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BGHZ 13, 334; NJW 1954, 1404; GRUR 1955, 197; BB 1954, 727

Titel zum Volltext

Daten

Fall: 
Veröffentlichung von Briefen
Fundstellen: 
BGHZ 13, 334; NJW 1954, 1404; GRUR 1955, 197; BB 1954, 727
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
25.05.1954
Aktenzeichen: 
I ZR 211/53
Entscheidungstyp: 
Urteil

Seitennummerierung nach:

BGHZ 13, 334

Seiten:


BGHZ 13, 334 (334):
Briefe oder sonstige private Aufzeichnungen dürfen in der Regel nicht ohne Zustimmung des noch lebenden Verfassers und nur in der vom Verfasser gebilligten Weise veröffentlicht werden. Das folgt aus dem in Artt. 1, 2 GrundG verankerten Schutz der Persönlichkeit und gilt daher auch dann, wenn die Aufzeichnungen nicht die individuelle Formprägung aufweisen, die für einen Urheberrechtsschutz erforderlich ist.

GrundG Artt. 1, 2; BGB § 823 Abs. 1; LitUrhG § 1

I. Zivilsenat

  Urteil

vom 25. Mai 1954

i. S. Dr. M. (Kl.) w. "D. W." Verlags GmbH (Bekl.)

-- I ZR 211/53 --

I. Landgericht Hamburg

II. Oberlandesgericht Hamburg

Die Beklagte veröffentlichte am 29. Juni 1952 in ihrer Wochenzeitung ... einen Artikel mit der Überschrift: "Dr. H. S. &


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Co." und dem Untertitel "Politische Betrachtung anläßlich der Gründung des neuen Bankhauses" von K. B. Der Artikel enthielt eine Stellungnahme zu der von Dr. S. in H. gegründeten neuen Außenhandelsbank und setzte sich in diesem Zusammenhang mit dem politischen Wirken des Dr. S. während des nationalsozialistischen Regimes und in den Jahren nach dem Krieg auseinander.

Im Auftrage von Dr. S. übersandte der Kläger, ein Rechtsanwalt, der Beklagten ein Schreiben vom 4. Juli 1952, in dem es auszugsweise heißt:

"Ich vertrete die Interessen des Dr. S. Gemäß § 11 des Pressegesetzes verlange ich hiermit in Ihrer am Sonntag, den 6. cr. erscheinenden Ausgabe zu obengenanntem Artikel die Aufnahme folgender Berichtigung: 1. Es ist unrichtig, daß... 2. ... Der vorstehende Berichtigungsanspruch stützt sich in rechtlicher Hinsicht auf das Pressegesetz in Verbindung mit dem BGB, ferner auf das Urheberrecht. Ich bitte Sie, mir Ihre Bestätigung über die uneingeschränkte Durchführung der verlangten Berichtigung bis morgen mittag, Sonnabend, den 5. Juli 1952, 12 Uhr, telefonisch oder schriftlich bekanntzugeben, bei Vermeidung sofort einzuleitender gerichtlicher Maßnahmen."

Die Beklagte gab dem Kläger keine Antwort. Sie veröffentlichte in der Ausgabe vom 6. Juli 1952 unter der Rubrik "Leserbriefe" in Zusammenstellung mit unterschiedlichen Meinungsäußerungen von Lesern zu dem Artikel von K. B. folgendes:

"Dr. H. S. & Co. An die ... (Anschrift der Zeitung) Ich vertrete die Interessen des Dr. H. S. 1. Es ist unrichtig... 2. ... Dr. M., Rechtsanwalt"

In den Ausführungen unter 1 fehlte die Wiedergabe von Auszügen aus dem Dr. S. betreffenden Nürnberger Urteil, die der Kläger in seinem Schreiben vom 4. Juli 1952 gebracht hatte.


BGHZ 13, 334 (336):
Im übrigen waren die Ausführungen nicht verändert.

