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RG, 30.11.1917 - III 271/17

Daten
Fall: 
Vergünstigungen des Wirtsgewerbes
Fundstellen: 
RGZ 91, 239
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
30.11.1917
Aktenzeichen: 
III 271/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG München I
  • OLG München

Ist es nach der Gewerbeordnung zulässig, die Vergünstigungen des Wirtsgewerbes in Ansehung der Sonntagsruhe und des Ladenschlusses dem in den Räumen einer Wirtschaft auf Rechnung eines anderen betriebenen selbständigen Gewerbe zuteil werden zu lassen?

Tatbestand

Der Beklagte, der der Klägerin den Verkauf von Zigarren und Zigaretten in seiner Automatenwirtschaft überlassen hatte, schloß mit ihr am 18. Juni 1915 einen neuen Vertrag, wonach er seinen Bedarf an Zigarren und Zigaretten ausschließlich von der Klägerin beziehen, diese ihm ein "Kommissionslager" liefern und den Verkauf durch zwei von ihr für den Beklagten anzustellende Personen leiten sollte. Über die Vergütungsfrage enthielt Nr. II des Vertrags Bestimmungen, die darauf hinausliefen, daß von einer gegenseitigen Abrechnung abgesehen werden, die Klägerin die Einnahmen behalten und dafür einen Pauschbetrag von jährlich 12.000 M in vierteljährlich vorauszahlbaren Raten an den Beklagten entrichten sollte. Der Beklagte sagte sich zum 31. Dezember 1916 vom Vertrage los, weil dieser nur zur Umgehung gesetzlicher Vorschriften geschlossen worden sei. Die Klägerin erhob Klage auf Vertragserfüllung. Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Ihre Revision blieb erfolglos.

Gründe

"Das Berufungsgericht hält den streitigen Vertrag nicht für einen Scheinvertrag, aber auch nicht für einen Kommissionsvertrag, stellt vielmehr als seinen Inhalt fest, daß der Verkauf von Zigarren und Zigaretten in der Wirtschaft des Beklagten ausschließlich auf Rechnung der Klägerin und durch sie, d. h. durch einen von Einwirkungen des Beklagten unabhängigen, wirtschaftlich selbständigen Betrieb erfolgen sollte, und findet darin eine die Nichtigkeit des Vertrags begründende Umgehung des nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Sammlung Bd. 11 S. 397) aus den §§ 412, 105d Abs. 2, 105i, 139e GewO. zu entnehmenden Verbots, die Vergünstigungen des Wirtsgewerbes in Ansehung der Sonntagsruhe und des Ladenschlusses dem in einer Wirtschaft auf Rechnung eines anderen betriebenen selbständigen Gewerbe zuteil werden zu lassen. Die Auslegung des Vertrags entspricht den Auslegungsgrundsätzen (§§ 133. 157 BGB.) und rechtfertigt, die Richtigkeit der vom Obersten Landesgerichte vertretenen Auslegung der Gewerbeordnung vorausgesetzt, die Annahme der Nichtigkeit des Vertrags nach § 134 BGB. Der Sinn des durch die Strafandrohung des § 146a GewO. geschützten Verbots geht danach dahin, daß andere Personen als die Wirte selbst in der Zeit, für die der Verkauf in offenen Verkaufsstellen verboten ist, in Wirtschaften keine Gegenstände auf eigene Rechnung, sei es auch auf den Namen des Wirtes, verkaufen dürfen. Dieses Verbot wurde nicht bloß umgangen, sondern durch Zuwiderhandlung unmittelbar verletzt, wenn, wie nach der Vertragsauslegung des Berufungsgerichts hier vereinbart war, der Verkauf ausschließlich auf Rechnung der Klägerin und durch sie geschah.

