RG, 26.10.1880 - II 227/80
Haben die Hinterbliebenen eines badischen in den Reichsdienst übernommenen, in Gemäßheit des Art. 50 der Reichsverfassung vom Landesherrn ernannten Postbeamten auf Versorgungsgehalt Anspruch? Auslegung des Art. 18 der Reichsverfassung.
Tatbestand
Auf Grund des badischen Staatsdienerediktes vom 30. Januar 1819 haben die Witwe und die minderjährigen Kinder eines badischen Staatsdieners einen im §. 20 daselbst näher normierten Versorgungsgehalt (Witwenpension) anzusprechen. Der am 7. Februar 1877 verstorbene Ehemann der Klägerin war bereits am 9. Januar 1847 mit Staatsdienereigenschaft als badischer Postoffizial angestellt und beim Übergänge der badischen Postverwaltung auf das Reich vom Großherzoge zum Postmeister ernannt worden.
Die Witwe forderte nun vom Reichsfiskus für sich und ihren minderjährigen Sohn den gedachten Versorgungsgehalt und berief sich dabei auf zwei zwischen dem Reiche und Baden abgeschlossene Konventionen, von denen die eine - vom 6. Juli 1871 - insbesondere bestimmt:
§. 1.
Die Reichspostverwaltung tritt in das Verhältnis eines General- Successors der Großh. badischen Postverwaltung; sie übernimmt vom 1. Januar 1872 die Rechte und Verpflichtungen der Großh. badischen Postverwaltung.§. 6.
Die bei der Großherzoglichen Postverwaltung angestellten Beamten und Unterbediensteten werden, soweit sie nicht selbst ein anderes wünschen, in den Reichspostdienst mit ihren dermaligen Dienstbezügen und erworbenen Ansprüchen übernommen. Ebenso übernimmt die Reichspostverwaltung das auf Grund von Dienstkontrakten verwendete untere Personal nach Maßgabe dieser Kontrakte,§. 7.
Die bis zum 1. Januar 1872 bewilligten Pensionen und Ruhegehalte derer, welche nach diesem Zeitpunkte unmittelbar infolge des Überganges der badischen Post in Reichsverwaltung in Pension treten, werden auf die Reichspostkasse übernommen. Ebenso werden die nach gesetzlichen Bestimmungen aus der Postkasse zu leistenden Zuschüsse zu den Pensionen der Hinterbliebenen von vor dem 1. Januar 1872 verstorbenen Großh. badischen Staatsdienern auf die Reichspostkasse übernommen.
Die Klage ist in beiden Instanzen abgewiesen worden; das Reichsgericht hat auf die eingelegte Revision das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und in der Sache selbst erkennend den Reichsfiskus nach dem Klagbegehren verurteilt aus folgenden Gründen:
Gründe
"Das angefochtene Urteil verneint, daß der Klageanspruch auf die Konventionen zwischen dem Reichsfiskus und dem Großherzoglich badischen Fiskus vom 6. Juli und 16. Dezember 1871 gestützt werden könne, weil dasselbe davon ausgeht, daß Abs. 2 des Art. 18 der Reichsverfassung sich auch auf diejenigen Beamten beziehe, welche nicht vom Kaiser, sondern in Gemäßheit des Art. 50 der Reichsverf. von den Landesregierungen ernannt werden, und daß folgeweise zur Zeit des Abschlusses jener Konventionen dem hier in Frage stehenden Ansprüche die zu Art. 18 der Reichsverf. im Protokolle von Versailles vom 15. November 1870 getroffene, einen Bestandteil der Reichsverfassung (§. 3 des Reichsges. v. 16. April 1871) bildende Vereinbarung entgegengestanden habe.
Diese Auslegung des Art. 18 Abs. 2 der Reichsverf. kann aber nicht gebilligt werden.
