVK - Verträge im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens)
Ein Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.Art. 64 WVK - Entstehung einer neuen zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens)
Entsteht eine neue zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts, so wird jeder zu dieser Norm im Widerspruch stehende Vertrag nichtig und erlischt.
Das ius cogens ist dem Völkerrecht erst in den 1960er Jahren hinzugetreten; vorher ging man davon aus, dass alle Normen des Völkerrechts durch völkerrechtliche Verträge inhaltlich umfassend gestaltbar seien. Der Bestand an zwingenden Normen im Völkerrecht ist allerdings bis dato sehr überschaubar. Zu diesem sog. menschenrechtlichen Mindeststandard2 zählen etwa das universelle Gewaltverbot (Aggressionsverbot), das Verbot des Völkermordes, das Verbot des Sklavenhandels, das Verbot der Rassendiskriminierung, das Verbot der Folter sowie das Verbot der systematischen und willkürlichen Verfolgung und Verletzung von Leib und Leben.
- 1. Ausnahmen hierzu, also zwingende Rechtsnormen, sind im Schuldrecht z.B.: §§ 248 I, 276 III, 536 IV, 574 IV BGB oder §§ 312 f., 475 I und II, 506, 651m BGB; oder aus dem Schutzzweck der Norm heraus §§ 311b I, 518, 766 BGB.
- 2. Hierzu Claudia Kissling: Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 2001, S. 81.