Die Entscheidung hängt also nur davon ab, ob der Auffassung des Obersten Landesgerichts, die auch Landmann, GewO. § 41a Anm. 4. 7. Aufl. S. 512 teilt (vgl. auch Rohrscheidt, GewO. § 105i Anm. 5,6), zuzustimmen ist. Diese Frage ist zu bejahen. Das erwähnte Urteil, das den Verkauf von Waren mittels Automaten betrifft, stellt diesen dem Verkaufe durch Personen gleich, und führt dann aus: Es stehe nichts im Wege, nach der Ladenschlußzeit an Sonn- und Festtagen, ferner an Werktagen nach 9 Uhr abends durch selbsttätige Verkaufskästen, die von den Wirten selbst und zum Verlauf auf ihre Rechnung aufgestellt worden seien, den Gästen alle diejenigen Waren zu verabfolgen, die innerhalb des Gast- und Schankwirtschaftsgewerbes abgegeben zu werden pflegen. Würden dagegen die selbsttätigen Verlaufskästen von anderen Gewerbe- und Handeltreibenden zum Verkauf auf ihre Rechnung aufgestellt, so seien sie offene Verkaufsstellen dieser Personen, nicht der Wirte. Eine abweichende Beurteilung sei nur dann veranlaßt, wenn jene Personen die Waren den Inhabern der Wirtschaftsräume zum kommissionsweisen Verkauf überlassen hätten, da in diesem Falle der Verkauf durch die Wirte selbst erfolge. Nur müsse in der Tat ein Kommissionsvertrag im Sinne des § 383 HGB. in Frage stehen, mithin der Wirt selbst im eigenen Namen die Waren verkaufen. Unrichtig sei dagegen die Ansicht, daß das den Wirten nach § 105i GewO. zustehende Privilegium durch Pachtvertrag übertragen werden könne. Es sei schon durch die Natur der Sache ausgeschlossen, daß die Wirte eine ihnen durch das öffentliche Recht gewährte Ausnahmebefugnis einem beliebigen Dritten zur Ausübung überlassen dürften; sonst wären sie in der Lage, der von ihnen gewählten Person Befugnisse und Vorrechte zu erteilen, die die Staatsbehörden nicht gewähren könnten. Überdies würde ein solcher Rechtszustand mit dem Grundgedanken des § 41a GewO. unverträglich sein, weil die Wirte einzelne Gewerbetreibende in den Stand setzen konnten, zum Unterschiede von ihren Geschäftskonkurrenten während der Zeit der Sonntagsruhe von offenen Verkaufsstellen aus ihr Handelsgewerbe zu betreiben.

Abweichend hiervon hat das Kammergericht in einer Entscheidung vom 26. Oktober 1908 (Reger, Entsch. Bd. 29 S. 362), die sich auf den in größeren Wirtschaften üblichen Verkauf von Blumen bezog, ausgesprochen, daß dieser Verkauf zu dem während der Sonntagsruhe erlaubten Betriebe der Schankwirtschaft auch dann zu rechnen sei, wenn der Schankwirt den Verkaufsstand an einen andern verpachtet habe. Die Begründung geht dahin: Daß der Wirt den Verkauf nicht selbst vorgenommen, sondern, um sich zu entlasten, in der Form der Verpachtung des Verkaufsstandes dem Angeklagten gegen Bezahlung überlassen habe, ändere an dem wirtschaftlichen Charakter des Unternehmens nichts. Es komme darauf an, welchen Zwecken der Vertrieb der Blumen nach der Ansicht des in der Wirtschaft verkehrenden Publikums diente und dienen sollte. Den Gästen sei es gleichgültig, in wessen Namen und für wessen Rechnung der Verkauf stattfinde. Vielfach werde es ihnen nicht einmal bekannt sein, welches Rechtsverhältnis zwischen dem Leiter des Verkaufs und dem Wirte bestehe. In dem Urteile vom 20. Januar 1913 (Reger, Entsch. Bd. 34 S. 71) hat das Kammergericht seinen Standpunkt gegenüber dem Urteile des Obersten Landesgerichts aufrecht erhalten und ausgesprochen: Ob ein Verkauf von Ansichtskarten in Schankwirtschaften durch Kartenhändler für die Bemessung der Sonntagsruhezeit als selbständiger Betrieb oder als Teil des Wirtschaftsbetriebes zu erachten sei, bemesse sich nach der Verkehrsanschauung, der Auffassung des Publikums und der Bestimmung des Kartenverkaufs selbst. Das zwischen dem Schankwirt und dem Kartenverkäufer bestehende zivilrechtliche Verhältnis sei für die Beurteilung dieser Frage belanglos.