Der erste Absatz desselben bestimmt, daß der Kaiser die Reichsbeamten ernenne, dieselben für das Reich beeidigen lasse und erforderlichen Falles deren Entlassung verfüge; er handelt demnach nur von denjenigen Reichsbeamten, welche vom Kaiser ernannt werden. Man könnte nun etwa, um dem zweiten Absatze eine selbständige Bedeutung neben dem ersten und unabhängig von diesem beizulegen und damit eine vom ersten ganz absehende Ausdehnung auf eine weitere Klasse von Beamten zu rechtfertigen, darauf Gewicht legen, daß dieser keine Definition des Reichsbeamten, sondern nur eine Bestimmung über die kaiserliche Befugnis der Ernennung desselben enthalte. Darnach würde in der Reichsverfassung überhaupt keine Definition des Reichsbeamten sich vorfinden, die Begriffsbestimmung vielmehr aus deren Gesamtinhalte und aus den Grundsätzen des Staats- und Reichsrechtes festzustellen sein. Aber auch auf letzterem Wege würde man zum Ergebnis gelangen, daß der erste Absatz des Art. 18 den Begriff des Reichsbeamten erschöpfe, das heißt nicht nur sage, dieselben werden vom Kaiser ernannt, sondern noch weiter, daß die vom Kaiser ernannten die Reichsbeamten seien. Gerade in Ermangelung einer anderweiten Aufstellung einer Definition erscheint jedoch die Auslegung vom Abs. 1 des Art. 18 geboten, daß er beides sagen, den Begriff des Reichsbeamten und die Ernennung desselben feststellen wolle. Dazu kommt, daß sich aus Art. 50 der Reichsverf. entnehmen läßt, daß diejenigen Beamten, welche in Gemäßheit des Abs. 5 von den betreffenden Landesregierungen ernannt werden, zunächst als Landesbeamte gelten sollen. Die Überlassung der Anstellung an die Landesregierungen, für welche sich verschiedene Gründe denken lassen, von welchen einen - die Rücksicht auf die Anstellung der Landesangehörigen in ihrer Heimat - das Oberlandesgericht hervorgehoben hat, verleiht den Landesregierungen eine Art von Reservatrecht. Es fehlt nämlich jeder Anhalt dafür und würde auch mit der Fortdauer der Souveränität der zum deutschen Reiche vereinigten Einzelstaaten nicht wohl vereinbar sein, wenn man Abs. 5 des Art. 50 in dem Sinne auffassen wollte, daß er den Landesregierungen nur eine Vollmacht verleihe, anstatt des Bundespräsidiums, kraft einer Delegation desselben, die Beamten für den Bund bez. für das Reich zu ernennen. Damit, daß die Landesregierung die fraglichen Beamten zunächst als ihre Beamten anstellt, erklärt es sich, daß im Art. 50 der Reichsverf. besonders vorgesehen wurde, daß sämtliche Beamten der Post- und Telegraphenverwaltung verpflichtet seien, den Anordnungen des Reiches Folge zu leisten und daß diese Verpflichtung in den Diensteid aufzunehmen sei. Würde man sämtliche, also auch die von einer Landesregierung angestellten Beamten der erwähnten Verwaltungszweige als Reichsbeamte im Sinne der Reichsverfassung, die Landesregierungen also nur als Delegierte des Reiches angesehen haben, so hätte eine solche Bestimmung als eine sich von selbst verstehende weggelassen werden können.
Im Sinne der Reichsverfassung sind also nur die vom Kaiser Ernannten Reichsbeamte, die vom Landesherrn Angestellten sind Landesbeamte mit der aus Abs. 3 des Art. 50 zu entnehmenden Maßgabe, daß sie den kaiserlichen Anordnungen Folge zu leisten haben. Insofern und weil die vom Kaiser bestellten Behörden, zu welchen diese Beamten berufen werden, Bundes- beziehungsweise Reichsbehörden sind (Präsidialerlaß vom 18. Dezember 1867, Bundesgesetzblatt S. 328), können diese Beamten auch mittelbare Reichsbeamte genannt werden. Diese insoweit zutreffende Bezeichnung findet sich aber nicht in der Verfassung, sondern ergiebt sich erst aus dem Gegensatze zur Bezeichnung der vom Kaiser ernannten Beamten als unmittelbarer im Präsidialerlasse vom 3. Dezember 1867 (Bundesgesetzbl. S. 327, vgl. Regierungsbl. von 1871 S. 303. 318), welchen nach dem Allerh. Erlasse vom 3. August 1871 allein das Prädikat "Kaiserlich" zukommen solle. Der Grundsatz, daß diese sog. mittelbaren Reichsbeamten zunächst Landesbeamte seien, ist schon vor Erweiterung des Norddeutschen Bundes zum Deutschen Reiche und auch nachher sowohl von Verwaltungs- und richterlichen Behörden als auch bei gesetzgeberischen Verhandlungen von den Vertretern der Reichsregierung ausgesprochen worden. - Bereits in der Reichstagssitzung vom 18. Juni 1868 hat sich der Vertreter des Bundeskanzlers (Stenogr. Ber. S. 556) dahin geäußert: "Diese große Klasse von Beamten (Post- und Telegraphenbeamten) gehört heute ganz unzweifelhaft in Beziehung auf die hier vorliegende Frage zu den Landesbeamten; es kann darüber rechtlich kein Zweifel bestehen, und es ist darüber thatsächlich auch kein Zweifel aufgetreten."
