RG, 16.11.1881 - I 415/81

Daten
Fall: 
Versichertes Eigentumsinteresse
Fundstellen: 
RGZ 7, 9
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.11.1881
Aktenzeichen: 
I 415/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Rostock

Ist das versicherte Eigentumsinteresse auch dann vorhanden, wenn dem Versicherten nur das formelle (nackte) Eigentum ohne alle materiellen Rechte zusteht? Wird das materielle Eigentumsinteresse durch die dem materiell Berechtigten gegenüber von dem nur formellen Eigentümer eingegangene Verpflichtung zur Versicherungsnahme ersetzt?

Aus den Gründen

"Da die Kläger als Cessionare des Versicherten - des S. B. in R. - nur dessen Rechte geltend machen können, kommt es darauf an, ob ein versicherungsfähiges Eigentumsinteresse an den Schiffen "S. B." und "H. B." (welches Gegenstand der Versicherungsverträge war) auf Seiten des S. B. nach den Angaben der Kläger vorhanden gewesen ist.

Diese Frage ist aber mit Recht verneint worden. Denn nachdem die Beklagte in der Vernehmlassung bestritten hatte, daß S. B. jemals Eigentümer irgend einer Part der hier fraglichen Schiffe gewesen sei, haben die Kläger eingeräumt, mit den Verkäufen der zum Gesellschaftsvermögen ihrer Firma gehörig gewesenen, bis dahin unter britischer Flagge fahrenden Schiffe an S. B. sei nur bezweckt, die Schiffe unter deutscher Flagge fahren lassen zu können, S. B. habe deshalb den Kaufpreis nicht bezahlt und sich den Klägern gegenüber schriftlich verpflichtet, jederzeit auf erstes Erfordern ohne Entgelt die Schiffe mit allem Zubehör, Schuld und Unschuld, an die Kläger zurückzuübertragen und bis dahin den Klägern alle Nutzungen der Schiffe und alle durch den Betrieb der Seefahrt mit denselben erzielten Einnahmen, soweit solche in seine Hände gelangen würden, sofort auszukehren unter alleiniger Abrechnung der ihm entstandenen Auslagen und Unkosten. Hiernach kann offenbar von einem Verkaufe der Schiffe nicht die Rede sein. Denn dieser erfordert begrifflich, daß derjenige, welcher die Sache erhalten soll, sich verpflichtet, dafür seinerseits ein Äquivalent an Geld, einen Kaufpreis zu bezahlen, und daß er den Vermögenswert der Sache für sich erhalten soll, während hier nach dem Zugeständnisse der Kläger weder das eine noch das andere beabsichtigt war, S. B. vielmehr die Schiffe ohne Entgelt übertragen erhalten und ebenso ohne Entgelt jederzeit an die Kläger zurückgeben sollte und wollte, auch in der Zwischenzeit nur die Stellung eines Mandatars der Kläger hatte und die Rhederei für deren Rechnung betrieben wurde. Auch ein Kaufvertrag unter Vorbehalt des Rückkaufes war offenbar nicht gewollt, sondern ein Verkauf der Schiffe durch die gedachten schriftlichen Kaufkontrakte - bills of sale- nur fingiert, um den Schiffen das Fahren unter deutscher Flagge zu ermöglichen.1

Daß demungeachtet mit dem simulierten Verkaufe von den Kontrahenten möglicherweise ein anderes Rechtsgeschäft beabsichtigt sein konnte, insbesondere auch ein auf Übertragung des Eigentumes an den Schiffen gerichtetes, haben die vorigen Richter keineswegs verkannt, sondern unter Bezugnahme darauf, daß sowohl nach deutschem Rechte (Art. 439 H.G.B.) als auch nach englischem Rechte zum Eigentumsübergange bei Schiffen die in den hier fraglichen bills of sale enthaltene Erklärung der Übertragung ( transfer) genügt, ausdrücklich anerkannt. Kläger behaupten nun auch, daß jedenfalls diese Eigentumsübertragung von ihnen gewollt sei und habe gewollt sein müssen, da ihnen sehr wohl bekannt gewesen, daß ein ihnen, als Ausländern, gehöriges Schiff nicht unter deutscher Flagge fahren könne; sie hätten sich deshalb ihrerseits nur das aus den schriftlichen Reversen des S. B. ergebende "obligatorische" Interesse an den Schiffen reserviert, und auch die in die sofort nach Abschluß der Versicherungen von S. B. vorgenommenen Sessionen der Polizen an die Kläger aufgenommene Bezeichnung der Kläger als "Eigner" des Schiffes, bezw. der Schiffsparten solle nur dieses "obligatorische" Interesse der Kläger ausdrücken.

