danke-sagen-unterstützen

Unveröffentlichte Gerichtsentscheidung hinzufügen: Mehr erfahren...

BVerfGE 4, 331; DÖV 1956, 180; DVBl 1956, 133; JZ 1956, 163; NJW 1956, 137

Daten

Fall: 
Soforthilfegesetz
Fundstellen: 
BVerfGE 4, 331; DÖV 1956, 180; DVBl 1956, 133; JZ 1956, 163; NJW 1956, 137
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
09.11.1955
Aktenzeichen: 
1 BvL 13/52; 1 BvL 21/52
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Instanzen: 
  • OVG Hamburg - Bf I 449/51
  • VG Karlsruhe - III 74/51

Seitennummerierung nach:

BVerfGE 4, 331

Seiten:


BVerfGE 4, 331 (331):
1. Für alle nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (23. Mai 1949) erlassenen Gesetze ist die ausschließliche Verwerfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG gegeben.

2. Die Voraussetzungen, unter denen eine Institution als Gericht im Sinne des Grundgesetzes anzusehen ist, sind für alle Zweige der Gerichtsbarkeit gleich.

3. Gericht im Sinne des Grundgesetzes ist ein Gremium nur dann, wenn seine berufsrichterlichen Mitglieder grundsätzlich hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt sind, Richter auf Probe oder auf Widerruf also nur insoweit herangezogen werden, als das nach verständigem Ermessen zur Heranbildung von Nachwuchs oder aus anderen zwingenden Gründen notwendig ist (Art. 97 Abs. 2 GG). Gericht im Sinne des Grundgesetzes ist ein Gremium dann nicht, wenn ihm institutionell ein Mitglied angehört, das als weisungsgebundener Beamter die gleiche Materie bearbeitet, über die er als unabhängiger Richter zu entscheiden hat (Art. 20 Abs. 2 GG).

  Beschluß

des Ersten Senats vom 9. November 1955

- 1 BvL 13/52, 1 BvL 21/53 -

in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 69 Absatz 2 des Gesetzes zur Milderung dringender sozialer Notstände (Soforthilfegesetz - SHG) vom 8. August 1949 (WiGBl. S. 205) aus


BVerfGE 4, 331 (332):
Antrag 1. des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verwaltungsrechtsstreit O. gegen Staat Württemberg-Baden - III 74/51 -, 2. des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts in dem Verwaltungsrechtsstreit St. gegen Landesamt für Soforthilfe, Beschwerdeausschuß I - OVG Bf. I 449/51 -.

Entscheidungsformel:

§ 69 Absatz 2 des Gesetzes zur Milderung dringender sozialer Notstände (Soforthilfegesetz - SHG) vom 8. August 1949 (WiGBl. S. 205) ist insoweit nichtig, als er bestimmt, daß die Beschwerdeausschüsse als Verwaltungsgerichte entscheiden.

  Gründe:

I.

Das Soforthilfegesetz des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 8. August 1949 wurde in dem am 18. August 1949 ausgegebenen Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes verkündet. Entsprechende Vorschriften wurden auch in Baden, Rheinland-Pfalz und Württemberg-Hohenzollern sowie für den bayerischen Kreis Lindau erlassen.

1. Nach §§ 49 ff. SHG war die Verwaltung der auf Antrag zu gewährenden Soforthilfeleistungen

Unterhaltshilfe, §§ 35 bis 42 SHG;

Ausbildungshilfe, § 43 SHG;

Aufbauhilfe, § 44 SHG;

Hausrathilfe, § 45 SHG;

Gemeinschaftshilfe, §§ 46, 47 SHG

den Soforthilfebehörden übertragen. Als untere Instanzen wurden innerhalb der bestehenden Behörden der allgemeinen Verwaltung in den Stadt- und Landkreisen  Ämter für Soforthilfe  und als Mittelbehörden die  Landesämter für Soforthilfe  innerhalb von Behörden der allgemeinen Verwaltung errichtet, die der Kreisstufe übergeordnet waren, in den meisten Ländern innerhalb des Innen- oder des Finanzministeriums (vgl. Kühne-Wolff, Komm. zum SHG, 1950, S. 366/367). Größere Länder,


BVerfGE 4, 331 (333):
z.B. Bayern, Niedersachsen und Württemberg-Baden, schufen ferner Außenstellen der Landesämter bei den Regierungspräsidenten bzw. den Präsidenten der Verwaltungsbezirke (Durchführungsverordnung zum Zweiten und Dritten Teil des Soforthilfegesetzes [Soforthilfe-DVO], Abs. 1 zu § 52 SHG [WiGBl. S. 225]). Als oberste Soforthilfebehörde für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet und die Länder der ehemaligen französischen Besatzungszone wurde das  Hauptamt für Soforthilfe  in Bad Homburg v. d. Höhe errichtet, das zunächst dem Direktor der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und nach Einrichtung der Bundesverwaltung dem Bundesminister der Finanzen unmittelbar unterstand.

Bei der unteren Verwaltungsstufe, den Ämtern für Soforthilfe, wurden  Soforthilfeausschüsse  gebildet, die aus dem Leiter des Amtes oder einem Vertreter als Vorsitzendem und zwei - in den Landkreisen vom Kreistag, in den Stadtkreisen von der Stadtverordnetenversammlung - auf die Dauer eines Jahres gewählten Beisitzern bestanden. Die hier in Rede stehenden  Beschwerdeausschüsse  wurden bei den Landesämtern für Soforthilfe oder bei deren Außenstellen, also bei der Mittelstufe der Verwaltungsbehörden errichtet. Sie bestanden aus dem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. Den Vorsitz führte der Leiter der zuständigen Behörde - d. h. der Leiter des Landesamtes, nicht der Minister, innerhalb dessen Ministerium es errichtet war oder ein Vertreter des Behördenleiters. Die beiden Beisitzer wurden von den Landesparlamenten auf die Dauer eines Jahres gewählt. Als letzte Entscheidungsinstanz wurde zunächst beim Hauptamt für Soforthilfe ein aus fünf Mitgliedern bestehender  Spruchsenat  gebildet, der durch Verordnung vom 15. Januar 1951 (BGBl. I S. 71) auf den Bund übergeführt und dem Bundesfinanzhof eingegliedert wurde.