Dasselbe hat - wenigstens für den Zeitraum bis zur Erlassung des Reichsbeamtengesetzes - der Bundeskommissar in den Reichstagsverhandlungen vom 25. April 1872 (Stenogr. Ber. S. 178) und vom 11. Juni 1872 (Stenogr. Ber. S. 903/907) scharf betont. "Die unteren Offizianten, heißt es an ersterer Stelle, welche nach Art. 50 der Reichsverf. vom Landesherrn als solchem ernannt worden, sind anerkanntermaßen nach dem gegenwärtigen Rechte zugleich preußische Landesbeamte." In der zweiten Äußerung ist gesagt: "Die Sache liegt vielmehr so: Es ist sowohl durch gerichtliche Entscheidungen wie durch Entscheidungen der Verwaltungsbehörden in allen Instanzen anerkannt, daß diejenigen Beamten, welche nach dem betreffenden Artikel der Verfassung von den Landesbehörden, nicht vom Kaiser angestellt werden, gleichzeitig Landesbeamte sind." Solche vom Bundeskommissar angerufene Entscheidungen waren unter anderen ergangen am 9. Juli 1869 vom Königl. preuß. Ministerium des Innern, worin hervorgehoben ist, daß diese Beamten nur dem Landesherr" den Diensteid leisten, daß sie der Landesregierung in Bezug auf Disziplin u. s. w. untergeordnet seien; ferner vom Kammergerichte zu Berlin am 1. November 1869 (preuß. Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung von 1869 S. 161, 1870 S. 52). - Ähnlich wie diese Entscheidungen ist auch ein Erkenntnis des Kaiserl. Disciplinarhofes vom 2. April 1874 begründet (Centralblatt für das deutsche Reich S. 145). -
Bei dieser Auffassung des Rechtsverhältnisses der in Gemäßheit des Art. 50 Abs. 5 von den Landesregierungen ernannten Beamten, wie sie hiernach bereits zu der Zeit Geltung hatte, als dem Art. 18 der in der Verfassung des Norddeutschen Bundes fehlende zweite Absatz eingefügt wurde, ist die Annahme ausgeschlossen, daß man auch diese Beamten unter den zu einem Reichsamte berufenen Beamten eines Bundesstaates, welche in den Reichsdienst eintreten, verstanden habe. Jedenfalls würde der Gesetzgeber, wenn er dieser Meinung gewesen wäre, eine Fassung dieses zweiten Absatzes gewählt haben, welche keinen Zweifel darüber zuließ, daß derselbe sich nicht bloß auf die vom Kaiser ernannten Beamten beziehe, von welchen im ersten Absätze allein die Rede ist.
