RG, 26.10.1880 - II 244/80

Daten
Fall: 
Sitzungsprotokoll
Fundstellen: 
RGZ 2, 401
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.10.1880
Aktenzeichen: 
II 244/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG München I.
  • OLG München.
Stichwörter: 
  • Widerlegung des Tatbestands eines Urteils durch die Beurkundung der Verlesung der vorbereitenden Schriftsätze im Sitzungsprotokoll

Inwiefern kann der Tatbestand des Urteiles dadurch widerlegt werden, daß das Sitzungsprotokoll eine Verlesung der vorbereitenden Schriftsätze beurkundet?

Tatbestand

Der Eisenbahn-Oberkondukteur S. verunglückte, als er, während der von ihm geführte Güterzug bei einer Station hielt, aus dem Wagen stieg. Das O.L.G. stellte tatsächlich fest, es sei der Unfall dadurch herbeigeführt worden, daß S. in dunkler Nacht, an einer Stelle, die nicht beleuchtet war und wo kein Perron sich befand, auf einem durch frisch gefallenen Schnee schlüpfrig gewordenen Trittbrette habe aussteigen müssen, sowie, daß er um seine Dienstgeschäfte zu besorgen, zu besonderer Eile veranlaßt gewesen sei. Das R.G. nahm an, daß eine Verletzung von §. 1 des Haftpflichtgesetzes nicht vorliege und beseitigte den prozessualen Angriff, es sei die Thatsache, daß der betreffende Wagen außerhalb des Perron gestanden, unter Verletzung des Gesetzes festgestellt worden, aus folgenden Gründen:

Gründe

"Richtig ist, daß Beklagter in seiner Berufungsschrift die Behauptung, es habe der Wagen, aus dem S. stieg, außerhalb des Perrons gestanden, als unrichtig und in erster Instanz nicht einmal vorgebracht bezeichnet hatte, während in den Entscheidungsgründen des appellationsgerichtlichen Urteils bemerkt ist, fragliche Thatsache stehe unwidersprochen fest; allein nach den Principien der C.P.O. kommt es nicht auf das an, was in den vorbereitenden Schriftsätzen, sondern, ausschließlich auf das, was bei der Verhandlung in der Sitzung geltend gemacht wird. In letzterer Beziehung ist zunächst der im appellationsgerichtlichen Urteile vorgetragene Thatbestand maßgebend, dessen Berichtigung nicht verlangt wurde (§§. 285 und 291 C.P.O.), und gemäß dessen Beklagter nur erklärte, es sei auch dann nicht anzunehmen, daß eine besondere Gefahr mit dem Herabsteigen verbunden gewesen sei, wenn dieses außerhalb des Perrons stattzufinden hatte, worauf übrigens vom Kläger selbst bisher ein Gewicht nicht gelegt worden sei.

Wenn hiernach auch kein förmliches Zugeständnis vorlag, so fiel doch der Widerspruch hinweg, und der Appellrichter hatte um so weniger. Anlaß, die Richtigkeit der fraglichen Thatsache zu bezweifeln, als ja feststand, daß an der betreffenden Stelle ein Kreuzungspfahl sich befand, also zwei Schienengeleise sich kreuzten.

Eine Entkräftung dieses durch den Thatbestand gelieferten Beweises (§. 285 C.P.O.) kann auch nicht darin gefunden werden, daß im Sitzungsprotokolle bekundet ist, die Vertreter der Parteien hätten ihre bei den Akten befindlichen vorbereitenden Schriftsätze verlesen. Ganz abgesehen davon, daß dieses Verlesen unstatthaft war (§. 128 C.P.O.), ergiebt sich daraus nicht, daß die Parteien in ihren mündlichen Ausführungen bei demjenigen, was sie in den vorbereitenden Schriftsätzen vorbrachten, verblieben sind.

Die Rüge eines prozessualen Verstoßes im Sinne von §. 516 Ziff. 3 C.P.O. erscheint daher ungegründet."