Während die Soforthilfeausschüsse kraft ausdrücklicher Bestimmung (§ 69 Abs. 1 SHG) als Verwaltungs behörden  nach den allgemeinen Weisungen des Präsidenten des Hauptamtes für Soforthilfe entschieden, bestimmt die zur Prüfung gestellte Vor


BVerfGE 4, 331 (334):
schrift des § 69 Abs. 2 SHG für die Beschwerdeausschüsse und den Spruchsenat:

"Der Beschwerdeausschuß und der Spruchsenat entscheiden als Verwaltungsgerichte; ihre Mitglieder sind daher als solche unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen."

Demzufolge wird in § 69 Abs. 3 SHG die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Zweiten Teil des Soforthilfegesetzes vor den ordentlichen Gerichten ausgeschlossen.

Die Interessen des Soforthilfefonds wurden in den einzelnen Verfahren durch den "Beauftragten des Hauptamts für Soforthilfe" wahrgenommen, der vom Präsidenten des Hauptamtes bestellt wurde und weisungsgebunden war.

2. Die Soforthilfeausschüsse entschieden durch Beschluß über Anträge auf Unterhaltshilfe, soweit der Leiter des Amtes nicht bereits durch Vorbescheid solchen Anträgen entsprochen hatte. Der Soforthilfeausschuß hatte ferner von vornherein über Anträge auf Ausbildungshilfe, Aufbauhilfe und Hausrathilfe durch Bescheid zu befinden. Soweit handelte es sich eindeutig um reine Verwaltungsverfahren.

Gegen die Beschlüsse und Bescheide der Soforthilfeausschüsse konnten der Geschädigte und der Beauftragte des Hauptamtes für Soforthilfe Beschwerde zum Beschwerdeausschuß als einem besonderen "Verwaltungsgericht" erheben. Die Beschlüsse über Unterhaltshilfe hatte der Beschwerdeausschuß in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen, während er bei den Beschlüssen über Anträge auf Ausbildungshilfe, Aufbauhilfe und Hausrathilfe auf die Nachprüfung eines Ermessensmißbrauchs beschränkt war. Mit der Beschwerde zum Spruchsenat konnten nur Beschlüsse der Beschwerdeausschüsse auf Unterhaltshilfe unter gewissen Voraussetzungen angefochten werden. Der Spruchsenat war keine zweite Tatsacheninstanz, sondern überprüfte nur Rechtsfragen.

Für das Verfahren vor dem Spruchsenat galten sinngemäß die Verfahrensvorschriften der MRVO 165 (Soforthilfe-DVO Abs. 1 zu § 56 SHG, eingefügt durch ErgVO vom 22. Dezember 1950


BVerfGE 4, 331 (335):
[BGBl. 1951 I S. 51]). Das Verfahren vor den Beschwerdeausschüssen ist weder in dem Soforthilfegesetz noch in einer Durchführungsverordnung umfassend geregelt; vielmehr werden nur einzelne Verfahrensvorschriften gegeben (vgl. z. B. §§ 61, 65 SHG und Soforthilfe-DVO Ziff. 1 und 2 zu § 61 SHG, Ziff. 2 zu § 64 SHG, zu § 65 SHG). Im übrigen wurden von den Beschwerdeausschüssen im allgemeinen auch ohne ausdrückliche Verweisung des Soforthilfegesetzes die in den verschiedenen Ländern geltenden verwaltungsgerichtlichen Vorschriften angewendet.

3. Inzwischen sind das Soforthilfegesetz, die entsprechenden Vorschriften der Länder der ehemaligen französischen Besatzungszone und die Durchführungsverordnungen durch § 371 Ziff. 1 des Gesetzes über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz - LAG) vom 14. August 1952 (BGBl. I S. 446) mit Wirkung vom 1. September 1952 aufgehoben und für die Überleitung der Soforthilfe in den Lastenausgleich materiell und verfahrensmäßig besondere Vorschriften erlassen worden: Nach § 353 LAG i.V.m. § 6 der Ersten Verordnung für Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz vom 24. November 1952 (BGBl. I S. 742) gelten für die Weiterbehandlung der noch nicht endgültig entschiedenen Anträge auf Soforthilfeleistungen - deren Erledigung sich materiell nach den Bestimmungen des Soforthilfegesetzes richtet - die Verfahrensvorschriften für gleichartige Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz. An die Stelle der Ämter für Soforthilfe, der Soforthilfeausschüsse, der Landesämter für Soforthilfe und des Hauptamtes für Soforthilfe sind die Ausgleichsämter, die Ausgleichsausschüsse, die Landesausgleichsämter und das Bundesausgleichsamt getreten (§ 352 LAG).

Dagegen konnte die Zuständigkeit der Beschwerdeausschüsse des Soforthilfegesetzes nicht auf die neuen Beschwerdeausschüsse des Lastenausgleichsgesetzes (§ 310 LAG) übergehen, weil deren Stellung und Aufgaben trotz der gleichartigen personellen Zusammensetzung nicht die gleichen sind.


BVerfGE 4, 331 (336):
Die Beschwerdeausschüsse des Lastenausgleichsgesetzes bestehen aus dem Leiter der Behörde, bei der der Beschwerdeausschuß eingerichtet ist, oder seinem Stellvertreter als Vorsitzendem und aus zwei ehrenamtlichen Beisitzern, die von den zuständigen politischen Wahlkörperschaften gewählt werden (§ 310 II und III i.V.m. § 309 II bis IV LAG).

Das Lastenausgleichsgesetz behandelt die Beschwerdeausschüsse, die für den Bereich eines Stadt- oder Landkreises oder mehrerer Kreise zu bilden sind, als reine Verwaltungsbehörden (§ 310 LAG) und vertraut die rechtsprechende Tätigkeit hinsichtlich der Ausgleichsleistungen ausdrücklich den allgemeinen Verwaltungsgerichten an (§ 315 LAG). Gegen den Beschluß der Beschwerdeausschüsse des Lastenausgleichsgesetzes können der Antragsteller und der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds, der an die Stelle des Beauftragten des Hauptamtes für Soforthilfe getreten ist, die Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erheben (§ 338 LAG).

