Die Ur-Grammatik des Rechts – Auf der Suche nach den biologisch-psychologischen Wurzeln des Rechts

*Die biologische und psychologische Forschung zeigt uns in den letzten Jahren ein neues Bild von den Rahmenbedingungen, unter denen wir (auch) bei rechtlichen Konflikten Entscheidungen treffen. Wir reagieren in genetisch fest verankerten Verhaltensmodellen, die uns in vieler Hinsicht mit Tieren (nicht nur Primaten) verbinden und selbst die psychologischen Varianten (die sich kulturbedingt entwickeln), folgen Stereotypen, die uns überraschen. An einem politisch aktuellen Beispiel – der Angst vor Fremden – lässt sich belegen, dass unsere kulturellen Konstruktionen – darunter vor allem ethische Regeln und normative Systeme – unübersehbare Beziehungen zu unseren biologischen und psychologischen Wurzeln haben; und wir verstehen, wie schwierig es ist, sich mit solchen Regeln gegen unsere instinktiven Reaktionen zu stemmen. Die nähere Analyse zeigt, wie wertvoll dieses Material ist, um das Recht als soziales Phänomen tiefer zu verstehen.1

»Oft wird ein Trieb missverstanden, falsch gedeutet z.B. der Geschlechtstrieb, der Hunger, die Ruhmsucht. Vielleicht ist die ganze Moral eine Ausdeutung physischer Triebe.«2

1. Die Natur als Rahmenbedingung sozialer Ordnungen

Das Recht ist eine »institutionelle normative Ordnung«3, eine der zahllosen sozialen Ordnungen, in denen wir uns einrichten, um den Gefahren des Chaos zu entkommen. Sein Ziel ist es, die Machtverteilung und die daraus entstehenden Konflikte durch eine wirksame Verbindung von Kommunikation4 und gewaltfreien Handlungen zu lösen. Die Fähigkeit dazu ist für uns überlebenswichtig, denn wir sind intelligent genug, die Welt mit Gewalt zu zerstören, aber nicht weise genug, das unter allen Umständen zu verhindern5. So liegt die Frage nahe, wie tief rechtliche Systeme in uns verankert sind: Ist das Verständnis für Recht und Gerechtigkeit nur ein kulturell vergängliches Produkt, oder ist es tiefer in unserer Natur angelegt und hat so die Chance, sich in einer Krise gegenüber unserer Zerstörungswut durchzusetzen? Die Antwort können wir nicht im Recht selber finden. Sie ergibt sich aus den biologischen, psychologischen und soziologischen Strukturen, die das menschliche Leben bestimmen. Dabei fahnden wir auch nach einer »Einheit des Wissens« (E. O. Wilson).

Menschen sind Teile der Natur, wir sind »menschliche Tiere«6 oder, wie Platon gesagt haben soll »federlose zweibeinige Wesen«. Wir teilen unsere Gene nicht nur mit unseren unmittelbaren Vorfahren, den Großen Menschenaffen (Primaten), sondern auch mit anderen Lebewesen und sogar Pflanzen (wie wir unten im Detail sehen werden). Auf den ersten Blick unterscheiden wir uns von den Primaten durch unsere Fähigkeit zur Selbstbetrachtung und Selbstanalyse. Die linguistische Sprache und die mit ihrer Hilfe definierten Begriffe lassen uns das erkennen. Primaten können sich selbst identifizieren und könnten sie sprechen, wüssten wir vielleicht, bis zu welchem Grad sie sich selbst betrachten können. Wir können unseren Blick gleichzeitig auf äußere Ereignisse wie auf die zeitgleich stattfindenden eigenen Reaktionen richten und die Rahmenbedingungen, die uns umgeben, bewerten. Wir sehen die Situation aus der Vogelperspektive7, also geführt von unserer Fähigkeit, beim Erfassen einer Situation »nach vorne und nach hinten zu sehen… Diese homerische Vernunft ist wie die Sinneserkenntnis direkt bei der Sache, und zwar aktiv, selbsttätig, nicht nur passiv beeindruckt«.8 Diese Art der Erkenntnis verbindet Verstand, Gefühle und Wille und sie steht näher an unserer biologischen Natur als der Versuch einer Trennung zwischen ihnen, wie wir sie (spätestens) seit der Aufklärung gewöhnt sind. Dabei stützen wir uns einerseits auf unsere Erfahrung mit Standardsituationen, und entwickeln andererseits Zurückhaltung und Vorsicht in unbekannten Situationen9. Die für Menschen selbstverständliche Aufgabe, Begegnungen mit Dritten auf ähnliche Weise zu organisieren, wie sie dies innerhalb eigener Gruppen (Familie, Firma, Ort, Verein etc.) tun, kennen wir bei Tieren (nach derzeitigem Forschungsstand) nicht. Wie dieses Zusammenspiel im Einzelnen funktioniert, können wir nur durch Selbstbeobachtung in Erfahrung bringen, weil auch die modernsten Untersuchungsmethoden uns (noch) keinen Einblick in die Abläufe beim lebenden Organismus erlauben10.

Was nach außen zu sehen ist, zeigt uns in den letzten zwei Jahren beispielhaft die öffentliche Diskussion über Flüchtlinge und Asylbewerber. Der selbstverständliche Hinweis auf die in ganz Europa ziemlich einheitlich abgesicherten Grundlagen des Asylrechts beseitigt offensichtliche Angst11 vor den Fremden nicht, weil man dem Rechtssystem allein keine hinreichende Ordnungsfunktion zutraut. Mit Furcht kann man besser umgehen als mit Angst, denn sie knüpft immer an »konkrete Ereignisse« an12, kann aber der Grund für Angstzustände werden. Haben Angst und Furcht vor Fremden eine biologisch/psychologische Verankerung, die wir vielleicht sogar mit Tieren teilen?

Die Antwort ist nicht leicht zu finden, denn der Vergleich zwischen Menschen und Tieren wirft eine Reihe methodischer Probleme auf. Manche Reaktionen von Tieren, die unter Laborbedingungen nachgewiesen werden, lassen sich in der freien Natur nicht beobachten, die Zahl der Beobachtungen und die Länge der Zeiträume sind für belastbare statistische Aussagen in der Regel zu gering und bereits die sprachliche Fassung einer Beobachtung gestaltet unvermeidbar ihr Ergebnis. Das Experiment muss diese Risiken erkennen und eingrenzen. Viel gravierender ist aber, dass wir mit Tieren nicht sprechen können und sich uns ihre Innenwelt nur durch die Analyse ihres Verhaltens, vor allem der Körpersprache erschließt. Aus methodischen Gründen dürfen wir Begriffe wie Kooperation, Vertrauen, Trost, Dankbarkeit, Furcht, Aggression, Respekt, usw., die nur aus menschlicher Erfahrung stammen, auf die Reaktion von Tieren nur dann übertragen, wenn wir uns immer bewusst sind, dass darin eine Projektion auf menschliches Verhalten stecken kann. Wenn etwa ein jüngerer Schimpanse von einem Älteren wegen eines Übergriffs attackiert wird, kann man dann sagen, dass er »bestraft worden ist« und sich »schlechten Gewissens in eine Ecke zurückzieht und schämt«? Strenge Behavioristen verbieten sogar die Verwendung dieses Vokabulars. Was wissen wir über die Intentionen von Tieren (falls es sie gibt)13? Die Gefahr der Fehldeutungen ist groß:

»Immer betrachten wir die Tiere aus unserer menschlichen Innenperspektive und unseren Erfahrungsgesichtspunkten. Dinge, die wir nicht verstehen können, werden wir bei Tieren nicht sehen und daher gemeinhin als nicht existent annehmen«. (Andreas Elepfandt)

2. Studien mit Primaten

Frans de Waal (Emory University Atlanta (USA)) ist mit diesen methodischen Problemen vertraut14). Er hat viele Jahre lang Untersuchungen an Schimpansen und Bonobos (die uns in ihrem Verhalten sehr ähnlich sind) angestellt und dabei vor allem Kommunikation, Aggression und Kooperation untersucht. Sein Bericht, der die Resultate zahlloser Studien referiert, zeigt uns soziale Strukturen, die wir mit den unseren vergleichen können:

  • Primaten entwickeln einen individuellen Charakter, der sich vom Charakter der anderen Individuen unterscheidet (S. 167). Große Menschenaffen (Schimpanse, Bonobo, Orang-Utan und Gorilla), nicht aber kleine Menschenaffen (Gibbon, Siamang) können sich selbst im Spiegel identifizieren (S. 276). (Diese Fähigkeit beschränkt sich allerdings nicht auf Primaten: Auch Elefanten, Delphine und Hühner erkennen sich im Spiegel!).
  • Auch ohne sprachliche Fähigkeiten entwickeln Primaten gestützt auf Körpersprache, Erfahrung und intuitive Interpretation der Reaktionen anderer ein hohes Kommunikationsniveau (S. 171).
  • Primaten (aber auch Elefanten!) verstehen die Abhängigkeit des Einzelnen von der Gruppe (Interdependenz). Sie leben in Hierarchien, und entwickeln innerhalb einzelner Gruppen soziale Regeln, die gelernt werden und haften bleiben (S. 203 ff.), so vor allem die Fähigkeit, Konflikte nach Möglichkeit zu vermeiden (S. 304).
  • Rangverhältnisse werden durch Streit geklärt (wenn nötig), aber die danach entstandene Ordnung wird meist ohne Streit respektiert (S. 212 ff.).
  • Aggressionen dienen nicht nur dem Eigennutz15 oder der Sicherung von Revier, Rang und Nahrung16, sondern entwickeln auch soziale Funktionen wie etwa der Arterhaltung, der Information, der Koordination, und dem Aufbau von Beziehungen (z.B. durch nachträgliche Versöhnung) (S. 113, 136, 257, 305).
  • Selbst hochrangige Primaten begrenzen ihre Aggressionen: Sie verstehen Reviergrenzen, ändern ihr Verhalten bei Widerspruch und respektieren Besitz (S. 175), passen sich also der sozialen Ordnung an (»Impulskontrolle ist der Schlüssel zur Moral« (S. 204, 207).
  • Primaten wissen, dass ihr Überleben von ihrer Integration in die Gruppe abhängt, verstehen Gefährdungen anderer (S. 200) und strafen Einzelne, die gegen die Regeln verstoßen (S. 211, 218, 225).
  • Es entwickelt sich Selbstkontrolle des Einzelnen im Verhältnis zur Gruppe (S. 205); die Missachtung von Regeln führt zu Strafen (S. 216 ff., 224 f.).
  • Der Nutzen gegenseitiger Hilfe – Futterbeschaffung, Fellpflege – wird verstanden – auch ohne unmittelbare Gegenleistung (S. 166, 201 f.). Eines der typischen Experimente ist folgendes: Nahrungsmittel befinden sich auf einem Schlitten, der sich verkantet, wenn nur ein Tier an einem Seil zieht. Beide Tiere müssen gleichzeitig ziehen, sonst gibt es nichts zu essen (S. 178) und sie müssen die Beute fair verteilen, sonst erlischt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit.
  • Kooperatives Verhalten kommt nur Mitgliedern der eigenen Gruppe zugute, nicht jedoch Unbekannten (S. 194, 248 f.), die eigenen Behinderten werden in die Gruppe integriert (S. 131, 251), Fremde aggressiv abgewiesen.
  • Intelligenz und Gefühlswelt sind differenziert entwickelt: Genau wie wir können Primaten sich in die Gefühle anderer empathisch hineinversetzen (S. 183 ff.)17; sie beschwichtigen andere, die ihr Verhalten »beanstanden«18. Sie trösteten sich gegenseitig, wobei weibliche Tiere das häufiger tun als männliche (S. 198).
  • Primaten können sich erinnern (S. 252), benutzen Werkzeuge (S. 201, 204) und planen für die Zukunft (S. 276) – das tun allerdings auch Meisen und Eichhörnchen.
  • Die emotionalen Komponenten (Dankbarkeit, Furcht) gegenseitiger Leistungen (Nahrung gegen Fellpflege; gezieltes Helfen, aber auch die Rache) sind entwickelt (S. 174, 200) – ob sich aus ihnen Solidarität (S. 235) und Gemeinschaftssinn (S. 237) im Sinne menschlicher Reziprozität entwickeln, ist umstritten (siehe unten).
  • Primaten verstehen das Modell der Gleichheit (z.B. bei der Belohnung für die Lösung von Aufgaben) und protestieren gegen ungleiches Verhalten (S. 308 ff.), sofern sie selbst davon betroffen sind.
  • Alphatiere übernehmen beim Streit niederrangiger Tiere die Rolle des Schlichters (S. 236, 312) und trennen Streitende (S. 234) – das beobachtet man aber auch an Pferden und Fischen.

Vergleichbare Leistungen, die einerseits eine gewisse Intelligenz (abhängig von der Leistungsfähigkeit des Gehirns), andererseits aber ein differenziertes Gefühlsleben voraussetzen, finden wir – wie oben erwähnt – teilweise auch bei Elefanten19, Delphinen, Rabenvögeln und Hunden20. Aber in ihrer Kombination und Differenziertheit unterscheiden sich die Reaktionen von Primaten auffällig von ihnen.

An diese Ergebnisse haben weltweit zahllose weitere Forschungsansätze angeknüpft, unter denen die Arbeit von Giacomo Rizzolatti, in den Jahren 1992 - 2003 hervorzuheben ist, über die uns Joachim Bauer berichtet21. Rizzolatti konnte »Spiegelneuronen« identifizieren, also »Nervenzellen der sensiblen Hirnrinde, die die Vorstellung von Empfindungen gespeichert haben«22. So war nachgewiesen, dass Primaten das Verhalten anderer Primaten interpretieren können, eine Fähigkeit, die wir bisher nur Menschen zugeschrieben haben. Bewusstsein ist keinesfalls ein trivialer Zustand: »Es ist unmöglich, aus hundertfünfzig Pfund subatomaren Materials Subjektivität zu erschaffen.«23 Es ist noch nicht klar, ob wir den Begriff »Bewusstsein« auf Tiere übertragen können, wir können vergleichbare Fähigkeiten aber auch nicht ausschließen24.

Entscheidend ist die Frage, ob Primaten auf der ihnen gegebenen genetischen Basis und erlernten Reaktionen nur impulsiv handeln, oder ob wir aus diesen Handlungen darauf schließen können, dass sie damit Ziele und Absichten verfolgen. Hier stehen wir derzeit vor einer Erklärungslücke (E. Voland). Relevant ist die Beobachtung des Jagdverhaltens: Wenn Primaten gemeinsam jagen, sehen wir ein äußeres Bild der Kooperation, aber auch hier können wir daraus nicht sicher schließen, dass man – wie bei Menschen – von »gemeinsamen Absichten« sprechen könnte, denen das individuelle Interesse sich unterordnet. Wenn Primaten in Experimenten »gemeinsam an einem Strang ziehen« befinden sie sich in einer vergleichbaren Situation. Der eine »hilft« dem anderen, aber er tut es um sein eigenes Ziel zu erreichen – jedenfalls können wir (derzeit) nichts anderes erkennen. Die Handlungsspielräume und Reaktionen dieser Tiere sind genetisch abgesichert und biologisch erlernt, aber nicht identisch mit moralischen Konzepten. Häufig wird beobachtet, dass die Verteilung der Beute nach differenzierten Gesichtspunkten (Rangordnung, Beteiligung an der Jagd usw.) erfolgt, aber die Regelung geschieht auf der Basis jahrtausendelanger Erfahrungen der immergleichen Situation.