Nimmt man aber auch an, daß - was von der Beklagten bestritten wird - die Übertragung des formellen (nackten) Eigentumes der Schiffe wirklich beabsichtigt und zur Ausführung gebracht sei, und daß dieselbe auch rechtswirksam habe geschehen können, so ist es doch durchaus richtig, wenn die vorigen Richter ein solches bloß formelles Eigentum des S. B. als für die abgeschlossenen Versicherungsverträge ungenügend und unerheblich betrachten. Denn den Gegenstand der Versicherungen bildet das volle, materielle Eigentumsinteresse des Versicherten an den betreffenden Schiffen, bezw. Schiffsparten, mithin der - wenn nicht versichert wäre - für den Versicherten auf dem Spiele stehende volle Wert dieser Vermögensgegenstände. An einem solchen Interesse würde

es aber dem S. B., auch wenn er formell Eigentümer gewesen wäre, bei den von ihm den Klägern gegenüber eingegangenen Verpflichtungen vollständig gefehlt haben. Insbesondere ist es unzutreffend, wenn die Kläger diese Verpflichtungen jetzt als deshalb unerheblich darzustellen suchen, weil S. B., um sie erfüllen zu können, verpflichtet gewesen sei, die Schiffe unter Versicherung zu halten. Denn ... sollte auch wirklich eine Verpflichtung zur Versicherungsnahme von S. B. übernommen sein, so würde doch das sich hieraus ergebende Interesse ein ganz anderes gewesen sein, als das Eigentumsinteresse, sodaß die Versicherungen schon nach Art. 783 H.G.B. und nach §. 2 a. E. der den Polizen zum Grunde liegenden Allgemeinen Seeversicherungsbedingungen von 1867 für die Beklagte unverbindlich wären. Scheinbar fällt allerdings die Gefahr des zur Versicherungsnahme Verpflichteten mit demjenigen Interesse, für welches die Versicherung genommen werden soll, materiell zusammen. Aber nicht die Übernahme einer solchen Verpflichtung, sondern nur deren Verletzung würde bewirkt haben, daß die Gefahr als von S. B. selbst übernommen angesehen werden könnte, während im Augenblicke der Versicherungsnahme diese ihm drohende Gefahr beseitigt, zur Zeit der Unfälle daher jedes Interesse auf seiner Seite erloschen war.2

Auch in ihrer Appellationsrechtfertigung haben Kläger nicht darzulegen vermocht, daß und inwiefern S. B. irgend eine Gefahr des Unterganges oder der Beschädigung der Schiffe zu tragen gehabt habe; es kann daher den vorigen Richtern darin nur beigetreten werden, daß nicht nur alle aus dem Besitze und der Benutzung der Schiffe erwachsenden Vorteile, sondern andererseits auch alle damit zusammenhängenden Nachteile und Gefahren sich in dem s. g. "obligatorischen" Interesse der Kläger konzentrierten, und zwar gerade so, wie es bei einem wirklichen Eigentume der Fall gewesen wäre. Die Unrichtigkeit der Ansicht der Kläger, daß in allen Fällen das Eigentum des Versicherten, schon für sich allein ein versicherbares Interesse desselben begründe, widerlegt sich schon durch die Unzulässigkeit und Unwirksamkeit der Über- und der Doppelversicherung (H.G.B. Artt. 790 flg.), wie denn auch in §. 4 Abs. 4 der Allgem. Seeversicherungsbedingungen ausdrücklich ausgesprochen ist, daß eine Versicherung nur so weit gültig sei, als derjenige, für dessen Rechnung sie genommen wurde, ein Interesse an dem versicherten Gegenstande hat (vgl. auch Art. 886 H.G.B. und §. 144 der Bedingungen). Es beruht dies darauf, daß durch die Versicherung nur der Nachteil ersetzt werden soll, welcher infolge der Gefahr, gegen welche versichert wird, sonst den Versicherten treffen würde. Die Versicherung des Eigentumsinteresse kann daher selbst dann ungültig sein, wenn dem Versicherten das Eigentum auch materiell seinem vollen Umfange nach zusteht, falls nämlich die betreffende Gefahr infolge irgend eines Grundes nicht ihn, sondern einen anderen trifft, was z. B. bei dem Rheder der Fall ist, welcher sein Schiff bis zu dessen ganzem Werte verbodmet oder mit Schiffsschulden, für welche er persönlich nicht haftet, belastet hat.3

