BGH, 07.09.1962 - 4 StR 259/62
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Schwurgerichts in Dortmund vom 12. Oktober 1961 mit den Feststellungen aufgehoben, und zwar in vollem Umfange, soweit es den Angeklagten G. betrifft, im Strafausspruch, soweit der Angeklagte K. verurteilt worden ist.
Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Schwurgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Angeklagten gehörten zu Beginn des Rußlandfeldzuges (22. Juni 1941) der Staatspolizeistelle in Tilsit an. Leiter dieder Dienststelle war damals der Regierungsrat SS-Sturmführer Böhme. Sie unterstand unmittelbar dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin unter Leitung des SS-Gruppenführers Heydrich als "Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes". Die Angeklagten bekleideten in jener Dienststelle bis zu ihrer Auflösung im Januar 1945 das Amt eines Kriminalkommissars. Beide gehörten der SS an, und zwar im Wege der Dienstrangangleichung zuletzt als Obersturmführer. Nachdem die deutsche Führung beschlossen hatte, im Zuge des geplanten Rußlandfeldzuges die jüdische Bevölkerung Osteuropas und zugleich alle als unbekehrbar angesehenen Kommunisten "als potentielle Gegner" zu töten, wurden auf Grund besonderer Befehle der höchsten Dienststellen alsbald Einsatzgruppen und Einsatzkommandos gebildet, denen die unmittelbaren Vernichtungsmaßnahmen übertragen wurden. Im Juni 1941 erließ das Oberkommando der Wehrmacht geheime "Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare", die nicht als Soldaten anerkannt und nicht nach den für Kriegsgefangene geltenden völkerrechtlichen Schutzvorschriften behandelt werden durften, sondern auf den Verdacht einer feindlichen Handlung hin getötet werden mußten.
Die Angeklagten K. und G. gehörten der Exekutionsabteilung der Staatspolizeidienststelle in Tilsit an, deren Aufgaben vor allem in der Beschäftigung mit den Gegnern des Nationalsozialismus (Kommunisten, politischen Häftlingen und Juden) bestanden. Sogleich nach Beginn der Kampfhandlungen gegenüber Rußland erhielt B. von dem Leiter der Einsatzgruppe A den Auftrag, mit einem aus Angehörigen seines Staatspolizeiabschnitts zu bildenden Einsatzkommando in dem etwa 25 km breiten Grenzstreifen östlich der Reichsgrenze auf litauischem Gebiet sämtliche Juden, einschließlich Frauen und Kinder, sowie die Litauer zu erschießen, die in dem Verdacht standen, Kommunisten zu sein. Die Erschießungen sollten sofort durchgeführt werden. Böhme stellte für jede Exekution besonders ein Einsatzkommando aus Angehörigen seiner Dienststelle zusammen. Insgesamt wurden von der Staatspolizeistelle in Tilsit 5502 Menschen, meistens Juden und einige als Kommunisten verdächtige Litauer und auf Grund des "Kommissarbefehls" mindestens 700-800 kriegsgefangene Russen erschossen.
K. und G. wirkten bei der Ausführung und Weitergabe der Vernichtungsbefehle mit. K. nahm auf Befehl B. in der Zeit vom 25. Juni bis 3. Juli 1941 an fünf Exekutionen von zusammen 817 Juden und Litauern auf litauischem Gebiet teil. Außerdem ließ er Anfang 1942, als er vorübergehend Leiter des der Staatspolizeistelle Tilsit unterstellten Grenzpolizeikommissariats Eydtkau war, auf Weisung des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Kowno 10 noch in litauischem Polizeigewahrsam untergebrachte Juden, darunter 1 Frau und 2 Kinder, durch Litauer erschießen.