Die Unterstellung, von welcher das Oberlandesgericht ausgeht, daß nämlich an dieser Stelle eine die Rechte sämtlicher Reichsbeamten betreffende Bestimmung habe eingefügt werden sollen, würde allerdings, wenn sie mehr als eine Voraussetzung wäre, die Ausdehnung von Abs. 2 des Art. 18 auf die mittelbaren Reichsbeamten rechtfertigen, allein die Gründe zum angefochtenen Urteile geben keinerlei Anhalt für diese Annahme an, und ein solcher läßt sich weder der Wortfassung des speciellen Artikels, noch dem übrigen Inhalte der Reichsverfassung entnehmen. Auch die Bezugnahme des Oberlandesgerichts auf den §. 1 des Kautionsgesetzes vom 2. Juni 1869 vermag dessen Auslegung nicht zu halten. Der Definition in diesem §. 1, welche allerdings auch die vom Landesherrn ernannten Beamten, welche den kaiserlichen Anordnungen Folge zu leisten haben, für Reichsbeamte erklärt, ist beigefügt: "im Sinne dieses Gesetzes". Allenthalben aber, wo die Reichsgesetzgebung sich dieses Beisatzes bedient, will sie damit die Beschränkung der betreffenden Gesetzesbestimmung auf dasjenige Gesetz aussprechen, für welches dieselbe jeweils gegeben ist; man vergleiche beispielsweise Art. 4 H.G.B., Art. 13 des Bundesgesetzes v. 12. Juni 1869, §. 1 Abs. 2 des Bankgesetzes v. 14. März 1875 und insbesondere §. 359 St.G.B. Dieser konstanten Ausdrucksweise des Gesetzgebers gegenüber ist die Ansicht unrichtig, daß, um die Bestimmung eines Gesetzesparagraphen, welche ausdrücklich nur "im Sinne des Gesetzes", in welchem er vorkommt, gegeben ist, auf dieses Gesetz zu beschränken, besondere Gründe für die einschränkende Auslegung vorhanden sein müßten; - es müssen vielmehr umgekehrt der bestimmt kundgegebenen Absicht des Gesetzgebers gegenüber, die Norm auf ein bestimmtes Gesetz zu beschränken, Gründe für die Ausdehnung derselben auf ein anderes Gesetz dargethan werden. Als ein solcher Grund kann der vom Oberlandesgericht hervorgehobene nicht anerkannt werden, daß für diese mittelbaren Beamten eine besondere Garantie ihrer Rechte dem Reiche gegenüber vorzugsweise von Bedeutung war; denn, wenn sie, wie ausgeführt, zunächst Landesbeamte waren, so erhielten und fanden sie durch die Anstellung seitens ihres Landesherrn die nächste Garantie ihrer Rechte in den einschlägigen Gesetzen, in der Dienerpragmatik ihres Heimatstaates; sie sind nicht wie die unmittelbaren Beamten aus dem heimatlichen Verbande ausgeschieden und in den Dienst des Reiches übergetreten. Auch die Entstehungsgeschichte des §. 1 des Kautionsgesetzes steht der Auslegung des Oberlandesgerichts entgegen. Im Gesetzentwurfe war eine Definition des Reichsbeamten gar nicht enthalten, solche fand sich vielmehr in dem gleichzeitig vorgelegten Entwurfe eines Gesetzes betreffend die Rechtsverhältnisse der Bundesbeamten vom 3. März 1869 (Reichstagsverh. 1869 Bd. 3 S. 178). In den Motiven zu letzterem Entwürfe sind gerade die Worte: "im Sinne dieses Gesetzes" betont und ist beinahe das nämliche gesagt, was in den Motiven zur späteren Vorlage eines Entwurfes eines Reichsbeamtengesetzes (Reichstagsverh. 1872, Drucks. III Nr. 9 S. 36) ausgeführt wird, nämlich: "Auch diese Beamten erhalten ihre Besoldungen aus Reichsfonds und sind in Verwaltungszweigen thätig, die vom Reiche wahrgenommen werden. Sie dienen also dem Reiche, und ihre im §. 1 dieses Gesetzes ausgesprochene Gleichstellung mit den vom Kaiser ernannten Reichsbeamten erscheint deshalb als gerechtfertigt." Im Entwurfe des Kautionsgesetzes war die Definition weggeblieben, weil man dieses Gesetz nur als eine Ergänzung des Reichsgesetzes über die Rechtsverhältnisse der Bundesbeamten betrachtete. Als sich aber voraussehen ließ, daß dieses letztere Gesetz im Reichstage nicht zustande kommen werde, wurde in zweiter Lesung des Kautionsgesetzes (Reichstagsverh. 1869 S. 220, 222) von einem Abgeordneten der Antrag gestellt, die Definition in dieses Gesetz aufzunehmen und hiefür unter anderem angeführt: "Die vorgeschlagene Definition sei dadurch gerechtfertigt, daß das Kautionsgesetz wesentlich auf die zahlreichen Post- und Telegraphenbeamten berechnet sei, von denen der größere Teil von den Landesregierungen angestellt werde." Der Bundeskommissar billigte diese Ausführungen und bemerkte insbesondere noch: "Die Absicht geht dahin, auch bei diesem Gesetzesentwurfe als Bundesbeamte nicht bloß die sogenannten unmittelbaren, d. h. die vom Bundespräsidium angestellten Beamten zu bezeichnen, sondern in diesen Kreis auch diejenigen Beamten zu ziehen, die innerhalb der vom Bunde ressortierenden Verwaltungszweige von den Landesregierungen angestellt werden, insbesondere also die unteren Post- und Telegraphenbeamten. Gerade in betreff dieser Beamten besteht ein dringendes Bedürfnis, das Kautionswesen gleichmäßig zu regeln." Danach lag der Gedanke fern, durch die in das Kautionsgesetz aufgenommene Definition eine über die Grenzen und den Zweck dieses Gesetzes hinausgehende Bestimmung zu treffen und kann man vollkommen der Auffassung von Laband (Staatsrecht S.398) beistimmen, welcher von §. 1 des Reichsbeamtengesetzes bemerkt, derselbe wolle eigentlich sagen, das Gesetz finde Anwendung nicht nur auf die Reichsbeamten, sondern auch auf diejenigen Beamten der Einzelstaaten, welche u. s. w.
