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Art. 45a GG - Ausschüsse für Auswärtiges und für Verteidigung (Kommentar)

(1) Der Bundestag bestellt einen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und einen Ausschuß für Verteidigung.

(2) ¹Der Ausschuß für Verteidigung hat auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses. ²Auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder hat er die Pflicht, eine Angelegenheit zum Gegenstand seiner Untersuchung zu machen.

(3) Artikel 44 Abs. 1 findet auf dem Gebiet der Verteidigung keine Anwendung.

1. Allgemeines

Art. 45a GG etabliert zentrale Mechanismen für die parlamentarische Kontrolle der Außen- und Verteidigungspolitik. Die Norm reflektiert das Bemühen des Verfassungsgebers, eine Balance zwischen effektiver Kontrolle und den Besonderheiten dieser sensiblen Politikbereiche zu finden. Die praktische Umsetzung erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen parlamentarischem Kontrollbedürfnis und exekutiven Handlungsspielräumen.

2. Historischer Kontext

Artikel 45a GG wurde durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) eingeführt. Die Norm steht im Zusammenhang mit der Notstandsverfassung und der Weiterentwicklung der parlamentarischen Kontrolle im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Sie reflektiert die Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus sowie die Notwendigkeit einer effektiven parlamentarischen Kontrolle in sensiblen Politikbereichen.

3. Normzweck

Der Zweck des Art. 45a GG liegt in der Stärkung der parlamentarischen Kontrolle in den Bereichen der Außen- und Verteidigungspolitik. Durch die verfassungsrechtliche Verankerung spezifischer Ausschüsse wird die besondere Bedeutung dieser Politikfelder hervorgehoben und eine kontinuierliche parlamentarische Begleitung sichergestellt. Die Norm trägt dem Umstand Rechnung, dass in diesen Bereichen oft sensible und geheimhaltungsbedürftige Informationen behandelt werden, die einer spezialisierten Kontrolle bedürfen.

4. Verfassungsrechtliche Einordnung

4.1. Stellung im Verfassungsgefüge

Art. 45a GG ist systematisch im Abschnitt über den Bundestag verortet. Er konkretisiert das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Demokratieprinzip für die Bereiche der Außen- und Verteidigungspolitik. Die Norm steht in engem Zusammenhang mit Art. 45 GG (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union) und Art. 44 GG (Untersuchungsausschüsse).

4.2. Verhältnis zu anderen Verfassungsnormen

4.2.1. Verhältnis zu Art. 44 GG

Art. 45a GG modifiziert die allgemeinen Regelungen zu Untersuchungsausschüssen in Art. 44 GG für den Bereich der Verteidigung. Während Abs. 2 dem Verteidigungsausschuss zusätzliche Rechte einräumt, schließt Abs. 3 die Anwendung von Art. 44 Abs. 1 GG für den Verteidigungsbereich aus.

4.2.2. Verhältnis zu Art. 45 GG

Art. 45a GG steht in einem Ergänzungsverhältnis zu Art. 45 GG. Beide Normen zielen auf eine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle in spezifischen, für die nationale Souveränität besonders relevanten Politikbereichen ab.

4.2.3. Verhältnis zu Art. 87a und 87b GG

Die in Art. 45a GG vorgesehene parlamentarische Kontrolle ergänzt die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Aufstellung und Verwaltung der Streitkräfte (Art. 87a und 87b GG). Sie dient als Gegengewicht zur exekutiven Prärogative in diesen Bereichen.

5. Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen

5.1. Einsetzung der Ausschüsse (Absatz 1)

5.1.1. Verfassungsrechtliche Verpflichtung

Absatz 1 begründet eine verfassungsrechtliche Pflicht des Bundestages zur Einsetzung eines Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und eines Ausschusses für Verteidigung. Diese Pflicht ist zwingend und steht nicht zur Disposition des Parlaments. Eine Nichterfüllung wäre verfassungswidrig und könnte im Wege des Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden.

5.1.2. Zeitpunkt der Einsetzung

Die Einsetzung hat zu Beginn jeder Wahlperiode zu erfolgen. Eine übermäßige Verzögerung könnte als Verletzung der Verfassungspflicht gewertet werden.

5.1.3. Zusammensetzung

Die konkrete Zusammensetzung der Ausschüsse wird durch Art. 45a GG nicht vorgegeben. Sie richtet sich nach den allgemeinen Regeln für Bundestagsausschüsse, insbesondere nach dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit (BVerfGE 80, 188 [222]). Die Geschäftsordnung des Bundestages kann nähere Regelungen treffen.

5.1.4. Begriffe "auswärtige Angelegenheiten" und "Verteidigung"

  • "Auswärtige Angelegenheiten" umfassen sämtliche Aspekte der Außenpolitik, einschließlich diplomatischer Beziehungen, internationaler Verträge und der Mitwirkung in internationalen Organisationen.
  • "Verteidigung" bezieht sich auf alle Aspekte der militärischen Verteidigung, einschließlich der Struktur, Ausrüstung und des Einsatzes der Bundeswehr sowie der Verteidigungspolitik im weiteren Sinne.