3. Vergleiche zwischen Primaten und Kleinkindern

Michael Tomasello (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig) hat versucht, die zentrale Frage der Ähnlichkeit von tierischem und menschlichen Verhalten durch Untersuchung des Verhaltens von Kleinkindern zwischen neun Monaten und drei Jahren zu klären, weil deren Verhalten mehr durch genetische und instinktive Faktoren bestimmt ist, als in späterem Alter25. Er interpretiert die Experimente von de Waal zurückhaltender in Bezug auf die Fähigkeiten von Menschenaffen, das Prinzip der Gegenseitigkeit zu verstehen oder gar Vorstellungen über Fairness und Gerechtigkeit zu entwickeln. Beide Begriffe analysiert er nicht theoretisch, sondern belegt seine Aussagen mit Experimenten im Umfeld der Fairness-Spiele26. In diesen Spielen wird das Verhalten von Menschen untersucht, von denen einer einen Geldbetrag erhält und entscheiden kann, ob er einen Teil davon weitergibt. Ein anderer Spieler kann den ihm angebotenen Teilbetrag annehmen oder ablehnen. Lehnt er ab, weil ihm die angebotene Aufteilung unfair erscheint, verliert der erste Spieler seinen Einsatz. Weltweite Untersuchungen zeigen, dass unterhalb von 30 % des Angebots der zweite Spieler mit hoher Wahrscheinlichkeit ablehnt, weil er es vorzieht, den anderen mit ins Verderben zu ziehen. Tiere hingegen nehmen, was sie kriegen können. Die Verhaltensunterschiede beruhen im Wesentlichen auf der – schon bei Kleinkindern zu beobachtenden – Fähigkeit, den Standpunkt eines anderen einzunehmen und mit ihm gemeinsame Ziele zu entwickeln27:

  • Sie sind aus sich selbst heraus (intrinsisch) motiviert und helfen anderen auch dann, wenn sie als einzelne (und nicht in der Gruppe) handeln und nicht beobachtet werden, solange die Vertrauensbasis existiert (S. 77, 80).
  • Sie informieren sich gegenseitig, lange bevor sie dies durch Sprache tun können28.
  • Sie kopieren das Verhalten anderer Menschen weit mehr als Primaten (S. 140).
  • Sie können eingeübte Verhaltensweisen bewusst außer Kraft setzen (S. 140).
  • Sie helfen anderen, wenn diese von Dritten geschädigt wurden (S. 80).
  • Sie handeln »paternalistisch«, wie es ihrer Meinung nach für den anderen am besten ist (S. 79).
  • Gegen ungleiches, negatives oder unfaires Verhalten (»Trittbrettfahrer« bei gemeinsamen Leistungen) protestieren Kinder auch dann, wenn sie nicht selbst betroffen sind (S. 94, 98).
  • Kinder reagieren auf Kulturpraktiken noch bevor sie Zugang zu deren Sinn haben (S. 145),
  • »wobei sowohl die Perspektive und die Rolle des Selbst als auch die des Partners dasselbe Repräsentationsformat haben« (S. 85).

Bei der Bewertung dieser Unterschiede ist allerdings zu beachten, dass die Versuchsanordnungen für Kinder sich in einer »affenähnlichen Umgebung« vermutlich anders darstellten als in einem ihnen vertrauten, von Menschen geprägten Setting. Auch unter Berücksichtigung solcher (unvermeidbarer) methodischen Probleme zeigen sich »die einzigartigen Merkmale der menschlichen Kognition in hochentwickelten, artspezifischen Fähigkeiten und Motivationen zur geteilten Intentionalität«29. Andere leiten die Unterschiede zu Primaten aus der menschlichen Sprache ab (ohne die abstrakte Begriffsbildungen nicht möglich sind), wieder andere aus dem besonderen Zusammenhang zwischen Wissen und Kooperation usw. Welche dieser Merkmale genetisch abgesichert sind, ist seit neuestem für das grammatische Modell von Noam Chomsky nachgewiesen (FN 43), im Übrigen ebenfalls streitig30.

Es gibt noch kein einheitliches Bild in den Naturwissenschaften, aber immerhin teilen wir mit den Großen Menschenaffen eine Vielzahl sozialer Fähigkeiten, so vor allem die Theory of Mind, also »die Fähigkeit, Vorstellungen von Bewusstseinszuständen Dritter haben zu können«31. Wir haben diese Fähigkeit kulturell in einem entscheidenden Punkt weiterentwickelt: Schon menschliche Kleinkinder können die Gesamtsituation von außen – wie aus der Vogelperspektive32 – einschätzen. Tomasello fasst mit diesem Begriff die Erkenntnis von Thomas Nagel zusammen, dass der Blick auf andere Akteure und die Situation, in der wir uns befinden, uns die Einsicht in wechselseitige Beziehungen vermittelt. Das ist die zwingende Voraussetzung dafür, andere als vergleichbar, wenn nicht gleichberechtigt anzuerkennen33 und mit ihnen gemeinsame Ziele zu entwickeln.

Frans de Waal sieht geringere Unterschiede zwischen Tieren und Menschen und erwartet, dass in Zukunft auch bei Primaten die Fähigkeit zur Einnahme der Vogelperspektive nachgewiesen werden kann. Er wird darin durch neuere Forschungsergebnisse unterstützt: 2017 konnte das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie nachweisen, dass Schimpansen ihren Artgenossen Futter abgeben, wenn diese sich zuvor selbst als kooperativ erwiesen haben34. Hier scheinen wir das zentrale Grundgesetz unseres sozialen Lebens vor uns zu sehen: Geben und Nehmen hängen untrennbar zusammen und Vertrauen entsteht nur durch Vorleistung – eine zentrale Erkenntnis des Vertragsrechts.

4. Kommunikation zwischen Insekten und Bakterien

So ergibt sich die spannende Frage, ob wir auch unterhalb der Ebene der Primaten schon Ansätze des für Menschen typischen Verhaltens finden können. Wenn wir »Kommunikation und Kooperation« als Beschreibungen von Verhalten bezeichnen, dass nicht notwendig an Menschen geknüpft ist, finden wir es schon in der Pflanzenwelt bis tief hinunter zu den bakteriellen Systemen35. Wer nicht kommuniziert, kann nicht leben. Auch Tiere mit sehr geringer Gehirnleistung beeindrucken uns durch Organisationsformen, die wir nach unseren Maßstäben als »Staaten« bezeichnen. Wir sind »zu 90 % Affen aber auch zu 10 % Bienen«36. Damit erschließen wir uns Fähigkeiten, die Primaten niemals entwickelt haben: Die Selbstorganisation riesiger Gruppen. Wichtige Erkenntnisse auf diesem Gebiet hat Edward O. Wilson gewonnen37. Sie zeigen am Beispiel der Ameisen und vergleichbar organisierter Insekten, dass diese Tiere trotz ihrer beschränkten Gehirnleistungen über Geruchsstoffe und Geräusche erstaunlich differenzierte Kommunikationsaufgaben lösen können. Auf diese Weise wird aus unzähligen kleinen Tieren eine, sich selbst organisierende Masse und die Fähigkeit zur internen Abstimmung unter allen Umständen führt zu einer idealen Anpassung an die jeweilige Umwelt. Genau darin gleichen sie uns, denn auch wir verlieren viel von unserer Individualität, wenn wir uns in der Masse organisieren. Auf diese Weise konnten einige Insekten ihre Arten über ca. 100 Millionen Jahre erhalten. Diese Überlebensstrategien wirken auch in uns genetisch weiter, nicht zuletzt, weil wir 60-70 % unseres Erbgutes mit den Insekten teilen und das ist nicht einmal das erstaunlichste: Auch mit den Pflanzen – vom Moos bis zu den Bananen – sind wir genetisch verwandt38. In unseren staatlichen Strukturen organisieren wir uns mit Hierarchien, Funktionsteilung usw. genauso wie Insekten, die diese Fähigkeiten aus ihren genetischen Dispositionen nehmen. Wir haben auf dieser genetischen Basis, die ersten menschlichen Gruppen, segmentären Gesellschaften und schließlich Staaten39 gebildet. Unsere Fähigkeit, die Vorteile kleiner wie riesiger Gruppen miteinander zu verbinden, erhöht gewiss unsere biologischen Chancen, weil wir dadurch über mehr Entwicklungsmöglichkeiten verfügen. Eine der wichtigsten ist die Fähigkeit zu kulturellen Konstruktionen, darunter vor allem die Definition moralischer Regeln, die das Verhältnis zwischen dem ICH und der Gesellschaft über das instinktive Niveau hinaus heben.

5. Evolutionäre Ethik: Das Entstehen einer universalen Moralgrammatik

Die Forschungen von Frans de Waal und Michael Tomasello zeigen uns, dass die Gattung Homo – wenn wir den Gedanken Darwins/Herbert Spencers folgen wollen – drei soziale Perspektiven mit den Primaten teilt, die wir sowohl bei ihnen wie bei Kleinkindern, deren Verhalten noch unmittelbarer von Instinkten geprägt ist, finden. Hominidae (Gattung Homo und Menschenaffen):

  • leben in Gruppen und sichern ihr individuelles Überleben durch Steuerung von Aggression, Flucht, und Kooperation, dies alles in ihrer Abhängigkeit von der Gruppe (Interdependenz), und der spiegelbildlichen Abwehr gegenüber jedem, der nicht zur Gruppe gehört,
  • haben ein instinktives Gespür für die innere Verbindung zwischen Leistungen und Gegenleistungen (Reziprozität); sie können in einem sehr groben Raster Gleiches und Ungleiches unterscheiden und verlangen Ausgewogenheit,
  • steuern ihr Verhalten nicht nur durch Intelligenz, sondern auch durch ihre Gefühlslagen (Mitgefühl mit anderen (Empathie) oder dessen Gegenteil).40

Unser Verhalten oszilliert ständig zwischen individueller Unabhängigkeit, Egoismus und Gefühllosigkeit auf der einen und Interdependenz, Reziprozität und Empathie auf der anderen Seite, die gemeinsam eine »universale Moralgrammatik«41 bilden. Keines dieser Elemente enthält bereits eine moralische Anweisung, es sind nur (unverzichtbare) Maßstäbe für die »Richtigkeit der Sprache«, die das »gerechte« Verhältnis zwischen den Interessen des ICH und der Gesellschaft widerspiegelt, das ohne moralische Normen allein von den Machtdifferenzen zwischen den Beteiligten bestimmt würde. Da wir die Elemente der universalen Moralgrammatik voll entwickelt bei unseren unmittelbaren Vorfahren, den Primaten (und Teile von ihnen auch bei anderen Tierarten) vorfinden, ist die Vermutung berechtigt, dass es sich nicht um eine kulturelle Konstruktion, sondern vererbbares Verhalten geht. Es zeigt sich nicht nur in typischen psychologischen Mustern aus, sondern beruht auch auf chemischen Veränderungen im mesolimbischen Dopaminsystem, die dort nachweisbar sind42.

Menschen haben unter den unterschiedlichen Raum – Zeit – Kultur – und anderen Rahmenbedingungen auf der Basis dieser Grammatik viele moralische Normen entwickelt und miteinander vernetzt. Man sieht verblüffende Ähnlichkeiten zu Noam Chomskys Theorie43 einer biologisch angeborenen Fähigkeit, grammatische Strukturen zu begreifen und Sprachen aus ihnen zu entwickeln. Angela D. Friederici44 konnte 2016 nachweisen, dass die von Chomsky (FN 43) vorhergesagten Gehirnstrukturen nachweisbar sind und das Erlernen der Sprache weltweit auf gleiche Art geschieht:

»Der sogenannte Fasciculus arcuatus… ist eine Art Datenautobahn, auf der Informationen zwischen den sprachrelevanten Hirnarealen transportiert werden, und damit die entscheidende Struktur für die Verarbeitung der Grammatik, der eigentlichen Grundlage von Sprache. Sie ist im Gehirn aller Erwachsenen weltweit deutlich ausgeprägt und variiert nur minimal, je nachdem in welcher Sprache eine Person aufgewachsen ist. Damit ist sie der neurowissenschaftliche Beleg für die Idee des Linguisten Noam Chomsky, nach der allen Menschen ein universelles System für Grammatik angeboren ist… Sprache ist unabhängig von Zeit und Raum«.

Es ist schwierig zu sagen, inwieweit Tiere instinktiv einer universalen Moralgrammatik folgen. Frans de Waal interpretiert die Fähigkeit von Primaten, Nahrung zu teilen, als inhaltliches Verständnis der Tatsache, dass Leistungen Gegenleistungen erfordern. Tomasello ist vorsichtiger und meint, es könnte sich

»›lediglich‹ um ›emotionale Reziprozität‹ handeln (sympathy), welche zwar durch gegenseitige Abhängigkeit (z.B. um in der Dominanzhierarchie zu bestehen oder aufzusteigen) strukturiert, aber weit von (impliziten) Abmachungen oder Gleichheit entfernt ist«45.

Dieses Verhalten ist nicht mit instinktiven Reaktionen anderer Tierarten vergleichbar. Wenn eine Biene die Königin füttert, wird sie dabei von ihren Instinkten gesteuert. Primaten hingegen beurteilen genauso wie Menschen die Situation im Hier und Jetzt unterschiedlich je nach den gegebenen Rahmenbedingungen. Ob sie »verstehen« was sie da tun, müssen wir einstweilen offenlassen.

Die drei Kriterien Interdependenz, Reziprozität und Empathie lassen sich in allen bekannten ethischen Regeln nachweisen (Goldene Regel, Utilitarismus, wertbasierte Modelle etc.). Ihre Unterschiede erklären sich aus den unzähligen Varianten des Verhältnisses zwischen dem ICH und der Gesellschaft. Hier bildet sich ein Spannungsfeld zwischen Systemen, die in Extremfällen das ICH im Zentrum der moralischen Frage sehen, während andere den Fokus auf die Interessen der Gesellschaft legen46. Innerhalb dieser Regelwerke bewegen wir uns gesteuert durch den moralischen Sinn, den wir in jeder einzelnen Konfliktsituation entwickeln. Keines dieser Modelle könnte sich ohne das Empfinden gegenseitiger Abhängigkeit entwickeln, keine moralische Regel wäre denkbar, in der Leistung und Gegenleistung nicht zusammenpassen sollten und wie könnte man die Ausgewogenheit einer moralischen Entscheidung ohne Empathie für die Situation der Beteiligten bewerten?

So zeigt sich, dass David Hume47 – anders als Immanuel Kant – mit seiner Vermutung recht hatte: Moralische Entscheidungen verbinden die Systemlogik mit den Gefühlen, was man auch daran erkennen kann, dass sie sich nicht nur in Worten, sondern auch in Körpersprache48 ausdrücken. Im asiatischen Denken gibt es einen einheitlichen Begriff für den Zustand der Entscheidung, in dem Herz und Geist miteinander verbunden sein müssen. Er ist in dem Schriftzeichen xin (shin) abgebildet49.