Die Überleitung der nach dem Soforthilfegesetz anhängigen Verfahren in das System der Lastenausgleichsorganisation ist in § 353 LAG i.V.m. § 6 der Ersten Verordnung über Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz folgendermaßen geregelt: Diejenigen Verfahren, die über die Beschwerdeausschüsse des Soforthilfegesetzes noch nicht hinausgelangt sind, gehen nunmehr an die Beschwerdeausschüsse des Lastenausgleichsgesetzes und anschließend weiter über die Verwaltungsgerichte erster Instanz an das Bundesverwaltungsgericht (§ 353 Ziff. 1 und 2 LAG). Diejenigen Verfahren, die schon beim Spruchsenat anhängig waren, gehen zunächst an die neuen Beschwerdeausschüsse, die der Rechtsbeschwerde abhelfen können. Wird Abhilfe nicht gewährt, so entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, ohne daß noch ein Verwaltungsgericht erster Instanz anzurufen wäre (§ 353 Ziff. 3 LAG).

Keine Übergangsregelung gibt das Gesetz für den Fall, daß ein Beschwerdeausschuß alten Rechts entschieden hat, ohne daß eine Rechtsbeschwerde an den Spruchsenat gegeben war, und für den Fall, daß der Spruchsenat entschieden hat.


BVerfGE 4, 331 (337):
II.

1. In beiden Ausgangsverfahren hatten die Beschwerdeausschüsse am 15. August 1950 und am 4. Januar 1951, also vor Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes (1. September 1952), nach dem Soforthilfegesetz über Ansprüche auf Unterhaltshilfe (§§ 35 bis 42 SHG) entschieden, ohne die Rechtsbeschwerde zum Spruchsenat zuzulassen (§ 62 Abs. 1 SHG). Jeder der beiden Antragsteller hat alsdann - ebenfalls noch vor Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes - gegen die ihm ungünstige Entscheidung des Beschwerdeausschusses Anfechtungsklage beim allgemeinen Verwaltungsgericht erhoben.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe und das Hamburgische Oberverwaltungsgericht sehen sich durch § 69 Abs. 2 SHG an einer Sachentscheidung gehindert, weil die Beschwerdeausschüsse nach dieser Bestimmung besondere Verwaltungsgerichte sind und weil nach den einschlägigen Verfahrensvorschriften der Rechtsweg vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten nur gegeben ist, soweit nicht ein anderes Gericht zu entscheiden hat. Die Organisation der Beschwerdeausschüsse gemäß § 53 SHG entspricht jedoch nach der Ansicht der Gerichte nicht den Anforderungen die nach dem Grundgesetz an ein "Gericht" zu stellen sind; vornehmlich, weil der Prozeßstoff, über den die Beschwerdeausschüsse zu entscheiden haben, sich im allgemeinen mit dem Aufgabenkreis decke, in dem der Vorsitzende des Ausschusses sich als Leiter des Landesamtes für Soforthilfe, also als weisungsgebundener Verwaltungsbeamter, betätige, so daß der Beschwerdeausschuß selbst nicht mehr als unbeteiligter Dritter angesehen werden könne. Beide Gerichte halten deshalb Art. 92 GG (Ausübung der rechtsprechenden Gewalt durch "Richter" und "Gerichte") und Art. 97 GG (Unabhängigkeit der Richter), das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hält auch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG (Dreiteilung der Gewalten) für verletzt. Die Gerichte haben gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ihre Verfahren ausgesetzt und die Akten dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung dar


BVerfGE 4, 331 (338):
über vorgelegt, ob § 69 Abs. 2 SHG mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat gemäß §§ 82, 77 BVerfGG dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, sämtlichen Landesregierungen und den Beteiligten der Ausgangsverfahren Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Von dieser Möglichkeit haben - ohne dem Verfahren nach § 82 Abs. 2 BVerfGG beizutreten - der Bundesminister der Finanzen für die Bundesregierung und die Landesregierungen von Bayern, Niedersachsen, Schleswig- Holstein und Württemberg-Baden sowie der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg Gebrauch gemacht. Die Beteiligten der Ausgangsverfahren haben sich sachlich zu der Streitfrage nicht geäußert.

Der Bundesminister der Finanzen verneint bereits die Zulässigkeit der Vorlage mit dem Hinweis, daß das Bundesverfassungsgericht - wie sich aus dem Wortlaut des § 13 Nr. 11 BVerf GG ergebe - nur die Frage der Vereinbarkeit eines  Bundes gesetzes mit dem Grundgesetz prüfen könne, während es sich bei dem Soforthilfegesetz um ein Gesetz des  Wirtschaftsrates  des Vereinigten Wirtschaftsgebiets handle. Daher seien die vorlegenden Gerichte selbst befugt und verpflichtet, die Anwendung dcs Soforthilfegesetzes abzulehnen, falls sie in Anwendung des Grundsatzes lex posterior derogat legi priori zu dem Ergebnis kämen, daß die Bestimmung des § 69 Abs. 2 SHG mit dem Grundgesetz in Widerspruch stehe.

Zu der vorgelegten Rechtsfrage selbst nehmen der Bundesminister der Finanzen und die Landesregierungen übereinstimmend den Standpunkt ein, daß die Beschwerdeausschüsse nach der Art ihrer personellen Besetzung, ihres Verfahrens und ihrer organisatorischen Stellung den an ein besonderes Verwaltungsgericht zu stellenden Anforderungen genügen. Der Bundesminister der Finanzen macht in diesem Zusammenhang geltend, daß die Voraussetzungen, unter denen eine Institution als ordentliches Gericht oder als allgemeines Verwaltungsgericht anzusehen sei, nicht ohne weiteres auf besondere Verwaltungsgerichte wie


BVerfGE 4, 331 (339):
die Beschwerdeausschüsse des Soforthilfegesetzes übertragen werden könnten, zumal das Soforthilfegesetz schon vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes "verabschiedet" worden sei. Die Bayerische Staatsregierung und der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg weisen insbesondere darauf hin, daß es Aufgabe der Landesregierungen gewesen sei, die Beschwerdeausschüsse den Anforderungen des Grundgesetzes gemäß zu gestalten. Das sei in ihren Ländern geschehen.

