RG, 11.10.1880 - Va 419/79
Suspension der ehelichen Gütergemeinschaft, falls die Ehefrau zur Zeit der Verheiratung unter Vormundschaft stand.
Tatbestand
Klägerin, welche am 6. März 1846 geboren ist, heiratete, während sie unter Vormundschaft stand. Letztere ist nach Eingehung der Ehe vor Eintritt der Großjährigkeit der Klägerin bis zu deren vollendeten: dreißigsten Lebensjahre verlängert. In vormundschaftsgerichtlicher Verhandlung vom 6. Mai 1876 hat Klägerin die eheliche Gütergemeinschaft ausgeschlossen; dieses ist auch vorschriftsmäßig bekannt gemacht. Am 14. Dezember 1876 ist sie für blödsinnig erklärt. Beklagter hatte gegen ihren Ehemann eine Forderung von 2323 Mark 25 Pf. erstritten. Auf seinen Antrag ist am 20. Dezember 1877 die Abfindungsforderung der Klägerin von 6000 Mark in Höhe des gedachten Betrages mit Arrest belegt und dem Beklagten überwiesen; auch ist der Arrest im Grundbuch bei der Abfindungsforderung eingetragen. Der Vormund der Klägerin beantragte, den Beklagten zu verurteilen, den Arrest auf seine - des Beklagten - Kosten zur Löschung zu bringen. Beklagter beantragte Abweisung. In erster Instanz ist nach dem Klagantrag, in zweiter Instanz ist auf Abweisung erkannt. Auf die von dem Vormunde eingelegte Revision ist auf Wiederherstellung des ersten Erkenntnisses erkannt aus folgenden Gründen:
Gründe
"Das Gesetz vom 9. Dezember 1869 (G.S. S. 1177) kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht, da dasselbe erst am 1. Juli 1870 in Kraft getreten ist, die am 6. März 1846 geborene Klägerin das nach dem bisher gültigen Recht zur Großjährigkeit erforderliche Alter aber schon am 6. März 1870 erreicht hatte, und da dieses Gesetz über die Aufhebung der Vormundschaft nichts enthält. Daher ist durch dasselbe auch die Vorschrift der §§. 698 flg. A.L.R. II. 18, wonach die Vormundschaft bis sechs Jahre über den gesetzlichen Termin der Volljährigkeit verlängert werden darf, nicht berührt. Die erfolgte Verlängerung hätte daher, wenn nicht inzwischen die Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 in Kraft getreten wäre, bis zum 6. März 1876 ihre Wirksamkeit behalten. Die Vormundschaftsordnung ist aber nach §. 92 am 1. Januar 1876 in Kraft getreten, und sie findet, mit einigen hier nicht interessierenden Einschränkungen, auch auf die schwebenden Vormundschaften Anwendung. Nach §. 61 hört die Vormundschaft auf, wenn der Mündel die Großjährigkeit erreicht hat. Eine Verlängerung derselben über den Großjährigkeitstermin ist nicht zugelassen. Demnach hörte die Vormundschaft über die Klägerin am 1. Januar 1876 auf, und zwar mit allen Wirkungen, welche an die Aufhebung der Vormundschaft geknüpft sind. Es ist aber keineswegs eine dieser Wirkungen, daß die bis dahin suspendiert gewesene Gütergemeinschaft ohne weiteres fortfiel und nunmehr die Ehegatten in Gütergemeinschaft lebten. Die Verheiratung der Klägerin hatte vor dem 1. Januar 1876 stattgefunden, zu einer Zeit, als sie bevormundet war, und unter der Herrschaft des §. 782 A.L.R. II. 18. Die Suspension muß daher nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts ihre Erledigung finden. Demnach kann es ganz dahin gestellt bleiben, ob die §§. 782 - 799 a. a. O. durch die Vormundschaftsordnung beseitigt sind. Die letztere enthält keinerlei Bestimmungen über die Beendigung der Suspension und kann deshalb auch §. 92 derselben zur Entscheidung der Frage nicht herangezogen werden. Das A.L.R. II. 18. §. 