Nach alle diesem besteht weder ein innerer noch ein äußerer Grund für die Ausdehnung des 2. Abs. des Art. 18 der Reichsverf. auf eine weitere Klasse von Beamten, als diejenige ist, von welcher dessen erster Absatz unzweifelhaft allein handelt, also zu einer Auslegung, welche dem Gesetzgeber immerhin den Vorwurf machen würde, daß er ohne irgend eine Vermittelung oder Andeutung Verschiedenartiges nebeneinander gestellt habe. - Wie bereits angeführt, hat die ausschließliche Beziehung des Abs. 2 ans die unmittelbaren Reichsbeamten auch den inneren Grund für sich, daß nur diese, welche ihren heimatlichen Dienstverband lösten, einer Sicherung ihrer wohlerworbenen Rechte dem Reiche gegenüber bedurften.
Wenn nun in der Vereinbarung zu Versailles vom 13. November 1870 diese Garantie bezüglich der Versorgungsansprüche der Hinterbliebenen beseitigt wurde, so mag dieses seinen Grund darin gehabt haben, daß das Reich in Rücksicht auf die eigenartigen Gestaltungen der Witwenkassenverhältnisse in den Partikularstaaten diesen fremd bleiben wollte. Wenn sich auch hieraus ergiebt, daß die mittelbaren Reichsbeamten sich bezüglich der Reliktenversorgung in einer günstigeren Lage befinden, wie die unmittelbaren, so ist dies zunächst eine Folge ihrer Eigenschaft als Landesbeamten, rechtfertigt sich auch damit, daß diese große Klasse nicht hoch besoldeter Beamten sich in der Zwangslage befand, in den unmittelbaren Reichsdienst eintreten zu müssen, welche Zwangslage für die weniger zahlreichen, höheren Beamten nicht in gleichem Maße bestand, und erklärt sich endlich im Hinblicke darauf, daß es sich nur um ein Übergangsstadium handelt, da unzweifelhaft, wie es bezüglich eines Teils der Rechtsverhältnisse auch dieser Reichsbeamten bereits durch das Reichsbeamtengesetz geschehen ist, die Regelung aller Rechtsverhältnisse sowohl der unmittelbaren wie der mittelbaren Reichsbeamten im Wege der Reichsgesetzgebung in Aussicht genommen ist.
Aus dem Ausgeführten folgt nun, daß der Anspruch der nach Maßgabe des Art. 50 der Reichsverf. vom Großherzoge von Baden angestellten Postbeamten auf den Versorgungsgehalt ihrer Hinterbliebenen von der Erläuterung des Art. 18 der Reichsverf. im Protokolle vom 15. November 1870 in keiner Weise berührt wird, daß demnach weder dieses noch sonst irgend eine reichsgesetzliche Bestimmung dadurch verletzt erscheint, wenn die Reichsverwaltung durch besondere Verträge in die Verbindlichkeiten eintrat, die dem Einzelstaate gegenüber denjenigen Beamten oblagen, welche mit Übergang des gesamten Postwesens auf das Reich mittelbar in dessen Dienst eingetreten sind. Im Gegenteil findet ein solches Abkommen im Art. 49 der Reichsverf., wonach die Einnahmen des Post- und Telegraphenwesens für das ganze Reich gemeinschaftlich sind und die Ausgaben aus den gemeinschaftlichen Einnahmen bestritten werden sollen, eine besondere Rechtfertigung (vgl. auch §. 38 der Reichsverf.).