Da keines der anzuhörenden Verfassungsorgane dem Verfahren beigetreten ist, konnte ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß entschieden werden (vgl. BVerfGE 2, 213 [217 f.]).

III.

Die Anträge sind zulässig.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 24. Februar 1953 (BVerfGE 2, 124) entschieden, daß Gesetze, die vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, dem 24. Mai 1949, verkündet worden sind, nicht der Normenkontrolle des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG unterliegen, daß vielmehr jedes Gericht über die Vereinbarkeit solcher "vorkonstitutionellen" Gesetze mit dem Grundgesetz in eigener Zuständigkeit zu entscheiden habe. Die Frage, ob sich diese jedem Gericht zustehende Verwerfungskompetenz auch auf die zwischen dem 23. Mai 1949 und dem 7. September 1949, dem Tage des ersten Zusammentritts des Bundestages, von den bisherigen Gesetzgebern erlassenen Gesetze erstreckt - zu denen das Soforthilfegesetz gehört -, ist in diesem Urteil offengeblieben.

Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 20. Juli 1955 (BVerfGE 4, 214 [218]) ausgesprochen, daß eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zulässig und geboten ist, wenn ein Gericht annimmt, ein entscheidungserhebliches Gesetz aus der Zeit zwischen dem 23. Mai und dem 7. September 1949 verstoße gegen das Grundgesetz.

Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings in einem Urteil vom 8. September 1953 (BVerwGE 1, 4) die Verfassungswidrig


BVerfGE 4, 331 (340):
keit der auch im vorliegenden Verfahren umstrittenen Bestimmung des Soforthilfegesetzes in eigener Zuständigkeit festgestellt. Es ist der Ansicht, daß der 7. September 1949 als der Tag, an dem die Organe, durch welche das Volk im Bund die Staatsgewalt ausübt, entstanden und wirksam geworden sind und an dem die Gesetzgebungsgewalt der Bundesrepublik sowohl hinsichtlich neu zu schaffenden Rechts (Art. 122 GG) als hinsichtlich der Verwandlung früheren Rechts in Bundesrecht (Art. 124, 125 GG) begonnen hat, auch maßgebend sein müsse für den Beginn der ausschließlichen Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts.

Die hier gezogene Parallele entbehrt jedoch der inneren Begründung. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen vom 20. März 1952 (BVerfGE 1, 184 [197 f.]) und vom 24. Februar 1953 (BVerfGE 2, 124 [129 f.]) dargelegt hat, ist es die wesentliche Aufgabe der Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG, die Autorität des Gesetzgebers zu wahren und zu verhüten, daß ein einzelnes Gericht sich über den Willen des Bundes- oder Landesgesetzgebers hinwegsetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat unter diesem Gesichtspunkt seine Verwerfungskompetenz gegenüber vorkonstitutionellem Recht verneint, weil die Entscheidung über die Vereinbarkeit vorkonstitutionellen Rechts mit dem Grundgesetz die Autorität der gesetzgebenden Gewalt unberührt läßt; denn wenn ein Gericht vorkonstitutionelles Recht wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz außer Anwendung läßt, setzt es sich nicht über den ursprünglichen Willen des Gesetzgebers hinweg (BVerfGE 2, 124 [129]). Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in derselben Entscheidung (BVerf GE 2, 124 [131]) seine Entscheidungsbefugnis nach Art. 100 Abs. 1 GG als ein Feststellungsmonopol für die Fälle bezeichnet, in denen dem unter der Herrschaft des Grundgesetzes tätig gewordenen Gesetzgeber unterstellt wird, er habe durch seinen Gesetzgebungsakt das Grundgesetz verletzt.

Nicht der Beginn der Funktionsfähigkeit der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes und der Zeitpunkt der Umwandlung


BVerfGE 4, 331 (341):
früheren Rechts in Bundesrecht sind hiernach wesentlich. Entscheidend ist vielmehr, ob der Gesetzgeber in der Übergangszeit schon an das Grundgesetz gebunden war. Diese Bindung ergibt sich - grundsätzlich - aus Art. 145 Abs. 2 GG, wonach das Grundgesetz mit Ablauf des Tages der Verkündung in Kraft getreten ist. Für die Grundrechtsbestimmungen hat das Bundesverfassungsgericht daraus bereits in seinem Beschluß vom 24. April 1953 (BVerfGE 2, 237 [258]) ausdrücklich die Folgerung gezogen, daß sie vom 23. Mai 1949 an für den Wirtschaftsrat wie für alle anderen deutschen Gesetzgeber im Geltungsbereich des Grundgesetzes verbindlich waren. Auch die übrigen Bestimmungen des Grundgesetzes sind mit seiner Verkündung verbindlich geworden, soweit sie nicht - wie z. B. die Organisationsbestimmungen bis zur Bildung der Bundesorgane - aus besonderen Gründen zunächst noch gegenstandslos waren.

Es handelt sich also bei Gesetzen aus der Zeit zwischen dem 23. Mai und dem 7. September 1949 nicht um eine Frage der Kollision zwischen altem und neuem Recht, sondern um die Vereinbarkeit einer Norm mit dem zur Zeit der Normensetzung bereits geltenden Grundgesetz. Es ist hiernach für alle nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassenen Gesetze - d. h. auch für das Soforthilfegesetz - die ausschließliche Verwerfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG gegeben.

Keine Rolle spielt es in diesem Zusammenhang, daß die Ausschußberatungen und einige Lesungen des Soforthilfegesetzes im Wirtschaftsrat schon Ende 1948 stattgefunden haben, worauf der Bundesminister der Finanzen offenbar abhebt. "Verabschiedet" hat der Wirtschaftsrat das Soforthilfegesetz am 24. Mai 1949; die Verabschiedung wie die Verkündung des Gesetzes fallen also in die Zeit nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes.

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts entfällt nicht deshalb, weil § 13 BVerfGG, der die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts aufführt, in Nr. 11 nur von der Vereinbarkeit eines  Bundes-  oder  Landes gesetzes mit dem Grundgesetz


BVerfGE 4, 331 (342):
spricht, während Gesetze des  Wirtschaftsrates  nicht erwähnt sind. Art. 100 Abs. 1 GG, auf dem § 13 Nr. 11 BVerfGG beruht, verwendet schlechthin den Ausdruck "Gesetz", ohne nach der Art des Gesetzes zu differenzieren. Abgesehen davon, daß diese Bestimmung als die höherrangige allein für die Grenzen der Prüfungszuständigkeit maßgebend ist, nimmt § 13 Nr. 11 BVerfGG ausdrücklich auf sie Bezug.

2. Für das Hamburgische Oberverwaltungsgericht würde die Vereinbarkeit des § 69 Abs. 2 SHG mit dem Grundgesetz dann nicht erheblich und die Vorlage deshalb unzulässig sein, wenn die Bestimmung auch mit den ranghöheren §§ 1 Abs. 1 und 18 Abs. 2 c der MRVO 165 unvereinbar und schon deshalb nichtig wäre. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat diese Frage mit der Begründung verneint, daß die genannten Bestimmungen der MRVO 165 nicht für die besonderen Verwaltungsgerichte, sondern nur für die allgemeinen Verwaltungsgerichte gelten. Diese auch anderweit vertretene Ansicht ist wohlbegründet. Das genügt für die Zulässigkeit der Vorlage (vgl. BVerfGE 2, 181 [190 f.]).

§ 69 Abs. 2 SHG ist für die Ausgangsverfahren auch nicht dadurch bedeutungslos geworden, daß gegen die Beschlüsse der Beschwerdeausschüsse nach dem Lastenausgleichsgesetz die Anfechtungsklage beim allgemeinen Verwaltungsgericht erhoben werden kann. Es ist zwar ein allgemein anerkannter Grundsatz, daß neues Prozeßrecht - einschließlich der Bestimmungen über die Zuständigkeit - auch für bereits anhängige und noch nicht abgeschlossene Verfahren wirksam wird, wenn der Gesetzgeber nicht etwas anderes bestimmt (vgl. z. B. BVerfGE 1, 4). Hatten aber bei Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes die alten Beschwerdeausschüsse bereits entschieden - wie in den vorgelegten Fällen -, so handelt es sich um Verfahren, die nach dem Soforthilfegesetz ihren Abschluß gefunden hatten. Indem der Gesetzgeber des Lastenausgleichsgesetzes in seine Übergangsregelung die Fälle nicht einbezog, in denen vom Standpunkt des Soforthilfegesetzes aus unzulässigerweise die allgemeinen Verwaltungs


BVerfGE 4, 331 (343):
gerichte angerufen worden sind, hat er zu erkennen gegeben, daß auch er die Beschwerdeausschüsse als besondere Verwaltungsgerichte und deren - nicht vor den Spruchsenat gelangte - Entscheidungen als endgültig angesehen hat.

Die vorgelegte Frage ist hiernach für die von beiden Gerichten zu treffenden Entscheidungen erheblich. Falls § 69 Abs. 2 SHG gültig ist, sind die vorlegenden Gerichte im Hinblick auf § 22 Abs. 1 Satz 1 letzter Satzteil des Württ.-Bad. Verwaltungsgerichtsgesetzes bzw. § 22 Abs. 3 MRVO 165 für eine Sachentscheidung nicht zuständig; die mit der Anfechtungsklage angegriffenen Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse sind dann unanfechtbar. Im Falle der Verfassungswidrigkeit des § 69 Abs. 2 SHG ist dagegen die sachliche Zuständigkeit der beiden Gerichte gegeben, und die vorlegenden Gerichte sind zur Überprüfung der angefochtenen Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse berufen.

Die Bestimmung des § 69 Abs. 2 SHG über den Spruchsenat ist jedoch für die Ausgangsverfahren ohne Bedeutung; erheblich ist § 69 Abs. 2 SHG allein insoweit, als er bestimmt, daß der Beschwerdeausschuß als Verwaltungsgericht entscheidet. Die Vorlagen sind also nur mit dieser Beschränkung zulässig und übrigens in diesem Sinne zu verstehen.

IV.

Die Ansicht der vorlegenden Gerichte, daß § 69 Abs. 2 SHG mit dem Grundgesetz unvereinbar sei, ist begründet.

Bei den Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse handelt es sich um Entscheidungen darüber, ob die Bewilligungsbehörde, also ein Organ der vollziehenden Gewalt, den Antragsteller im konkreten Fall durch Versagung einer beantragten Leistung in seinen sich aus dem Soforthilfegesetz ergebenden Rechten verletzt hat. Für eine solche Entscheidung muß dem Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 GG der "Rechtsweg" offenstehen. "Rechtsweg" aber bedeutet den Weg zu einem Gericht (Art. 92 GG).

Der Weg zu den ordentlichen Gerichten ist durch § 69 Abs. 3 SHG ausdrücklich versperrt; der Weg zu den allgemeinen Ver


BVerfGE 4, 331 (344):
waltungsgerichten ist nach den einschlägigen Verfahrensgesetzen für die Verwaltungsgerichte nur gegeben, wenn nicht ein besonderes Verwaltungsgericht zur Entscheidung berufen ist. Behandelt § 69 Abs. 2 SHG die Beschwerdeausschüsse zu Unrecht als besondere Verwaltungsgerichte, so wird hiernach der Rechtsweg schlechthin ausgeschlossen, d. h. Art. 19 Abs. 4 GG verletzt; dann wäre § 69 Abs. 2 SHG nichtig, und die allgemeinen Verwaltungsgerichte wären zuständig. Daß die vorlegenden Gerichte nicht ausdrücklich Art. 19 Abs. 4 GG als verletzt bezeichnet haben, ist ohne Belang (vgl. BVerfGE 1, 14 [41]). Die entscheidende Frage ist also, ob das Verfahren vor den Beschwerdeausschüssen dem Begriff des Rechtsweges im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG genügt.

1. Irrig ist die Erwägung, daß die Voraussetzungen, unter denen eine Institution als ordentliches Gericht oder als allgemeines Verwaltungsgericht anzusehen ist, nicht ohne weiteres auf die besonderen Verwaltungsgerichte übertragen werden können. Das Grundgesetz kennt nur einen einheitlichen Begriff von "Rechtsweg" und "Gericht"; es macht für die Anforderungen die an ein Gericht zu stellen sind, keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit. Das praktische Bedürfnis, die besonderen Verwaltungsgerichte mit fachkundigen Personen zu besetzen und sie einfacher und an die Sonderverhältnisse eines Verwaltungszweiges angepaßt zu organisieren, kann daher die für alle Gerichte zu stellenden Anforderungen nicht berühren.

2. a) Zu diesen Anforderungen gehört jedenfalls, daß alle Mitglieder des Gerichts unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind, denn diese  sachliche  Unabhängigkeit ist allen Richtern - Berufs- wie Laienrichtern - in Art. 97 Abs. 1 GG gewährleistet.

b) Die  persönliche  Unabhängigkeit der Berufsrichter behandelt Art. 97 Abs. 2 GG. Danach können "die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter ... wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und


BVerfGE 4, 331 (345):
unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden". Damit weicht das Grundgesetz in zwei wesentlichen Punkten von der entsprechenden Bestimmung der Weimarer Verfassung - Art. 104 - ab: Dieser betraf nur die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit, während Art. 97 Abs. 2 GG die Berufsrichter aller Zweige der Gerichtsbarkeit betrifft und Art. 97 Abs. 2 GG fordert abweichend von Art. 104 WV nicht eine Anstellung der Richter auf Lebenszeit, sondern überläßt die Regelung dieser Frage dem Gesetzgeber. Der verfassungsrechtliche Schutz der persönlichen Unabhängigkeit knüpft nicht mehr an die Ernennung auf Lebenszeit an, sondern an die hauptamtlich und planmäßig endgültige Anstellung, d. h. an die Einweisung des Richters in eine Planstelle für die Dauer seiner Amtszeit.

Art. 97 Abs. 2 GG sagt nichts Ausdrückliches darüber, wann die Beschäftigung "hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellter" Richter geboten ist. Es ist also nicht so, daß ein Richter kraft Grundgesetzes auch persönliche Unabhängigkeit erwirbt, sobald er nur an einer vom Gesetzgeber als Gericht qualifizierten Dienststelle beschäftigt wird. Der Gesetzgeber des Grundgesetzes ist jedoch angesichts der hergebrachten Situation bei den ordentlichen Gerichten, die mit der gekennzeichneten Abwandlung als Vorbild diente, als selbstverständlich davon ausgegangen, daß die Gerichte, soweit Berufsrichter beschäftigt werden, grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern besetzt sind und daß die Heranziehung von Richtern auf Probe oder auf Widerruf nur in den Grenzen erfolgt, die sich nach verständigem Ermessen aus der Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden, oder aus anderen zwingenden Gründen ergeben. Nach Art. 97 Abs. 2 GG ist deshalb einem Gremium der Charakter als Gericht abzusprechen, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen eines oder mehrere seiner Mitglieder stets - abgesehen von den oben gekennzeichneten Aus


BVerfGE 4, 331 (346):
nahmefällen - persönlich abhängige Beamte sind, die innerhalb ihrer Amtszeit ohne Gerichtsverfahren jederzeit versetzt oder abgesetzt werden können.

Nur diese Deutung des Art. 97 Abs. 2 GG entspricht auch rechtsstaatlichen Grundsätzen: denn es ist einmal zu besorgen, daß jederzeit vom Widerruf bedrohte Richter sich mittelbar in ihrer sachlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt fühlen, und zum anderen, daß die Rechtsuchenden einem Gericht mit Mißtrauen begegnen, das mit Richtern besetzt ist, die grundsätzlich auf diese Art von der Exekutive abhängig sind. Das gilt um so mehr, wenn das Gericht über Verwaltungsakte gerade derjenigen Verwaltungsbehörde zu entscheiden hat, die ihrerseits über Versetzung und Abberufung des Richters befindet oder maßgebenden Einfluß darauf hat (ähnlich mehrfach BayVerfGH, z. B. VGHE II NF Bd. 7 S. 107).

c) Neben der Weisungsfreiheit und dem gekennzeichneten Maß institutionell gesicherter persönlicher Unabhängigkeit ist jeder richterlichen Tätigkeit wesentlich, daß sie von einem nichtbeteiligten Dritten ausgeübt wird (BVerfGE 3, 377 [381/382]); denn diese Vorstellung ist mit dem Begriff von "Richter" und "Gericht" untrennbar verknüpft, ist diesen Begriffen immanent. Wenn nun der Staat oder eine seiner Behörden Partei ist, so sitzt zwar letzten Endes nie ein Dritter, sondern immer der Staat über sich selbst zu Gericht, da Verwaltungsbehörden und Gerichte Organe desselben Staates sind. Deshalb kommt in diesem Zusammenhang dem Gebot der Gewaltenteilung eine maßgebende Bedeutung zu, wonach die Rechtsprechung durch "besondere", von den Organen der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt verschiedene Organe des Staates auszuüben ist (Art. 20 Abs. 2 GG). Denn nur, wenn die Gerichte als besondere, von der Exekutive getrennte Institutionen gestaltet sind, kann eine Rechtsprechung gegenüber dem Staat oder seinen Behörden im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG wie durch einen unbeteiligten Dritten verwirklicht werden.

Allerdings fordert das Grundgesetz keine vollständige Tren


BVerfGE 4, 331 (347):
nung von Verwaltung und Rechtsprechung, läßt vielmehr gewisse Überschneidungen zu. So bestehen gegen eine nebenamtliche Betrauung des Richters mit Geschäften der Justizverwaltung, wie sie bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit hergebracht ist, auch unter der Herrschaft des Grundgesetzes keine Bedenken; denn der Charakter der Gerichte als besondere Organe der Staatsgewalt wird dadurch nicht beeinträchtigt. Die Vereinbarkeit anderer Überschneidungen zwischen Gerichts- und Verwaltungsbehörden mit dem vom Grundgesetz gewollten selbständigen Charakter der Gerichte mag zweifelhaft sein. Kommt aber bei der gesetzlich vorgesehenen grundsätzlichen Besetzung eines"Gerichts" mit persönlich abhängigen Beamten hinzu, daß diese als weisungsgebundene Beamte die gleiche Materie bearbeiten, über die sie als unabhängige Richter entscheiden sollen, so ist ein solches Gremium nicht mehr das von der Verfassung geforderte "besondere" Organ der Staatsgewalt. Der weisungsgebundene Beamte der beteiligten Verwaltung erscheint nach der Natur der Sache selbst als Partei. Er kann nicht durch den Satz, er sei als Richter nicht weisungsgebunden, aus einem Repräsentanten der Exekutive für einzelne Geschäfte in einen Repräsentanten der Rechtsprechung verwandelt werden. Bei solchem Ausmaß der Vermischung von Verwaltung und Rechtsprechung ist das Prinzip der Gewaltenteilung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG im Kern verletzt.

3. Die Bestimmungen des Soforthilfegesetzes gewährten dem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses institutionell für seine Amtszeit keine persönliche Unabhängigkeit; der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses konnte auch nicht als "unbeteiligter Dritter" angesehen werden.

Das Soforthilfegesetz bestimmte stets den Leiter des Landesamtes oder einen Vertreter zum Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses. Dieser war zwar "als solcher", d. h. für seine rechtsprechende Tätigkeit nicht weisungsgebunden, also "sachlich unabhängig"; das Gesetz sah jedoch weder eine bestimmte Amtsdauer noch einen Schutz der persönlichen Unabhängigkeit für die


BVerfGE 4, 331 (348):
Dauer des Amtes vor. Der Vorsitzende konnte also jederzeit um etwa unerwünschter "richterlicher' Entscheidungen willen abberufen und versetzt werden. Die persönliche Unabhängigkeit war demnach bei den Vorsitzenden der Beschwerdeausschüsse "institutionell" nicht gewahrt.

Sachlich unterstand der Leiter des Landesamtes wie sein Vertreter der Aufsicht des Hauptamtes für Soforthilfe (§ 54 Abs. 3 SHG und Soforthilfe-DVO zu § 52); er mußte dessen Weisungen nicht nur selbst befolgen, sondern auch die seiner Sachaufsicht unterstehenden (§ 52 Abs. 2 SHG) Ämter für Soforthilfe, insbesondere deren Leiter und die Soforthilfeausschüsse, zu ihrer Befolgung anhalten. Solche Weisungen betrafen u. a. die Würdigung typischer Tatbestände in bestimmter Weise und die Auslegung der im Soforthilfegesetz enthaltenen allgemeinen Rechtsbegriffe. Das ergibt sich aus den im Amtlichen Mitteilungsblatt des Hauptamtes für Soforthilfe veröffentlichten Rundschreiben des Hauptamtes. Teilte der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses die in einer Weisung ausgesprochene Ansicht nicht, so mußte er als Richter eine auf solcher Weisung beruhende Entscheidung des Soforthilfeausschusses aufheben, während er als Leiter des Landesamtes den Ausschuß zur Befolgung der Weisung anzuhalten hatte. In solcher Lage wurde ihm eine richterliche Entscheidung - ungeachtet der ihm insoweit zuerkannten Weisungsfreiheit - in überaus bedenklicher Weise erschwert. Hatte er sich aber als Verwaltungsbeamter die Meinung der vorgesetzten Behörde auch innerlich zu eigen gemacht, so konnte er kaum als Richter in gleichgelagerter Sache eine andere Meinung haben.

Der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses rückte also tatsächlich in die Nähe desjenigen, der in eigener Sache entscheidet. Selbst wenn er nicht mit dem zur Entscheidung stehenden Einzelfall befaßt war, so hatte er sich doch vielfach mit einer für die Entscheidung maßgeblichen Weisung an die nachgeordnete Verwaltungsbehörde äußerlich und häufig auch innerlich identifiziert. Formal mag man den jeweiligen Antragsteller und das beteiligte Amt für Soforthilfe als zwei miteinander streitende Par


BVerfGE 4, 331 (349):
teien und den Beschwerdeausschuß als unbeteiligten Dritten bezeichnen können. Eine solche Betrachtungsweise wird jedoch der Wirklichkeit nicht gerecht; denn eine intensivere Verbindung von verwaltender und richterlicher Tätigkeit, als sie das Soforthilfegesetz in der Person des Vorsitzenden der Beschwerdeausschüsse vorsieht, ist kaum denkbar.

Nun waren die Beschwerdeausschüsse zwar neben dem Vorsitzenden mit zwei gewählten ehrenamtlichen Beisitzern besetzt, wobei unterstellt werden kann, daß die Beisitzer institutionell die an einen Laienrichter zu stellenden Mindestanforderungen erfüllten. Das ändert jedoch nichts daran, daß die Beschwerdeausschüsse im Sinne des Grundgesetzes keine Gerichte waren. Dabei darf davon abgesehen werden, daß der fachlich vorgebildete Vorsitzende kraft seiner Sachkunde erfahrungsgemäß vielfach einen besonderen Einfluß auf die Entscheidung ausübt; denn es genügt zur Verneinung der Qualifikation eines Gremiums als Gericht, daß auch nur einem der Mitglieder nach den gesetzlichen Bestimmungen - also institutionell - das Mindestmaß an persönlicher Unabhängigkeit und Unbeteiligtheit fehlt.

Die weiteren im Laufe des Verfahrens aufgeworfenen Fragen, ob das Verfahren vor den Beschwerdeausschüssen den Anforderungen an ein prozeßförmiges Verfahren entsprach und ob ihre räumliche und geschäftsmäßige Verbindung mit den Verwaltungsbehörden zulässig war, bedürfen hiernach keiner Untersuchung mehr.

Das Bundesverfassungsgericht hat auch nicht - wie der Bundesminister der Finanzen meint - in seinem Beschluß vom 19. Dezember 1951 (BVerfGE 1, 97 [107]) die Beschwerdeausschüsse als Gerichte anerkannt. Es bestand damals keine Veranlassung, diese Frage zu erörtern, weil das Soforthilfeverfahren der Beschwerdeführerin wirksam abgeschlossen war, ehe die Verfassungsbeschwerde eingeführt worden ist.

