danke-sagen-unterstützen

Wissen Sie mehr? Als Co-Autor bearbeiten oder als Leser kommentieren. Mehr erfahren...

Art. 25 GG - Vorrang des Völkerrechts (Kommentar)

¹Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. ²Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

1. Allgemeines

Artikel 25 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland regelt das Verhältnis des Völkerrechts zur innerstaatlichen Rechtsordnung und stellt eine besondere Schnittstelle zwischen dem deutschen Verfassungsrecht und dem Völkerrecht dar. Art. 25 GG enthält drei zentrale Aussagen:

  • den unmittelbaren Anwendungsbefehl,
  • den Vorrang vor den Gesetzen und
  • die Stellung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts als Bestandteil des Bundesrechts.

2. Allgemeine Regeln des Völkerrechts als Bestandteil des Bundesrechts

2.1. Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts

Der Begriff "allgemeine Regeln des Völkerrechts" wird in Art. 25 GG nicht näher definiert, ist aber in der Rechtswissenschaft weitgehend anerkannt und umfasst zwei Hauptkategorien: die allgemein anerkannten Regeln des Völkergewohnheitsrechts sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die von den zivilisierten Nationen anerkannt sind. Diese Unterscheidung geht auf Art. 38 Abs. 1 lit. b und c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zurück und wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gestützt (vgl. BVerfGE 6, 309 (363 f.)).

Völkergewohnheitsrecht entsteht aus einer lang andauernden, einheitlichen Praxis der Staaten, die von der Überzeugung getragen ist, dass diese Praxis rechtlich geboten ist ("opinio iuris sive necessitatis"). Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind hingegen grundlegende rechtliche Prinzipien, die in den meisten nationalen Rechtsordnungen verankert sind und auf internationaler Ebene Anerkennung finden.

2.2. Bundesrechtlicher Status der allgemeinen Regeln

Durch Art. 25 GG werden die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in das deutsche Bundesrecht transformiert. Sie haben damit den Rang eines Bundesgesetzes, gehen diesem aber vor (siehe unten). Die Transformation erfolgt automatisch und bedarf keines weiteren innerstaatlichen Umsetzungsaktes. In der Literatur wird dieses Prinzip als "inkorporierende Transformation" bezeichnet, im Gegensatz zur "transformierenden Transformation", die bei völkerrechtlichen Verträgen erforderlich ist.

Die Norm hat eine doppelte Funktion: Sie dient als Brücke zwischen dem Völkerrecht und dem deutschen Rechtssystem und gewährleistet zugleich, dass die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung aus Art. 59 Abs. 2 GG nachkommt, das Völkerrecht in die nationale Rechtsordnung zu integrieren.

3. Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor den Gesetzen

3.1. Verfassungsrechtliche Verankerung des Vorrangs

Art. 25 GG stellt klar, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den einfachen Gesetzen des Bundes vorgehen. Diese Vorrangregel hat verfassungsrechtlichen Charakter und bedeutet, dass alle nationalen Gesetze, die in Konflikt mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts stehen, keine Anwendung finden dürfen. Die Regelungen des Grundgesetzes selbst stehen jedoch über dem Völkerrecht, da Art. 25 GG den Rang einer einfachen Verfassungsnorm hat und nicht die in Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Prinzipien berührt (vgl. BVerfGE 6, 309 (363 f.)).

3.2. Konsequenzen des Vorrangs für die Gesetzgebung und Rechtsprechung

Der Vorrang des Völkerrechts führt dazu, dass sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte verpflichtet sind, das Völkerrecht bei der Normsetzung und Rechtsanwendung zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber darf keine Gesetze erlassen, die gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts verstoßen. In der Rechtsprechung sind die Gerichte gehalten, bei der Auslegung nationaler Vorschriften dem Völkerrecht den Vorzug zu geben. Kommt es zu einem Normenkonflikt, sind die nationalen Gesetze völkerrechtskonform auszulegen, und nur, wenn dies unmöglich ist, sind sie unangewendet zu lassen.

4. Unmittelbare Wirkung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts

4.1. Erzeugung von Rechten und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebiets

Art. 25 GG stellt ferner klar, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Bereich entfalten und somit Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebiets begründen können. Damit kommt ihnen in bestimmten Konstellationen sogar eine grundrechtsähnliche Wirkung zu. Die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit hängt jedoch davon ab, ob die jeweilige Regel des Völkerrechts hinreichend konkret und bestimmt ist, um als "self-executing" zu gelten.

4.2. Abgrenzung zur Transformation von Völkerrecht in nationales Recht

Während völkerrechtliche Verträge in der Regel der Transformation durch ein nationales Gesetz bedürfen, erfolgt die Umsetzung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts durch den Automatismus des Art. 25 GG. Diese Unterscheidung hat erhebliche praktische Relevanz, da sie die Unmittelbarkeit der Rechte und Pflichten unterstreicht, die sich aus allgemeinen Regeln des Völkerrechts ergeben. Ein Beispiel für eine solche Regel ist das Verbot der Folter, das sowohl im nationalen Recht als auch im Völkerrecht als absolut geltend angesehen wird.

5. Bedeutung und Funktion im Rahmen des Grundgesetzes

5.1. Sicherung der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes

Art. 25 GG manifestiert die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes. Diese Völkerrechtsfreundlichkeit ist Ausdruck der Erkenntnis, dass das Völkerrecht eine tragende Säule für den Frieden und die internationale Zusammenarbeit darstellt. Die Norm bezieht sich auf den präambularen Bezug des Grundgesetzes zu einem „vereinten Europa“ und der „Mitwirkung des deutschen Volkes“ am Frieden der Welt.

5.2. Wechselwirkungen mit anderen Grundgesetzartikeln

Art. 25 GG steht in einem engen Wechselverhältnis zu anderen Normen des Grundgesetzes, insbesondere Art. 1 Abs. 2 GG, der die Menschenrechte als Grundlage des Völkerrechts hervorhebt. Außerdem ist Art. 25 GG im Kontext des Art. 59 Abs. 2 GG zu sehen, der die innerstaatliche Transformation völkerrechtlicher Verträge regelt. Hier ergibt sich ein System des Zusammenwirkens, das die Einheit der Rechtsordnung und die Bindung der Bundesrepublik Deutschland an das Völkerrecht sichert.

6. Grenzen und Spannungsverhältnisse

6.1. Konflikte zwischen Völkerrecht und Grundgesetz

Obwohl Art. 25 GG den allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Vorrang vor den Bundesgesetzen einräumt, so ist dieser Vorrang doch begrenzt. Insbesondere kann das Völkerrecht nicht dazu führen, dass die grundgesetzlich garantierte Verfassungsordnung ausgehöhlt wird. Die sogenannte "Ewigkeitsklausel" des Art. 79 Abs. 3 GG schützt die Grundprinzipien des Grundgesetzes, wie das Demokratieprinzip, die Menschenwürde und den Föderalismus.

6.2. Das Spannungsverhältnis zur Souveränität und Demokratie

Ein Spannungsverhältnis ergibt sich auch aus der Souveränität des deutschen Staates und der demokratischen Selbstbestimmung. Es ist stets zu beachten, dass der Gesetzgeber seine Entscheidungshoheit nicht vollständig an völkerrechtliche Vorgaben verliert. Art. 25 GG darf nicht als "Blankoscheck" für die Übernahme jeglicher völkerrechtlicher Normen verstanden werden, sondern muss im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und ihrer Prinzipien interpretiert werden.