Es ist auch der Grundsatz, daß das Reich, wenn es in irgend einer Beziehung in aktive Rechtsverhältnisse eines Staates eintritt, auch in die damit zusammenhängenden Passiven einzutreten habe, von den Organen der Reichsregierung mehrfach ausgesprochen worden; so in den Motiven zum Entwürfe eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der zum dienstlichen Gebrauche einer Reichsverwaltung gehörigen Gegenstände, wo (Reichstagsverh. 1873 Beil. 3 S. 18) gesagt ist: "Durch den Übergang der Verwaltungen auf das Reich sind die Bundesstaaten in eine Gemeinschaft der bezüglichen Hoheitsrechte getreten, und, insofern die Hoheitsrechte zugleich einen privatrechtlichen Gehalt haben und namentlich das Eigentum an den zu ihrer Ausübung bestimmten Sachen mit einschließen, ist das Reich in dieses Eigentum in gleicher Weise succediert, wie es als dominus negotii in alle zur kritischen Zeit vorgefundene Kontraktsverhältnisse des einzelnen Staates eingetreten ist." Noch schärfer ist dieser Gedanke ausgedrückt in der Vorlage an den Bundesrat vom 18. Juni 1879 (Drucks, des Bundesrates 1878/79 Nr. 111) Entwurf eines Gesetzes betreffend die Erhebung und Verwaltung der Reichsabgaben in Elsaß-Lothringen; dort, steht in der Begründung zu §§. 6 und 7: "Aus der Übernahme der gesamten Erhebung und Verwaltung der Reichsabgaben folgt schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen einerseits der Eintritt des Reiches in die durch die Führung dieser Verwaltung bedingten, den Landeshaushalt belastenden Ausgaben - mithin auch die Zahlung der Pensionen und Unterstützungen für bereits ausgeschiedene Beamte und deren Hinterbliebene - anderseits der Übergang des zur Erfüllung der Zwecke der Verwaltung bestimmten beweglichen und unbeweglichen Inventares auf das Reich." Es ist auch im Gesetzesentwurfe vorgesehen, daß die Reichskasse nicht nur die Pensionen an die Hinterbliebenen übernehme, welche durch ein späteres Ableben des übernommenen Beamten fällig werden, sondern auch die bereits bewilligten Pensionen und Unterstützungen.
Das Oberlandesgericht hat daher den Artikel 18 der Reichsverf. und dessen Erläuterung in dem zur Reichsverfassung gehörigen Protokolle vom 15. November 1870 unrichtig ausgelegt und angewendet, und mußte deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben werden.
Diese unrichtige Gesetzesauslegung war aber für die Auslegung der beiden eingangs erwähnten Verträge zwischen dem Reiche und Baden vom 6. Juli und 16. Dezember 1871 bestimmend.
Nachdem nämlich in den Gründen gesagt worden, es würde die Berechtigung der Klagpartei zu dem erhobenen Ansprüche aus der Bestimmung des Art. 18 Abs. 2 der Reichsverf. zu entnehmen sein - vorausgesetzt, daß der Anspruch zugleich als ein dem Postmeister H. selbst zugestandenes Recht angesehen werden könne -, wird hiergegen ausgeführt, daß jedoch diese Bestimmung für die badischen mittelbaren und unmittelbaren Reichsbeamten durch die Vereinbarung zu Versailles vom 15. November 1870, soweit es sich um die hier streitigen Ansprüche handle, für nicht anwendbar erklärt worden sei. Von diesem, durch die Auslegung der Reichsverfassung und ihrer für Baden bindenden Erläuterung gewonnenen Ergebnisse ausgehend, erklärt sodann das Oberlandesgericht die gedachten Konventionen für nicht geeignet, die Verpflichtung des Reichspostfiskus zu begründen; es wird insbesondere angesichts der Vereinbarung im Versailler Protokolle eine besondere Erwähnung der Ansprüche der dereinstigen Relikten in den Konventionen vermißt und deshalb auch aus dem §. 7 des Vertrages vom 6. Juli 1871 nur ein Schluß auf das Gegenteil gezogen. Wenn noch zur Unterstützung der sich hiernach auf die Bestimmung des Versailler Protokolls gründenden Auslegung der abgelehnte Antrag Badens vom 18. November 1871 und Äußerungen der badischen Regierungsorgane aus Anlaß der Vorlage und Beratung des Gesetzes vom 14. März 1872 herangezogen worden, so kann es nach dem ganzen Inhalte und Zusammenhange der Begründung doch keinem Zweifel unterliegen, daß diese außerhalb der klaren und bestimmten Vertragsurkunden liegenden Momente für sich allein nicht zu der geschehenen Vertragsauslegung geführt haben würden, daß vielmehr das Berufungsgericht bei richtiger Auslegung der Reichs- Verfassung und bei Berücksichtigung des aus den Artikeln 38. 49 derselben sich ergebenden, von der Reichsregierung selbst wiederholt ausgesprochenen Grundsatzes, daß das Reich, wenn es eine Verwaltung eines Bundesstaates übernehme, auch in die mit derselben zusammenhängenden Verpflichtungen eintrete, zu einer entgegengesetzten Auslegung der beiden Konventionen hätte gelangen müssen und gelangt wäre.
