RG, 13.02.1919 - VI 313/18

Daten
Fall: 
Auslegungsregel des § 125 Satz 2 BGB
Fundstellen: 
RGZ 94, 333
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.02.1919
Aktenzeichen: 
VI 313/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Bonn
  • OLG Köln

Findet die Auslegungsregel des § 125 Satz 2 BGB., daß der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form im Zweifel Nichtigkeit zur Folge hat, Anwendung, wenn die Parteien nach dem vollständigen Abschlusse des Rechtsgeschäfts vereinbaren, daß es beurkundet werden soll?

Tenor

Das Reichsgericht hat obige Frage verneint.

Aus den Gründen

... "Wie die Revision zutreffend rügt, ist die Ansicht des Berufungsgerichts rechtsirrig, daß, wenn die Parteien nach Abschluß eines Vertrags vereinbaren, ihn zu beurkunden, im Zweifel die Gültigkeit des Vertrags von der Beurkundung abhänge, und derjenige diese Vermutung zu entkräften habe, der etwas anderes behaupte. Die Beweisregel des § 125 Satz 2 bezieht sich vielmehr ebenso wie die des § 154 Abs. 2 BGB. (vgl. RGZ. Bd. 62 S. 78 und Urt. des RG. VI. 139/06) auf ein erst abzuschließendes, nicht auf ein bereits abgeschlossenes Rechtsgeschäft.

Die zwei Sätze des § 129 wurzeln in dem gleichen Boden und laufen nebeneinander. Wie Satz 1 ein Rechtsgeschäft im Auge hat, das vor Beobachtung der gesetzlichen Form noch nicht fertig und gültig ist, so setzt auch Satz 2 ein noch nicht fertiges Rechtsgeschäft voraus, das erst in der gewillkürten Form Gültigkeit erlangen soll. Der Satz 2 umfaßt zwei verschiedene Fälle, nämlich den Fall; daß die über einen Vertrag verhandelnden Parteien vereinbaren, er solle in einer bestimmten Form errichtet werden, sowie den Fall, daß in einem Rechtsgeschäfte für spätere, damit im Zusammenhange stehende Rechtsgeschäfte, so für die Kündigung, die Verlängerung, den Rücktritt u. dgl. eine gewisse Form vorgeschrieben wird (vgl. Protokolle der II. Kommission Mugdan Bd. 1 S. 695, 696). § 125 Satz 2 spricht hiernach von einem abzuschließenden oder einem künftigen Rechtsgeschäfte. Die hier für Rechtsgeschäfte allgemein aufgestellte Regel wird in § 154 Abs. 2 für den Vertrag, der die Hauptform der Rechtsgeschäfte bildet, der Deutlichkeit halber wiederholt mit der ausdrücklichen Hervorhebung, daß die Bestimmung einen "beabsichtigten" Vertrag betreffe. Dagegen findet § 125 Satz 2 keine Anwendung, wenn ein Rechtsgeschäft gültig abgeschlossen ist und nach dem Abschluß die Parteien verabreden, daß es in eine bestimmte Form gebracht werden soll. Selbstverständlich können sie auch in einem solchen Falle ausmachen, daß es erst in der bestimmten Form wirksam werden soll. Aber die Auslegungs- und Beweisregel des § 125 Satz 2 greift dann nicht Platz.

Es ist auch gar nicht einzusehen, warum in diesem Falle die Vermutung dafür streiten soll, daß die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts von der Erfüllung der vereinbarten Form abhänge. Tritt die Gültigkeit erst mit der Beurkundung ein, so wird damit das vorher fest abgeschlossene Rechtsgeschäft seiner Wirksamkeit entkleidet und aufgehoben. Es widerspräche allen Grundsätzen über die Beweislast, wenn diese nicht demjenigen zufiele, der die Aufhebung eines Rechtsgeschäfts, sondern dem, der seinen Fortbestand geltend macht. Während ferner nach aller Erfahrung und Regel die Parteien, wenn sie bei Unterhandlungen über ein rechtsgeschäftliches Abkommen verabreden, daß es beurkundet werden soll, seine Wirksamkeit an die Beurkundung knüpfen und auch nur das gelten lassen wollen, was beurkundet wird, kann und wird die gleiche Abrede, die sie nach dem Abschluß eines gültigen Rechtsgeschäfts treffen, die verschiedensten Zwecke verfolgen. Die Beurkundung kann zum Beweis, der Ordnung halber, zur juristischen Fassung, zum Ausweis bei Dritten, auf Wunsch eines Dritten, oder um diesem einen Gefallen zu erweisen, selbst aus Liebhaberei u. s. f. beschlossen werden. Nur jener Erfahrung und Regelgestaltung wollte das Gesetz durch die Vorschriften in § 125 Satz 2 und § 154 Abs. 2 Rechnung tragen. Dagegen bestand kein Anlaß zu einer gesetzlichen Beweisverteilung, wenn die Parteien nach Abschluß eines Rechtsgeschäfts, vielleicht geraume Zeit später, seine Beurkundung vereinbaren. Hier tritt vielmehr der allgemeine Beweisgrundsatz in Kraft, daß derjenige, der behauptet, die Form sei der Gültigkeit des Geschäftes halber bestimmt, und daraus Rechte ableitet, beweispflichtig ist.