G. war auf Befehl B. in der Zeit vom 24. Juli bis Oktober 1941 ebenfalls an fünf Massenhinrichtungen beteiligt, bei denen 903 Menschen - Juden, Litauer sowie 100 russische Kommissare aus drei im Gebiet der Staatspolizeistelle Tilsit gelegenen Durchgangskriegsgefangenenlagern - erschossen wurden. Weiter leitete er unter dem Nachfolger B. auf dienstlichen Befehl im November 1943 die sog, Enterdungsaktion (Geheime Reichssache 1005) bei Pogegen. Um ein neues "Katyn" zu vermeiden, war nämlich die Beseitigung der aus den ersten Jahren des Ostfeldzugs stammenden Massengräber durch Verbrennen der Leichen und Zerkleinern der Knochen befohlen worden. Die Staatspolizeidienststelle Tilsit wurde beauftragt, das einzige auf reichsdeutschem Boden liegende, von den Kommissarerschießungen bei Pogegen herrührende Massengrab zu beseitigen. Diese Arbeiten wurden von sechs aus Kowno herbeigeholten jüngeren Juden verrichtet, die schon an anderen Stellen zu dem gleichen Zweck eingesetzt worden waren. Die Juden sollten dann auf Befehl des Reichssicherheitshauptamts nach Ausführung der Arbeiten erschossen werden, während ihnen vorher die Freiheit versprochen werden mußte. Nach Ausführung, der "Enterdung" brachte G. die sechs jüdischen Arbeiter auf Veranlassung seines Vorgesetzten nach dem litauischen Ort Tauroggen, wo schon alle Vorbereitungen für die Erschießung getroffen waren. In seiner Gegenwart wurden die Juden sodann durch Genickschuß getötet.
Im übrigen war die Mitwirkung der Angeklagten K. und G. bei den einzelnen Massenerschießungen sehr verschieden. Ihr Tatbeitrag bestand einige Male nur darin, daß sie die Opfer zum Erschießungsort führten oder ihre Bewachung leiteten oder die Hinrichtungsstätte nach außen hin absicherten. In anderen Fällen schossen sie auch auf die Opfer, zum Teil durch Nachschüsse, wenn die ersten Schüsse nicht ausreichend getroffen hatten. Bisweilen hielten sie sich auch nur, zum jederzeitigen Eingreifen bereit, in der Nahe des die Erschießung Leitenden auf. Dadurch unterstützten sie die Mordtaten jedoch ebenfalls, weil sie durch ihre Anwesenheit in der Uniform von SS-Offizieren die Schlagkraft der Gestapo- und SD-Mannschaft stärkten.
Das Schwurgericht hat beide Angeklagten wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord, und zwar K., begangen an 827 Menschen, G. an 909 Menschen, zu drei Jahren sechs Monaten Zuchthaus verurteilt und ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte auf zwei Jahre aberkannt.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die Verletzung sachlichen Rechts rügt, greift die Verurteilung des Angeklagten G. in vollem Umfang an, während sie sich hinsichtlich des Angeklagten K. auf das Strafmaß beschränkt.
I.
Mit Recht beanstandet die Revision, daß das Schwurgericht Fortsetzungszusammenhang zwischen der im November 1943 verübten Beihilfe G. zur Ermordung der als Arbeiter zu der "Enterdung" herangezogenen sechs Juden und den im Jahre 1941 begangenen Beihilfehandlungen angenommen hat.
Diese Annahme des Schwurgerichts beruht auf der Erwägung, daß die Haupttat, die von der nationalsozialistischen Führung befohlene Vernichtung aller Juden aus rassischen Gründen und die der Kommunisten als Gegner des Nationalsozialismus, ein einziges Verbrechen des Mordes war und auch die Erschießung der sechs Juden im Jahre 1943 schon von dem im Jahre 1941 gefaßten Mordplan umfaßt sei, während die Tatsache, daß sie durch die Enterdung Mitwisser des Mordverbrechens (Geheimnisträger) wurden, nur als unterstützender Beweggrund hinzugekommen sei (UA S. 61, 62, 63). Das Schwurgericht nimmt deshalb an, daß auch die Angeklagten nach ihrer Gesamteinstellung zur damaligen Zeit schon bei der Ausführung der ersten Mordbefehle bereit waren, alle weiteren ähnlichen Befehle durchzuführen. Deshalb handele es sich, so meint der Tatrichter, auch soweit längere Zeiträume zwischen den einzelnen Teilnahmehandlungen liegen, nur um eine fortgesetzte gemeinschaftliche Beihilfe zu der einen gemeinschaftlichen Mordtat der Haupttäter (UA S. 64). G. sei sich dabei bewußt gewesen, daß gerade deshalb jüdische Arbeitskräfte für die "Enterdung" herangezogen wurden, "weil ihr Tod aus den gleichen rassischen Gründen wie die Massenerschießungen der ersten Kriegsjahre im Prinzip bereits damals beschlossene Sache war."