Der Kläger erblickt in dieser Art der Veröffentlichung seiner Aufforderung eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. Der Abdruck des durch die Streichung und die Wahl der Überschrift in seinem Inhalt verfälschten anwaltlichen Aufforderungsschreibens unter "Leserbriefe" stelle eine vorsätzliche Irreführung des Publikums dar. Es werde dadurch der unrichtige Eindruck erweckt, es handle sich um bloße Meinungsäußerung eines Lesers zu dem vorangegangenen Artikel über Dr. S., wie dies bei den unter der gleichen Rubrik abgedruckten Leserzuschriften der Fall sei. Dem Kläger habe aber eine politische Stellungnahme völlig ferngelegen und er sei nur im Rahmen seines anwaltlichen Auftrags tätig geworden. Schon aus standesrechtlichen Erwägungen könne das Verhalten der Beklagten nicht geduldet werden. Ein Anwalt müsse sich darauf verlassen können, daß ein im Namen seines Mandanten gestelltes Berichtigungsverlangen nicht in irreführender Weise der Öffentlichkeit unterbreitet werde.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, in ihrer nächsten Ausgabe unter "Leserbriefe" ihre Behauptung vom 6. Juli 1952 zu widerrufen, daß der Kläger einen Leserbrief in Sachen "Dr. H. S. & Co." an die Beklagte gesandt habe.

Die Beklagte ist der Auffassung, daß sie nicht verpflichtet gewesen sei, dem Berichtigungsverlangen des Klägers nachzukommen, weil das Schreiben des Klägers nicht den Anforderungen des § 11 PresseG entsprochen habe. Es habe deshalb in ihrem Belieben gestanden, ob und an welcher Stelle ihrer Zeitung sie diese Einsendung zum Abdruck bringen wollte.

Das Landgericht hat der Klage aus § 823 Abs. 2 BGB in Verb mit §§ 186, 187 StGB stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Nach Ansicht des Berufungsgerichts liegt in der Veröffentlichung des Schreibens des Klägers in abgekürzter Fassung unter der Rubrik "Leserbriefe" keine widerrechtliche Beeinträchtigung des Klägers. Die Art dieser Veröffentlichung enthalte zwar die Behauptung einer unwahren Tatsache. Die unrichtige Behauptung, der Kläger habe an die Beklagte einen Leserbrief gesandt, sei aber weder geeignet, den Kredit des Klägers zu schädigen, noch ihn verächtlich zu machen


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oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.

Die Revision führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

  Aus den Gründen:

Das Berufungsgericht hat zu Unrecht ungeprüft gelassen, ob sich das Klagbegehren aus einer Beeinträchtigung eines Persönlichkeitsrechtes des Klägers rechtfertigt, und die Klage lediglich deshalb abgewiesen, weil es die objektiven Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung im Sinn der §§ 823, 824 Abs. 2 BGB in Verb mit §§ 186, 187 StGB nicht für gegeben erachtet. Dies wird von der Revision mit Recht beanstandet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das Schreiben des Klägers vom 4. Juli 1952 als Schriftwerk im Sinn des § 1 LitUrhG anzusehen ist und damit unter Urheberrechtsschutz fällt. Das Reichsgericht hat zwar in ständiger Rechtsprechung den Veröffentlichungsschutz für Briefe davon abhängig gemacht, ob diese die für den Urheberschutz erforderliche individuelle Formprägung aufweisen (RGZ 41, 43 [48]; 69, 401 [403]). Demgegenüber ist mit Recht vom Schrifttum darauf hingewiesen worden, daß ein Bedürfnis nach der Anerkennung eines Persönlichkeitsschutzes hinsichtlich der Verwertung eigener Aufzeichnungen in gleicher Weise auch dann besteht, wenn dieser Schutz nicht aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht abgeleitet werden kann, weil es an einer auf individueller geistiger Tätigkeit beruhenden Formgestaltung der fraglichen Aufzeichnungen fehlt (vgl. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht § 83 IV; Neumann-Duesberg, "Das gesprochene Wort im Urheber- und Persönlichkeitsrecht" 1949 S. 158 ff.; Georg Müller, Ufita 1929, 367 [383 ff.]). Das Reichsgericht glaubte, einen solchen von dem Urheberrecht unabhängigen Persönlichkeitsschutz für Briefveröffentlichungen deshalb versagen zu müssen, weil die damals geltende deutsche Rechtsordnung keine positiven Gesetzesbestimmungen über ein allgemeines Persönlichkeitsrecht enthielt (RGZ 79, 397 [398]; 82, 333 [334]; 94, 1; 102, 134; 107, 277 [281]; 113, 414; 123, 312 [320]). Das Reichsgericht hat zwar in zahlreichen Entscheidungen über § 826 BGB Persönlichkeitsrechten Schutz zugebilligt (RGZ 72, 175; 85, 343; 115, 416; 162, 7), aber grundsätzlich