782 bestimmt nun, daß die Gütergemeinschaft bis nach erfolgter Aufhebung der Vormundschaft ausgeschlossen bleibt. Sie tritt auch nicht mit diesem Moment von Rechts wegen ein. Als allgemeine Regel für den Eintritt derselben, und zwar mit Erstreckung der Wirkung derselben bis auf den Anfang der Ehe, ist in den §§. 785 u. 786 a. a. O. vorgeschrieben, daß das Gericht, gleich nach aufgehobener Vormundschaft die Ehefrau zu vernehmen hat, ob sie in dergleichen Gemeinschaft mit dem Ehemann zu treten gesonnen sei, wobei es ihr die erforderlichen Belehrungen zu erteilen hat. Die Gütergemeinschaft tritt nach den §§. 790 und 791 a. a. O. ein, 1) wenn die Ehefrau in die Gemeinschaft willigt, 2) wenn sie drei Monate nach der erteilten Belehrung verstreichen läßt, ohne sich zur Ausschließung der Gemeinschaft zu erklären und die gehörige Bekanntmachung zu suchen. Dieses gilt für alle Fälle der Aufhebung der Vormundschaft. Ist der Aufhebungsgrund für die Vormundschaft aber die erlangte Volljährigkeit, so tritt die gedachte Wirkung nach den §§. 794 u. 795 a. a. O. schon alsdann ein, wenn die Ehefrau nicht binnen drei Monaten nach erlangter Volljährigkeit auf Ausschließung der Gütergemeinschaft angetragen hat, selbst dann, wenn eine Erklärung von der Ehefrau nicht erfordert ist, in welchem Fall sie allerdings Regreßrechte gegen den Richter und den Vormund hat. Daß §. 794 nur auf den gedachten Fall der Aufhebung der Vormundschaft sich bezieht, ergiebt sich nicht nur aus dem Wortlaut desselben, sondern auch daraus, daß es sonst unverständlich gewesen wäre, wie im allgemeinen bestimmt werden konnte, die drei Monate sollen erst von der richterlichen Belehrung, und gleich hinterher vorgeschrieben werden konnte, sie sollen schon mit dem Aufhören der Vormundschaft zu laufen beginnen. Es wäre dieses ein offenbarer Widerspruch. Derselbe ist aber nicht vorhanden, wenn, wie geschehen, anzunehmen ist, daß der §. 794 einen besonderen Fall, den des Aufhörens der Vormundschaft durch Erreichung der Volljährigkeit, behandelt. Die Anwendung dieses Paragraphen ist aber ferner für den Fall ausgeschlossen, daß die Ehefrau zwar die Volljährigkeit erreicht hat, aber unter Vormundschaft bleibt. Denn die Gütergemeinschaft bleibt nach der allgemeinen Regel des §. 782 jedenfalls bis nach erfolgter Aufhebung der Vormundschaft ausgeschlossen. Sind nun die drei Monate nach Erreichung der Volljährigkeit verstrichen, und hat die Gütergemeinschaft wegen fortdauernder Vormundschaft nicht eintreten können, so fehlt es an demjenigen bestimmten Moment für den Eintritt der Gütergemeinschaft ohne vorgängige richterliche Belehrung, welches §. 794 im Auge hat. Willkürlich würde es sein, für die drei Monate seit Erreichung der Volljährigkeit drei Monate seit dem Aufhören der Vormundschaft zu setzen. Demnach tritt in solchem Fall die Gütergemeinschaft der allgemeinen Regel entsprechend nur dann ein, wenn die Ehefrau in dieselbe einwilligt, oder drei Monate nach der Belehrung verstreichen läßt, ohne die Gütergemeinschaft auszuschließen und die gehörige Bekanntmachung zu suchen.
Hieraus ergiebt sich die Annahme des Appellationsrichters, daß die Gütergemeinschaft der Klägerin mit ihrem Ehemann am 1. April 1876 eingetreten sei, als unrichtig. Vielmehr ist dieselbe überhaupt nicht eingetreten, da Klägerin am 6. Mai 1876 die vorgeschriebene Belehrung erhalten und an diesem Tage die Gütergemeinschaft ausgeschlossen hat, diese Ausschließung auch bekannt gemacht worden und die Arrestierung und Überweisung der Abfindungsforderung der Klägerin erst nachher erfolgt ist. Die Arrestierung und Überweisung wegen einer Schuld des Ehemannes war daher unzulässig."