6. Die Theorie der genetisch-kulturellen Evolution

Die oben skizzierte »evolutionäre Ethik« (Thomas Henry Huxley50) hat sich in langen Zeiträumen entwickelt. Die für Homo sapiens typischen sozialen Verhaltensweisen konnten sich spätestens seit der Zeit entwickeln, in der sich Homo erectus, der direkte Vorfahr von Homo sapiens, von den Hominini getrennt hat, also etwa 1,5 Millionen Jahre vor heute. Vermutlich 1 Million Jahre vor heute lässt sich die Nutzung des Feuers nachweisen, um 790.000 vor heute finden wir (in Israel) Lagerstellen mit Brandspuren und damit den Nachweis, dass Menschen sich regelmäßig in Gruppen an definierten Plätzen versammelten und fähig waren, Feuer zu entzünden und aufrechtzuerhalten. Damit war die Grundlage für das Kochen, Braten und Konservieren von Lebensmitteln gelegt, die zuvor nur mechanisch zerkleinert werden konnten. Der hierdurch veränderte Stoffwechsel steigerte die Leistungsfähigkeit des Gehirns und dadurch die Überlebensfähigkeit51. Dann folgte noch ein gentechnisch letzter Schritt: Zwischen 200.000 und 100.000 vor heute wurde die Mutter aller heute lebenden Menschen, die »Eva der Mitochondrien« geboren52. Sie trug eine Genmutation53, die sich unter den gleichzeitig lebenden Neandertalern nicht entwickelte. Diese Genmutation hat es Homo sapiens ermöglicht, auch aus pflanzlicher Nahrung bestimmte ungesättigte Fettsäuren zu entwickeln, die für die Leistungsfähigkeit des Gehirns– darunter vor allem: seine Kommunikationsfähigkeiten – unverzichtbar sind. Die Neandertaler konnten ihren Energiebedarf (ca. 5000 kcal pro Tag) nur mit tierischem Eiweiß stillen und scheiterten an dieser Aufgabe, weil ihre Jagdgründe sich erschöpften. Homo sapiens erschloss sich weitere Nahrungsketten und braucht seizher erheblich weniger Energie (ca. 2500 kcal pro Tag). So gelang es, mithilfe ständig verbesserter Fähigkeiten – vor allem im Bereich der Sprachentwicklung54 – einen Bewusstseinssprung erreichen, der uns von der Tierwelt unterscheidet. Zugespitzt kann man sagen: Die Beherrschung des Feuers, die Erfindung des Kochens und eine Genmanipulation der Natur haben uns aus der Welt der Tiere katapultiert und sind notwendige (und hinreichende?) Wesenselemente des Menschen. Bei Primaten ist die Sprache der Moral auf einem bestimmten Niveau stehen geblieben. Den Menschen ist es mithilfe ihrer weitaus höheren Gehirnleistung gelungen, Interdependenz, Reziprozität und Empathie auch in äußerst komplexen Konstellationen miteinander zu verbinden.

Diese singuläre biologisch/psychologische Entwicklung hat sich ebenso singulär auf unser soziales Verhalten ausgewirkt. Herbert Spencer war wohl der erste, der die Gedanken Darwins über die Entwicklung der Arten auf die Gesellschaft übertragen hat (Survival of the fittest). Damit ist nicht, wie immer noch zu lesen ist, das Überleben des Stärkeren gemeint, sondern desjenigen, der sich am besten anpassen kann55. Es liegt auf der Hand, dass sich die Gene von Menschen – und nachfolgend der Gruppen, aus denen sie sich zusammensetzen – die es verstanden, ihre Überlebenschance durch das richtige Verhältnis von egoistischem und sozial orientiertem Verhalten zu verbessern, einen genetisch abgesicherten und damit selektiven Vorsprung vor anderen gewinnen mussten, die dazu nicht fähig waren. Das »egoistische Gen«56 wirkt nicht nur zu Gunsten des einzelnen, sondern auch innerhalb der Verwandtschaft57. Innerhalb nicht verwandter Gruppen (Gruppenselektion) wirkt es, wenn Gegenseitigkeit zu erwarten ist58. Sie sorgt für weitere genetische Vorteile, die entstehen, wenn jemand fähig wird, Teile seiner aggressiven Kompetenz auf andere in der Gruppe zu übertragen, Empathie zu entwickeln und andere in ihren Interessen zu unterstützen – das altruistische Hirn59. Es spricht viel dafür, dass unsere sozialen Interaktionen das Ergebnis einer Kombination geeigneter individueller Fähigkeiten mit der Fähigkeit zur Zusammenarbeit von Individuen in Gruppen sind (Über – Unterordnung, Spezialisierung etc.), die sogenannte (Multilevel-Selektion60).

»Wahrscheinlich kam es zu diesem Zeitpunkt in der Ära des Homo habilis zu einem Konflikt zwischen der Selektion auf individueller Ebene, bei der Individuen mit anderen Individuen derselben Gruppe konkurrieren, und der Selektion auf Gruppenebene, bei der verschiedene Gruppen miteinander konkurrieren. Die Gruppenselektion förderte Altruismus und Kooperation unter den Mitgliedern derselben Gruppe; es entwickelte sich ein in der gesamten Gruppe angeborenes Moralempfinden, ein Sinn für Gewissen und Ehre61.

Die These der Multilevel-Selektion ist allerdings nicht unbestritten62, weil man eine Vielzahl »sozialer Eigenschaften« im Kern auf die immer dominante Verwandtenselektion zurückführen kann63. Beide Einflüsse wirken vermutlich parallel und situativ nebeneinander:

»Die Individualselektion verantwortet … einen Teil dessen, was wir als Sünde bezeichnen, die Gruppenselektion dagegen den größeren Teil der Tugend. Beide begründen den Konflikt zwischen den guten und bösen Anteilen unserer Natur … Demnach sind egoistische Individuen altruistischen Individuen überlegen, während Gruppen von Altruisten Gruppen von egoistischen Individuen überlegen sind. Der Sieg ist nie endgültig …«64.

Wie Darwin gezeigt hatte, veränderten sich die biologischen Eigenschaften in Reaktion auf die jeweiligen Umfeldbedingungen. Dazu gehören nicht nur Änderungen des natürlichen Umfeldes, sondern auch der von den Menschen selbstgeschaffenen kulturellen Konstruktionen, soweit sie Einfluss auf die Selektion der Arten haben.

»Die genetisch-kulturelle Ko-Evolution ist ein kausaler Whirlpool der Geschichte, in dem die Kultur von dem biologischen Imperativ geformt wird und Gene als Antwort auf wechselnde kulturelle Möglichkeiten verschoben werden.«65

Schon früh haben die Menschen »Sinn für die Äquivalenz zwischen Selbst und anderen entwickeln«66. Es gab keine Theorie, aber es gab Erfahrung – die in den angloamerikanischen case-law-Systemen bis heute die tragende Säule des Rechts darstellt: »The life of the law has not been logic: it has been experience«67. Diesen Sinn konnten wir nur entwickeln, weil wir – über die Fähigkeiten der Primaten hinaus – gelernt haben, unsere Lage »aus der Vogelperspektive«68 zu begreifen. Auch für uns »reicht die Realität aller Wahrscheinlichkeit nach über alles hinaus, was wir uns überhaupt zu denken vermögen«69, aber wir können uns wenigstens in die Bruchstücke, die andere sehen, hineindenken, denn wir können »betrachten, was wir sagen« (Platon). Was bisher instinktiv geschieht, wird nun durchdacht und im Lauf der Jahrtausende auf Begriffe gebracht.

Der Mensch ist nicht genetisch »gut« oder »böse«, aber die Fähigkeit, solche Begriffe zu bilden und als die beiden Seiten der gleichen Medaille zu verstehen, sichert als »adaptive Strategie egoistischer Gene« unser Weiterleben70, und wird kulturell ständig weiterentwickelt. Allerdings: Die Gene geben uns nur die Werkzeuge zum Handeln, die tatsächliche Entwicklung richtet sich danach, wie wir von ihnen Gebrauch machen. So entsteht eine große Bandbreite von Mischungsverhältnis zwischen beiden Einflüssen, die im Wesentlichen durch den Selektionsdruck bestimmt wird.71

Die Theorie von der genetisch/kulturellen Ko – Evolution erklärt zugleich die Frage, welche unserer – biologisch oder kulturell erworbenen – Eigenschaften vererbt werden. Wenn eine kulturelle Entwicklung, wie etwa die Fähigkeit, moralische Kriterien zu entwickeln, für unser Überleben unverzichtbar ist, verändert sie die Gene. Unsere Gene sind nicht unveränderlich, sie reagieren über »Genschalter« (enhancer) auf körperliche – und damit auch psychosomatisch relevante – Erfahrungen aller Art. Gene, die häufig stimuliert werden, sind aktiver als andere, die mit der Zeit verkümmern72.

7. Fremdheit und Angst: Wir und die Anderen

Wie sich Interdependenz, Reziprozität und Empathie auch unter modernen Bedingungen auf unser moralisches Verhalten auswirken, zeigt uns beispielhaft unser Verhalten gegenüber Fremden. Dazu müssen wir sie zunächst als fremd erkennen73. In der jüngeren politischen Diskussion werden hin und wieder Stimmen laut, die es von vornherein verbieten wollen, solche Unterschiede zu machen (»Kein Mensch ist illegal«). Diese Ansicht verkennt, dass das Bewusstsein, sich von anderen zu unterscheiden, am Beginn jeder Erfahrung steht – lange bevor sich moralische Fragen stellen:

»Wenn ich radikal von mir selbst ausgehe, so bleibt zunächst … die Erfahrung von dem, was mir bekannt ist, und dem, was mir fremd ist. Bekannt bin ich nur mit mir selbst, und alles andere ist mir fremd. Die klare Unterscheidung zwischen dem Bekannten und dem Fremden indiziert die Unterscheidung von Subjekt und Objekt«74.

Wer zwischen sich und anderen nicht unterscheiden könnte, hat keine Chance, eine eigene Identität zu entwickeln und das gleiche gilt für die Identität von Gruppen. Die Trennlinie wird auf den Ebenen der Kommunikation gezogen: Wer nicht als Individuum oder Teil der eigenen Gruppe erkannt werden kann, ist ein Fremder. Die Sprache und das für die Gruppe sozialtypisches Verhalten sind seit jeher das wichtigste Differenzierungsmerkmal der Gruppe zu anderen Gruppen, während die Signalfunktion der Kleidung international mit wenigen Ausnahmen fast völlig verschwunden ist: Bei Sportveranstaltungen identifizieren sich die Gruppen durch ihre Vereinsfarben- und Embleme, damit die Gruppe sich selbst und die Konkurrenten ohne weiteres erkennen kann. Notfalls erfindet man Sprachdifferenzen, um die Grenze zu ziehen75. Fast ebenso wichtig ist das Essen: Ganze Gruppen werden nicht durch Gattungsnamen, sondern wie ihre Speisen benannt76, die man selbst unmöglich findet. Auf die eigene Gruppe reagieren wir solidarisch, auf die Anderen instinktiv aggressiv. Diese Instinkte bilden sich nicht nur auf psychologischer Grundlage, sie werden auch hormonell (Oxytocin) unterstützt77. Ob unsere moralischen Sprachen egoistisch oder altruistisch ausfallen, hängt von zahllosen Rahmenbedingungen ab. Sie werden unter anderem von den Machtdifferenzen zwischen den Beteiligten bestimmt, verändern sich aber vor allem in – oder außerhalb von Konfliktsituationen: Besonders hier verwenden wir nach außen andere moralische Maßstäbe als nach innen. Dieser »Dualismus der Ethik«78 sichert unser individuelles Überleben. Besonders deutlich sieht man das in Ländern wie Japan. Dort spricht man nicht nur auf lokaler Ebene, sondern überall, wo es um geschlossene Kreise geht (Familie, Firma, Clubs, Teams, Stadt, Staat), von der Dorf (Mura) – Mentalität79, also der kleinsten sozialen Einheit oberhalb der Familie, die der soziale Resonanzboden für alle ist: Nach innen (uchi) wird Verständnis und Toleranz verlangt, nach außen hingegen (soto) gelten andere Maßstäbe. Die sprichwörtliche japanische Höflichkeit, die den Fremden alles durchgehen lässt, ist gleichzeitig ein Signal an sie: Es ist sinnlos, Euch Fremden unsere Regeln beizubringen, denn ihr werdet nie zu uns gehören. Die gleiche Botschaft könnte man auch aggressiv senden!

Auch wenn wir instinktiv zu Aggressionen gegenüber Fremden tendieren, ist die oben beschriebene Fähigkeit, eine Beziehung der Gegenseitigkeit mit ihnen aufzubauen, ebenfalls genetisch in uns verankert80 und wird in den letzten Jahrzehnten kulturell verstärkt. Ein Fremder, der zu uns kommt, hat nicht nur Menschenrechte, sondern auch Menschenpflichten81, denn darin drückt sich die Einsicht in unsere Abhängigkeit voneinander (Interdependenz), das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) und der Empathie aus. Aus diesen drei Elementen der »universalen Moralgrammatik«82 ergeben sich konkrete Schlussfolgerungen: Ein Fremder muss seine Identität enthüllen, sich an die lokalen Gesetze halten83, und darf sich keine Rechtspositionen anmaßen, die ihm nicht zukommt. Beide Seiten müssen lernen, sich selbst mit den Augen der anderen Gruppe zu betrachten84, jeder muss (inmitten der eigenen Angst) Mitgefühl für die bei den anderen entstehende Angst und Aggressionsbereitschaft haben. All das ist extrem schwierig, weil unsere Natur uns vor Fremden warnt (FN 77-79) und oft hilft nicht einmal die absolute Unterwerfung85. Der aus Russland bekannte Satz: »Den Freunden alles, den Feinden nur das Gesetz« zeigt, wie schwierig es ist, dem Recht die Geltung zu verschaffen. Aber es besteht Hoffnung: Auch wenn wir bis in unsere tägliche Gegenwart hinein unzählige Kriege, Bürgerkriege und Glaubenskriege sehen (die wohl nur die Spitze des Eisbergs viel tiefergehender Aggressionen darstellen), ist die weltweite Gewalt im Verhältnis zu früher zurückgegangen, wenn man sie auf die Bevölkerungszahlen bezieht.86

Wir können die oben skizzierten Gedanken auf jedes Problem übertragen, bei dem es um die Integration zwischen Gruppen geht. Solange etwa die europäische Einheit als Wirtschaftseinheit gedacht war, hat jeder ihre Ziele geteilt (auch Großbritannien, Polen, Ungarn usw.). Diese Einigkeit ist jetzt nicht mehr vorhanden, weil einige Staaten mehr Integration wollen als andere. Ein gemeinsamer Blick auf das Ganze könnte zeigen, ob wir (derzeit) eher Vereinigte Staaten von Europa oder ein Europa der Vaterländer wollen. Wenn die Staaten der EU nicht das Prinzip der Gegenseitigkeit in einem gemeinsamen Ziel und der Akzeptanz gleicher Beiträge verwirklichen, kann die europäische Krise nicht enden. Die Diskussion darüber befindet sich – entgegen den Äußerungen vieler Politiker – noch in völlig offenem Fluss. Nur im intensiven Austausch von Argumenten und Emotionen kann entschieden werden, ob das europäische Haus ein Ensemble von Hochhäusern am Rande der Steppe, eine gated community am Mittelmeer, eine Festung mit Schrebergärten oder eine Reihenhausanlage werden soll. In jeder dieser Metaphern spiegeln sich unsere genetischen Anlagen zur Kooperation und zur Abgrenzung wider.