Diese Darlegungen rechtfertigen die Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs zwischen allen Beihilfehandlungen G. nicht.
a)
Bedenklich ist schon die Annahme, daß die Ermordung der sechs jüdischen Arbeiter als Ausführung des ursprünglichen Mordplans der Haupttäter anzusehen sei; denn ihre Tötung beruhte auf einem besonderen, unter wesentlich anderen Umständen gefaßten Tatentschluß, der durch die Furcht vor Entdeckung der früheren Massenerschießungen nach Räumung des Gebiets vor den heranrückenden sowjetrussischen Truppen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, gefährliche Mitwisser zu beseitigen, veranlaßt war. Ohne diese "Enterdungsmaßnahme" wären die für die Enterdung herangezogenen jüdischen Arbeiter mindestens zu diesem Zeitpunkt erfahrungsgemäß nicht getötet worden, weil sie noch im besten Mannesalter standen (UA S. 52) und ersichtlich wegen ihrer Arbeitskraft von den Erschießungen bis dahin verschont geblieben waren, um sie zu kriegswichtigen Arbeiten verwenden zu können. Ihr Leben sollte durch den Mordbefehl der geheimen Reichssache 1005 jedenfalls verkürst werden. Der Umstand, daß grundsätzlich die Ausrottung der jüdischen Rasse in Osteuropa damals schon beschlossen war, steht bei dieser Sachlage der Annahme eines selbständigen Mordvorsatzes bei Erteilung des zuletzt genannten Erschießungsbefehls nicht entgegen, zumal die Massenerschießungen im litauischen Grenzstreifen schon seit Ende 1941 eingestellt und nunmehr Judengettos eingerichtet worden waren (UA S. 46).
b)
Außerdem kommt es nicht entscheidend auf den Gesamtvorsatz der Haupttäter an, da auch mehrere Beihilfehandlungen zu einer von einem einheitlichen Vorsatz getragenen, mehraktigen Haupttat selbständige strafbare Handlungen sein können, (RG HRR 1938, 564; 1939, 714; vgl. LK 8. Aufl. § 49 Anm. 9). Ausschlaggebend ist vielmehr das eigene Verhalten des Gehilfen, vor allem ob er sämtliche Beihilfehandlungen auf Grund eines einheitlichen Vorsatzes verübt hat. Dazu muß geprüft werden, welches die eigene Willenseinstellung des Angeklagten zur Zeit der letzten Beihilfehandlung war, ob er also bei Ausführung des Tötungsbefehls in der geheimen Reichssache 1005 einen neuen Gehilfenvorsatz gefaßt hat. Diese Beurteilung ist nur auf Grund einer Würdigung der gesamten Umstände zur Zeit der letzten Beihilfehandlung des Jahres 1941 und in der Zwischenzeit bis zur neuen Beihilfehandlung vom November 1943 möglich. Insoweit hat das Schwurgericht den Sachverhalt bisher in den Urteilsgründen nicht erschöpfend erörtert.