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Persönlichkeitsrechte mit der absoluten Wirkung der Ausschließlichkeitsbefugnis nur für bestimmte einzelne Persönlichkeitsgüter anerkannt. Im Schrifttum haben sich schon Gierke und Kohler für die Anerkennung eines umfassenden Persönlichkeitsrechts eingesetzt (Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, 707; Bd. 3, 887; Kohler, "Das Recht an Briefen" in Archiv für bürgerliches Recht, Bd. 7, 94 ff. [101]; für das schweizerische Recht vgl. Schweizer ZivGB Art. 28).

Nachdem nunmehr das Grundgesetz das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde (Art. 1 GrundG) und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit auch als privates, von jedermann zu achtendes Recht anerkennt, soweit dieses Recht nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt (Art. 2 GrundG) muß das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht angesehen werden (vgl. Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil 14. Aufl. § 78 I 2; Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht 14. Aufl. § 233 2 c; Coing SJZ 1947, 642).

Es bedarf hier keiner näheren Erörterung, ob und inwieweit der Schutz dieses allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, dessen Abgrenzung in besonderem Maße einer Güterabwägung bedarf, im Einzelfall durch berechtigte private oder öffentliche Belange eingeschränkt ist, die gegenüber dem Interesse an der Unantastbarkeit der Eigensphäre der Persönlichkeit überwiegen; denn im Streitfall sind schutzwürdige Belange der Beklagten, aus denen sie eine Berechtigung zu ihrem von dem Kläger beanstandeten Vorgehen herleiten könnte, nicht ersichtlich. Dagegen sind durch die von der Beklagten gewählte Art der Veröffentlichung des Berichtigungsschreibens unter Weglassung wesentlicher Teile dieses Schreibens persönlichkeitsrechtliche Interessen des Klägers verletzt worden.

Jede sprachliche Festlegung eines bestimmten Gedankeninhalts ist, und zwar auch dann, wenn der Festlegungsform eine Urheberschutzfähigkeit nicht zugebilligt werden kann, Ausfluß der Persönlichkeit des Verfassers. Daraus folgt, daß grundsätzlich dem Verfasser allein die Befugnis zusteht, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form seine Aufzeichnungen der


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Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden; denn jeder unter Namensnennung erfolgenden Veröffentlichung von Aufzeichnungen eines noch lebenden Menschen wird von der Allgemeinheit mit Recht eine entsprechende Willensrichtung des Verfassers entnommen. Die Fassung der Aufzeichnungen und die Art ihrer Bekanntgabe unterliegt der Kritik und Wertung der öffentlichen Meinung, die aus diesen Umständen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Verfassers zieht. Während eine ungenehmigte Veröffentlichung privater Aufzeichnungen -- in der Regel -- einen unzulässigen Eingriff in die jedem Menschen geschützte Geheimsphäre darstellt, verletzt eine veränderte Wiedergabe der Aufzeichnungen die persönlichkeitsrechtliche Eigensphäre des Verfassers deshalb, weil solche vom Verfasser nicht gebilligten Änderungen ein falsches Persönlichkeitsbild vermitteln können. Unzulässig sind im allgemeinen nicht nur vom Verfasser nicht genehmigte Streichungen wesentlicher Teile seiner Aufzeichnungen, sondern auch Zusätze, durch die seine nur für bestimmte Zwecke zur Veröffentlichung frei gegebenen Aufzeichnungen eine andere Färbung oder Tendenz erhalten, als er sie durch die von ihm gewählte Fassung und die Art der von ihm erlaubten Veröffentlichung zum Ausdruck gebracht hat.