8. Die Ur-Grammatik des Rechts

Sobald sich menschliches Selbstbewusstsein entwickelt, entdeckt es seine Individualität. Damit entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem ICH und der Gesellschaft anderer Individuen, das zunächst in moralischen Regelwerken definiert wird, und sich dann in Rechtssystemen weiterentwickelt. Auf natürliche Weise sind alle an die Ur-Grammatik der Moral gebunden: »Wie könnte man Gerechtigkeit bekämpfen? Aus ihr entsteht das Leben!«87. Rechtssysteme entstehen, indem politisch Mächtige einen Teil ihrer Macht öffentlich begrenzen, um eine soziale Ordnung zu schaffen, in der sie zwar dem Recht (auch gegen sich selbst) Geltung verschaffen, im Gegenzug aber die Anerkennung ihrer Macht erreichen. So bildet das Recht immer zugleich Stütze und Grenze der Macht – »Gewalt und Recht in eins verfugend«88. Das gelingt mithilfe von drei Elementen, die man als Ur-Grammatik des Rechts89 und damit als den Kern der Gerechtigkeit bezeichnen kann. Es sind: Gleichheit, Fairness und Ausgewogenheit.

Wir kennen jeden einzelnen dieser Begriffe aus den Jahrtausenden der Diskussion um Moral und Gerechtigkeit, aber auch viele andere Begriffe, die diesem Zusammenhang entstanden sind, lassen sich ihnen zuordnen. Allen drei Elementen90 liegt die Erkenntnis der Interdependenz der Menschen untereinander zu Grunde und sie bilden das Gegengewicht zu Ungleichheit, Unfairness und Unausgewogenheit menschlichen Verhaltens.

Der Gleichheitsgedanke ist im Prinzip der Gegenseitigkeit im Kern schon enthalten, aber erst im Recht kann differenziert festgelegt werden, ob und wann Leistung und Gegenleistung auch nur vergleichbar, geschweige denn gleich oder ungleich genannt werden können. Primaten können – wie wir oben gesehen haben – im Großen und Ganzen zwischen gleich oder ungleich unterscheiden, aber diese Entscheidungen sind inkonsistent, von Zufällen abhängig und nicht regelhaft.

Fairness bedeutet die Fähigkeit, das Ganze und vor allem die eigenen Interessen auch aus der Sicht der anderen Beteiligten sehen und beurteilen zu lernen91. So kann Einsicht in die Relativität der eigenen Rechte und Pflichten im Verhältnis zu anderen entstehen.

In dem Begriff der Ausgewogenheit steckt die Metapher der Waage, er ist aber nicht identisch mit dem Gleichheitsgedanken, sondern sein – mit ihm notwendig verbundenes – Gegengewicht. Die Gleichheit egalisiert die Sachverhalte, die Ausgewogenheit sorgt dafür, dass die Gleichheit nicht übertrieben wird. Die Gleichheit dient den Interessen der Gesellschaft, die Ausgewogenheit jenen des Individuums. In der Welt der Primaten ist der emotionale Anteil (Empathie) dieses Elements unverkennbar festzustellen – er äußert sich in Zuwendung oder Groll. Ausgewogenheit aber verlangt mehr als das: Die Entscheidung muss so getroffen werden, dass das Ergebnis von unbefangenen Beobachtern/Richtern akzeptiert werden kann – eine Vogelperspektive, die Primaten nicht einnehmen können.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Ur-Grammatik des Rechts, die uns den Kern der Gerechtigkeit zeigt, inhaltliche Wertbestimmungen wie Freiheit, Sicherheit, Menschenwürde, Solidarität, sozialen Ausgleich etc. nicht erwähnt, obwohl bereits auf biologisch/psychologischen Ebenen z.B. das ICH die Freiheit für seine Entwicklung ebenso benötigt, wie die Sicherheit des Überlebens, die nur die Gruppe gewährleisten kann92. Der Grund: Bei der Definition einer »Grammatik« geht es nur um Maßstäbe, aus denen sich »Sprachen« entwickeln können und erst in diesen Sprachen werden die Interessen definiert, die sich in so vielen Fällen antagonistisch gegenüberstehen. Die Grammatik schafft Strukturen und Maßstäbe, sie definiert keine Inhalte, Werte und/oder Interessen. Diese Maßstäbe entstehen aus dem Spannungsfeld zwischen dem ICH und der Gesellschaft: Die moralischen und rechtlichen Normen, die die Gesellschaft überwiegend akzeptiert, bestimmen, ob die Interessen des Einzelnen oder jene der Gesellschaft im Zweifel Vorrang haben sollen. Hier hat die Gerechtigkeit die Funktion, die Interessen und Machtverhältnisse der Beteiligten auf der Basis von Gleichheit, Fairness und Ausgewogenheit so zu regeln, dass Freiheit, Sicherheit, Menschenwürde usw ihren – innerhalb der jeweiligen politischen, kulturellen etc. Rahmenbedingungen angemessenen – Platz finden. Diese Regeln bestimmen die Ansprüche des Einzelnen oder von Gruppen gegeneinander und/oder gegenüber der Gesellschaft, sie setzen ihnen aber auch Grenzen: Weder der Einzelne noch der Staat kann seine Macht unbegrenzt ausweiten93. In der Ordnung der Konzentrationslager fehlen diese Elemente.

Der Begriff der Gerechtigkeit taucht in unzähligen Lebensverhältnissen auf. Er betrifft private Konflikte ebenso wie politische Diskussionen, soziale Auseinandersetzungen, er hat moralische Bedeutung, er trägt die rechtlichen Verfahren. Die drei Begriffe, die seine Ur-Grammatik bilden, sind seit langem bekannt94. Neu ist die Erkenntnis, dass die Gerechtigkeit über die universelle Moralgrammatik mit unseren biologisch/psychologischen Wurzeln eng verbunden ist. Versuche, Rechtssysteme zu definieren, die dazu keinerlei Verbindungen aufweisen, sind auf höchster Abstraktionsebene interessant95, in der Praxis empfindet man sie als »rechtsethischen Nihilismus«96. Deshalb kann ein Rechtssystem– anders als Hans Kelsen 1934 gemeint hat97 – nicht jeden beliebigen Inhalt haben. Immer muss es mit unseren biologisch –/psychologischen Wurzeln(der condition humaine) verbunden sein, sonst kann es keine Anerkennung finden. Das gilt nicht nur für die Inhalte der Normen, sondern auch für die – mit ihnen untrennbar verbundenen – Verfahren. Erst beide zusammen schaffen gerechte Zustände, die nur stabil bleiben können, wenn sie durch Macht gesichert werden. Das Recht ist Teil der Macht und begrenzt sie zugleich – es muss zwei extrem widersprüchliche Positionen zu einem Ganzen zusammenfügen98.

Trotz ihrer tiefen Verbindung mit unserer Natur lässt sich aus der universalen Moralgrammatik kein Naturrecht herleiten, denn die Natur liefert uns keine Blaupause für das, was wir kulturell konstruieren sollten,99 Auch Begriffe wie die »Natur der Sache« sind Leerformeln, die nur scheinbar eine Brücke zwischen Sein und Sollen bilden. Andererseits: Der Versuch, Rechte gegen die Natur zu entwickeln, würde scheitern, er wäre ein »erfolgloser kultureller Entwurf«100, weil er die Verbindung zur universalen Moralgrammatik zerstörte. Ein Rechtssystem braucht allerdings eine viel differenziertere Grammatik,

»denn die Ur-Verknüpfung im unbestimmten Terrain zwischen Leben und Recht, die es erlaubt, dass Leben im Recht gefasst wird, besteht nicht im Gesetz oder in der Sanktion, sondern in der »Schuld« als Prozess des Einflusses/Ausschlusses; und genau dies ist der Ort der Souveränität, der Macht. Es geht um ein Gericht, dass man fürchtet, oder ein Gericht, dass man anruft, wenn man leidet oder eine schuldhafte Situation wahrnimmt«101.

Aus den drei Elementen der Ur-Grammatik des Rechts entwickeln sich zahllose – untereinander sehr unterschiedliche – Rechtssysteme. Sie sind ebenso wie moralischen Normen an die Zeit, die Kultur und vor allem an die Bewertung der Frage gebunden, ob das Rechtssystem mehr die Interessen des Individuums oder die der Gesellschaft unterstützen will: die Menschen, die die Rechtsnormen definieren, sind Teil dieser Rahmenbedingungen102! Der Kampf um diese Definitionen vollzieht sich in einem differenzierten Zusammenspiel von Logik und Analogie, von Begriffen und Metaphern, und der Fähigkeit, abstrakte Systeme in großen Erzählungen abzubilden. So beantworten wir die Frage, ob eine Norm und/oder ihrer Handhabung »gerecht« sein können:

»Man bedarf einer Waage, um zu erkennen, ob etwas leicht oder schwer ist. Man bedarf eines Maßstabs, um zu erkennen, ob etwas lang oder kurz ist. So ist es mit allen Dingen und mit dem Herzen ganz besonders«103.

Die Waage, von der in diesen Zeilen aus asiatischer Sicht die Rede ist, ist mit jenem Symbol identisch, das wir auch im Westen immer als Ausdruck der Gerechtigkeit empfunden haben.

Ob die drei Maßstäbe im konkreten Fall erreicht worden sind, sagt uns der Gerechtigkeitssinn (sense of justice). Meist spricht man in diesem Zusammenhang vom »Rechtsgefühl«104, aber es geht nicht nur um ein Gefühl, sondern um die richtige Kombination von Verstand, Gefühlen und Erfahrungen105. Der Gerechtigkeitssinn ist keine allgemeingültige Idee (wie noch Platon gedacht hat), sondern ein – mit unseren biologisch/psychologischen Wurzeln verbundenes – Werkzeug. Mit seiner Hilfe schaffen wir soziale Ordnung und stellen im Richterspruch einen Zustand her, der unter den gegebenen Rahmenbedingungen als angemessene Verteilung der Macht und/oder Lösung von Konflikten empfunden wird. Recht kann nur in einem – durch Rede und Gegenrede strukturierten –Verfahren entstehen, in dem ein unbefangener Richter den konkreten Fall mit den abstrakten Normen vergleicht und seine Entscheidung durchsetzt. »Recht ist kein Ding, sondern eine Perspektive«, also eine Menge formal definierter Regeln, die »eine bestimmte Art (sind), die Welt zu beobachten und zu verstehen«106. Diese Funktion können Rechtssysteme nur erfüllen, wenn sie die Macht kontrollieren und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Einzelfallentscheidung und Rechtssicherheit schaffen können. Theodor Mommsen hatte noch geschrieben:

»Die Verfehlung des Menschen – mag sie in seinem Wesen (monstrum) oder in seinem Handeln gegeben sein – unterliegt in den Urzuständen des menschlichen Daseins wohl lediglich dem Götterzorn und der Menschen Rache.107

Wie wir gesehen haben, kann davon keine Rede sein. Wenn wir die oben skizzierten zeitlichen Abläufe als »Urzustand« ins Auge fassen, sehen wir keine Monstren vor uns und die Rache läuft nicht chaotisch ab, sondern nach definierten Regeln. Die innere Ordnung dieser Vorformen unserer heutigen Gesellschaft könnte auf vergleichbarem Niveau stattgefunden haben, als wir es heute bei Primaten und Kleinkindern vorfinden108 und solche Ordnungen werden wesentlich von der Kommunikation bestimmt. Wolfgang Fikentscher stellte bei seinen Feldforschungen unter Puebloindianern unter anderem die Frage, nach welchen Gerechtigkeitsregeln bestimmte Gemeinschaftsarbeiten auf die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft verteilt würden. Die Antwort auf diese Frage wurde ihm verweigert, weil es sich dabei um ein »religiöses Thema« handele. Kommunikation beruht auf Frage und Antwort (wobei beides auch durch Schweigen ausgedrückt werden kann). Es muss (mindestens) sichergestellt werden, dass derjenige, der die Macht hat, den anderen zuhört109. Wenn er keine Antwort gibt, zeigt die Verweigerung der Kommunikation seine absolute Machtstellung. Wir beobachten besonders an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, wie verletzend die Verweigerung von Kommunikation durch Computer sein kann110. In einem solchen Fall kann kein soziales Leben aufblühen. Das ist nur möglich, wenn es Antworten und Entscheidungen gibt111, aus denen weitere Fragen, Antworten usw. entstehen. Solche engen Kommunikationsformen können sich erst in städtischen Ansiedlungen um 11.000 vor Chr. entwickeln112. In ihnen entstehen Gruppen tausender Menschen, eine Größe, die Primaten niemals organisieren konnten – wohl aber z.B Insekten und Fischschwärme, deren Gene sich auch in uns finden. So vollenden Menschen gemeinsam große Projekte beim Bau der Häuser, in der Landwirtschaft, bei der Bewältigung des Wassers usw. Die Kommunikation übersteigt das in segmentären Gesellschaften übliche Palaver, die Kommunikation wird strukturiert und ritualisiert, die Führung verfestigt sich durch Besprechungen der Räte, die Anordnungen der Herrscher und religiöse Ritualen. Jetzt sehen wir Formeln, in denen die jeweiligen Wertvorstellungen zunächst mündlich tradiert werde: nur unter diesen Voraussetzungen kann sich die Rule of Law113 entwickeln:

  • Der »gerade« oder »richtige Weg«, (»djugaruru«: Walbiri australische Aborigines, ca. 10.000 v. Chr.)114
  • »das, was feststeht; etwas gerade werden lassen« («kittu/nig-gi-na; misaru/nig-si-sa«: Akkad/Sumer, ca. 3300 v. Chr.)115
  • die Ordnung, das Weltprinzip (»ma‘at«: Ägypten, ca. 3000 v. Chr.)116
  • »Die Riten, die soziale Ordnung, die Vernunft (»li«: China 2000 v. Chr.)117

Diese Begriffe erscheinen uns nur deshalb als Leerformeln, weil die Erfahrungen, auf denen sie beruhen, nicht schriftlich fixiert worden sind. Dahinter stehen aber die Fälle, die mündlich tradiert werden. Aus Ihnen entwickeln sich Fallnormen und daraus wiederum Rechtssysteme. So ist etwa das Prinzip der Gegenseitigkeit »das unzerstörbare Fundament aller archaischen Rechtskulturen« geworden – es ist »Rechtsmagie«118 und entfaltet seine Wirkung Jahrtausende bevor sich Fallnormen und aus ihnen wiederum Rechtssysteme entwickeln konnten119.