Die Entstehungsgeschichte des § 125 Satz 2 läßt auch keinen Zweifel, daß der Gesetzgeber von der vorstehenden Auffassung ausgegangen ist. § 125 ist aus § 91 Abs. 2 des I. Entwurfs hervorgegangen und mit gleichem Inhalt in knapperer Fassung Gesetz geworden. Die Motive, die sich über die Zweckmäßigkeit der Vorschrift verbreiten, sagen ausdrücklich: "Wird für einen bereits geschlossenen Vertrag eine Form nachträglich verabredet, so greift die Regel des Entwurfs selbstverständlich nicht Platz" (Mugdan Bd. 1 S. 452). In der II. Kommission wurde die Fassung angenommen, die jetzt Gesetz ist. Bei der Beratung des § 125 wurde beantragt: "4. Dem § 78 (G. 154) folgenden Absatz beizufügen: Ist eine Beurkundung des abzuschließenden Vertrags verabredet worden, so ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen, solange die Beurkundung nicht erfolgt ist." Am Schluß des Protokolls heißt es: "Die Kommission hielt für beide Fälle (des § 125 Satz 2, nämlich, daß die Parteien bei der Unterhandlung über einen Vertrag verabreden, daß er beurkundet werden soll, oder daß in einem Vertrage für spätere Rechtsgeschäfte eine bestimmte Form vorgeschrieben wird, vgl. oben) die Aufnahme einer Auslegungsregel für ein praktisches Bedürfnis... Die Verschiedenheit zwischen dem Entwurfe, soweit er sich auf den ersten Fall bezieht, und dem Antrag 4 (jetzt § 154 Abs. 2) wurde als eine in der Hauptsache redaktionelle angesehen" (Mugdan Bd. 1 S. 695, 696). Nicht ohne Bedeutung ist ferner, daß in der Kommission beantragt war, in § 116 Abs. 2 des II. Entwurfs (I. Entw. § 78), der fast gleichlautend als § 154 Abs. 2 in das Gesetz übergegangen ist, das Wort "beabsichtigten" zu streichen. "Dieser Antrag will", heißt es im Protokolle, "während der Entwurf den Abs. 2 auf den Fall beschränkt, daß die Parteien bei Beginn oder im Laufe der Verhandlungen vor der mündlichen Einigung die Beurkundung verabredet haben, die Vorschrift auch dann gelten lassen, wenn diese Abrede im unmittelbaren Anschluß an den mündlichen Vertragsschluß erfolgt ist... Der Antrag wurde abgelehnt, soweit er eine sachliche Änderung bezweckt, weil die Auslegungsregel in der vorgeschlagenen Erstreckung auf eine nach vorausgegangener mündlicher Einigung erfolgte Abrede der Beurkundung der tatsächlichen Begründung entbehre und zu rechtlichen Schwierigkeiten führe" (Mugdan Bd. 1 S. 688).

Hieraus erhellt sowohl der enge Zusammmhang zwischen § 125 Satz 2 und § 154 Abs. 2 wie die Übereinstimmung der II. Kommission mit den Motiven, daß § 125 Satz 2 gleich wie § 154 Abs. 2 sich auf den Fall nicht bezieht, wo erst nach Abschluß eines Rechtsgeschäfts dessen Beurkundung vereinbart wurde.

Da hier nun, wie das Berufungsgericht feststellt, nach der mündlichen, an sich gültigen Bürgschaftsübernahme des Beklagten die Schriftform verabredet worden ist, so hat der Beklagte, der daraus Rechte ableitet, daß die Schriftform Bedingung der Gültigkeit des Vertrags war, hierfür den Beweis zu liefern. Einen solchen Beweis hat er gar nicht angetreten. Er haftet daher aus der mündlichen Bürgschaftserklärung" (die nach § 350 HGB. gültig war). ...