Soweit es sich um urheberrechtlich geschützte Werke handelt, sind diese Rechtsgrundsätze bereits seit langem von der Rechtsprechung aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht des Werkschöpfers, das nur eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes ist, abgeleitet worden (RGZ 69, 242 [244]; 79, 397 [399]; 151, 50). Vom Blickpunkt des Persönlichkeitsschutzes aus ist die Interessenlage des Autors für Aufzeichnungen, die nicht unter Urheberrechtsschutz stehen, im wesentlichen die gleiche.

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger eindeutig nur eine Berichtigungsaufforderung, und zwar in seiner Eigenschaft als Anwalt des Dr. S., an die Beklagte gerichtet. Damit wurde die Beklagte von dem Kläger nur ermächtigt, entweder das Schreiben in unverkürzter Gestalt oder unter Beschränkung auf die von ihm verlangte Tatsachenberichtigung unter Klarstellung, daß es sich um ein Berichtigungsverlangen handele, zu veröffentlichen. Da der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit nicht die Durch


BGHZ 13, 334 (340):
setzung seines ursprünglichen Berichtigungsbegehrens anstrebt, ist es für die Entscheidung bedeutungslos, ob sein Schreiben vom 4. Juli 1952 den Voraussetzungen des § 11 PresseG entsprochen hat. Wäre dies mit dem Berufungsgericht zu verneinen, so würde hieraus nur ein Recht der Beklagten folgen, von einer Veröffentlichung dieses Schreibens überhaupt abzusehen. Nicht aber war die Beklagte berechtigt, das Schreiben unter der Rubrik "Leserbriefe" bekanntzugeben, und zwar unter Streichung derjenigen Sätze, aus denen klar ersichtlich war, daß der Kläger nicht etwa seiner persönlichen Meinung zugunsten des Dr. S. Ausdruck verleihen, sondern ein presserechtliches Berichtigungsverlangen durchsetzen wollte.

Es ist dem Landgericht beizupflichten, daß diese Art der Veröffentlichung -- noch dazu unter Einreihung des Berichtigungsschreibens unter fünf weitere Zuschriften zu dem von der Beklagten veröffentlichten Artikel über Dr. S. -- bei dem unbefangenen Leser den Eindruck hervorrufen mußte, das in Form eines Leserbriefes veröffentlichte Schreiben des Klägers gebe dessen persönliche Stellungnahme zu dem um Dr. S. entbrannten Meinungsstreit wieder. Diese Irreführung wurde auch nicht durch die wörtliche Wiedergabe des einleitenden Satzes des Klägers ausgeräumt; denn dieser Satz besagte in seiner allgemein gehaltenen Fassung für den Leser nur, daß es sich bei dem Einsender um den Anwalt des Dr. S. handle. Dieser Satz stellte aber nicht hinreichend klar, daß auch der Inhalt des fraglichen Schreibens auf einen anwaltlichen Auftrag zurückging und dieses Schreiben von dem Kläger nicht als Privatmann, sondern in Ausübung seines Berufes verfaßt worden war.

Dementsprechend hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt, daß die Veröffentlichung des Berichtigungsschreibens in der gekürzten Fassung unter der Rubrik "Leserbriefe" die Behauptung einer unwahren Tatsache enthält. Damit aber steht zugleich fest, daß durch diese Art der Veröffentlichung das Berichtigungsschreiben eine mit seiner ursprünglichen Fassung nicht übereinstimmende Tendenz erhalten hat, und daß diese Veröffentlichungsform nicht dem entspricht, wozu der Kläger allein seine Einwilligung erteilt hatte, nämlich die fraglichen Ausführungen unverändert in der von ihm gewählten Form


BGHZ 13, 334 (341):
gebung als ein Berichtigungsschreiben der Öffentlichkeit zu unterbreiten.

Das Landgericht hat mit Recht die beanstandete Veröffentlichung, die nach seinen Feststellungen einem außerordentlich großen Personenkreis bekannt geworden ist, als fortwirkende Beeinträchtigung angesehen und deshalb das auf Widerruf gerichtete Klagbegehren als berechtigt erachtet.