Art. 77 GG

BVerfG, 25.06.1974 - 2 BvF 2/73, 2 BvF 3/73

1. Nicht jedes Gesetz, das ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz ändert, ist allein aus diesem Grund zustimmungsbedürftig.
2. Wenn ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz durch ein Gesetz geändert wird, das selbst neue Vorschriften enthält, die ihrerseits die Zustimmungsbedürftigkeit auslösen, so ist das Änderungsgesetz zustimmungsbedürftig.
3. Ändert das Änderungsgesetz Regelungen, die die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst haben, so bedarf es ebenfalls der Zustimmung des Bundesrates.
4. Enthält ein Zustimmungsgesetz sowohl materiell-rechtliche Regelungen als auch Vorschriften für das Verwaltungsverfahren der Landesverwaltung gemäß Art. 84 Abs. 1 GG, so ist ein dieses Gesetz änderndes Gesetz zustimmungsbedürftig, wenn durch die Änderung materiellrechtlicher Normen die nicht ausdrücklich geänderten Vorschriften über das Verwaltungsverfahren bei sinnorientierter Auslegung ihrerseits eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erfahren.

BVerfG, 12.11.1958 - 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57

1. Die Verlängerung der Geltungsdauer eines befristeten Gesetzes kommt dem Erlaß eines neuen Gesetzes mit dem Inhalt des befristeten Gesetzes gleich.
Das Verlängerungsgesetz braucht die Vorschriften des Gesetzes nicht zu wiederholen, sondern kann sich darauf beschränken, die Verlängerung der Geltungsdauer anzuordnen; dies kann auch noch geschehen, nachdem das Gesetz wegen Ablaufs der Frist außer Kraft getreten ist.
2. Regelt ein Bundesgesetz, das die Länder als eigene Angelegenheit ausführen, das Verwaltungsverfahren, so bedarf nach Art. 84 Abs. 1 GG das Gesetz als Ganzes der Zustimmung des Bundesrates.
3. Aus der Nichtigkeit einzelner Vorschriften folgt die Nichtigkeit des ganzen Gesetzes nur dann, wenn sich aus dem objektiven Sinn des Gesetzes ergibt, daß die übrigen, mit der Verfassung zu vereinbarenden Bestimmungen keine selbständige Bedeutung haben; ferner dann, wenn die verfassungswidrige Vorschrift Teil einer Gesamtregelung ist, die ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verlöre, nähme man einen ihrer Bestandteile heraus, wenn also die nichtige Vorschrift mit den übrigen Bestimmungen so verflochten ist, daß sie eine untrennbare Einheit bilden, die nicht in ihre Bestandteile zerlegt werden kann.
4. Daß nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung "im Gesetz" bestimmt werden müssen, besagt nicht, daß sie im Text des Gesetzes ausdrücklich zu bestimmen sind. Für die Interpretation von Ermächtigungsnormen gelten vielmehr die allgemeinen Auslegungsgrundsätze.
5. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt nicht, daß die Ermächtigung so bestimmt wie irgend möglich umschrieben ist; sie muß nur hinreichend bestimmt sein.
6. a) Gesetzesbestimmungen, die den Erlaß von Verordnungen an die Zustimmung des Bundestages binden (Ermächtigungen zum Erlaß von "Zustimmungsverordnungen"), sind jedenfalls für solche Sachbereiche mit dem Grundgesetz vereinbar, für die ein legitimes Interesse der Legislative anerkannt werden muß, zwar einerseits die Rechtsetzung auf die Exekutive zu delegieren, sich aber andererseits - wegen der Bedeutung der zu treffenden Regelungen - entscheidenden Einfluß auf Erlaß und Inhalt der Verordnungen vorzubehalten. Das ist für Sachbereiche wie das Zoll-, das Zolltarif- und das Preiswesen der Fall.
b) Auch Ermächtigungen zum Erlaß von "Zustimmungsverordnungen" müssen den Anforderungen von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechen. Die Bestimmtheit der Ermächtigung muß sich unabhängig von den Voraussetzungen ergeben, unter denen die Verordnungen der Zustimmung des Bundestages bedürfen.
7. Die Grundsätze des Rechtsstaates fordern, daß auch Ermächtigungen der Exekutive zur Vornahme belastender Verwaltungsakte durch das ermächtigende Gesetz nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind, so daß die Eingriffe meßbar und in gewissem Umfang für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden. Das folgt aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, dem Prinzip der Gewaltenteilung und aus der rechtsstaatlichen Forderung nach möglichst lückenlosem gerichtlichem Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt.