BVerfG, 09.10.1991 - 1 BvR 397/87
Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) schützt auch die werbewirksame Selbstdarstellung eines Vereins. Dachverbänden von Lohnsteuerhilfevereinen kann nicht verboten werden, die Zahl ihrer Mitgliedsvereine öffentlich bekanntzugeben.
Beschluß
Des Ersten Senats vom 9. Oktober 1991
- 1 BvR 397/87 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Bundesverbandes der Lohnsteuerhilfevereine e.V. (BDL), vertreten durch den Vorsitzenden des Vorstandes, ..., 2. des Herrn W... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Ralf Glogner, Römerstraße 23, München 40 - gegen a) das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 20. Februar 1987 - 6 U 224/86 - b) das Urteil des Landgerichts Bonn vom 16. Juli 1986 - 12 O 52/86.
Entscheidungsformel:
1. Die Urteile des Oberlandesgerichts Köln vom 20. Februar 1987 - 6 U 224/86 - und des Landegerichts Bonn vom 16. Juli 1986 - 12 O 52/86 - verletzen den Beschwerdeführer zu 1) in seinem Grundrecht aus Artikel 9 Absatz 1 des Grundgesetzes und den Beschwerdeführer zu 2) in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Unterlassungsurteile, die einem Interessenverband von Lohnsteuerhilfevereinen die Bekanntgabe der Zahl seiner Mitgliedsvereine verboten haben.
I.
Das unaufgeforderte Anbieten der eigenen Dienste oder Dienste Dritter zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen ist im allgemeinen untersagt (§ 8 Abs. 1 StBerG). Lohnsteuerhilfevereine "dürfen im Rahmen des sachlich Gebotenen auf ihre Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen hinweisen" (§ 8 Abs. 2 StBerG). Weitergehende Werbung ist auch ihnen verboten (§ 26 Abs. 1 StBerG). Die danach zulässigen Hinweise sind in §§ 3 bis 7 der Verordnung über Art und Inhalt der zulässigen Hinweise auf die Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen vom 25. November 1976 (BGBl. I S. 3245) - WerbeVOStBerG - eingehend geregelt. Werbende Mitteilungen über die Zahl ihrer Mitglieder sowie über erzielte Erfolge sind den Lohnsteuerhilfevereinen verwehrt. Darüber hinaus hält der Bundesgerichtshof den Hinweis auf die Mitgliedschaft in einem Verband für unzulässig (vgl. BGH, DB 1978, S. 250).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt das in §§ 8 und 26 Abs. 1 StBerG für Lohnsteuerhilfevereine geregelte Werbeverbot auch für deren privatrechtliche Zusammenschlüsse in überregionalen Dachverbänden, soweit diese zugunsten ihrer Mitgliedsvereine tätig werden. Das Werbeverbot erfasse grundsätzlich und generell jedes unaufgeforderte Anbieten von Diensten, also alle Werbemaßnahmen, die in einem weitergehenden Sinne der eigenen oder fremden Berufstätigkeit auf dem Gebiet der Hilfeleistung in Steuersachen förderlich sind und direkt oder indirekt als Anregung zur Anbahnung geschäftlicher Beziehungen verstanden werden können (BGH, NJW 1983, S. 993).
II.
1. Der Beschwerdeführer zu 1) ist ein eingetragener Verein, in dem sich Lohnsteuerhilfevereine auf Bundesebene zusammengeschlossen haben; der Beschwerdeführer zu 2) ist dessen Vorstandsvorsitzender. Nach § 2 der Satzung des Vereins ist es dessen Zweck, die Angelegenheiten der Mitgliedsvereine in umfassender, in der Satzung näher umschriebener Weise zu fördern. Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist ausgeschlossen (§ 2 Satz 2 der Satzung).
In einer Pressekonferenz Ende Oktober 1985 anläßlich der Jahreshauptversammlung in Berlin erklärte der Beschwerdeführer zu 2), dem Beschwerdeführer zu 1) gehörten 60 Lohnsteuerhilfevereine an. Diese Äußerung betrachtete ein konkurrierender Interessenverband als Verstoß gegen das gesetzliche Werbeverbot sowie als unlauteren Wettbewerb und verklagte die Beschwerdeführer auf Unterlassung.
2. Das Landgericht hat beide Beschwerdeführer unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 100.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Wochen, verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Erklärungen gegenüber der Presse zum Zwecke des Abdrucks anzugeben, wie viele Lohnsteuerhilfevereine dem Beschwerdeführer zu 1) als Mitglied angehören. Der Unterlassungsanspruch ergebe sich aus § 1 UWG in Verbindung mit §§ 8 und 26 Abs. 1 StBerG sowie §§ 3 und 8 WerbeVOStBerG. Bei den umstrittenen Äußerungen habe es sich nicht nur um ein "Hintergrundgespräch" gehandelt. Das Gericht habe keinen Zweifel, daß der Beschwerdeführer zu 2) die Presseinformation zur Werbung benutzt und die Veröffentlichung seiner Angaben zumindest in Kauf genommen habe. Dachverbänden von Lohnsteuerhilfevereinen sei die Werbung mit der Anzahl ihrer Mitgliedsvereine ebenso verboten wie Lohnsteuerhilfevereinen die Angabe ihrer Einzelmitglieder.
3. Die hiergegen gerichtete Berufung beider Beschwerdeführer hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Presseerklärungen eines Interessenverbandes von Lohnsteuerhilfevereinen, die Angaben zur Mitgliederstärke enthielten, verstießen gegen das Werbeverbot des Steuerberatungsgesetzes und zugleich gegen § 1 UWG. Die Werbewirksamkeit der umstrittenen Äußerung sei offenkundig. Es bestehe eine allgemeine Tendenz, sich möglichst starken Gruppierungen anzuschließen, weil diesen größere Durchsetzungskraft zugetraut werde. Die Äußerung werde auch nicht durch ein anerkennenswertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt, weil der Werbeeffekt nicht hinter dem Informationsgehalt einer bloßen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Tätigkeit und Bedeutung von Lohnsteuerhilfevereinen zurücktrete. Sie sei auch nicht durch die Aufgabe des Verbandes gerechtfertigt, die beruflichen Belange und Standesinteressen der Gesamtheit seiner Mitglieder zu wahren. Im Bereich seiner Verbandsaufgaben, insbesondere gegenüber Gesetzgeber, Finanzverwaltung und Gerichtsbarkeit, sei der Beschwerdeführer zu 1) nicht an einer wirkungsvollen Interessenvertretung gehindert. Vorliegend gehe es demgegenüber um die Werbung in der Öffentlichkeit. Art. 5 Abs. 1 GG nötige nicht zu einer anderen Beurteilung. Dieses Grundrecht finde seine Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen § 1 UWG gehöre.
III.
Mit der Verfassungsbeschwerde wird die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG gerügt. Die Beschwerdeführer vertreten die Auffassung, die angegriffenen Entscheidungen machten es ihnen im Ergebnis unmöglich, in der Öffentlichkeit aufzutreten und sich dort entsprechend ihrem satzungsgemäßen Auftrag zu äußern. Der Beschwerdeführer zu 1) müsse durch seine Organe sagen dürfen, wer er sei und wer zu ihm gehöre. Die Angabe der Zahl seiner Mitgliedsvereine sei unerläßlich, damit er als Dachverband überhaupt ernstgenommen werde. Das Berufungsgericht habe übersehen, daß Art. 5 Abs. 1 GG hier in seinem Kernbereich verletzt sei. Der Hinweis auf andere freie Berufe überzeuge nicht. Deren Dachorganisationen dürften nämlich in der Öffentlichkeit ungehindert mitteilen, was den Beschwerdeführern untersagt worden sei.
Ergänzend beziehen sich die Beschwerdeführer auf ein Rechtsgutachten. Dieses läßt offen, ob die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG berührt sind. Für alle diese Grundrechte gelte, daß ein beschränkender Eingriff nur dann verfassungsmäßig sei, wenn er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genüge. Bei einem so weit gefaßten Werbeverbot, wie es in den angegriffenen Entscheidungen angenommen werde, sei das nicht der Fall. § 26 Abs. 1 und § 8 StBerG müßten und könnten verfassungskonform ausgelegt werden. Angaben des Bundesverbandes über seine Mitgliederzahl hätten mit der gesetzlich untersagten "Werbung für Steuerberatung" nichts zu tun. Hier gehe es nur um Mitgliederwerbung für den Interessenverband, die nicht verboten sei.
IV.
1. Der Bundesminister der Finanzen hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die den Urteilen zugrunde liegenden Rechtsvorschriften seien verfassungsgemäß. Gleiches gelte für deren Auslegung durch Landgericht und Oberlandesgericht. Den Beschwerdeführern werde nicht generell verboten, die Zahl der angeschlossenen Lohnsteuerhilfevereine zu nennen. Voraussetzung für ein solches Verbot sei vielmehr, daß die Angabe "im geschäftlichen Verkehr" erfolge, "Zwecken des Wettbewerbs" diene, in "Erklärungen gegenüber der Presse" abgegeben werde und außerdem für "Zwecke des Abdrucks" bestimmt sei. Der Urteilstenor ermögliche demzufolge eine Anwendung im konkreten Fall nur dann, wenn ein Verhalten als Mittel der Werbung eingesetzt werde. Ob diese Voraussetzung vorliege, hätten die Gerichte erst im Verfahren über die Festsetzung des Ordnungsgeldes zu entscheiden, wobei es auf die Verhältnisse des einzelnen Falles ankomme.
2. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat auf eine Stellungnahme des zuständigen Zivilsenats verwiesen. Dieser hat mitgeteilt, er gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß ein Dachverband von Lohnsteuerhilfevereinen dem Werbeverbot nach § 8 Abs. 1 und § 26 Abs. 1 StBerG ebenso unterliege wie seine Mitgliedsvereine. Die Frage, ob die auf einer Pressekonferenz in Weiterverbreitungsabsicht erteilte Auskunft über die Zahl der Mitgliedsvereine gegen das Werbeverbot verstoße, sei bisher vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Als unerlaubte Werbung seien bislang angesehen worden: Angaben in Presseerklärungen über die Zahl der durchgeführten Einspruchsverfahren, über die Höhe der durchschnittlich erzielten Erstattungsbeträge sowie über die Mitgliederstärke aller angeschlossenen Lohnsteuerhilfevereine.
3. Auch die Bundessteuerberaterkammer verteidigt die angegriffenen Entscheidungen. Wenn es zwei Dachverbände für Lohnsteuerhilfevereine gebe, stünden diese untereinander im Wettbewerb. Sie versuchten sich - wie das vorliegende Verfahren zeige - in der Öffentlichkeit als der "größere", möglicherweise auch als der "bessere" Verband herauszustellen. Dies habe Auswirkungen auf die Werbung der Mitgliedsvereine, die ihrerseits Wert darauf legten, auf die Mitgliedschaft in dem "angeseheneren" Verband aufmerksam zu machen. Die Entscheidung der Steuerpflichtigen, einem bestimmten Lohnsteuerhilfeverein beizutreten, werde dadurch beeinflußt.
4. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hält die angegriffenen Entscheidungen ebenfalls für zutreffend. Sinnvolle Öffentlichkeitsarbeit sei einem Dachverband auch dann möglich, wenn die Zahl der Mitgliedsvereine nicht werbewirksam herausgestellt werde.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Den Beschwerdeführern durfte nicht verboten werden, die Zahl der Mitgliedsvereine des Beschwerdeführers zu 1) bekannt zu machen.
I.
Nach den angegriffenen Unterlassungsurteilen dürfen die Beschwerdeführer nicht werbewirksam darstellen, wie viele Lohnsteuerhilfevereine sich dem Beschwerdeführer zu 1) angeschlossen haben, welche Bedeutung als Interessenverband diesem also zukommt. Es kann dahingestellt bleiben, ob darin ein Eingriff in die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) oder in die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) liegt. Jedenfalls sind die Beschwerdeführer gehindert, dadurch neue Verbandsmitglieder für den Beschwerdeführer zu 1) zu werben, daß sie sich allen Lohnsteuerhilfevereinen als starke Interessenvertretung empfehlen. Gerade die Größe eines Interessenverbandes begründet dessen Durchsetzungsstärke und ist daher ein wichtiges Beitrittsmotiv. Das Verbot, dies als Werbeargument zu nutzen, ist ein Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit des Beschwerdeführers zu 1).
Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet nicht nur dem einzelnen Staatsbürger das Recht zum Zusammenschluß in Vereinen und Gesellschaften, sondern auch diesen Vereinigungen selbst, unbeschadet der Frage ihrer Rechtsfähigkeit, das Recht auf Sicherung ihres Bestehens (vgl. BVerfGE 13, 174 [175]; 30, 227 [241]; 50, 290 [353 f.]). Die Möglichkeit zu einer wirkungsvollen Mitgliederwerbung ist deshalb vom Schutzbereich dieses Grundrechts umfaßt (vgl. auch Merten, in: Isensee/ Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 144 Rdnr. 50; v. Münch, Bonner Kommentar, Art. 9 Rdnr. 47; Rinken, AK-GG, 2. Aufl., Art. 9 Abs. 1 Rdnr. 53; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rdnr. 82).
Die Vereinigungsfreiheit bedarf allerdings der gesetzlichen Ausgestaltung. Sie ist auf Regelungen angewiesen, die die freien Zusammenschlüsse und deren Wirken in die allgemeine Rechtsordnung einfügen, die Sicherheit des Rechtsverkehrs gewährleisten, Rechte der Mitglieder sichern und den schutzbedürftigen Belangen Dritter oder auch öffentlichen Interessen Rechnung tragen. Bei der Ausgestaltung ist der Gesetzgeber jedoch nicht völlig frei; er hat sich vielmehr an dem Schutzgut des Art. 9 Abs. 1 GG zu orientieren und muß bei dem erforderlichen Interessenausgleich die Voraussetzungen und zwingenden Bedürfnisse freier Assoziationen grundsätzlich wahren (vgl. BVerfGE 50, 290 [354 f.]). Im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG ist eine Vorschrift nur dann verfassungsmäßig, wenn die Interessen des Gemeinwohls, die der Staat zum Schutz anderer Rechtsgüter wahrnimmt, der Intensität des Eingriffs in die Vereinsfreiheit an Gewicht entsprechen (BVerfGE 30, 227 [243]). Für Eingriffe in die Freiheit der Selbstdarstellung und Mitgliederwerbung von Vereinigungen gilt nichts anderes.
II.
Die angegriffenen Entscheidungen stützen die umstrittene Unterlassungspflicht auf § 1 UWG in Verbindung mit §§ 8 und 26 Abs. 1 StBerG sowie §§ 3 und 8 WerbeVOStBerG. Die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts ist grundsätzlich Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend entzogen (BVerfGE 18, 85 [92]). Die angegriffenen Entscheidungen lassen jedoch Auslegungsfehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG beruhen (1). Ein Werbeverbot, wie es die Zivilgerichte in den Ausgangsverfahren annehmen, könnte auch der Gesetzgeber nicht schaffen (2).
1. Die Werbeverbote des Steuerberatungsgesetzes und der ergänzenden Werbeverordnung des Bundesfinanzministers betreffen unmittelbar nur die steuerberatenden Berufe und Lohnsteuerhilfevereine. Interessenverbände - wie der Beschwerdeführer zu 1) - unterstützen zwar deren Belange, üben aber selbst keine steuerberatende Tätigkeit aus. Dennoch sind sie an die genannten Werbeverbote gebunden, soweit diese sonst umgangen werden könnten. Das ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus § 8 Abs. 1 StBerG, wonach auch das unaufgeforderte Anbieten steuerberatender Dienste Dritter verboten ist (BGH, NJW 1983, S. 993). Insoweit wird das Werbeverbot jedoch von den Beschwerdeführern gar nicht angegriffen. Sie wollen nicht eigene oder fremde Hilfeleistung in Steuersachen anbieten, sondern sich als Interessenverband wirkungsvoll darstellen, also Verbandswerbung treiben dürfen. Dieses spezielle Interesse, das durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützt ist, haben die Gerichte des Ausgangsverfahrens übergangen.
Das Landgericht erörtert nur die Frage, ob in den §§ 3 ff. WerbeVOStBerG die Bekanntgabe der Mitgliederzahl eines Interessenverbandes ausdrücklich zugelassen wird; was nicht gestattet sei, habe zu unterbleiben. Das Gegenteil ist richtig: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Deshalb hätte das Landgericht zunächst prüfen müssen, ob die Werbung für den Verband überhaupt unter das gesetzliche Werbeverbot fällt.
Das Oberlandesgericht erwähnt immerhin die Möglichkeit eines Informationsinteresses der Öffentlichkeit und eines Verbandsinteresses an Selbstdarstellung. Es meint aber ebenfalls, durch die Vorschriften der Werbeverordnung zum Steuerberatungsgesetz gebunden zu sein. Der Beschwerdeführer zu 1) könne seine Verbandsaufgaben gegenüber Gesetzgeber, Finanzverwaltung und Gerichtsbarkeit unbeschränkt ausüben und sei insoweit auch nicht an seiner Selbstdarstellung gehindert. Nur Werbung in der Öffentlichkeit sei verboten. Dabei wird verkannt, daß mit Rücksicht auf Art. 9 Abs. 1 GG zwischen der Werbung für Hilfeleistung in Steuersachen und der Mitgliederwerbung für den Interessenverband zu unterscheiden ist.
2. Ein Verbot, das es Interessenverbänden von Lohnsteuerhilfevereinen unmöglich machte, auf ihre Mitgliederstärke öffentlichkeitswirksam hinzuweisen, würde gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
Werbeverbote für Lohnsteuerhilfevereine sind insofern berechtigt, als sie Wettbewerbsverzerrungen auf dem Dienstleistungsmarkt verhindern; da freiberuflich tätige Steuerberater und Steuerbevollmächtigte zur Wahrung ihres nichtgewerblichen Berufsbildes Hilfe in Steuersachen nur eingeschränkt anbieten dürfen, ist es zulässig, ihre Konkurrenten vergleichbaren Werbebeschränkungen zu unterwerfen (vgl. BVerfGE 59, 302 [327]). Geht man mit den angegriffenen Entscheidungen davon aus, daß die umstrittene Unterlassungspflicht geeignet ist, zu diesem Zweck einen Beitrag zu leisten, so fehlt es doch zumindest an der Erforderlichkeit. Wenn Interessenverbände die Zahl der angeschlossenen Lohnsteuerhilfevereine öffentlich bekanntmachen, kann dadurch keine Wettbewerbsverzerrung entstehen. Steuerberater und Steuerbevollmächtigte sind nämlich nicht gehindert, sich ebenfalls zur Wahrung ihrer gemeinsamen Berufsinteressen zusammenzuschließen. Solchen Interessenverbänden ist auch nicht verboten, auf ihre Mitgliederstärke öffentlich hinzuweisen.
Im übrigen würde die Annahme einer Werbewirkung zugunsten einzelner Lohnsteuerhilfevereine voraussetzen, daß Lohnsteuerhilfevereine den Interessenverband, dem sie angehören, werbend hervorheben dürfen. Gerade dies soll ihnen aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, DB 1978, S. 250) verwehrt sein. Ob eine solche Beschränkung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbar ist, bedarf hier keiner Entscheidung.
III.
Da die Werbebeschränkung zu Lasten des Beschwerdeführers zu 1) keine Grundlage in der verfassungsmäßigen Ordnung hat, verletzen die angegriffenen Urteile zugleich die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des Beschwerdeführers zu 2).