Sie entstehen erst in staatlichen Strukturen, die die Kraft haben, individuelle Gewalt zu monopolisieren. Gegenseitigkeit bedeutet nicht Gewaltfreiheit! Je größer die Gruppen werden, umso unverzichtbarer entfalten sich Hierarchie und Repräsentanz. Damit entsteht Distanz zwischen den Führenden und allen anderen, die eher durch Gewalt als durch Verhandlung überbrückt wird. Erst sehr viel später entstehen Modelle wie Demokratie, Genossenschaft usw., die diese Distanz verringern, in Wahlen auf die Probe stellen und einen gewaltfreien Machtwechsel ermöglichen. Solche Entwicklungen sind – wie schon Cicero120 erkannt hat – nur aus dem Vertrauen (fides) heraus möglich, dass die Vorleistung angemessen erwidert werden wird, weil dieses Verhalten die Zusammengehörigkeit der Menschen (communitas) bewahrt. Erst wenn die Gegenseitigkeit gesichert ist, können sich gemeinsame Zielvorstellungen bilden und damit eine moralische Perspektive, die nicht von einer Bewertung Einzelner abhängt, sondern zu einer allgemeinen Richtschnur werden kann: »Die Urszene der Moral ist keine solche, in der ich etwas für Dich tue oder Du etwas für mich tust, sondern eine, in der wir etwas gemeinsam tun«121.

Die Perfektion der frühsten Gesetzeswerke, die wir kennen (Ur-Nammu (Mesopotamien ca. 2.100 v. Chr.); Hammurabi (ca. 1.800 v. Chr.), ist nur – ähnlich wie bei den großen Epen – erklärbar, wenn man annimmt, dass frühere Fassungen existierten, die durch mündliche Tradition weitergegeben, oder nur auf vergänglichem Material (Palmblätter, Holz, Papyrus etc.) festgehalten wurden122. Wir begegnen bereits hier abstrakten Rechtsfiguren wie dem gutgläubigen Erwerb:

»§ 9 Gesetzt, ein Mann, dem irgendetwas von seinem Eigentum verloren gegangen ist, hat sein verlorenes Gut in der Hand eines anderen gefunden, der Mann aber, in dessen Hand das verlorene Gut gefunden wurde, hat gesagt: ›Jemand hat es mir verkauft. Vor Zeugen habe ich es gekauft‹, und der Eigentümer des Verlorenen hat gesagt: ›Zeugen, die mein verlorenes Gut kennen, will ich beibringen!‹, (gesetzt) der Käufer hat den Verkäufer, der es ihm verkauft hat und die Zeugen, vor denen er es gekauft hat, herbeigebracht, und der Eigentümer des verlorenen Gutes hat die Zeugen, die sein verlorenes Gut kennen, herbeigebracht, so werden die Richter ihre Angelegenheit prüfen, die Zeugen, vor denen der Kauf vollzogen wurde und die Zeugen, die das verlorene Gut kennen, werden ihre Kenntnis vor einem Gotte bekunden, und dann gilt der Verkäufer als Dieb; er wird getötet. Der Eigentümer des verlorenen Gutes wird sein verlorenes Gut an sich nehmen, der Käufer (aber) darf aus dem Hause des Verkäufers das Geld, das er bezahlt hat, nehmen.«123

Die Biofeedbackwirkungen der Schrift und aller danach folgenden Kommunikationssysteme auf Sprache und Gedächtnis hat – wie wir uns aus eigener Erfahrung mit der digitalen Revolution gut vorstellen können – die Entwicklung von Rechtssystemen extrem beschleunigt124.

Nur 1.500 Jahre später lässt der indische König Ashoka differenzierte Gesetzeswerke (darunter auch Regeln zum Tier-und Umweltschutz) im ganzen Land auf Hunderte von Stelen meißeln, deren Text schon völlig modern klingt125. Mit dieser Maßnahme beschränkt der Herrscher seine Möglichkeiten selbst, weil man sich jetzt auf den bekannten Wortlaut des Gesetzes berufen kann und stützt zugleich seine Macht, weil er es ist, der die Ordnung steuert. Schon in diesen alten Texten findet man Spuren jener Gedanken, die dann im römischen Recht systematisch geordnet werden:

  • »Die Kunst des Guten und Ausgewogenen« (ars boni et aequi, Rom 100 n.Chr.)126.
  • »Ich gebe, damit du gibst« (do ut des)127; dies für das (quid pro quo) (100 n.Chr.).
  • »Die Gebote des Rechts sind folgende: Ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren128« (Rom 533 n.Chr.).
  • »Die Mitte ist die große Wurzel aller Wesen auf Erden, die Harmonie ist der zum Ziel führende Weg auf Erden. Bewirke Harmonie der Mitte und Himmel und Erde kommen an ihren rechten Platz, und alle Dinge gedeihen.«129 (China um 600 v. Chr.)
  • »Mit einer bestimmten Geisteshaltung (kann) ein Land ruiniert und einer anderen ein Land zum Blühen gebracht werden. Der Unterschied liegt darin, ob Gemeinschaftlichkeit oder Selbstsucht den Orientierungspunkt liefern.« (China um 1150 n.Chr.)130

Wie wir sehen, sind Gleichheit, Fairness und Ausgewogenheit keine modernen Begriffe, die wir erst seit der französischen Revolution kennen. Sie entwickeln sich aus der universellen Moralgrammatik und sind so mit unseren biologisch-psychologischen Wurzeln eng verbunden.

9. Die biologisch-psychologische Basis rechtlicher Verfahren

»Gerechtigkeit entsteht aus dem beständigen und immerwährenden Willen, jedem sein Recht zukommen zu lassen«131. Diese Regel, ist zeitlich älter als die inhaltliche Definition des Normengefüges, das aus einer Fülle unsystematischer – aber um Gleichheit bemühter – Einzelentscheidungen entstanden ist. Wir können uns in den meisten Staaten heute nicht vorstellen, dass Urteile gefällt werden müssten, die sich nirgendwo auf geschriebenes Recht beziehen könnten. Aber noch vor wenigen tausend Jahren war das der Normalfall. Wir sichern diesen Willen durch eine Vielzahl prozessualer Regeln, darunter vor allem die Unabhängigkeit und Unbefangenheit der Richter, durch ihre Bindung an die vernünftige Anwendung bestimmter Auslegungskriterien, ihre Fähigkeit, Tatsachen von Meinungen zu trennen132 und ihre Gefühle zu kontrollieren. Das ist nicht einfach, denn Urteile werden – wie alle menschlichen Entscheidungen – nicht nur von rationellen Überlegungen gesteuert, sondern in hohem Maße von Emotionen beeinflusst133. Die Formalitäten des Verfahrens zwingen uns, die »natürlichen Vorurteile«, die unsere biologischen Wurzeln uns in jeder Lage des Verfahrens liefern, rational und kritisch zu überprüfen. Wir ziehen die Robe wie eine Rüstung an, um unsere Unabhängigkeit – und damit unsere emotionale Distanz – sichtbar zu machen. Wir dürfen keinen kurzen Prozess machen. Durch zahllose Verfahrensregeln, so etwa die Anhörung aller Prozessbeteiligten, schaffen wir Platz für deren Emotionen, ohne die wir entscheidungsunfähig wären134. Im Lauf der Jahre lernen wir, auch dem unsympathischen Kläger Recht zu geben, dem Hochstapler (ausnahmsweise) zu glauben, einem Bankvorstand oder Geistlichen aber nicht immer. Wir geben dem Angeklagten das Letzte Wort, um zu zeigen, dass der individuelle Eindruck, den sie uns vermitteln, ein wichtiges Element des Urteils bilden wird. Unsere Urteile sind allerdings in hohem Maße abhängig von den Rahmenbedingungen, unter denen sie fallen, ob es uns also z.B. richtiger, moralischer, kostengünstiger usw. erscheint, das Glas als halbvoll oder halb leer zu betrachten (vor allem durch framing)135. Während wir außerhalb rechtlicher Verfahren vor allem in Standardsituationen, ohne langes Nachdenken intuitiv handeln (System 1 »schnelles Denken«/»automatic setting«), schalten wir in unseren Prozessverfahren auf das System 2 (»langsames Denken«/»manual mode«136 um. In jüngerer Zeit ist es vor allem Joshua Greene (Harvard) gelungen, Versuchspersonen moralische und rechtliche Dilemmata vorzulegen und die Tätigkeit ihres Hirns bei der Entscheidung in einem Gehirnscanner zu untersuchen137. Seitdem wissen wir, dass moralische – und damit auch rechtliche – Urteile auf der Ebene des präfrontalen Cortex getroffen werden, die vom Verstand gesteuerten Entscheidungen im dorsolateralen, die Emotionen hingegen im (nahegelegenen) medialen Bereich.

Wir müssen uns auch fragen, ob wir den Rahmen selbst richtig interpretiert, also eine realistische oder gefühlsverzerrte Perspektive eingenommen haben. Das Geflecht der vielfältig vernetzten Normen bietet uns die notwendigen Orientierungen für unsere Entscheidung. Es kann nicht lückenlos sein, weil ihm sonst die Flexibilität fehlte, aber juristische Argumente sind auch unter den Bedingungen des »langsamen Denkens« hin und wieder nur die Rationalisierung unerkannter Vorurteile138. Das definierte Verfahren zwingt uns, die Risiken und Unsicherheiten, mit denen jedes Urteil belastet ist, offen anzusprechen und die Entscheidung zu begründen – außerhalb des Rechts ist das erheblich schwieriger139.

10. Internationale Rechtssysteme und Gerechtigkeitskonzepte

Aus internationaler Perspektive betrachtet, dürfte es kein Rechtssystem geben, dass sich nicht an den Regeln der Ur-Grammatik des Rechts (Gleichheit, Fairness, Ausgewogenheit (oder ihre Synonyme)) ausrichtet. Sie werden in den einzelnen Rechtssystemen, die auf ihr basieren, jedoch sehr unterschiedlich interpretiert140, ihre Inhalte und Verfahren sind so zahlreich wie die Sprachen, in denen wir unsere Rechtsverhältnisse ausdrücken141. Man zählt weltweit fast 10.000 unterschiedliche ethnische Gruppen die man – sehr grob skizziert – in drei Kategorien zusammenfassen kann.

Das historisch älteste – und immer noch weltweit verbreitete – politische System, in dem die Gerechtigkeitsfrage klare Konturen gewinnt, können wir »machtorientiert« nennen. Wir finden es in Kaiser – und Königreichen, Diktaturen, Oligarchien usw., die sich auch heute noch überall dort erhalten, wo sich aufgrund der historischen Zusammenhänge keine funktionsfähigen Demokratien entwickeln konnten.142 Der Herrscher ist das Recht und bleibt es, bis ein anderer ihn – häufig gewaltsam – ablöst. In manchen von ihnen existieren so genannte Parlamente, beratende Gremien und vergleichbare Institutionen, aber sie sind nicht auf einen gewaltlosen Machtwechsel hin angelegt – dem zentralen Anliegen der Demokratie. Häufig sind in solchen politischen Systemen formale rechtliche Strukturen eingerichtet. Wenn aber staatliche Entscheidungen gekauft werden können, Einzelfallgesetze der Regelfall sind, wenn Richter ihre Entscheidungen den Mächtigen vorlegen müssen usw., handelt es sich nur um Fassaden. Es mag in Russland, China usw. immer wieder Gerichtsurteile geben, die von politischen Einflüssen frei sind, aber von einem funktionsfähigen Rechtssystem können wir erst sprechen, wenn es im Allgemeinen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Macht nicht nur stützt, sondern auch begrenzt und keinen Eingriffen von außen unterworfen ist. Allerdings: Der Rechtsstaat setzt nicht gleichzeitig eine demokratische Verfassung voraus. Eine funktionsfähige Gewaltenteilung reicht aus. Es gibt den gerechten Alleinherrscher oder die gerechte Oligarchie – wenn auch selten143!

Sobald Normen und Institutionen definiert werden, fügen sie sich zu soziozentrischen Rechtssystemen zusammen, wie wir sie unterhalb von Staatenbildungen oder parallel zu ihnen finden, um die Macht Einzelner zu relativieren (und gleichzeitig zu rechtfertigen)144. In Asien und Afrika sieht man den zentralen Wert des Rechts nicht in der sprachlichen Klarheit und Systematik von Normen oder in der strengen Form ihrer Durchsetzung, sondern in dem, von allen geteilten Bewusstsein der Interdependenz der Gemeinschaft, die sich bis zur Harmonie steigern soll145, der gegenüber subjektive Rechte (soweit sie überhaupt anerkannt werden) im Zweifel zurücktreten müssen. In südafrikanischen Ländern, die nicht muslimisch sind, steht der Begriff »Ubuntu« für dieses Modell: »Eine Person ist eine Person durch andere Personen«146. Die dualistische Ethik (FN 78) zwischen Innen und Außen (Nepotismus, Mafia) wird als rechtmäßig betrachtet, dagegenstehende Gesetze ignoriert. Die Gleichheit steht höher als Fairness und Ausgewogenheit im Einzelfall. Absolute Wahrheits – und Gerechtigkeitsvorstellungen werden als subjektive Einschätzungen gewertet und erst anerkannt, wenn sie von klaren Mehrheiten geteilt werden.147 An den Gesetzestexten kann man diese »soziozentrische Ur-Grammatik des Rechts« nur sehr schwer erkennen, denn sie folgen überwiegend europäischen und vor allem deutschen Vorbildern148, deren systematischen Wert man höher schätzt als das angelsächsische Fallrecht, das auch heute noch vor allem in Indien und Singapur maßgebend ist.

In Europa haben sich die bestehenden Rechtssysteme durch die Aufklärung und nachfolgende Revolutionen und politische Entwicklungen in eine Richtung verändert, die auf dem Konzept des Vorrangs individuellen Rechts besteht, dessen Kern auf keinen Fall verletzt werden darf (Menschenwürde149), auch wenn die Gemeinschaft andere Interessen hat. Das Leitmotiv der Interdependenz steht in klarer Konkurrenz zu den individuellen Interessen jedes einzelnen und seinem individuellen Anspruch auf Fairness und Ausgewogenheit. Die Chancen für einen Einzelnen, seine Rechte wirksam durchzusetzen, sind in Strukturen, die zugleich rechtsstaatlich wie demokratisch ausgestaltet sind, relativ hoch – das zu verkennen ist der Grundirrtum aller anarchistischen Ideen, die strukturierte Systeme jeder Art für eine Bedrohung des Individuums halten150. Aber die Bindung an die Ur-Grammatik des Rechts sorgt dafür, dass die Interessen des Einzelnen die soziale Ordnung nicht zerstören, sondern im Gegenteil ihre Strukturen dafür nutzen, sich besser unter ihrem Schutz zu entwickeln, als sie es allein tun könnten – eine der zentralen platonischen Ideen151. Einige Beispiele aus dem deutschen Recht: Der besondere Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 2 GG) wird nicht jeder beliebigen Gruppe zugesprochen, hat also auch etwas mit der Sicherung unseres Gen-Pools zu tun, die strafrechtlichen Vorschriften über Mord, Körperverletzung usw. stemmen sich gegen Aggressionen. Die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG und besonders für Abgeordnete: Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) schützt nicht nur individuelle Freiheitsräume und das parlamentarische Verfahren, sondern respektiert den besonderen Zusammenhalt sozialer Gruppen152, sie regelt aber auch Loyalitäts – und Toleranzkonflikte153. Das gleiche gilt für die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG). Mit den Gesetzen über Umwelt – und Tierschutz respektieren wir nicht nur die Natur selbst, sondern sorgen auch für uns154.

