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RG, 12.02.1884 - II 5/84

Daten
Fall: 
Entfernung vom Sitze des Prozeßgerichtes des Schwurpflichtigen
Fundstellen: 
RGZ 11, 377
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.02.1884
Aktenzeichen: 
II 5/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • OLG Dresden

Ist ein Beschluß, durch welchen angeordnet wird, daß der Schwurpflichtige, obwohl er sich in großer Entfernung vom Sitze des Prozeßgerichtes aufhält, den Eid vor dem Prozeßgerichte zu leisten hat, anfechtbar?

Tatbestand

Das Oberlandesgericht Dresden hatte zur Leistung eines von ihm erkannten Eides Termin bestimmt und den späteren Antrag des in Remscheid wohnhaften Schwurpflichtigen, daß ihm der Eid vor dem Gerichte seines Wohnortes abgenommen werde, zurückgewiesen. Die gegen diesen Beschluß eingelegte Beschwerde wurde als unzulässig verworfen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Derartige Beschlüsse sind einer Anfechtung nicht unterworfen. Die Abnahme eines durch Urteil oder Beweisbeschluß angeordneten Eides gehört zur Beweisaufnahme, beurteilt sich mithin nach den Vorschriften des §. 320 C.P.O., wie auch die Motive S. 243 ausdrücklich hervorheben. Der §. 320 a. a. O. faßt drei Sätze in sich, deren erster als Regel aufstellt: "Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozeßgerichte." Der zweite Satz lautet: "Sie ist nur in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen einem Mitgliede des Prozeßgerichtes oder einem anderen Gerichte zu übertragen"; der dritte Satz: "Eine Anfechtung des Beschlusses, durch welchen die eine oder die andere Art der Beweisaufnahme angeordnet wird, findet nicht statt."

Allerdings ist die Tragweite der im dritten Satze getroffenen Bestimmung nicht außer Zweifel. Vor allem fragt es sich, welche Arten der Beweisaufnahme gemeint seien. Zuvor werden drei Arten erwähnt; die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgerichte (erster Satz), die vor einem Mitgliede des Prozeßgerichtes und die vor einem anderen Gerichte (zweiter Satz). Einige Ausleger der Civilprozeßordnung vertreten die, zuweilen auch von Gerichten gebilligte Ansicht, daß der dritte Satz des §. 320 a. a. O. nur die in dem unmittelbar vorangehenden Satze gedachten zwei Arten der Beweisaufnahme vor Augen hat, also nur diejenigen Beschlüsse der Anfechtung entzieht, welche das Prozeßgericht im Ausnahmefalle darüber faßt, ob die Beweisaufnahme einem seiner Mitglieder oder einem anderen Gerichte zu übertragen sei.

Einer so strengen Auslegung stehen indessen erhebliche Bedenken entgegen. Nach dem Dafürhalten des Reichsgerichtes ist die Vorschrift des dritten Satzes mit auf den ersten Satz, sonach mindestens noch auf solche prozeßgerichtliche Beschlüsse zu beziehen, welche entscheiden, ob von der gesetzlichen Ermächtigung zur Betrauung eines anderen Richters mit der Beweisaufnahme Gebrauch zu machen sei oder nicht.

Dafür spricht zunächst der Wortlaut. Die allgemeine Fassung des dritten Satzes begreift jede der in dem §. 320 a. a. O. bezeichneten Arten der Beweisaufnahme in sich.