Die Auffassung des Kammergerichts ist mit dem Sinn und Zwecke der einschlägigen Vorschriften nicht vereinbar. Nach § 105i GewO. finden die Vorschriften der §§ 105b bis 105g über die Sonntagsruhe auf Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe keine Anwendung. Für sie gilt daher auch nicht das Verbot des Gewerbebetriebes in offenen Verkaufsstellen nach § 41a. Ebenso ist anerkannt, daß Gast- und Schankwirtschaften nicht unter § 139e fallen, wonach offene Verkaufsstellen von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens für den geschäftlichen Verkehr geschlossen sein müssen. Diese Vergünstigungen beruhen auf der besonderen Art des Gewerbes und dienen damit zugleich den Bedürfnissen des Publikums, das die Wirtschaften an Sonn- und Festtagen, sowie überhaupt zu der für andere Gewerbe geschlossenen Zeit in besonderem Maß in Anspruch zu nehmen pflegt. Die Rücksicht auf das Publikum mag es rechtfertigen, seiner Auffassung Gewicht beizulegen, wenn es sich darum handelt, welche Erwerbshandlungen außer der Verabfolgung von Speisen und Getränken in den Bereich des Gast- und Schankwirtschaftsgewerbes fallen. Sie kann aber nichts daran ändern, daß die Vergünstigungen nur diesem Gewerbe, also nur denjenigen gewährt werden, die es ausüben, nicht anderen Personen, die, wenn auch in den Räumen einer Wirtschaft und zu ihrer Unterstützung, aber selbständig und auf eigene Rechnung Handel treiben. Die Meinung des Publikums kann nicht dafür maßgebend sein, wie das Gesetz in dieser Beziehung auszulegen ist. Daß der Verkauf von Zigarren und Zigaretten in den Rahmen des Wirtsgewerbes fällt, genügt nicht, um die Vergünstigung des Wirtsgewerbes für andere Personen als den Wirt in Anspruch zu nehmen. Ebensowenig ist es aber entscheidend, wenn, wie hier, der Wirt seinen Namen zum Verkaufe hergibt oder, wie die Revision betont, der Verkauf auf seinen Namen stattfindet. Wie der Wirt nicht seine Konzession (§ 33 GewO.) im ganzen einem anderen zur Ausübung überlassen kann (vgl. die Urteile des erkennenden Senats Rep. III. 115/15 und Rep. III. 20/17, Leipz. Zeitschr. 1916 S. 318, 1917 S. 970), so kann er auch nicht einzelne aus ihr fließende Befugnisse übertragen. Schon aus diesem Gesichtspunkt ist die Auffassung des Kammergerichts nicht haltbar und derjenigen des Obersten Landesgerichts zuzustimmen. Mit Recht weist letzteres aber auch darauf hin, daß nur von seinem Standpunkt aus der Grundgedanke des gleichzeitig mit den Vorschriften über die gewerbliche Sonntagsruhe Gesetz gewordenen § 41a genügend berücksichtigt wird. Durch diese Vorschrift soll verhütet werden, daß jene Gewerbetreibenden, die Hilfspersonal beschäftigen und insoweit nach §§ 105d flg. zur Einhaltung der Bestimmungen über die Sonntagsruhe verpflichtet sind, durch den Wettbewerb der ohne solche Hilfe arbeitenden Gewerbetreibenden geschädigt werden (vgl. Landmann, GewO. § 41a, Anm. 1). Der Schutz der Gewerbetreibenden vor gegenseitigem Wettbewerbe würde in ganz erheblichem Maße beeinträchtigt werden, wenn die Wirte, soweit sie selbst befugt sind, während der für andere Gewerbe verbotenen Zeit Gegenstände an ihre Gaste abzugeben, diese ihre Befugnisse auf andere Handels- oder Gewerbetreibende übertragen dürften.

Somit sind die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen Wirt und Verkäufer für die Frage, ob ein Verstoß gegen das fragliche Verbot vorliegt, nur dann unwesentlich, wenn der Wirt derjenige bleibt, auf dessen Rechnung und Verantwortung der Verkauf stattfindet. Das war aber nach dem vom Berufungsgerichte festgestellten Vertragsinhalte hier nicht der Fall." ...