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Art. 24 GG - Übertragung von Hoheitsrechten, Kollektives Sicherheitssystem (Kommentar)

(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.

(1a) Soweit die Länder für die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertragen.

(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.

(3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten.

1. Allgemeines

Artikel 24 GG ist eine zentrale Norm des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, die sich mit der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen beschäftigt. Die Vorschrift steht im Kontext der internationalen Kooperation und stellt eine Ermächtigungsgrundlage dar, die es Deutschland erlaubt, sich an supranationalen Organisationen zu beteiligen und in bestimmten Bereichen staatliche Souveränität abzugeben.

2. Art. 24 Abs. 1 GG: Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen

Art. 24 Abs. 1 GG erlaubt es dem Bund, durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Diese Norm stellt eine Durchbrechung des sonst geltenden Grundsatzes der Souveränität dar und muss im Lichte der Verfassungsidentität und der Unantastbarkeit der Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG betrachtet werden.

2.1. Begriff der Hoheitsrechte

Der Begriff der Hoheitsrechte ist weit auszulegen und umfasst alle Befugnisse, die das staatliche Gewaltmonopol betreffen. Es geht dabei sowohl um legislative, exekutive als auch judikative Kompetenzen. Die Übertragung dieser Rechte muss jedoch stets mit den Grundsätzen der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit und Bundesstaatlichkeit vereinbar sein. Grundsätzlich gilt, dass nur solche Rechte übertragen werden dürfen, die nicht den Kernbestand der Verfassung, insbesondere die Grundrechte und die Strukturprinzipien, berühren. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wurde diesbezüglich wiederholt betont, dass die Übertragung von Hoheitsrechten nur im Rahmen der europäischen Integration zulässig sei, wenn die demokratische Legitimation und Kontrolle weiterhin gewährleistet bleiben (BVerfGE 89, 155; BVerfGE 123, 267).

2.2. Zwischenstaatliche Einrichtungen

Der Begriff „zwischenstaatliche Einrichtungen“ bezieht sich auf Organisationen, die durch zwischenstaatliche Verträge gegründet werden und in denen mehrere Staaten mitwirken. Beispiele hierfür sind die Vereinten Nationen (UN), die Europäische Union (EU) oder die NATO. Die EU nimmt dabei aufgrund ihrer Supranationalität eine besondere Stellung ein, da sie über eigene Organe und weitreichende Kompetenzen verfügt. Durch Art. 24 Abs. 1 GG wird es dem Bund ermöglicht, an solchen Organisationen mitzuwirken, um eine friedliche Zusammenarbeit und die Sicherstellung gemeinsamer Interessen zu fördern.

2.3. Gesetzesvorbehalt und Verfahren

Die Übertragung von Hoheitsrechten erfolgt durch ein formelles Bundesgesetz. Dies erfordert nicht nur die Zustimmung des Bundestages, sondern – soweit Kompetenzen der Länder betroffen sind – auch die Zustimmung des Bundesrates (Art. 24 Abs. 1 i.V.m. Art. 50 GG). Dies unterstreicht die Bedeutung des föderalen Prinzips in Deutschland und die Notwendigkeit einer breiten demokratischen Legitimation.

3. Art. 24 Abs. 2 GG: Beitritt zu Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit

Art. 24 Abs. 2 GG erlaubt es dem Bund, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu unterstellen. Diese Vorschrift ist insbesondere vor dem Hintergrund der Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO und der Vereinten Nationen von Bedeutung.

3.1. Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit

Ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ist ein zwischenstaatliches Bündnis, das der Sicherung des Friedens und der kollektiven Verteidigung seiner Mitglieder dient. Die NATO ist das prominenteste Beispiel für ein solches System. Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen dieser Systeme ist auf Verteidigungsmaßnahmen begrenzt und darf nicht dazu führen, dass Deutschland in völkerrechtswidrige Handlungen verwickelt wird.

3.2. Konstitutionelle Grenzen und Integrationsverantwortung

Während Art. 24 Abs. 1 GG eine generelle Grundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten bietet, setzt Abs. 2 GG spezifische Anforderungen an die Beteiligung Deutschlands an kollektiven Sicherheitssystemen. Auch hier ist die Integrationsverantwortung ein zentrales Konzept, welches die Bundesregierung und den Bundestag verpflichtet, die Vereinbarkeit solcher Maßnahmen mit den Grundprinzipien des Grundgesetzes sicherzustellen.

3.3. Rechtsprechung und parlamentarische Kontrolle

Das BVerfG hat klargestellt, dass die Beteiligung Deutschlands an militärischen Einsätzen, insbesondere im Rahmen der NATO oder UN-mandatierter Missionen, einer parlamentarischen Kontrolle unterliegt (BVerfGE 90, 286). Dies bedeutet, dass der Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland einer konstitutiven Zustimmung des Bundestages bedarf, was das Demokratieprinzip und die Gewaltenteilung innerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens betont.

4. Art. 24 Abs. 3 GG: Regelungen für zwischenstaatliche Streitigkeiten

Art. 24 Abs. 3 GG ermöglicht es dem Bund, Regelungen zu treffen, um in Friedenszeiten zwischenstaatliche Streitigkeiten durch Schiedsgerichte oder internationale Gerichtshöfe beizulegen.

4.1. Ziel der friedlichen Streitbeilegung

Diese Norm ist Ausdruck der Verpflichtung Deutschlands, internationale Konflikte nicht militärisch, sondern auf friedlichem Wege zu lösen. Dies steht im Einklang mit der allgemeinen Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und fördert den internationalen Rechtsfrieden.

4.2. Verfahren und Zuständigkeiten

Die Schaffung solcher Regelungen muss ebenfalls durch Gesetz erfolgen, wobei die materiellen und verfahrensrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes und des internationalen Rechts zu beachten sind. Hierbei spielt der Internationale Gerichtshof (IGH) eine besondere Rolle, da er das wichtigste Organ zur friedlichen Streitbeilegung darstellt, dem Deutschland durch eine Erklärung der obligatorischen Gerichtsbarkeit unterworfen ist.

5. Art. 24 Abs. 4 GG: Weitere Übertragungsmöglichkeiten und Abgrenzungen

Art. 24 Abs. 4 GG hebt die Möglichkeit zur weiteren Übertragung von Hoheitsrechten hervor, sofern dies nicht bereits durch die vorangegangenen Absätze erfasst ist.

5.1. Abs. 4 als Ergänzungsnorm zu Abs. 1 bis 3

Abs. 4 dient als ergänzende Vorschrift zu den Absätzen 1 bis 3 und zeigt die Flexibilität des Grundgesetzes bei der Übertragung von Hoheitsrechten. Es erlaubt dem Bund, sich auch anderen Formen der internationalen Zusammenarbeit anzuschließen, solange dies im Einklang mit dem Grundgesetz und den grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht.

5.2. Begrenzungen durch Art. 79 Abs. 3 GG

Auch diese Übertragungen sind durch die „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG begrenzt. Eine Übertragung darf nicht dazu führen, dass die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland angetastet wird, was in der Rechtsprechung des BVerfG mehrfach bestätigt wurde (vgl. BVerfGE 89, 155).