Da nun aber mit, der Aufhebung des Urteiles zugleich diese für die Auslegung der Konventionen maßgebend gewesene Grundlage beseitigt wird, so ist bei dem unbestrittenen Inhalte dieser Konventionen das Revisionsgericht in Gemäßheit des §. 528 Ziff. 1 C.P.O. in der Lage, auch in der Sache zu entscheiden, indem es die Vereinbarungen vom 6. Juli und 16. Dezember 1871 von dem nach der gegebenen Auslegung des Artikel 18 der Reichsverf. allein richtigen Gesichtspunkte aus auslegt.
Dabei ist in rechtlicher Beziehung noch hervorzuheben, daß der Anspruch der Hinterbliebenen eines badischen Staatsdieners, wie solchen der §. 20 des Staatsdienerediktes vom 30. Januar 1819 normiert, keineswegs die Bedeutung einer Unterstützung oder eines Gnadengehaltes hat, sondern, da der Diener auf Grund dieses Gesetzes angestellt wird, mit seiner Anstellung sämtliche darin zugesicherten Rechte erwirbt, sich als ein Rechtsanspruch des Staatsbeamten selbst darstellt, so daß die Gewährung des Versorgungsgehaltes an die Hinterbliebenen eine durch die Anstellung übernommene Verpflichtung des badischen Staates geworden ist.
Nach dem klaren Wortlaute der §§. 1. 5. 6. 7. 22. 25 der Konvention vom 6. Juli 1871 kann es nun aber keinem Zweifel unterliegen, daß Vollkommen in Übereinstimmung mit Artikel 49 der Reichsverf. und dem oben erörterten Grundsätze über die rechtlichen Folgen der Übernahme einer Einzelstaatsverwaltung durch das Reich dieses in sämtliche Verpflichtungen eingetreten sei, welche dem badischen Staate gegenüber den badischen, in die Postverwaltung des Reiches übergegangenen Postbeamten bereits obgelegen haben oder von demselben durch die Anstellung in Gemäßheit des Artikel 50 der Reichsverf. übernommen wurden, also auch in die aus dem §. 20 des Dienerediktes vom 30. Januar 1819 entspringende Verbindlichkeit; insbesondere ist im §. 7 dieser Konvention nicht ausnahmsweise die daselbst erwähnte Verbindlichkeit übernommen worden, so daß er einen Schluß auf eine entgegengesetzte Regel rechtfertigte, sondern es ist vielmehr darin der Grundsatz des Successionsverhältnisses in seiner letzten Konsequenz anerkannt.
Da in dieser Konvention vom 6. Juli der Eintritt des Reiches in die Verpflichtungen der badischen Regierung bereits geordnet war, so kann darauf kein Gewicht gelegt werden, daß eine Wiederholung in der zweiten Konvention nicht stattgefunden hat, und daß im §. 10 derselben nur die Ruhegehalte besonders erwähnt sind. Damit verliert auch der Antrag der badischen Regierung vom 18. November 1871 die Bedeutung, daß er zu einer anderen Auslegung der damals bereits abgeschlossenen Konvention, durch welche das hier fragliche Rechtsverhältnis bereits geordnet war, führen könnte. Es mag dabei noch darauf hingewiesen werden, daß möglicher Weise die Ablehnung dieses Antrages seitens der Vertreter des Reiches auch aus dem Grunde erfolgt sein kann, weil derselbe auf bereits Geordnetes, also Selbstverständliches, zurückkam.
