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Art. 140 GG - Recht der Religionsgemeinschaften (Kommentar)

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

Artikel 136 WRV
(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
(2) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.
(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Artikel 137 WRV
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.

Artikel 138 WRV
(1) Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.
(2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecken bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.

Artikel 139 WRV
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.

Artikel 141 WRV
Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.

1. Einleitung

Artikel 140 GG verleiht ausgewählten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 Verfassungsrang im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Diese Übernahme bedeutet, dass die in Art. 136 bis Art. 141 WRV geregelten Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Religion weiterhin Gültigkeit haben und fortwirken. Die Entscheidung, diese Vorschriften in das Grundgesetz zu integrieren, zeigt das Bestreben des Grundgesetzgebers, eine klare und stabile Grundlage für das Verhältnis zwischen Staat und Religion zu schaffen. Durch Art. 140 GG wird ein normativer und struktureller Übergang zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland hergestellt, der Kontinuität im Bereich des Staatskirchenrechts gewährleistet und gleichzeitig die religiöse Neutralität des Staates betont.

2. Historischer Kontext

2.1. Die Weimarer Reichsverfassung und das Verhältnis von Staat und Kirche

Die Weimarer Reichsverfassung stellte eine Zäsur in der Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts dar, indem sie die Trennung von Staat und Kirche als Grundprinzip etablierte und die institutionelle und personelle Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften vom Staat sicherstellte. Die Regelungen der Art. 136 bis Art. 141 WRV gingen erstmals explizit auf das Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Souveränität und religiöser Autonomie ein und legten zentrale Prinzipien fest, die die Neutralität des Staates und die Freiheit der Religionsausübung gewährleisten sollten.

2.2. Übernahme in das Grundgesetz

Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 entschied sich der Parlamentarische Rat bewusst, das religionsrechtliche Erbe der Weimarer Reichsverfassung zu bewahren und die dort entwickelten Prinzipien in das Grundgesetz zu integrieren. Die Bedeutung dieses Schrittes liegt in der Absicherung der staatskirchenrechtlichen Errungenschaften der Weimarer Republik und der Festschreibung der religiösen Neutralität des Staates.

2.3. Verfassungsdogmatische Verankerung

Durch Art. 140 GG erhalten die ausgewählten Artikel der WRV einen doppelten Verfassungsrang: Sie gelten sowohl als Teil der Weimarer Reichsverfassung als auch als Bestandteil des Grundgesetzes. Dieser Sonderstatus unterstreicht die besondere Stellung des Staatskirchenrechts innerhalb des Verfassungsrechts und macht Art. 140 GG zu einer zentralen Norm für das deutsche Staatskirchenrecht.

3. Die übernommenen Artikel und ihre inhaltliche Bedeutung

3.1. Artikel 136 WRV

Art. 136 WRV enthält zentrale Grundsätze zur Religionsfreiheit und zur staatlichen Neutralität gegenüber religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen. Diese Bestimmung regelt insbesondere:

  • die Gleichheit der Rechte und Pflichten, unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit,
  • die Freiheit, religiöse Überzeugungen zu wechseln oder keinen Glauben zu haben, sowie
  • das Verbot religiöser Diskriminierung im öffentlichen Dienst.

Art. 136 WRV stellt sicher, dass Religion oder Weltanschauung keine Rolle in staatlichen Entscheidungen und in der Vergabe öffentlicher Ämter spielen. In der Bundesrepublik ist diese Regelung als zentrale Verfassungsnorm für die Gleichberechtigung der Religionen und die negative Religionsfreiheit relevant. Der Staat darf weder religiöse Überzeugungen bevorzugen noch benachteiligen und ist verpflichtet, eine Haltung der religiösen Neutralität zu bewahren.

3.2. Artikel 137 WRV

Art. 137 WRV bestimmt die Trennung von Staat und Kirche und regelt die Organisationsfreiheit der Religionsgemeinschaften. Die wichtigsten Inhalte sind:

  • die Feststellung, dass es keine Staatskirche gibt (Art. 137 Abs. 1 WRV),
  • die Garantie der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften (Art. 137 Abs. 3 WRV),
  • das Recht der Religionsgemeinschaften, sich als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkennen zu lassen (Art. 137 Abs. 5 WRV).

Diese Regelungen schützen die Unabhängigkeit und Autonomie der Religionsgemeinschaften und legen fest, dass der Staat keine direkte Kontrolle oder Einflussnahme auf die inneren Angelegenheiten dieser Gemeinschaften ausüben darf. Die Möglichkeit der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist von besonderer Bedeutung, da sie den Religionsgemeinschaften bestimmte Privilegien und Rechte gewährt, wie das Recht zur Erhebung von Kirchensteuern.