Wenn ferner die Kläger ihre Behauptung, das rechtliche Interesse des S. B. bedürfe keines weiteren Nachweises, als des Nachweises seines Eigentumes, auf Artt. 904 und 905 H.G.B, stützen, nach welchen es bei der Veräußerung des versicherten Gegenstandes und auch bei der Veräußerung von Schiffsparten (ja in beschränktem Umfange auch des Schiffes selbst) zulässig ist, dem Erwerber die dem Versicherten nach dem Versicherungsvertrage auch in Bezug auf künftige Unfälle zustehenden Rechte mit der Wirkung zu übertragen, daß der Erwerber den Versicherer ebenso in Anspruch zu nehmen befugt ist, als wenn die Veräußerung nicht stattgefunden hätte und der Versicherte selbst den Anspruch erhöbe, so ist dies unzutreffend. Denn grundsätzlich würde durch die Veräußerung des versicherten Gegenstandes, sobald infolge derselben die Gefahr auf den Erwerber übergeht, der Versicherungsvertrag wegen des Wegfalles eines Interesses des Versicherten hinfällig werden. Jene Bestimmungen statuieren daher nur eine spezielle Ausnahme von der Regel, aus welcher weitergehende Konsequenzen nicht gezogen werden dürfen. Ihre prinzipielle Bedenklichkeit ist auch bei der Beratung des Gesetzes sehr wohl erkannt, und man entschloß sich zu diesen Bestimmungen nur mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Verkehres (namentlich beim Verkaufe schwimmender Ladungen), sowie auf die Gebräuchlichkeit (vgl. Protokolle S. 3640 flg,).

Ebenso unbegründet ist die Ansicht der Kläger, daß ihnen die Versicherung des Cascointeresse rechtlich unmöglich gewesen sei. Denn nach Art. 782 H.G.B. und §. 1 der Bedingungen kann jedes in Geld schätzbare Interesse, welches irgend jemand daran hat, daß Schiff oder Ladung die Gefahren der Seeschiffahrt bestehe, Gegenstand der Versicherung sein. Es würde also durchaus zulässig gewesen sein, daß die Kläger selbst für das Interesse, welches sie inhalts der ihnen von S. B. ausgestellten Reverse an den Schiffen behielten, Versicherung nahmen, mochte auch formell das Eigentum der Schiffe auf diesen übergegangen sein. Eben deshalb ist es, wie die vorigen Richter mit Recht hervorheben, unzulässig und hat es gerade durch das Gesetz ausgeschlossen werden sollen, daß zugleich der nur formelle, die Gefahr der Schiffe nicht tragende Eigentümer auch seinerseits das volle Interesse versichere. Sollte thatsächlich eine solche Versicherung nicht zu erreichen gewesen sein, weil etwa die Kläger sich scheuten, ihr Verhältnis zu den Schiffen den Assekuradeuren aufzudecken, oder well die letzteren Bedenken trugen, sich auf die Versicherung eines so eigentümlichen und ungewöhnlichen Interesses einzulassen, so würden die Kläger dies als eine Folge der von ihnen beabsichtigten Umgehung des deutschen Gesetzes vom 25. Oktober 1867, die Nationalität der Kauffahrteischiffe u. s. w. betreffend, lediglich sich selbst zuzuschreiben haben, ohne daraus einen Grund für die Rechtsbeständigkeit der von ihrem Cedenten S. B. für seine Rechnung genommenen Versicherung herleiten zu können." ...

  • 1. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 2 Nr. 44 S. 168, Nr. 45 S. 173.
  • 2. Vgl. Entsch. d. R.O.H.G.'s Bd. 14 Nr. 43 S. 133.
  • 3. Vgl. Protokolle zum Handelsgesetzbuche S. 3017 - 3020 und S. 4253.