RG, 24.06.1880 - IV 153/80
Ist der Streit über die gutsherrliche Verpflichtung, zur Unterhaltung einer Schule beizutragen, vom Rechtswege ausgeschlossen?
Tatbestand
Kläger ist Besitzer des Rittergutes Obergräditz, Kreis Schweidnitz. In dem benachbarten Orte Königlich Gräditz besteht eine öffentliche katholische Schule, in welche die katholischen Kinder zu Obergräditz gewiesen sind. Der Vorstand dieser Schule hat im Jahre 1877 von dem Kläger den durch das Schulreglement für die Provinz Schlesien und die Grafschaft Glatz vom 18. Mai 1801 den Gutsherren auferlegten Beitrag zur Unterhaltung der Schule mit 216 Mark 7 Pf. eingezogen. Kläger behauptet, dieser Beitragspflicht nicht unterworfen zu sein, und hat gegen den Schulnotstand auf Anerkennung, daß die Gutsherrschaft zu Obergräditz zu Leistungen für die katholische Schule zu Königlich Gräditz nicht verpflichtet sei, Klage erhoben. Durch Urteil beider Vorinstanzen ist der Rechtsweg für unzulässig erklärt. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers ist für begründet erachtet worden.
Gründe
"Die Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft die Annahme des Appellationsrichters, daß über die auf dem Gesetz beruhende Verpflichtung des Gutsherrn, zur Unterhaltung der Gemeindeschule beizutragen, der Rechtsweg unzulässig ist. In einem gleichartigen Falle, dessen unwesentlicher Unterschied darin bestand, daß die Verpflichtung des Gutsherrn aus den Bestimmungen des Titel 12 Teil II des Allgemeinen Landrechts abgeleitet wurde, während sie hier auf das Schulreglement für die katholischen Schulen in Schlesien vom 18. Mai 1801 gegründet wird, hat sich das ehemalige Königliche Obertribunal in dem Erkenntnis vom 4. Januar 1864 (Entsch. Bd. 50 S. 405) für die Zulässigkeit des Rechtsweges ausgesprochen, und dieser Ansicht muß beigetreten werden. Die entgegenstehenden Ausführungen in den Erkenntnissen des Königlichen Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte vom 11. Oktober 1862, 14. Dezember 1867,13. März und 9. Oktober 1869 und vom 12. März 1870 (Justizministerialblatt 1863 Seite 11, 1868 Seite 118, 1869 Seite 99 und 231, 1870 Seite 112) können nicht für richtig erachtet werden.
Der in Beziehung auf öffentliche Abgaben im allgemeinen gegebene §. 10 des Gesetzes vom 24. Mai 1861 unterscheidet von den öffentlichen Abgaben die aus einem früheren gutsherrlichen Verhältnisse entspringenden Leistungen als auf einem privatrechtlichen Fundament beruhend, und hieraus ließe sich die Konsequenz rechtfertigen, daß das Gesetz auch die in dem Verhältnis des Gutsherrn zur Schulgemeinde wurzelnde Pflicht, zur Unterhaltung der Schule beizutragen, nicht zu den öffentlichen Abgaben rechnet, sondern ihr eine privatrechtliche Natur beimißt. Indes kann hiervon abgesehen werden; denn die direkt einschlägigen Gesetzesbestimmungen führen zu dem gleichen Schluß.
Der für die Lösung der Streitfrage grundlegende, jetzt noch geltende §. 78 des Allgemeinen Landrechtes II. 14 bezeichnet als vom Rechtswege ausgeschlossen die Verbindlichkeit zur Entrichtung allgemeiner Anlagen, denen sämtliche Einwohner des Staates oder alle Mitglieder einer gewissen Klasse derselben nach der bestehenden Landesverfassung unterworfen sind, und es ist hierbei auf den §. 2 verwiesen, nach welchem dem Besteuerungsrechte, als einem Hoheitsrechte des Staates, alle diejenigen unterworfen sind, die für ihre Personen, Vermögen oder Gewerbe den Schutz des Staates genießen. Diese auf allgemeine Staatsabgaben beschränkte Ausschließung vom Rechtswege ist im §. 36 der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialpolizei und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 wiederholt unter Bezugnahme auf jenen §. 78 ausgesprochen und in den §§. 41. 42 derselben Verordnung ist das Exekutionsrecht der Regierungen bei Verfügungen, welche sie in ihrer Eigenschaft als Finanzbehörde erlassen und die sich auf die Vermögensverwaltung des Fiskus beziehen, anerkannt, daneben aber, soweit nicht der §. 78 a. a. O. Platz greift, der Rechtsweg ausdrücklich zugelassen, und das Gleiche bei der Vermögensverwaltung anderer den Regierungen untergeordneten moralischen Personen angeordnet. Diese letztere Bestimmung hat bei vielen Behörden die Ansicht hervorgerufen, daß auch die Kirchen- und Schulabgaben unter die Vorschrift des §. 78 sielen, und das preußische Justizministerium hat sich bald für bald gegen diese Meinung ausgesprochen (vgl. Reskr. vom 23. August 1814 und 5. Juli 1833, v. Kamptz, Jahrb. Bd. 3 S. 258. Bd. 42 S. 115), Hierauf ist, um die Zweifel über die Zulässigkeit der Exekution ohne vorgängigen Prozeß zu beseitigen, die Kabinetsordre vom 19. Juni 1836 erlassen, welche nur als eine Erweiterung der bis dahin gesetzlich bestehenden Ausnahme vom Rechtswege aufgefaßt werden kann. Auch sie beschränkt aber die Ausnahme auf laufende Abgaben und zweijährige Rückstände und entzieht hierdurch die Verpflichtung zu den fraglichen Abgaben nicht vollständig und allgemein dem Prozeßwege, so daß sich nicht als ein Princip der Satz aufstellen läßt, jene Verpflichtung sei zur richterlichen Kognition überhaupt nicht geeignet. Wie weit nun hiernach der Rechtsweg ausgeschlossen oder zugelassen sein mag, so ist für den vorliegenden Fall vornehmlich die Frage in Betracht zu ziehen, ob überhaupt die Abgabe, welche Gegenstand der Klage ist, unter die zu 1 der Kabinetsordre vom 19. Jun 1836 genannten Abgaben zu zählen ist, und dasselbe, was sich bei Beantwortung dieser Frage ergiebt, muß gegenüber der Verordnung vom 24. Mai 1861 gelten, welche im §. 15 nur die in der Kabinetsordre vom 19. Juni 1836 aufgeführten Abgaben und Leistungen behandelt und diejenigen, welche vom Rechtswege ausgeschlossen sein sollen, mit denselben Worten wie die gedachte Kabinetsordre bezeichnet.