Die Unterschiede zwischen diesen und unzähligen anderen Varianten lassen sich im Kern anhand der Frage erklären, wie die Macht verteilt ist. In den machtorientierten Systemen kann sie nur in den Händen sehr weniger Menschen liegen und ist immer an die Person gebunden. In den soziozentrischen Systemen ist die Macht breit verteilt, aber die Auffassungen darüber, wie sie gehandhabt werden sollte, sehr einheitlich (»ein herausstehender Nagel muss eingeschlagen werden«). Systeme, die sich an den Rechten des Individuums orientieren, können nur unter dem Schutz des Gewaltmonopols des Staates entstehen. Dabei entstehen unvermeidbare Lücken, denn grenzenlos entwickelte individuelle Positionen zerstören das System (Radbruchsche Formel155). Jedes Vakuum dieser Art wird sofort durch Personen oder Gruppen besetzt (Oligarchen, Mafia etc.).

Wer den Vorrang des individuellen Rechts bejaht, hat Schwierigkeiten, machtorientierte oder soziozentrische Systeme als rechtmäßig zu betrachten. Tatsächlich sind es aber nur andere Sprachen, die noch aus der Ur-Grammatik des Rechts ableitbar sind. Alle drei Konzepte zeigen uns wichtige Perspektiven, die das Spannungsverhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft kennzeichnen. In der Praxis zeigt sich oft eine Mischung aus Elementen aller drei Systeme156: Die formale Geltung des einen schließt die praktische Anerkennung des anderen nicht aus157. Auch das erinnert an die Parallelität unterschiedlicher (und nebeneinander existierender) Sprachen, die wir in einzelnen Regionen beobachten. Sie gilt sowohl bei der Definition von Rechtsinhalten als auch innerhalb der Verfahren. Immer wieder wird beklagt, dass ein Begriff wie »Menschenwürde« weltweit so unterschiedlich interpretiert wird.158 Der Grund: Gleichheit, Fairness und Ausgewogenheit werden in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich interpretiert.

Der differenzierte Ausbau individueller Rechtspositionen lässt es als selbstverständlich erscheinen, dass sie sich in Zukunft weiterentwickeln, auf keinen Fall aber hinter die jetzt gewonnenen Positionen zurückfallen werden. Das ist aus verschiedenen Gründen eine vorschnelle Annahme. Unzählige Konflikte werden im alltäglichen Leben seit jeher außerhalb von Rechtssystemen mit den einfachen Regeln der universellen Moralgrammatik behoben. Wie wirksam das ist, sieht man an der lex mercatoria und vergleichbaren – selten formal fixierten – Übereinkommen. Der Erfolg zahlloser Mediationsmodelle und technisch funktionierender Konfliktlösungen weist jedenfalls bei massenhaft auftretenden Konflikten (Versicherungsrecht) klar in die Zukunft. Diese Tendenz verstärkt sich in allen Rechtssystemen, die eine relativ hohe Aufgreifschwelle (Kosten, Zeitdauer etc.) haben (USA), oder sonst nicht als funktionsfähig betrachtet werden. Das Recht ist gegenüber politischen Verwerfungen, Naturgewalten und technischen Entwicklungen eine sehr schwache kulturelle Kraft: »Es lebt von Voraussetzungen, die es selbst nicht garantieren kann«159).

Wir können uns zum Abschluss fragen, ob die Ur-Grammatik des Rechts ebenso wie jene der Moral genetisch in uns verankert ist. Da wir bei Tieren keine Rechtssysteme finden, gehört sie zweifellos zu den menschlichen Kulturleistungen, zu denen uns ein äußerst leistungsfähiges Gehirn, die Sprache, die Schrift, die Fähigkeit, uns, die anderen und die Situation aus der Vogelperspektive heraus zu sehen und zu interpretieren, befähigt hat. Wir entwickeln soziale Ordnungen und Rechtssysteme, die wir ständig an neue Verhältnisse anpassen: Im Zerstören schaffen wir neue Ordnungen.

Wenn wir annehmen, dass das Recht etwa 10.000 Jahre Entwicklungszeit gehabt hat, hat diese Kulturleistungen genügend Zeit gehabt, um sich in uns auch genetisch zu verankern. Menschen, denen die Kategorien der Gleichheit, der Fairness und der Ausgewogenheit selbstverständlich sind, um Konflikte im Spannungsfeld zwischen dem ICH und der Gesellschaft zu regeln, haben dadurch einen natürlichen Selektionsvorteil gegenüber anderen entwickelt, denen das nicht möglich war: Gibt es irgendwo auf der Welt eine Gesellschaft, die auf der Basis von Ungleichheit, Unfairness und ohne Gefühl für die Ausgewogenheit einer Regel bestehen konnte? Wie wir wissen, ist das eine gewisse Zeit lang möglich, aber dann brechen solche Systeme zusammen. Was allerdings jeder einzelne Kulturkreis für eine Vorstellung von Gleichheit, Fairness und Ausgewogenheit hat, also welche Sprachen sich aus der Ur-Grammatik des Rechts entwickeln, wird – abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen – immer sehr unterschiedlich sein.