Sodann darf die äußere Form des Gesetzes nicht unberücksichtigt bleiben. Der §. 320 a. a. O. ist in zwei Abschnitte zerlegt; der erste und zweite Satz bildet den ersten, der dritte Satz den zweiten Abschnitt. Hätte der dritte Satz nicht für den ganzen ersten Abschnitt, sondern bloß für den zweiten Satz gelten sollen, so wäre eine andere Einteilung (die Trennung des ersten Satzes vom zweiten, die Vereinigung des zweiten und dritten Satzes zu einem Abschnitte) erforderlich gewesen. Die obige enge Auslegung des dritten Satzes stützt sich in der Hauptsache auf die Motive, welche (S. 243) die fragliche Vorschrift, wie folgt, erläutern:

"Insoweit der Entwurf ausnahmsweise gestattet, daß die Beweisaufnahme nicht vor dem Prozeßgerichte selbst, sondern vor einem Mitgliede desselben oder vor einem anderen Gerichte stattfinde, hat das Prozeßgericht im einzelnen Falle zu ermessen, ob die eine oder andere Art der Beweisaufnahme anzuordnen sei; die hierüber vom Prozeßgerichte erlassene Verfügung kann von den Parteien nicht angefochten werden, weil sie vom diskretionären Ermessen des Gerichtes abhängig ist."

Diese Bemerkung beseitigt aber den obwaltenden Zweifel nicht.

Denn hier ist abermals von der "einen oder anderen Art der Beweisaufnahme" die Rede in einer Satzverbindung, welche nicht sicher erkennen läßt, ob damit nur die Beweisaufnahme vor beauftragtem Gerichtsmitgliede und ersuchtem Gerichte oder auch die zuvor gleichfalls berührte Beweisaufnahme vor dem Prozeßgerichte bezeichnet werden sollte. Hinzukommt, daß der Grund der Anfechtungsbeschränkung, dessen die Motive gedenken, nicht allein für die Wahl zwischen den beiden Beweisaufnahmearten des zweiten Satzes von §. 320 a. a. O., sondern auch in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle für die Beantwortung der Vorfrage zutrifft, ob die Regel des ersten Satzes zu befolgen oder nicht zu befolgen sei. Die Civilprozeßordnung hat die Nichtanwendung der Regel lediglich für einzelne besondere Fälle schlechthin geboten (§. 340 Abs. 2. §§. 347. 441 Abs. 2), im übrigen dagegen dem freien Ermessen des Prozeßgerichtes überlassen, und zwar bei dem Beweise durch Augenschein ohne alle Einschränkung (§. 337 Abs. 2 a. a. O.), bei den anderen Beweismitteln unter bestimmten Voraussetzungen (§. 340 Abs. 1. §. 367. 370. 399. 441 Abs. 1 a. a. O.). Sonach bietet die angezogene Stelle der Motive an und für sich betrachtet keinen zuverlässigen Anhalt für die Erklärung des Gesetzes. Wohl aber kann dazu die beigefügte Parenthese dienen. Inhalts derselben ist §. 320 C.P.O. anderen Gesetzgebungen nachgebildet worden, von denen namentlich folgende in Betracht gelangen:

Der 423. Art. württ. C.P.O. enthält vier Sätze, deren erster mit dem ersten Satze des §. 320 übereinstimmt; der zweite Satz giebt dem Sinne nach die gleiche Vorschrift, wie der zweite Satz des §. 320; der dritte Satz regelt das Verfahren im Falle der Beweisaufnahme- Übertragung; der vierte Satz lautet: "Gegen die richterliche Verfügung, welche die eine oder andere der in diesem Artikel bezeichneten Arten der Beweisaufnahme anordnet, ist ein Rechtsmittel nicht, statthaft".

Der §. 224 allg. bürgerl. C.P.O. für Hannover bestimmt: "Die Beweisaufnahme erfolgt regelmäßig in der Sitzung des Prozeßgerichtes, ausnahmsweise nach Anleitung der für die einzelnen Beweismittel erteilten Vorschriften vor einem Mitgliede des Prozeßgerichtes oder einem Amtsgerichte (bezw. einem auswärtigen Gerichte). Gegen die richterliche Verfügung, welche die Art und Weise der Aufnahme der einzelnen Beweismittel bestimmt, findet kein Rechtsmittel statt".