Die Gleichstellung der Kirchen- und Schulabgaben mit den Staatsabgaben in Rücksicht der §§. 78 ff. des Allgemeinen Landrechtes II. 14 hat ihren Grund in der gleichartigen Natur beider Kategorien von Abgaben, und setzt selbstverständlich diese Gleichartigkeit voraus, welche sich darin erweist, daß die Eigenschaften und Umstände, welche zur Unterwerfung einer Staatsabgabe unter die §§. 78 flg. erforderlich sind, unter entsprechender Übertragung auf das Verhältnis einer Kirchen- oder Schulgemeinde auch bei Kirchen- und Schulabgaben vorliegen. Die Voraussetzung der Gleichstellung besteht also darin, daß die Bedingungen für die Ausschließung der Staatsabgaben vom Rechtswege auch bei der bezüglichen Kirchen- oder Schulabgabe zutreffen. Der §. 78 verlangt, daß die Anlage eine allgemeine und eine solche sei, welcher sämtliche Einwohner des Staates oder alle Mitglieder einer gewissen Klasse derselben nach der bestehenden Landesverfassung unterworfen sind. Überträgt, man diese Erfordernisse auf die Verhältnisse einer Schulabgabe, so ist als Bedingung aufzustellen, daß die Anlage eine allgemeine, eine solche sei, der sämtliche Mitglieder der Schulgemeinde oder alle Mitglieder einer gewissen Klasse nach einer Bestimmung der Gesetze unterworfen sind, und nur eine derartige Anlage ist in der Nr. 1 der Kabinetsordre vom 19. Juni 1836 mit der Bezeichnung einer allgemeinen gesetzlichen Verbindlichkeit gemeint. Es genügt nicht, daß die Anlage durch ein allgemeines Gesetz, für welches allerdings das Schulreglement vom 18. Mai 1801 zu erachten ist, vorgeschrieben sei, sondern die in dem Gesetz vorgeschriebene Anlage muß bezüglich der dazu verpflichteten Personen eine allgemeine sein, welche die Schulgemeinde von allen ihren Mitgliedern oder allen Mitgliedern einer Klasse derselben zu erheben berechtigt ist, und es kommt darauf au, daß dem Einen Berechtigten eine Mehrheit von Verpflichteten gegenübersteht, weshalb der Fall nicht hierher gehört, daß nach dem Gesetz eine Anlage jeder Schulgemeinde zugesteht, aber nicht jenen genannten, sondern anderen Verpflichteten, namentlich einem Einzelnen gegenüber. Der beklagten Schule gegenüber steht Kläger nur als Einzelner da; die Leistung des Gutsherrn ist für die Beklagte nicht eine allgemeine, nicht eine Leistung der Gemeindemitglieder oder einer Klasse derselben, Kläger ist überhaupt dem Besteuerungsrechte der Beklagten nicht unterworfen, seine aus der Gutsherrlichkeit entspringende Verpflichtung gehört überhaupt nicht in die Kategorie der öffentlichen Abgaben und unterliegt deshalb nicht den für letztere wegen Zulassung des Rechtsweges gegebenen Vorschriften, wie dies mit den von den Mitgliedern der Schulgemeinde zu entrichtenden beständigen Abgaben der Fall ist.
Es ergiebt sich hieraus, daß die dem Gutsherrn durch das Schulreglement vom 18. Mai 1801 auferlegte Beitragspflicht zur Unterhaltung des Lehrers nicht zu den von der Kabinetsordre vom 19. Juni 1836 und §. 15 Gesetz vom 24. Mai 1861 bezeichneten, auf einer allgemeinen gesetzlichen Verbindlichkeit beruhenden Schulabgaben zu rechnen und vom Rechtswege weder nach jenen Vorschriften noch nach §. 78 des Allgemeinen Landrechtes II. 14 ausgeschlossen ist, und ebensowenig enthält der §. 77 oder 78 des Gesetzes vom 26. Juli 1876 eine Beschränkung des Rechtsweges, wie aus dem §. 4 daselbst hervorgeht. Wegen Verletzung der vorgedachten Gesetze ist daher die Entscheidung des Appellationsrichters zu vernichten, das Urteil des ersten Richters abzuändern, der Rechtsweg für zulässig zu erachten und die Sache zu anderweitigen Verhandlung und Entscheidung in die erste Instanz zurückzuweisen."