11. Zusammenfassung

  1. Der Mensch ist wie alle Tiere ein Teil der Natur. Große Menschenaffen zeigen bereits die Grundmuster einer Theory of Mind. Aber der Mensch nimmt innerhalb der Natur eine singuläre Stellung ein. Sie beruht u.a. auf unseren leistungsfähigen Gehirnen, mit denen wir Grammatiken, Sprachen und Kommunikationsformen entwickeln konnten, die auf andere Menschen auch und unserer Umwelt unmittelbar reagieren können.
  2. Wir können aus der Vogelperspektive nicht nur unser eigenes Verhalten, das der Anderen und die Gesamtsituation betrachten, sondern auch den Vorgang des Betrachtens analysieren. Wir führen Selbstgespräche und wir können Suizid begehen.
  3. Menschen bewegen sich ständig in dem Spannungsfeld zwischen ICH und der Gesellschaft. Trotz ihrer Fähigkeit zur Egozentrik können sie sich in Gruppen verhalten wie Insekten: Sie organisieren sich auf gemeinsam definierte Ziele hin und setzen vor allem in Krisensituationen ihre individuellen Bedürfnisse zu Gunsten der Gruppe und ihrer Ziele radikal zurück. Immer finden sie jedoch den Weg zurück zur Individualität.
  4. Die moralischen Entscheidungen, die wir treffen, beruhen – vergleichbar unseren Sprachen – auf einer universalen Moralgrammatik, die zu unserer genetischen Ausstattung gehört und vererblich ist. Sie stellt Maßstäbe für uns bereit, die aus drei Elementen bestehen: Interdependenz, Reziprozität und Empathie. Mit ihrer Hilfe bestimmt jede Kultur, was sie für GUT und BÖSE erklärt, ob sie ihr System an SCHAM oder SCHULD orientiert, und unter welchen Bedingungen VERGEBUNG oder STRAFE erfolgen.
  5. Rechtssysteme beruhen auf einer Ur-Grammatik des Rechts, in der die universale Moralgrammatik kulturell durch die Begriffe Gleichheit, Fairness und Ausgewogenheit weiterentwickelt wird. Sie bilden die Maßstäbe, anhand deren Rechtssysteme entwickelt und ihre Qualität bestimmt werden kann. Rechtssysteme kann man nicht aus der Natur ableiten, sie können sich aber auch nicht gegen unsere genetische Grundausstattung entwickeln. Nicht selten richten sie sich gegen instinktive Handlungsmuster, aber sie verstärken auch unsere natürlichen Anlagen zur Kooperation und zur gewaltfreien Regelung von Konflikten.
  6. Rechtssysteme können sich nur innerhalb der kulturellen Rahmenbedingungen entwickeln, die sie vorfinden. Die älteren Systeme, die wir heute noch überwiegend in Asien finden, orientieren sich an den Machtverhältnissen (vor allem Hierarchien), und/oder sehen die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft (Harmonie) im Zentrum ihrer Ziele. Die europäischen Systeme sind eher an den Ansprüchen des Individuums ausgerichtet und stehen – vor allem aufgrund historischer Erfahrungen – der Betonung gesellschaftlicher Interessen kritisch gegenüber. In den internationalen Rechtskulturen findet man alle drei Strukturen selten in Reinform, oft parallel nebeneinander und gelegentlich miteinander vermischt.
  • *. Neu durchgesehene Fassung. Erstveröffentlichung in der Zeitschrift für Rechtsphilosophie RphZ 3/2018, 294 - 322.
  • 1. Dieser Text lebt von vielfältigen Anregungen, Ideen und Korrekturen von Prof. Dr. Andreas Elepfandt (em. Prof. Institut für Biophysik, Humboldt-Universität, Berlin) und Prof. Dr. Eckart Voland (em. Prof. für Philosophie der Biowissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen). Prof. Dr. Michael Tomasello (Co-Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig), Prof. Dr. Gerd Gigerenzer (Direktor der Abteilung Adaptives Verhalten und Kognition und Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin) und Prof. Dr. Marco F.H Schmidt (Leiter der Forschungsgruppe Developmental Origins of Human Normativity, Fakultät für Psychologie und Pädagogik, LMU München) haben freundlicherweise einen Blick in frühere Entwürfe geworfen.
  • 2. Friedrich Nietzsche (1880), Kritische Studienausgabe DTV 1999, Nachlass Bd. 9, S. 195.
  • 3. Neil McCormick: Institutions of Law, Oxford 2008.
  • 4. Kommunikation wird hier nicht so umfassend wie von Niklas Luhmann verstanden: »Die Operationsweise, die das Gesellschaftssystem produziert und reproduziert, ist die sinnhafte Kommunikation« (Das Recht der Gesellschaft, Suhrkamp TB 1993, S. 35). Aber sein Begriff des Rechtssystems ist auch dann überzeugend, wenn es nicht nur unter dem Aspekt der Kommunikation interpretiert wird.
  • 5. Harald Lesch: Die Menschheit schafft sich ab - Die Erde im Griff des Anthropozän, Komplett-Media 2016; Joachim Rathkau: Geschichte der Zukunft Hanser 2017.
  • 6. Derek Parfit: Wir sind keine menschlichen Wesen, in: Personen, Normativität, Moral, Ausgewählte Aufsätze, Suhrkamp 2017, S. 106 ff.
  • 7. Michael Tomasello Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral (Harvard 2016), Suhrkamp 2016, S. 90 ff cit Thomas Nagel : Der Blick von Nirgendwo (1986), Suhrkamp tb 2012), S. 83, 117; zu den Grenzen unseren Vorstellungen über das Bewusstsein von Tieren: »What Is It Like to Be a Bat?« http://organizations.utep.edu/Portals/1475/nagel_bat.pdf (15.04.2018).
  • 8. Arbogast Schmitt: Was hat das Gute mit der Politik zu tun? In: Lotz/van der Minde/Weidmann(Hrsg.): Von Platon bis zur Global Governance, Tectum 2010, Seite 32f unter Hinweis auf Homer: Ilias XVIII, 250.
  • 9. Daniel Kahnemann »Schnelles Denken, Langsames Denken« (2011) – Siedler 2012, begreift damit aber die ständig zwischen Denken und Fühlen oszillierende Entscheidungssituation – siehe S. 331 ff., 482.
  • 10. Philosophische Versuche, ohne naturwissenschaftliche Basis darzutun, welcher Teil unserer »Person« eben diese Person betrachten und analysieren kann, werden vermutlich keine Lösung bringen: Derek Parfit denkt z.B. darüber nach, wo die Entität anfängt oder aufhört, ob in einem transplantierten Kopf, der im Übrigen an einer Maschine hängt, noch von einem ICH die Rede sein kann usw. (FN. 6, S. 108 ff). Man kann daran zweifeln, ob solche Gedankenexperimente vertiefte Erkenntnisse bringen können.
  • 11. »Angst besteht… aus einem generellen Gefühl der Besorgnis und Bedrohung, das mit exzessiver Besorgtheit und »Überwachsamkeit«… einhergeht«- Gerhard Roth: Fühlen, Denken, Handeln Suhrkamp 2003, S. 332.
  • 12. Gerhard Roth (FN.11) S. 323. Sie entsteht aus Ereignissen wie etwa dem Verhalten illegaler nordafrikanischer Einwanderer in der Silvesternacht Köln/Hamburg 2015.
  • 13. Charles Fosters Versuch, in die Haut eines Tieres zu schlüpfen (Der Geschmack von Laub und Erde – wie ich versuchte, als Tier zu leben, Malik 2017), ist unterhaltsam, aber geht ins Leere, weil man die Fähigkeit, sich dabei selbst zu beobachten, nicht ablegen kann.
  • 14. Frans de Waal: Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote, Klett Cotta 2015, S. 115: unsere Gene stimmen mit jenen der Bonobos und der Schimpansen in unterschiedlichem Umfang zwischen 95 % und 98,8 %: überein. Die nachfolgend genannten Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Werk.
  • 15. Wolfgang Wickler/Ute Seibt: Das Prinzip Eigennutz, Hoffmann und Campe 1977.
  • 16. Konrad Lorenz: Das sogenannte Böse – zur Naturgeschichte der Aggression (1963), Nachdruck dtv 25. Aufl. 2007, S. 30 ff.
  • 17. Joachim Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst - Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone, Hamburg, 9. Auflage 2006, besonders S. 21 ff.
  • 18. Voland/Voland: Evolution des Gewissens, Hirzel 2014, S. 20. Man ist geneigt, das umgangssprachlich als »schämen« zu bezeichnen, aber dieses Verhalten belegt nur die biologische Anlage dafür, Scham zu entwickeln.
  • 19. Frans de Waal (FN. 14), S. 155 ff.
  • 20. Frans de Waal (FN. 14), S. 308 ff.
  • 21. Joachim Bauer: Warum ich fühle (FN. 17), insbesondere Seite 21 ff.
  • 22. Joachim Bauer: Warum ich fühle (FN. 17) S. 44.
  • 23. Thomas Nagel: Der Blick von Nirgendwo (1986), Suhrkamp tb 2012, S. 54.
  • 24. Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz Hanser 1995 S. 67 ff.
  • 25. Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens (Harvard 1999), Suhrkamp 2002, S. 55-57.
  • 26. Das Ultimatumspiel wurde in der Spieltheorie 1982 von Güth u.a., entwickelt, das Diktatorspiel von Kahnnemann u.a.1986 (Axel Ockenfels: Fairness, Reziprozität und Eigennutz, Mohr Siebeck 1999, S. 5 ff. dort auch ausführlich zu den Ergebnissen interkultureller Untersuchungen.
  • 27. Michael Tomasello, Naturgeschichte (FN 7), S. 55 f, 66-124, Überblick: S. 121 ff.
  • 28. Michael Tomasello: Warum wir kooperieren (2009), Suhrkamp 2. Aufl. 2012 S. 26 ff. Auf S. 87-123 stellen konkurrierende Forscher ihre Perspektiven zum Thema dar.
  • 29. Elizabeth S. Spelke in: Tomasello: Warum wir kooperieren (FN. 28), S. 112.
  • 30. Carol S. Dweck in: Tomasello: Warum wir kooperieren (FN. 28), S. 98.
  • 31. Eckart Voland: Soziobiologie, Springer, 4. Aufl. 2013, S. 220 ff.
  • 32. Michael Tomasello, Naturgeschichte (FN. 7) S. 90 ff.
  • 33. Thomas Nagel: Der Blick (FN. 23) S. 82 f., 115 f., 117 83.
  • 34. https://www.max-wissen.de/266484/news_publication_11360726?c=65105 (15.04.2018).
  • 35. Bonnie Bassler (Princeton), Max Planck Forschungspreis 2016, https://www.mpg.de/preise/max-planck-forschungspreis (15.04.2018).
  • 36. Jonathan Haidt: The Righteous Mind: Why Good People Are Divided by Politics and Religion, Penguin N.Y.2013, S. XVI: Das ist eine sehr grobe Vereinfachung, denn wir teilen unsere Gene nicht nur mit zahllosen Tieren, sondern auch mit Pflanzen…
  • 37. Edward O. Wilson/ Bert Hölldobler: Auf den Spuren der Ameisen, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 3. Aufl. 2015.
  • 38. http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-9605-2009-03-06.html (15.04.2018).
  • 39. Roman Herzog: Staaten der Frühzeit, C.H. Beck 1988, S. 15 ff.
  • 40. Michael Tomasello, Naturgeschichte (FN 7), S. 240 ff.
  • 41. »Universal Moral Grammar« – John Mikhail: Elements of Moral Cognition: Rawls' Linguistic Analogy and the Cognitive Science of Moral and Legal Judgment, Cambridge 2011, S. 307 ff.
  • 42. Robert M. Sapolsky: Gewalt und Mitgefühl, Hanser 2017, S. 88ff; 511ff zeigt anhand zahlloser Studien und Beispiele die biologisch/psychologischen Wurzeln unseres Verhaltens.
  • 43. Noam Chomsky: Regeln und Repräsentationen (1980), Suhrkamp 1981, bes. S.93ff; 187 ff; eine Querverbindung, die John Mikhail in (FN 41) wohl als erster gesehen hat.
  • 44. Direktorin Max-Planck-Institut für Kognitions – und Neurowissenschaften, Leipzig: Language in Our Brain, MIT Press 2017; http://www.cbs.mpg.de/mensch-und-sprache-buch-friederici (08.05.2018)
  • 45. Persönliche Mitteilung von Prof. Dr. Marco F. H. Schmidt, LMU München (5.12.2017).
  • 46. Chie Kanagawa/ Susan E. Cross/ Hazel Rose Markus, “Who am I? The Cultural Psychology of the Conceptual Self; Personality and Social Psychology Bulletin, Jan 2001: https://www.researchgate.net/publication/258180823_Who_Am_I_The_Cultural... (15.04.2018).
  • 47. David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (1737), Reclam 1982 Abschnitt II und IV, S. 31 ff., 41 ff. Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral, (1777), Nachdruck Reclam, 3. Aufl. 2002, S. 88-92; 215-226 (224). Ähnlich Adam Smith: Theorie der ethischen Gefühle (1759), Nachdruck Felix Meiner, 2010 S. 386 ff. Eckart Voland: Revolutionäre Ethik: Moral (fast) ohne Metaphysik in: Becker/Diewald (Herausgeber): Zukunftsperspektiven im theologischen-naturwissenschaftlichen Dialog, Vandenhoek & Ruprecht 2011 S. 193 ff. (224).
  • 48. Michael Tomasello: Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens (1999), Suhrkamp 2006, S. 126 ff.
  • 49. Jinsilu – Texte der Neo-Konfuzianer, übersetzt und kommentiert von Wolfgang Ommerborn, Verlag der Weltreligionen 2008, Glossar, S. 472. Das Zeichen xi/shi wird im Englischen mit »heart/mind« übertragen, deutsche Übersetzungen benutzen entweder »Herz« oder »Geist«, ohne ihre Verbindung zum Ausdruck zu bringen.
  • 50. Collected Essays. 9 Bände, London 1893–1894; Band 9: Evolution and Ethics and Other Essays.
  • 51. Richard Wrangham: Feuer fangen – wie uns das Kochen zum Menschen machte, DVA 2009.
  • 52. Svante Pääbo.: Der Neandertaler und wir, Fischer 2014, S. 129 unter Hinweis auf grundlegende Forschungen von Allan Wilson. Die »Mutter« ist die »erste« Trägerin unserer modernen mtDNA. Nur eine sehr kleine Mutation war der Auslöser für diese Entwicklung http://advances.sciencemag.org/content/2/12/e1601941 (15.04.2018)).
  • 53. Mathias, R. A.; et al.: Adaptive evolution of the FADS gene cluster within Africa. PLoS ONE 7(9): e44926. doi:10.1371/journal.pone.0044926 (15.04.2018) (Hinweis: Andreas Elepfandt).
  • 54. Schon der Neandertaler (ca. 300.000-40.000 vor heute) hat mit hoher Wahrscheinlichkeit sprechen können (Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus – eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift, CH Beck 2014, S. 49). Der anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens) hat spätestens seit 150.000 vor heute über die Sprache verfügt.
  • 55. Herbert Spencer: Die Principien der Biologie, Bd. 1, § 164, übersetzt von B. Vetter nach der 2. englischen Auflage, Stuttgart 1876: »This survival of the fittest, which I have here sought to express in mechanical terms, is that which Mr. Darwin has called "natural selection", or the preservation of favoured races in the struggle for life.«
  • 56. Richard Dawkins: Das egoistische Gen (1976), Springer 2014.
  • 57. erwandtenselektion oder reziproker Altruismus (Robert Trivers 1971).
  • 58. E.O. Wilson: Die soziale Eroberung der Erde, CH Beck 2013 S. 172 ff.
  • 59. Donald W. Pfaff: Das altruistische Hirn, Hogrefe 2016.
  • 60. E. O. Wilson: Die soziale Eroberung der Erde, CH Beck 2013, S. 69 ff.; 202-228.
  • 61. Edward O. Wilson: Der Sinn des menschlichen Lebens, CH Beck 2015, S. 32 f.
  • 62. https://www.edge.org/conversation/the-false-allure-of-group-selection (15.04.2018).
  • 63. https://de.wikipedia.org/wiki/Multilevel-Selektion (15.04.2018) Der Streit wird sich erst lösen, wenn die Gene identifiziert werden, die das jeweilige Verhalten steuern.
  • 64. E.O. Wilson: Die soziale Eroberung der Erde, CH Beck 2013, S. 289/290, 291.
  • 65. Charles Lumsden, https://www.heise.de/tp/features/Die-genetisch-kulturelle-Ko-Evolution-3.... (15.04.2018) Diese Theorie kann auf den Vorschlag von Richard Dawkins, unser Verhalten werde neben den Genen auch noch von Memen gesteuert, verzichten.
  • 66. Michael Tomasello: Naturgeschichte (FN 7), S. 81, s.a. 55, 62 f, 112, 126.
  • 67. Oliver Wendell Holmes: Common Law, Boston 1881, S. 1.
  • 68. Michael Tomasello Naturgeschichte (FN.7), S. 85, 220.
  • 69. Thomas Nagel: Der Blick von nirgendwo (FN. 23), S. 149.
  • 70. Eckart Voland: Evolutionäre Ethik: Moral (fast) ohne Metaphysik in: Becker/Diewald (Herausgeber): Zukunftsperspektiven im theologischen-naturwissenschaftlichen Dialog, Vandenhoek & Ruprecht 2011 S. 198 ff.
  • 71. Donald W. Pfaff: Das altruistische Hirn, Hogrefe 2016, S. 33 ff.
  • 72. Joachim Bauer: Das Gedächtnis des Körpers, Piper, 7. Aufl. 2007 Seite 20 ff.
  • 73. E.O. Wilson FN 64, S. 79-81: In Versuchen wurde festgestellt, dass die optische Identifizierung eines »Fremden« die Amygdala stimuliert, also ein sehr tief sitzendes Zentrum des Gehirns. Die soziale Kontrolle hingegen aktiviert höhere (und biologische jüngere) Lernzentren.
  • 74. Paul Tiedemann: Über den Sinn des Lebens, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1993, S. 68.
  • 75. Im früheren Jugoslawien wurde bis 1992 in allen Landesteilen serbokroatisch gesprochen. Heute gibt es dort drei Sprachen (serbisch, kroatisch, bosnisch) und die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen werden in diesen drei Sprachen gedruckt, die eher als Dialekte bezeichnet werden können.
  • 76. Italiener sind »Spaghettis«, Deutsche werden von Engländern als »krauts« bezeichnet, Franzosen als »frogs«, Holländer als »Käsköppe«.
  • 77. Robert Sapolsky: Gewalt und Mitgefühl, Hanser, S.501 ff. dort auch zur dualistischen Ethik zwischen unterschiedlichen Gruppen, z.B. Fußballfans (FN 78).
  • 78. Der Begriff stammt von Michael Kulischer Der Dualismus der Ethik bei den primitiven Völkern, Zeitschrift für Ethnologie, 17. Bd. (1885), S. 205-213; (Hinweis von Eckart Voland). Das Anschauungsmaterial ist vor allem im Bereich religiöse Konflikte reichhaltig – Sudhir Kakar: Die Gewalt der Frommen. Zur Psychologie religiöser und ethnischer Konflikte. C.H. Beck, München 1997.
