Die Ur-Grammatik des Rechts – Auf der Suche nach den biologisch-psychologischen Wurzeln des Rechts

1 „Oft wird ein Trieb missverstanden, falsch gedeutet z. B. der Geschlechtstrieb, der Hunger, die Ruhmsucht. Vielleicht ist die ganze Moral eine Ausdeutung physischer Triebe.“2

Das Recht ist eine „institutionelle normative Ordnung“3, eine der zahllosen sozialen Ordnungen, in denen wir uns einrichten, um den Gefahren des Chaos zu entkommen. Sein Ziel ist es, die Machtverteilung und die daraus entstehenden Konflikte durch eine wirksame Verbindung von Kommunikation4 und gewaltfreien Handlungen zu lösen. Die Fähigkeit dazu ist für uns überlebenswichtig, denn wir sind intelligent genug, die Welt mit Gewalt zu zerstören, aber nicht weise genug, das unter allen Umständen zu verhindern.5 So liegt die Frage nahe, wie tief rechtliche Systeme in uns verankert sind: Ist das Verständnis für Recht und Gerechtigkeit nur ein kulturell vergängliches Produkt, oder ist es tiefer in unserer Natur angelegt und hat so die Chance, sich in einer Krise gegenüber unserer Zerstörungswut durchzusetzen? Die Antwort können wir nicht im Recht selber finden. Sie ergibt sich aus den biologischen, psychologischen und soziologischen Strukturen, die das menschliche Leben bestimmen. Dabei fahnden wir auch nach einer „Einheit des Wissens“ (E. O. Wilson).

Volltext als PDF.

  1. 1. Dieser Text lebt von vielfältigen Anregungen, Ideen und Korrekturen von Prof. Dr. Andreas Elepfandt (em. Prof. Institut für Biophysik, Humboldt-Universität, Berlin) und Prof. Dr. Eckart Voland (em. Prof. für Philosophie der Biowissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen). Prof. Dr. Michael Tomasello (Co-Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig), Prof. Dr. Gerd Gigerenzer (Direktor der Abteilung Adaptives Verhalten und Kognition und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin) und Prof. Dr. Marco F.H Schmidt (Leiter der Forschungsgruppe Developmental Origins of Human Normativity, Fakultät für Psychologie und Pädagogik, LMU München) haben freundlicherweise einen Blick in frühere Entwürfe geworfen.
  2. 2. Nietzsche (1880), Kritische Studienausgabe DTV 1999, Nachlass Bd. 9, S. 195.
  3. 3. McCormick, Institutions of Law, 2008.
  4. 4. Kommunikation wird hier nicht so umfassend wie von Niklas Luhmann verstanden: „Die Operationsweise, die das Gesellschaftssystem produziert und reproduziert, ist die sinnhafte Kommunikation“ (Das Recht der Gesellschaft, 1993, 35). Aber sein Begriff des Rechtssystems ist auch dann überzeugend, wenn es nicht nur unter dem Aspekt der Kommunikation interpretiert wird.
  5. 5. Lesch, Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän, 2016; Rathkau, Geschichte der Zukunft, 2017.
AnhangGröße
Benno Heussen - Urgrammatik des Rechts - RPhZ 3 218.pdf369.3 KB