Der Art. 144 des oldenburgischen Gesetzes, den bürgerlichen Prozeß betreffend, zerfällt in fünf Paragraphen, von denen §§. 1. 2 im wesentlichen dem ersten Abschnitte des §. 320 C.P.O. entsprechen; §. 3 handelt von der Öffentlichkeit der außerhalb des Gerichtslokales erfolgenden Beweisaufnahme; §.4 schreibt vor: "Gegen die Verfügung, welche die Art und Weise der Aufnahme des Beweises bestimmt, findet ein Rechtsmittel nicht statt." Der §. 287 des hannoverschen Entwurfes einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten (zweiter Lesung) ist in den beiden ersten Sätzen wörtlich so gefaßt, wie Art. 423 württemb. C.P.O. Der dritte Satz besagt: "Gegen die richterliche Verfügung, welche die eine oder die andere der in diesem Paragraphen bezeichneten Arten der Beweisaufnahme anordnet, ist ein Rechtsmittel nicht zulässig."

Der §. 477 des Entwurfes einer (Zivilprozeßordnung für den Norddeutschen Bund weicht lediglich in der Fassung des zweiten Satzes von §. 320 C.P.O. ab. Der zweite Satz hat folgenden Wortlaut: "Sie ist nur in den durch dieses Gesetzbuch bestimmten Fällen und nur einem Mitgliede des Prozeßgerichtes oder einem Amtsgerichte zu übertragen."

Aus alledem ergiebt sich sehr klar, daß die Schlußvorschrift des §. 320 C.P.O. ganz denselben Grundsatz aufstellen sollte, welchen die neueren Prozeßgesetze von Württemberg, Hannover und Oldenburg, sowie der hannoversche Entwurf völlig unzweideutig, der norddeutsche Entwurf aber wenigstens nahezu so deutlich ausgedrückt haben: den Grundsatz der Unanfechtbarkeit sämtlicher Anordnungen hinsichtlich der Art der Beweisaufnahme, jedenfalls insoweit, als sie von dem Ermessen des Gerichtes abhängen.

In diesem Sinne ist endlich auch die mehrerwähnte Vorschrift bei den Kommissionsberatungen aufgefaßt worden. Gelegentlich der Beratung des §. 347 C.P.O. betonte der Vertreter der Regierungen wiederholt (Prot. S. 680. 681), daß §. 310 des Entwurfes (§. 320 C.P.O.) gegen Beschlüsse, welche die Aufnahme des Zeugenbeweises vor dem Prozeßgerichte anordnen, obwohl es im Belieben des Gerichtes stand, eine andere Art der Zeugenvernehmung zu bestimmen, Rechtsmittel nicht gestattet; und hiergegen wurde kein Widerspruch erhoben.

Ebenso verhält es sich mit den dem §. 441 Abs. 1 C.P.O. zu unterstellenden Beschlüssen. Der in großer Entfernung von dem Sitze des Prozeßgerichtes wohnende Schwurpflichtige hat keinen Anspruch darauf, daß ihm der Eid vor dem Gerichte seines Wohnortes abgenommen werde. Das Prozeßgericht " kann" solchenfalls das auswärtige Gericht um die Eidesabnahme ersuchen, muß aber hiervon absehen, wenn die Eidesabnahme vor dem Prozeßgerichte aus Gründen der Zweckmäßigkeit ratsam erscheint. Die Entscheidung der Zweckmäßigkeitsfrage beruht allein auf dem Ermessen des Prozeßgerichtes, unterliegt daher nicht oberrichterlicher Nachprüfung.

Da es sich gegenwärtig nur um die Zweckmäßigkeit des angegriffenen Beschlusses handelt, so ist kein Anlaß gegeben, zu erörtern, ob der dritte Satz des §. 320 a. a. O. noch weiter, als im vorstehenden geschehen, ausgelegt werden darf, insbesondere ob danach, wie mehrere Kommentatoren behaupten, selbst solche Beschlüsse für unanfechtbar zu achten sind, welche Abweichungen von der Regel des ersten Satzes verfügen, obgleich die gesetzlichen Vorbedingungen dazu fehlen, nicht minder solche Beschlüsse, welche in Fällen, wo das Gesetz die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgerichte schlechthin untersagt, letztere dennoch anordnen." ...