5.2. Besondere Rechte des Verteidigungsausschusses (Absatz 2)

5.2.1. Rechte eines Untersuchungsausschusses

Satz 1 des Absatzes 2 stattet den Verteidigungsausschuss mit den Rechten eines Untersuchungsausschusses aus. Dies umfasst insbesondere:

  • Das Recht auf Aktenvorlage
  • Das Recht auf Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen
  • Das Recht auf Amtshilfe durch Behörden

Diese Rechte können vom Ausschuss jederzeit, auch ohne formellen Einsetzungsbeschluss, wahrgenommen werden.

5.2.2. Minderheitenrecht auf Untersuchung

Satz 2 des Absatzes 2 etabliert ein Minderheitenrecht auf Einleitung einer Untersuchung. Ein Viertel der Ausschussmitglieder kann die Durchführung einer Untersuchung erzwingen. Dies stellt eine bedeutsame Abweichung von der Regelung des Art. 44 Abs. 1 GG dar, der ein Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vorsieht.

5.2.3. Umfang des Untersuchungsrechts

Das Untersuchungsrecht des Verteidigungsausschusses erstreckt sich auf sämtliche Angelegenheiten im Bereich der Verteidigung. Es umfasst sowohl die Kontrolle vergangenen als auch gegenwärtigen Regierungshandelns.

5.3. Ausschluss allgemeiner Untersuchungsausschüsse (Absatz 3)

5.3.1. Reichweite des Ausschlusses

Absatz 3 schließt die Anwendung von Art. 44 Abs. 1 GG, also die Einsetzung allgemeiner Untersuchungsausschüsse, für den Bereich der Verteidigung aus. Dies bedeutet, dass Untersuchungen in Verteidigungsangelegenheiten ausschließlich durch den Verteidigungsausschuss durchgeführt werden können.

5.3.2. Begründung des Ausschlusses

Der Ausschluss allgemeiner Untersuchungsausschüsse im Verteidigungsbereich dient dem Schutz sensibler Informationen und der Gewährleistung einer spezialisierten Kontrolle. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass der Verteidigungsausschuss über besondere Expertise und etablierte Verfahren zum Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen verfügt.

5.3.3. Abgrenzungsfragen

In der Praxis können Abgrenzungsfragen auftreten, wenn Untersuchungsgegenstände sowohl verteidigungspolitische als auch andere Aspekte umfassen. In solchen Fällen ist eine enge Abstimmung zwischen dem Verteidigungsausschuss und anderen zuständigen Gremien erforderlich.

6. Verhältnis zu anderen Ausschüssen und Organen

6.1. Verhältnis zu anderen Bundestagsausschüssen

Die in Art. 45a GG genannten Ausschüsse haben aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung eine herausgehobene Stellung. Sie treten jedoch nicht an die Stelle anderer Fachausschüsse des Bundestages. Eine enge Zusammenarbeit, insbesondere mit dem Auswärtigen Ausschuss, dem Haushaltsausschuss und dem Innenausschuss, ist in der Praxis unerlässlich.

6.2. Verhältnis zur Exekutive

Die durch Art. 45a GG etablierten Kontrollmechanismen stehen in einem Spannungsverhältnis zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat hier Grenzen der parlamentarischen Kontrolle aufgezeigt, insbesondere im Hinblick auf laufende Operationen und den Schutz nachrichtendienstlicher Quellen (vgl. BVerfGE 137, 185).

6.3. Verhältnis zum Wehrbeauftragten

Der Verteidigungsausschuss steht in einem engen funktionalen Zusammenhang mit dem Wehrbeauftragten des Bundestages (Art. 45b GG). Der Wehrbeauftragte wird auf Vorschlag des Verteidigungsausschusses gewählt und erstattet diesem regelmäßig Bericht.

7. Praktische Bedeutung und Bewertung

7.1. Umsetzung in der Parlamentspraxis

Die in Art. 45a GG vorgesehenen Ausschüsse haben sich als zentrale Gremien für die parlamentarische Kontrolle der Außen- und Verteidigungspolitik etabliert. Insbesondere der Verteidigungsausschuss hat von seinen Untersuchungsrechten wiederholt Gebrauch gemacht, etwa in Bezug auf Beschaffungsvorhaben oder Einsätze der Bundeswehr.

7.2. Kritische Würdigung

Die in Art. 45a GG vorgesehene Konstruktion trägt zur Effektivität der parlamentarischen Kontrolle in sensiblen Politikbereichen bei. Gleichzeitig wird kritisiert, dass die Konzentration der Untersuchungsrechte beim Verteidigungsausschuss zu einer Einschränkung der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten führen kann.

7.3. Reformüberlegungen

Es werden verschiedene Reformvorschläge diskutiert, etwa:

  • Eine Ausweitung der Minderheitenrechte
  • Eine Präzisierung der Abgrenzung zwischen Verteidigungsangelegenheiten und anderen Politikbereichen
  • Eine Stärkung der Informationsrechte gegenüber der Exekutive