Die bei den Verhandlungen über das badische Gesetz vom 14. März 1872 geschehenen Äußerungen der badischen Regierungsvertreter konnten, ganz abgesehen davon, daß jenes Gesetz die hier in Betracht kommenden Ansprüche gar nicht betrifft, selbstverständlich die durch den Vertrag vom 6. Juli 1871 geschaffene Rechtslage nicht andern.
Es wird noch hervorgehoben, daß die Konvention auch die unmittelbaren Reichs(post)beamten betreffe, und deshalb, wenn man sie im Sinne der Klägerin auslegte, daraus auch ein Anspruch jener auf den Versorgungsgehalt ihrer Hinterbliebenen hergeleitet werden könnte. Dieser Schlußfolgerung steht aber entgegen, daß es sich nur um Verbindlichkeiten des badischen Staates handelt, in welche das Reich eintreten soll, daß aber die Frage hier nicht zu entscheiden ist, ob die Verpflichtung des badischen Fiskus aus dem citierten §. 20 des Dienerediktes auch den badischen Beamten gegenüber fortbestehe, welche durch den Übertritt in den unmittelbaren Reichsdienst ihr heimatliches Dienstverhältnis gelöst haben. - Hat aber der badische Staat solchen ehemaligen Beamten gegenüber keine Verpflichtung mehr, so hat selbstverständlich das Reich durch die Konvention auch keine solche übernommen. In der mündlichen Verhandlung ist noch vom Vertreter des Beklagten geltend gemacht worden, daß selbst dann, wenn man annähme, Art. 18 Abs. 2 der Reichsverf. bezöge sich nicht auf die mittelbaren Reichsbeamten, die rechtliche Lage zur Zeit des Abschlusses der Konventionen doch die gleiche gewesen wäre, da auch in diesem Falle eine gesetzliche Bestimmung über die Verpflichtung des Reiches zur Bezahlung von Witwenpensionen gefehlt hätte. - Dabei ist jedoch der wesentliche Unterschied übersehen, welcher darin besteht, ob das Gesetz über einen Anspruch schweigt, oder ob solcher, wie im Versailler Protokolle, ausdrücklich abgelehnt ist; nur im letzteren Falle kann die Behauptung aufgestellt werden, eine Übereinkunft, wodurch das Reich sich gleichwohl zu einer solchen Leistung verpflichtete, enthalte ein Abgehen vom Gesetze und diese Absicht, in Abweichung vom Gesetze zu kontrahieren, müsse in der Übereinkunft ausgedrückt sein.
Damit hängt die weitere Frage zusammen, ob das Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 die Ansprüche der Klägerin hinfällig gemacht habe. Es ist nämlich im §. 27 der Konvention vom 6. Juli 1871 vorgesehen, daß dadurch der künftigen Reichsgesetzgebung über die darin behandelten Materien in keiner Weise präjudiziert werden solle. Es kommt hierwegen in Betracht, daß der verstorbene Postmeister H. vor der Erlassung des Reichsbeamtengesetzes angestellt war, mithin das Recht auf die einstige Versorgung seiner Witwe erworben hatte, und der Beklagte in die diesem Rechte entsprechende Verpflichtung des badischen Staates eingetreten war. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein späteres Reichsgesetz diesen wohlerworbenen Rechtsanspruch aufheben konnte, denn dies ist durch das Reichsgesetz vom 31. März 1873 nicht geschehen. Dasselbe regelt die Versorgung der Relikten durch dauernde Leistungen überhaupt nicht, und durch dieses Schweigen werden wohlerworbene Rechte nicht aberkannt; das letztere erklärt sich auch damit, daß man damals schon (vergl. Reichstagsverh. v. 11. Juni 1872, Stenogr. Ber. S. 890/891) die Ordnung der Versorgung der Hinterbliebenen durch Reichsgesetz in Aussicht genommen hatte.
Auch die Frage endlich ist zu Gunsten der Klägerin zu entscheiden, ob sie sich dem Beklagten gegenüber auf diese Konventtonen berufen dürfe. Dieselben enthalten betreffs der Übernahme der dem badischen Staate seinen Beamten gegenüber obliegenden Verbindlichkeiten privatrechtliche Vereinbarungen zu Gunsten dieser Beamten, sind im Gebiete des badischen Rechtes abgeschlossen worden und ebendaselbst zu erfüllen und kann deshalb die Anwendbarkeit des Landrechtssatzes 1121 keinem Bedenken unterliegen."