4. Dem Ergebnis, daß § 69 Abs. 2 SHG mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, kann nicht entgegengehalten werden, daß verfassungswidrig allenfalls § 53 (1) Ziff. 1 SHG sei, wonach in den


BVerfGE 4, 331 (350):
Beschwerdeausschüssen der Leiter der Behörde oder ein Vertreter den Vorsitz führte. Auch läßt sich nicht die Auffassung vertreten, daß bei richtiger Auslegung § 53 (1) Ziff. 1 SHG die Möglichkeit geboten hätte, die Beschwerdeausschüsse als Gerichte zu organisieren, und daß demzufolge die Landesregierungen die Pflicht gehabt hätten, dem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses die Stellung eines unbeteiligten Dritten und - grundsätzlich - persönliche Unabhängigkeit für seine Amtszeit zu verschaffen.

a) Richtig ist, daß die Qualifizierung der Beschwerdeausschüsse als Verwaltungsgerichte wegen der Art ihrer in § 53 (1) Ziff. 1 SHG geregelten Besetzung verfassungswidrig ist. Doch kann das nicht dazu führen, statt der Vorschrift über die Qualifizierung der Beschwerdeausschüsse als Gerichte die Bestimmung über ihre Zusammensetzung an der Verfassung zu messen. Das Ziel des Gesetzgebers, die Entscheidungen über den Rechtsbehelf der Beschwerde den Beschwerdeausschüssen als Verwaltungsgerichten zu übertragen, konnte weder bei Nichtigkeit der einen noch bei Nichtigkeit der anderen Bestimmung erreicht werden: War § 69 Abs. 2 SHG grundgesetzwidrig, so fehlte den Beschwerdeausschüssen deshalb der Charakter als Gerichte; war § 53 (1) Ziff. 1 SHG nichtig, so fehlte es an einer Organisationsnorm für die Beschwerdeausschüsse, und es war dadurch ihrer Tätigkeit als Gerichte die Rechtsgrundlage entzogen. Aus der Erwägung, daß der Wille des Gesetzgebers durch eine verfassungsgerichtliche Entscheidung möglichst wenig beeinträchtigt werden soll, folgt daher, daß nur die Verfassungswidrigkeit des § 69 Abs. 2 SHG in Betracht gezogen werden kann, da auf diese Weise § 53 (1) Ziff. 1 SHG für die Organisation der Beschwerdeausschüsse als Organe der Selbstkontrolle der Verwaltung seine Bedeutung behielt.

Es ist ein Irrtum, anzunehmen, die bei Nichtigkeit des § 53 (1) Ziff. 1 SHG fehlenden Normen über die Organisation der Beschwerdeausschüsse als Gerichte könnten aus dem Grundgesetz oder aus der MRVO 165 als höherrangigem Recht hergeleitet


BVerfGE 4, 331 (351):
werden. Weder sagt das Grundgesetz, welche Vorbildung ein Richter haben muß, noch ergibt sich aus dem Grundgesetz etwas über die Dauer des Amtes und darüber, welcher Richter, der institutionellen Garantie entsprechend, persönlich unabhängig sein muß und welcher etwa ausnahmsweise widerruflich beschäftigt werden darf. Das Grundgesetz enthält also keine zureichenden Organisationsnormen für Gerichte. Die Organisationsnormen der MRVO 165 für die allgemeinen Verwaltungsgerichte können nicht als höherrangige Normen für die Organisation besonderer Verwaltungsgerichte herangezogen werden.

b) Die Qualifizierung der Beschwerdeausschüsse als Gerichte im Sinne des Grundgesetzes kann auch nicht mit der Begründung bejaht werden, daß § 53 (1) Ziff. 1 SHG entgegen seinem Wortlaut eine mit dem Grundgesetz zu vereinbarende Auslegung und damit eine grundgesetzgemäße Organisation der Beschwerdeausschüsse als Gerichte zugelassen hätte. Der Wille des Gesetzgebers, den Vorsitz des Beschwerdeausschusses dem Leiter der Behörde oder einem Vertreter zu übertragen, ist eindeutig und daher einer Interpretation nicht zugänglich. Der Leiter des Landesamtes ist, wie oben dargelegt, auch als Vorsitzender des Beschwerdeausschusses nicht Richter; für den Vertreter kann nichts anderes gelten.

Die Beschwerdeausschüsse konnten auch nicht dadurch zu Gerichten im Sinne des Grundgesetzes gemacht werden, daß einzelne Länder dem Leiter des Landesamtes für den Vorsitz im Beschwerdeausschuß einen ständigen Vertreter bestellten und daß sie diesen Vertreter von kollidierenden Geschäften der weisungsgebundenen Sachaufsicht freistellten und während seiner Amtsdauer nicht abberiefen. Durch ein solches rein tatsächliches Vorgehen wurde der institutionelle Charakter der Beschwerdeausschüsse nicht geändert. Wie ein Gericht nicht aufhört, Gericht zu sein, wenn es nicht ordnungsgemäß besetzt ist, so wird eine Verwaltungsstelle nicht dadurch zum Gericht, daß man sie mit einem unbeteiligten Beamten besetzt und faktisch seine Unabhängigkeit nicht antastet.


BVerfGE 4, 331 (352):
5. Die Beschwerdeausschüsse des Soforthilfegesetzes waren also nicht Gerichte, sondern Organe der Selbstkontrolle der Verwaltung; so sind die gleichartig zusammengesetzten Beschwerdeausschüsse des Lastenausgleichsgesetzes auch vom Gesetzgeber behandelt worden. Die Beschwerdeausschüsse des Soforthilfegesetzes entsprachen weder den Anforderungen, die das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 - Rechtsprechung durch besondere Organe - noch den Anforderungen, die es in Art. 97 Abs. 2 - institutionelle persönliche Unabhängigkeit der Richter - an Gerichte stellt. Da durch die Qualifizierung der Beschwerdeausschüsse als besondere Verwaltungsgerichte zugleich der Weg zu einem Gericht im Sinne des Grundgesetzes abgeschnitten wurde, verstößt § 69 Abs. 2 SHG gegen Art. 19 Abs. 4 GG und ist deshalb nichtig.