  • 79. Mikio Tanaka: Verhandeln in Japan, in: Heussen/Pischel (Hrsg.) Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement Otto Schmidt, 4. Aufl. 2014, Kap. 9.4 RN. 23 S. 1090; ein nigerianisches Sprichwort besagt: Um ein Kind aufzuziehen, braucht man ein ganzes Dorf«.
  • 80. James Q. Wilson: Das moralische Empfinden, Kabel 1994, Seite 89 ff.: »Toleranz und Intoleranz sind zwei Seiten derselben Medaille« (Seite 93).
  • 81. Universal Declaration of Human Responsibilities ( https://www.menschenpflichten.info/kopie-home) ; 1997 zustandegekommen aufgrund einer Initiative des InterAction Council und von vielen führenden Politikern unterzeichnet und der UN vorgelegt – bis heute wirkungslos.
  • 82. John Mikhail: Elements of Moral Cognition: Rawls' Linguistic Analogy and the Cognitive Science of Moral and Legal Judgment, Cambridge 2011.
  • 83. Sophokles: Ödipus auf Kolonos. Blind sucht er Schutz im Hain der Rachegöttinnen, ohne zu wissen, dass dies örtliche Gesetze verletzt. Außerhalb muss er auf die Entscheidung über sein Asyl warten. Es wird ihm gewährt: »Drum kann ein Fremdling, dessen Not der deinen gleicht, auf meinen Beistand sicher zählen; denn ich weiß, dass ich ein Mensch bin, und des nächsten Tages Licht sich mir und dir in gleicher Finsternis verhüllt« sagt Theseus (Übersetzung: Johannes Minckwitz –https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU2-0276-... (15.04.2018).
  • 84. Joshua Greene: Moral tribes, Penguin N.Y. 2013, S. 293ff - »Us versus them…the modern moral tragedy«.
  • 85. Frans de Waal (FN. 14), S. 211; über Schimpansenkriege Jane Goodall : Wilde Schimpansen. Rowohlt, 1991 (Der Überfall im Kasakela-Tal: »Wenn sie Messer und Gewehre hätten - sie würden sie benutzen wie wir«).
  • 86. Steven Pinker: Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit(2011), Fischer 2013. Seine Methoden und Thesen sind umstritten, aber unverkennbar ist die Zahl der Konflikte, die nicht zu offenen Kriegen geführt haben, seit 1945 zurückgegangen.
  • 87. Sumerisches Sprichwort um 4000 v. Chr.: http://etcsl.orinst.ox.ac.uk/cgi-bin/etcsl.cgi?text=t.6.1.01# (15.04.2018).
  • 88. Solon (ca 640 v.Chr. – 560 v.Chr.) cit. n. Marie Theres Fögen: Das Lied vom Gesetz, Carl Friedrich von Siemens Stiftung München 2006 Seite 122. Über die Kunst der Chirurgen sagt man vergleichbares: »vulnerando sanamus –Wir heilen durch Verletzung«.
  • 89. Auch dieser Begriff lehnt sich an die These Noam Chomskys von einer Ur-Grammatik der Sprachen an (FN 43).
  • 90. Im Englischen Clara Sabbagh , Manfred Schmitt: Handbook of Social Justice Theory and Research, Springer 2016. Equality (5.2), Fairness (5.5.1), Equity (5.3.3).
  • 91. John Rawls hat versucht, allein den Begriff der Fairness als Gegenstand der Gerechtigkeitsdiskussion zu definieren. Er fasst in seinem hochkomplexen System auch die Inhalte »richtiger« Gerechtigkeitsvorstellungen zusammen: A Theory of Justice (1971); Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp (1979), später modifiziert in: Justice as Fairness; Gerechtigkeit als Fairness – ein Neuentwurf, (2001), Suhrkamp 2003. Mit diesem Versuch, nur die Fairness als relevantes Element der Gerechtigkeit zu beschreiben, hat John Rawls den Begriff überdehnt.
  • 92. Wickler/Seibt: Das Prinzip Eigennutz, Hoffmann & Campe 1977; Konrad Lorenz: Das sogenannte Böse – zur Naturgeschichte der Aggression (1963) dtv 25. Auflage 2007. Im Spiel »Gefangenendilemma« drückt sich dieser Widerspruch deutlich aus: die egoistische Entscheidung dient dir selbst, die altruistische Entscheidung der Gruppe.
  • 93. Zu diesem Spannungsverhältnis ausführlich: Christoph Menke: Kritik der Rechte, Suhrkamp 2015 und RPhZ 2017/ I, S. 54 ff.
  • 94. Übersicht: Rüthers / Fischer / Birk: Rechtstheorie, C.H. Beck, 10. Aufl. 2018, §§ 8-10.
  • 95. Niklas Luhmann: Das Recht der Gesellschaft, Suhrkamp 1995, S. 78 ff.
  • 96. Dietmar von der Pfordten, Rechtsethik, CH Beck, 2. Aufl. 2011 S. 127 ff.
  • 97. Hans Kelsen: Reine Rechtslehre (1934), Nachdruck Mohr Siebeck 2008, S. 74, später korrigiert in: Was ist Gerechtigkeit? (1953) Reclam 2000. Kelsens Satz ist besser zu verstehen, wenn man erkennt, dass das von ihm entworfene feste Verfassungsgefüge, innerhalb dessen die Normen entstehen sollten, willkürliche Gesetze wenigstens unwahrscheinlich machte: Benno Heussen, Unerträgliche Gesetze, Zeitschrift für Rechtspolitik 2017/7, S. 212-214.
  • 98. »Normen sind vergleichbar mit dem Mast, an den Odysseus sich hat fesseln lassen, um von dem Gesang der Sirenen nicht verführt zu werden…« Paul Tiedemann: https://www.philosophie.ch/artikel/aeusserst-knappe-einfuehrung-in-die-i... (15.04.2018).; Marie Theres Fögen (FN 87), Seite 74 ff.
  • 99. Maihofer (Hrsg): Naturrecht oder Rechtspositivismus, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1962; Bernd Rüthers: Recht oder Gesetz? Gründe und Hintergründe der Naturrechtsrenaissance, JZ 2013, S.822-829.
  • 100. Eckart Voland: Soziobiologie FN.31, S. 216.: »Eine solche biologisch funktionale Sichtweise menschlichen Lernens erklärt, warum es nirgends eine Kultur der Erfolglosigkeit gibt, wohl aber erfolglose kulturelle Entwürfe (z.B. die Feindesliebe)«.
  • 101. Paolo Prodi: Eine Geschichte der Gerechtigkeit, CH Beck 2003, S. 21/22.
  • 102. Hazel Rose Markus/ Shinobu Kitayama: Culture and the Self, Implications for Cognition, Emotion, and Motivation, Psychological Review 1991, Vol 98, No. 2, 224-253.; Geert Hofstede Interkulturelle Zusammenarbeit, Gabler, 1993.
  • 103. Meng-Zi (Menzius (c.a 372 -290 vChr ): Von der Freiheit des Menschen, übersetzt von Richard Wilhelm (Jena 1921) I B 7, marix 2012, S. 42.
  • 104. Erwin Riezler, Das Rechtsgefühl - Rechtspsychologische Betrachtungen, Schweitzer 1921 (1969); Bihler: Rechtsgefühl, System und Wertung, Münchner Universitätsschriften, Bd. 43, CH Beck 1979, S. 59.
  • 105. Leibniz spricht von der »caritas sapientis«, dem Mitgefühl des Weisen (cit.n. Gertrude Lübbe Wolff: Das Dilemma des Rechts, Schwabe 2017, S. 71.
  • 106. Ulrich Haltern: Notwendigkeit und Umrisse einer Kulturtheorie des Rechts, in: Horst Dreyer/Erik Wilkendorf (Herausgeber), Kulturelle Identität aus Grund und Grenze des Rechts, Archiv für Rechts und Sozialphilosophie, Beiheft 113 Nomos, (2008) S. 193-221.
  • 107. Theodor Mommsen: Zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker - Fragen zur Rechtsvergleichung gestellt von Theodor Mommsen, Beantwortet von Brunner, Freudenthal u.a., Duncker & Humblodt 1905, S. 2.
  • 108. 1935 entdeckten australische Offiziere in Neuguinea ein großes Gebiet mit sechs Stämmen (Ackerbau/Viehzucht), die noch nie mit der Außenwelt in Berührung gekommen waren (Strickland-Purari Patrol). Sie lassen trotz aller Probleme, die solche Vergleiche methodisch aufwerfen, ahnen, wie vergleichbare segmentäre Gesellschaften vor 25.000 Jahren gelebt haben müssen – die sozialen Strukturen waren voll ausgebildet! (Schieffelin/Crittenden: Like People You See in a Dream, Stanford University Press 1991, S. 58-62, 147 ff).
  • 109. Globale Gerechtigkeit zwischen Rechtsangleichung und Kulturenvielfalt, in: Globale Gerechtigkeit, Universitätsverlag Bamberg 2001, S. 62.
  • 110. Laura Meschede: Die Mensch-Maschine, SZ-Magazin v. 23.3.2018, S. 22: Kritik an der Plattform MTurk https://de.wikipedia.org/wiki/Amazon_Web_Services#Sonstiges (15.04.2018).
  • 111. Der Wappenspruch des Adelsgeschlechts Finch-Hatton, Earls of Winchilsea lautet: »Je responderai!« – Ich werde antworten (mit Worten oder Waffen). Diese Grundsätze manifestieren sich in Deutschland nicht nur in parlamentarischen Fragerechten (BVerfGE 124, 161 (185) = NVwZ 2009, 1092), sondern vor allem in der Pflicht, über Gesetzesvorlagen zu entscheiden (Art. 76 Abs. 3 S. 6 GG). Ferner der Pflicht der Gerichte, die Verfahren in zumutbarer Zeit abzuschließen (BVerfG, Beschluß vom 27. 7. 2004 - 1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320 – Telekom Klagen).
  • 112. Hermann Parzinger Die Kinder des Prometheus – eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift, CH Beck 2014, S. 140 ff. über Catal Höyük (Zentralanatolien).
  • 113. Die Rule of Law beschreibt für den Bereich des Common Law jene Kriterien, die bei uns unter den Begriff des Rechtsstaats fallen (Art. 20 Abs. 3 GG).
  • 114. Uwe Wesel: Geschichte des Rechts, CH Beck 2001, S. 29.
  • 115. Guido Pfeiffer: Gerechtigkeit aus der Perspektive der altorientalischen Rechtsgeschichte, in: Markus Witte (Herausgeber) Gerechtigkeit, C.H. Beck 2012, S. 15 ff. S. 17.
  • 116. Uwe Wesel: (FN 114) S. 100; Jan Assmann: ma’at: Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im alten Ägypten, C. H. Beck, 2. Auflage 1992.
  • 117. Jacques Gernet: Die chinesische Welt, Suhrkamp 1988, S. 91.
  • 118. Hans Hattenhauer Europäische Rechtsgeschichte C. F. Müller 2. Auflage 1994, Seite 13, 14.
  • 119. Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Bd. 2 der Soziologie und Anthropologie Frankfurt 1989; Maurice Godelier, Das Rätsel der Gabe: Geld, Geschenke, heilige Objekte, CH Beck 1999; Michael Tomasello, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig: Warum wir kooperieren, Edition Unseld, 2010.
  • 120. De Officiis (vom pflichtgemäßen Handeln),de Gruyter (Tusculum), Kap. I, S. 23; 28.
  • 121. Michael Tomasello: Naturgeschichte (FN. 7), S. 67 cit. Korsgaard : Creating the Kingdom of Ends (Cambridge 1996, S. 275).
  • 122. Harald Haarmann: Geschichte der Schrift, 2002 S. 16 ff., 113 ff. (spätestens um 3000 v. Chr. in Sumer, Mesopotamien).
  • 123. http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CodexHammurapi_de.htm (15.04.2018).
  • 124. Vergleicht man mit ihnen den kulturellen Status der australischen Aborigines, die um 25.000 vor heute ebenfalls Felszeichner waren, die gleiche mtDNA wie wir tragen, aber keine Schrift erfinden konnten, liegt dieser Zusammenhang nahe.
  • 125. Benno Heussen: Ethik als Basis staatlichen Handelns - Ein vergessener Versuch vor 2300 Jahren, Zeitschrift für Rechtspolitik 2015, Heft 8, S. 251.
  • 126. Ulpian cit .Celsus in den Digesten, 1,1,1.( ca. 150 n.Ch.) Text: Corpus Juris civilis, Digesten 1-10, Hrsg Okko Behrends u.a. C. F. Müller, 1995, S. 91.
  • 127. Digesten (FN 126) 19.4 und 19.5.5.1.
  • 128. Justinian I, Corpus Juris civilis, Digesten 1.1.10 (Ulpian), Hrsg Okko Behrends u.a. C. F. Müller, 1995 S. 94. so schon früher Platon: Der Staat (Politeia) IV 433a, später zitiert bei Cicero, De legibus 1, 6 19.
  • 129. Li Gi – das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, konfuzianische Texte, übersetzt von Richard Wilhelm, Eugen Diederichs 1981, Kapitel I – Maß und Mitte, S. 27, 28, 31.
  • 130. Jinsilu – Texte der Neo-Konfuzianer, übersetzt und kommentiert von Wolfgang Ommerborn, Verlag der Weltreligionen 2008, S. 173.
  • 131. Ulpian, D. 1.1.10 (FN 126, S. 94)
  • 132. Zur Trennung zwischen Tatsachen und Meinungen im römischen Prozess: Broggini, NJW 1962, 1649; N. J. Groß NJW 1988, 302.
  • 133. Benno Heussen: Analogie ist unlogisch – über die Funktion der Gefühle im Verfahren der Rechtsgewinnung, NJW 2016, 1500-1505; Arthur Kaufmann: Das Verfahren der Rechtsgewinnung CH Beck 1999, S. 68 ff; Dieter Krimphove: Gefühltes Recht – über die hirnorganische Evolution von Recht. Rechtstheorie 40 (2009), S. 99-124.
  • 134. Benno Heussen: Analogie ist unlogisch – über die Funktion der Gefühle im Verfahren der Rechtsgewinnung, NJW 2016, S. 1500-1505. Die unendlichen Verzögerungen der Prozesse vor dem Reichskammergericht erklären sich in erster Linie aus der Entscheidung nur nach Aktenlage. Um das zu vermeiden, dringt das Stuttgarter Verfahren auf das persönliche Erscheinen der Parteien.
  • 135. Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen, Bertelsmann 2007, S. 109 ff.; Röttger-Rössler: Die kulturelle Modellierung des Gefühls, LIT 2004. (Indonesische Fallstudien).
  • 136. Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken, Siedler 2012, S. 134 ff (System 1), S. 66 ff. System 2); Thaler/Sunstein: Nudge, Econ 2009. Sie halten das allerdings für korrigierbar und gehen davon aus, dass Logik und Wahrscheinlichkeitstheorie in allen Problemen die richtige Lösung liefert (Hinweis: Gerd Gigerenzer).
  • 137. Joshua Greene: Moral tribes, Penguin N.Y. 2013 , S. 141 ff; Jean Decety/ Keith J. Yoder: The emerging Social Neuroscience of Justice Motivation, Trends in Cognitive Sciences, Jan. 2017, Vol.21, No1; http://www.cell.com/trends/cognitive-sciences/fulltext/S1364-6613(16)30179-6. (15.04.2018).
  • 138. Übersicht: Benno Heussen: Libet, Rizzolatti, Haidt, RphZ 3/2017, S. 275-284.
  • 139. Gerd Gigerenzer: On the supposed Evidence for Libertarian Paternalism, Rev.Phil.Psych Springer; https://link.springer.com/article/10.1007/s13164-015-0248-1 (15.04.2018) Er zeigt, dass der verdeckte Anstoß (nudge), »das Richtige zu tun« häufig ins Gegenteil umschlägt und politische Korrektheit die Wahrnehmung der Realität behindert.
  • 140. Die Rechtsvergleichung deckt die Verhältnisse so lange nicht überzeugend auf, als sie nur Texte mit Texten vergleicht, nicht aber mit der Realität. Ohne Feldforschung, an der Juristen ihre Ideen gestaltend einbringen, wird es nicht gehen. http://www.eth.mpg.de/2927255/department_foblets (15.04.2018).
  • 141. Wolfgang Fikentscher: Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Mohr Siebeck Bd. I – IV (1975-1977); Modes of Thougt: A Study in the Anthropoliogy of Law and Religion, Mohr Siebeck, 2. Aufl. 2004.
  • 142. http://www.bpb.de/internationales/weltweit/menschenrechte/38804/freie-un... (15.04.2018).
  • 143. https://de.wikipedia.org/wiki/Bruttonationalgl%C3%BCck
  • 144. Wolfgang Fikentscher: The Evolutionary and Cultural Origins of Heuristics that Influence Lawmaking, in: Gigerenzer/C. Engel, Heuristics and the Law, MIT Press 2006, 207 ff. (227 ff.).
  • 145. Guntram Rahn: Rechtsdenken Rechtsauffassung in Japan, CH Beck 1990 S. 40: »Das gemeinhin mit »Harmonie« übersetzte japanische Worte »wa« sollte zu einem Schlüsselbegriff der japanischen Gesellschaft werden. Es bezeichnet die Eintracht in einer vertikalen Ordnung, in der jeder seinen Platz hat und alle letztlich aufeinander angewiesen sind«.
  • 146. Thaddeus Metz: Auf dem Weg zu einer afrikanischen Moraltheorie, in: Franziska Dübgen/ Stefan Skupien (Hrsg.), Afrikanische politische Philosophie - Postkoloniale Positionen. Suhrkamp 2015 S. 295-329; https://philpapers.org/rec/METADW (23.04.2018).
  • 147. »Bis zum Extrem gesteigert könnte man sagen, dass der Japaner alles für recht hält, wenn jeder zustimmt« Taiichi Sakaiya: Chika Kakumei – die Geschichte der Zukunft, Econ 1994 S.360).
  • 148. Japan orientiert sich seit 1870 am deutschen Recht: Guntram Rahn: Rechtsdenken und Rechtsauffassung in Japan CH Beck 1990, S. 80ff; China seit 1912/1978, Südkorea seit 1948, Vietnam seit 2009.
  • 149. Paul Tiedemann: Die Menschenwürde als Rechtsbegriff, BWV, 3. Aufl. 2012.
  • 150. In der politischen Diskussion wird das erstaunlich oft verkannt. In einem Flugblatt, in dem die Ermittlungen zur NSU und zum Oktoberfest-Attentat kritisiert werden, heißt es (2017): »Staaten sind der Feind der Freiheit und des guten Lebens«.
  • 151. Arbogast Schmitt: Die Moderne und Platon, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, Seite 381 ff.
  • 152. Heinz D. Kittsteiner: Die Entstehung des modernen Gewissens, Suhrkamp 1995.
  • 153. Ekkehart Stein: Gewissensfreiheit in der Demokratie, Mohr Siebeck 1971, S. 56 ff.
  • 154. Wie wir es etwa in Art. 141 der Bayerischen Verfassung finden – Pilze sammeln!
  • 155. Gustav Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche Juristen Zeitung 1946,105 (107) Gesamtausgabe C.F.Müller Bd. 3 (1990) S. 83 (89).
  • 156. Wolfgang Schmale: Menschenrechte in verschiedenen Rechtssystemen: Formale Differenzen und kulturelle Affinitäten, in: Scholler/Tellenbach (Hrsg.) Die Bedeutung der Lehre vom Rechtskreis und der Rechtskultur, Duncker & Humblodt 2001, S. 17.
  • 157. Kenji Ueda: Die Sterbehilfe in Japan als Beispiel der Japanisierung westlicher Rechtskultur, in Scholler/Tellenbach (FN. 156).
  • 158. Schweizer/Sprecher: Menschenwürde im Völkerrecht; in: Kurt Seelmann (Hrsg): Menschenwürde als Rechtsbegriff, ARSP Beiheft 101, Franz Steiner 2004, S. 127 ff; Motosugi Nishino: Menschenwürde als Rechtsbegriff in Japan ebda S. 116.
  • 159. Ernst Wolfgang Böckenförde: Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Suhrkamp 1976, S. 60.
Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Siehe Fußnoten.