RG, 17.12.1917 - IV 342/17
Besonderheiten der Rechtsmittel im Eheprozesse. Wie muß eine Revision begründet werden, die der Kläger trotz Obsiegens in der Vorinstanz eingelegt hat, um die Klage zurücknehmen zu können? Wer hat die Kosten eines solchen Rechtsmittels zu tragen?
Tatbestand
Die Streitteile sind Eheleute. Der Mann hatte Anfechtungs- und Scheidungsklage erhoben, die Frau Widerklage auf Scheidung aus Verschulden des Klägers. Das Landgericht hatte sowohl die Anfechtungs- als die Scheidungsklage abgewiesen, dagegen auf die Widerklage die Scheidung der Ehe ausgesprochen. Die Berufung des Klägers war zurückgewiesen worden. Gleichwohl legte die Beklagte Revision ein, die zu einer Änderung des Urteils führte.
Gründe
... "Die Revision ist von der Beklagten, die in den Vorinstanzen in vollem Umfang obsiegt hatte, nur deshalb eingelegt worden, weil sie sich nachträglich zur Aufrechterhaltung der Ehe entschloß und sich nur durch Einlegung des Rechtsmittels die Möglichkeit zur Zurücknahme ihrer Widerklage, die zur Scheidung geführt hatte, verschaffen konnte. Die Zulässigkeit eines solchen in der Prozeßordnung allerdings nicht vorgesehenen Verfahrens ist im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung des Reichsgerichts zu bejahen. In dieser Hinsicht macht es auch keinen Unterschied, ob die die Revision einlegende Partei das ihr günstige Urteil schon in der ersten oder erst der zweiten Instanz erlangt hatte.
Auch hinsichtlich der formalen Erfordernisse des Rechtsmittels sind keine Bedenken zu erheben. Was im § 554 ZPO. über Revisionsanträge und Revisionsbegründung vorgeschrieben ist, das kann in solchen Fällen nur in dem Umfange Platz greifen, wie es die Sachlage ermöglicht; von der Bezeichnung einer verletzten Rechtsnorm kann begrifflich keine Rede sein. Es genügt hier, wenn die Aufhebung des Berufungsurteils beantragt und als Grund der Revision die Absicht angegeben wird, durch die entsprechenden Prozeßmaßnahmen die Aufrechterhaltung der Ehe herbeizuführen.
Der von der Beklagten zunächst beabsichtigten Zurücknahme der Widerklage hat der Kläger widersprochen, worauf die Beklagte erklärt hat, daß sie die Widerklage unter Verzicht auf den damit geltend gemachten Anspruch zurücknehme. Der Verzicht auf den Anspruch hat materiellrechtliche Wirkung und mußte nach Lage der Sache dazu führen, daß die Widerklage abgewiesen wurde. ...
Auch bei der Entscheidung über die Prozeßkosten mußte der Eigenart der Sachlage Rechnung getragen werden. Die Revision wird in derartigen Fällen nicht im Sinne eines Rechtsmittels benützt, um durch das Revisionsgericht eine Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit des Berufungsurteils vornehmen zu lassen, sondern lediglich dazu, um eine zeitliche Fortdauer des Prozesses herbeizuführen und so dem Revisionskläger die Möglichkeit zu verschaffen, daß er eine Erklärung abgibt, die er an sich ebensowohl in der Vorinstanz hätte abgeben können. Vom Erfolg eines Rechtsmittels (§ 97 ZPO.) kann deshalb hier keine Rede sein. Vielmehr ist das Gewicht darauf zu legen, daß der Revisionskläger es seinem eigenen Verhalten zuzuschreiben hat, wenn die Anrufung der Revisionsinstanz notwendig geworden ist. Daher hat er die Kosten dieser Instanz zu tragen. Im übrigen war über die Kosten gemäß § 92 ZPO. zu erkennen, nachdem nunmehr sowohl die Klage als die Widerklage abgewiesen sind."