Wie sich aus den Feststellungen ergibt, waren die Massenerschießungen in dem litauischen Grenzstreifen schon seit Ende 1941 abgeschlossen. Der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Kowno glaubte deshalb schon Anfang 1942, daß sich in diesem Gebiet keine lebenden Juden mehr aufhielten. Er war sehr ungehalten, als sich damals herausstellte, daß doch noch einige Juden in litauischem Gewahrsam untergebracht waren. Er verlangte deshalb ihre sofortige Erschießung und erklärte auf den Einwand des Angeklagten K., daß die Zeit der Erschießungen doch vorbei sei und neue Erschießungen die Nachrichtentätigkeit gefährden könnten, die Juden sollten dann durch Litauer erschossen werden, wenn K. zu feige sei (UA S. 46). Dieser Vorgang legt bereits die Annahme nahe, daß auch der bei derselben Dienststelle beschäftigte Angeklagte G., dessen Einstellung zu den Massenerschießungen ungefähr die gleiche war wie die von K. (UA S. 66) und der die Mordbefehle ebenfalls innerlich ablehnte (UA S. 70), die Erschießungen im Gebiet der Staatspolizeidienststelle Tilsit ebenso als beendet ansah und nunmehr nach zwei Jahren nicht mehr entschlossen war, bei weiteren Erschießungen mitzuwirken. Dann hätte es zur Ausführung des neuen Mordbefehls auch eines neuen Gehilfenvorsatzes bedurft. Hinzu kommt, daß die jüdischen Arbeiter, die schon eingearbeitet waren, weil sie vorher an der Enterdung der auf litauischem Boden gelegenen Massengräber mitgewirkt hatten (UA S. 51), von G. aus Kowno geholt werden mußten, also nicht zu der jüdischen Bevölkerung des litauischen Grenzstreifen gehörten, dessen "Säuberung" der Staatspolizeistelle in Tilsit im Jahre 1941 aufgetragen worden war. Mithin wurde diese Erschießung nicht nur zwei Jahre später als die Massenerschießungen zu Beginn des Russlandfeldzuges vorgenommen, sondern sie unterschied sich auch nach den gesamten Umständen, besonders in Bezug auf Anlaß, Zeit und Tatverlauf so erheblich von den früheren Massenerschießungen, daß die Schlußfolgerung des Tatrichters, bei dieser Beihilfehandlung habe noch der ursprüngliche, im Jahre 1941 gefaßte Gesamtvorsatz des Gehilfen fortgewirkt, nicht ohne weiteres mit der Lebenserfahrung zu vereinen ist (vgl. zu den Voraussetzungen eines Gesamtvorsatzes BGHSt 15, 268, 271 [BGH 13.12.1960 - 5 StR 478/60]; 1, 313, 315) [BGH 21.09.1951 - 2 StR 415/51]. Keinesfalls genügt dazu die Feststellung, daß der Angeklagte G. sich bewußt war, der Tod der jüdischen Arbeiter sei aus den gleichen rassischen Gründen wie die Massenerschießungen der ersten Kriegsjahre "im Prinzip" bereits damals beschlossene Sache gewesen. Mit dem angenommenen Gesamtvorsatz steht es übrigens auch nicht im Einklang, daß - wie der Staatspolizeidienststelle in Tilsit bekannt war - sich die durch den Verlauf des Kriegsgeschehens bedingte Art des Vorgehens der deutschen Führung zur Vernichtung der Juden inzwischen geändert hatte, da man sie nunmehr zunächst in Gettos verbrachte.
Im übrigen läßt der Schuldspruch keinen Rechtsfehler erkennen. Die Verurteilung des Angeklagten G., muß aber wegen des erörterten Mangels bei der Beurteilung des Fortsetzungszusammenhangs bzgl. der letzten Beihilfehandlung in vollem Umfange aufgehoben werden.
In der neuen Verhandlung wird des Schwurgericht Gelegenheit haben, auch die Angriffe gegen die Strafzumessung im Fall G. selbst zu würdigen. Ebenso wird es die inzwischen von der Königlich Schwedischen Regierung durch Verbalnote vom 18. November 1961 erteilte Genehmigung zur Strafverfolgung G. wegen der Erschießung weiterer 200 sowjetrussischer politischer Kommissare aus den im Gebiet der Staatspolizeistelle Tilsit gelegenen drei Kriegsgefangenenlager (Fall Pogegen Nr. 10 des angefochtenen Urteils) berücksichtigen und auch diese Erschießung in die fortgesetzte Beihilfe, zu den Massenerschießungen des Jahres 1941 einbeziehen können.
Auf die Ausführungen zu dem für die Beihilfehandlung gültigen Strafrahmen im Falle K. (II) wird verwiesen.
II.
Die Angriffe der Revision gegen den Strafausspruch bezüglich K. müssen ebenfalls durchgreifen.
Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, daß das Schwurgericht von einem falschen Strafrahmen (drei bis fünfzehn Jahre Zuchthaus) ausgegangen ist, weil es irrigerweise angenommen hat, daß zur Zeit der Straftaten des Angeklagten K. noch der frühere Zwang zur Strafmilderung nach Versuchsgrundsätzen für die Beihilfe zu einem Verbrechen oder Vergehen galt. Denn schon vor dem Erlaß der Verordnung zur Durchführung der Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943 (RGBl I, 341) war die Strafmilderung für Versuch und Beihilfe nicht mehr zwingend vorgeschrieben, weil bereits durch § 4 der Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5. Dezember 1939 (RGBl. I, 2378) bestimmt worden war, daß für den strafbaren Versuch eines Verbrechens oder Vergehens oder für die Beihilfe dazu die Strafe zulässig ist, die für die vollendete Tat vorgesehen ist.