3.3. Artikel 138 WRV

Art. 138 WRV sieht vor, dass die öffentlich-rechtlichen Rechte der Religionsgemeinschaften aus der Zeit vor der WRV nur durch Gesetz aufgehoben werden können. Diese Bestimmung dient der Sicherung historischer Besitzstände und gewährleistet, dass die materiellen und finanziellen Rechte, die den Religionsgemeinschaften in der Vergangenheit eingeräumt wurden, nicht ohne weiteres entzogen werden können.

3.4. Artikel 139 WRV

Art. 139 WRV bezieht sich auf die sogenannten „Feiertagsgesetze“. Er legt fest, dass die gesetzlichen Bestimmungen über den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage unberührt bleiben. Diese Vorschrift schützt den Sonntag als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung, der in der christlichen Tradition eine besondere Rolle spielt, aber auch im Sinne der allgemeinen Erholung und des sozialen Zusammenhalts für die Gesellschaft relevant ist.

3.5. Artikel 141 WRV

Art. 141 WRV, die sogenannte „Bremische Klausel“, ermöglicht es bestimmten Ländern, durch Gesetz Abweichungen von der Trennung von Staat und Kirche zu schaffen. Diese Regelung beruht auf den historischen Besonderheiten der Freien Hansestädte, in denen eine engere Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche bestand und besteht. Die Bremische Klausel erlaubt es daher insbesondere in Bremen und Hamburg, den Religionsunterricht in Schulen als Religionsgemeinschaften unabhängig zu gestalten.

4. Verfassungsrechtliche Einordnung und Auslegung

4.1. Doppelnatur der übernommenen Artikel

Art. 140 GG verleiht den übernommenen Artikeln der WRV eine doppelte rechtliche Natur: Einerseits gelten sie als Bestandteil des Grundgesetzes, andererseits behalten sie ihren Ursprung und ihre ursprüngliche Bedeutung aus der WRV bei. Diese Doppelnatur wirft die Frage auf, wie diese Artikel im Lichte des Grundgesetzes auszulegen sind und ob sie mit den übrigen Normen des Grundgesetzes, insbesondere mit den Grundrechten, in Einklang stehen. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass die WRV-Bestimmungen nicht isoliert, sondern systematisch im Kontext des Grundgesetzes auszulegen sind.

4.2. Wechselwirkung mit den Grundrechten

Die in Art. 140 GG integrierten Bestimmungen der WRV sind eng mit den Grundrechten des Grundgesetzes, insbesondere mit Art. 4 GG (Religionsfreiheit), verbunden. Während Art. 4 GG die individuelle und kollektive Religionsfreiheit schützt, schaffen die übernommenen Artikel eine institutionelle Rahmenregelung für das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften.

4.3. Religionsverfassungsrechtliche Neutralität des Staates

Der aus Art. 140 GG abgeleitete Grundsatz der Neutralität fordert, dass der Staat gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen neutral sein muss. Dies bedeutet, dass keine Religion bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Diese Neutralität wird durch Art. 137 Abs. 1 WRV gestützt, der festlegt, dass es keine Staatskirche gibt.

4.4. Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften

Art. 140 GG verankert die Verpflichtung des Staates zur Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften. Diese Kooperation äußert sich beispielsweise in der Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts oder in der Erhebung von Kirchensteuern durch den Staat. Das Kooperationsmodell hebt sich von der strikten Trennung von Staat und Kirche, wie sie in anderen Ländern, z.B. in Frankreich, besteht, ab. In Deutschland wird das Prinzip der Trennung durch eine pragmatische Zusammenarbeit ergänzt.

5. Praktische Relevanz und Herausforderungen

5.1. Körperschaftsstatus und Gleichbehandlungsgebot

Die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts gewährt Religionsgemeinschaften spezifische Rechte und Pflichten. In der Praxis führt dies jedoch zu rechtlichen und politischen Herausforderungen, insbesondere bei der Frage, ob auch nicht-christliche Religionsgemeinschaften, wie muslimische Gemeinden, diesen Status erlangen können. Die Verfassungsrechtsprechung hat hierzu festgestellt, dass auch nichtchristliche Religionsgemeinschaften das Recht auf Körperschaftsstatus haben, sofern sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen.

5.2. Religionsunterricht und bremische Klausel

Die religiöse Pluralität und der zunehmende Anteil an konfessionslosen Schülerinnen und Schülern wirft Fragen bezüglich der Ausgestaltung des Religionsunterrichts auf. Die Bremische Klausel erlaubt es, alternative Modelle zum traditionellen konfessionellen Religionsunterricht zu entwickeln, etwa einen überkonfessionellen oder religionswissenschaftlichen Unterricht, der eine Lösung für die zunehmende religiöse Vielfalt bieten könnte.