Es ist auch nicht richtig, daß die durch die Gewaltverbrecherverordnung zugelassene Anwendung der für die vollendete Tat geltenden Strafdrohung für Versuch und Beihilfe gegen Art. 104 GG verstößt, wie der Verteidiger meint, weil sie kein förmliches Gesetz sei. Die Verordnung gegen Gewaltverbrecher ist vom Ministerrat für Reichsverteidigung mit Gesetzeskraft erlassen worden und beruht auf der Ermächtigung Hitlers in seinem "Führererlaß über die Bildung eines Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 30. August 1939" (RGBl. I, 1539 unter II), Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen. Zu dieser Zeit war Hitler bereits unumstrittener Träger der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Damit hörte die Unterscheidung zwischen sachlichen und förmlichen Gesetzen auf. Die im Reichsgesetzblatt veröffentlichten "Führererlasse" hatten Gesetzeskraft. Verordnungen, die auf Grund der in den Führererlassen enthaltenen Ermächtigung mit Gesetzeskraft erlassen waren und ebenfalls im Reichsgesetzblatt verkündet worden waren, hatten den Rang von Gesetzen als sog. gesetzesvertretende Verordnungen (vgl. Huber, Verfassung 1937 S. 129, 135). Diese Wirkung konnte nicht nachträglich deshalb beseitigt werden, weil wieder eine rechtsstaatliche Ordnung mit Gewaltenteilung geschaffen worden ist. Nach einem allgemeinen staatsrechtlichen Grundsatz ist die förmliche Gültigkeit von Gesetzen nach dem zur Zeit ihrer Verkündung geltenden Verfassungsrecht zu beurteilen, sofern die Staatsgewalt, auf der es beruht, sich bis zur verfassungsmäßigen Macht und Anerkennung innerhalb des eigenen Landes und in den rechtlichen Beziehungen zu anderen Staaten durchgesetzt hatte (vgl. BGHSt 5, 230, 233 [BGH 29.12.1953 - 4 ARs 47/53] und die dort angeführten Fundstellen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und dem Schrifttum). Die Bedenken gegen die Gesetzeskraft der Gewaltverbrecherverordnung sind daher unbegründet. Dasselbe gilt für die von der Verteidigung nicht besonders angefochtene Durchführungsverordnung zur Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943, die vom Reichsjustizminister ebenfalls auf Grund einer Ermächtigung des "Führers", und zwar vom 20. August 1942 - RGBl. I, 535 - erlassen worden ist. Nach Art. 123 Abs. 1, 125 CTG ist daher der durch die letztgenannte Verordnung bestimmte höhere Strafrahmen für den Versuch und die Beihilfe zu Vergehen und Verbrechen Bundesrecht geworden.
Auf Grund der Strafzumessungsgründe kann hier nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die Zugrundelegung eines niedrigeren als des zulässigen Strafrahmens die Strafhöhe - zugunsten des Angeklagten - beeinflußt hat. Eine lebenslängliche Zuchthausstrafe - wie für den vollendeten Mord - schied, wie die Urteilsausführungen zu unrecht und Schuld der Beihilfehandlungen beider Angeklagten klar erkennen lassen, zwar ohne weiteres aus. Das ergibt sich auch daraus, daß das Schwurgericht selbst für die nach Inkrafttreten der Verordnung vom 29. Mai 1943 begangene Beihilfe G. zur Ermordung der sechs jüdischen Arbeiter von dem gemilderten Strafrahmen ausgegangen ist, weil der Angeklagte G. nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Befehl gehandelt hat (UA S. 70). Es läßt sich jedoch nicht ausschließen, daß das Schwurgericht, hätte es sich vor Augen gehalten, daß es für Beihilfe zum Mord sogar auf lebenslanges Zuchthaus erkennen könne, auch innerhalb des gemilderten Strafrahmens (3 bis 15 Jahre Zuchthaus) eine höhere zeitige Zuchthausstrafe ausgesprochen hätte.