RG, 19.10.1918 - V 167/18

Daten
Fall: 
facultas alternativa
Fundstellen: 
RGZ 94, 58
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.10.1918
Aktenzeichen: 
V 167/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Beeinträchtigt der Umstand, daß es dem Schuldner nachträglich unmöglich geworden ist, von der ihm eingeräumten Lösungsbefugnis (facultas alternativa) Gebrauch zu machen, den Anspruch des Gläubigers auf die ihm geschuldete Leistung?
2. Wird, wenn der Gebrauch der Lösungsbefugnis von einer Bedingung (der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung) abhängig ist, der Anspruch auf die geschuldete Leistung ebenfalls zu einem bedingten?

Tatbestand

Der Kläger zu 1 und der Rentier Hugo L. hatten auf Grund des Vertrags vom 18. Januar 1912 von der Stadtgemeinde Berlin ein Baugelände erworben. Nachdem Hugo L. am 26. September 1912 verstorben, hierauf über seinen Nachlaß die Nachlaßverwaltung angeordnet und der Regierungsrat Schl. zum Nachlaßverwalter, am 14. März 1913 hierauf der Justizrat Scha. und der Bankdirektor H. zu weiteren Nachlaßverwaltern bestellt worden waren, verkauften die Nachlaßverwalter und der Kläger zu 1 einen Teil von dem bezeichneten Baugelände durch Vertrag vom 14. April 1913 für den Preis von 1770000 M an die Freie Volksbühne zur Errichtung eines Theaters. In Höhe von 1091000 M bestellte die Käuferin für das Kaufgeld eine Hypothek. Durch Vertrag vom 18. Dezember 1912 beauftragte die Freie Bühne die Beklagte mit der Finanzierung und Herstellung des Theaterbaues. Die Beklagte behauptet, daß das Zustandekommen dieses Bauvertrags, bei dessen Vorverhandlungen sie 100000 M mehr verlangt habe, als die Freie Bühne hätte bewilligen wollen, dadurch ermöglicht worden sei, daß der Kläger zu 1 und der Regierungsrat Schl., als damaliger alleiniger Nachlaßverwalter, ihr zuvor die Gewährung eines Zuschusses von 50000 M zu der ihr von der Freien Volksbühne zuzusagenden Vergütung verbindlich versprochen hätten. Schl. habe das getan wegen des eigenen großen Interesses der unter seiner Verwaltung stehenden Nachlaßmasse an dem Zustandekommen der geplanten Veranstaltungen. Nur so viel sei Schl. auf seinen Wunsch zugestanden worden, daß der Zuschuß von 50000 M statt durch Barzahlung durch Abtretung des gleichnamigen Betrags von der Kaufgelderresthypothek von 1091000 M sollte beglichen werden dürfen. Da die Beklagte durch Schreiben vom 21. Juli 1913 die Kläger zur Zahlung von 50000 M oder zur Abtretung des letztstelligen Teiles der genannten Hypothek aufgefordert hat, sind die Kläger mit dem Antrage klagbar geworden: festzustellen, daß der Beklagten ein Anspruch weder auf die Barzahlung noch auf die Abtretung zustehe.

Die Kläger haben jederlei Verpflichtung der Beklagten gegenüber in Abrede gestellt. Namentlich machten sie geltend, daß sie der Beklagten von vornherein überhaupt nur die Abtretung des Hypothekenteilbetrags von 50000 M, dagegen nicht auch eine Zahlung in bar zugesagt hätten, daß aber auch diese, erst bei den Vorverhandlungen gemachte Zusage durch die späteren endgültigen Verhandlungen wieder beseitigt worden sei. Überdies sei die Zusage sogleich nur unter der Bedingung abgegeben worden, daß das Nachlaßgericht die Abtretung genehmigen würde, und diese Bedingung sei durch Versagung der Genehmigung ausgefallen. Das Landgericht erachtete jedweden Anspruch der Beklagten wegen der verweigerten Genehmigung des Nachlaßgerichts für hinfällig und gab deshalb der Klage statt. Das Kammergericht wies nach der Berufung der Beklagten die Klage ab. Die Revision der Kläger wurde zurückgewiesen.

Aus den Gründen

"Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht zunächst auf der Feststellung, daß am 2. Dezember 1912 eine endgültige und vorbehaltlose Vereinbarung zwischen der Beklagten einerseits und dem Kläger zu 1 sowie dem damaligen alleinigen Nachlaßverwalter Regierungsrat Schl. anderseits zustande gekommen ist, und zwar eine Vereinbarung des Inhalts, daß sich die beiden Letztgenannten zur Gewährung eines Zuschusses von 50000 M zu der Vergütung verpflichteten, welche die Freie Volksbühne an die Beklagte für die von ihr zu übernehmende Bauausführung zu entrichten haben sollte, daß ferner den Verpflichteten nur gestattet sein sollte, sich von der übernommenen Verpflichtung durch Abtretung des Hypothekenteilbetrags von 50000 M zu lösen. Indem das Berufungsgericht sonach davon ausgeht, daß Gegenstand der Verpflichtung der Kläger an sich nur die Leistung der Abfindungssumme von 50000 M sein sollte, ist es auch zu dem Ergebnis gelangt, daß die Kläger von ihrer eigentlichen Verpflichtung nicht deswegen frei geworden sind, und anderseits die Beklagte ihres Vertragsanspruchs nicht deshalb verlustig gegangen ist, weil das Nachlaßgericht in der Folge die Abtretung des Hypothekenteilbetrags nicht genehmigt hat und aus diesem Grunde die Verwendbarkeit der Lösungsbefugnis unmöglich geworden ist. Dies Ergebnis des Urteils läßt sich, die Stichhaltigkeit seiner Feststellung vorausgesetzt, nicht beanstanden. Richtig ist zunächst die Annahme, daß die nachträglich eingetretene Unmöglichkeit, von der Lösungsbefugnis Gebrauch zu machen, nicht zugleich die Befreiung der Kläger von ihrer eigentlichen Verpflichtung zur Folge gehabt hat (§ 275 BGB.). Selbst bei der Wahlschuld im Sinne des § 362 BGB., bei der also die mehreren Leistungen in gleicher Weise verschuldet werden, führt die Unmöglichkeit der einen Leistung nicht die Befreiung des Schuldners überhaupt herbei; in solchem Falle beschränkt sich vielmehr das Schuldverhältnis auf die möglich gebliebene Leistung, es sei denn, daß der nicht wahlberechtigte Teil die Unmöglichkeit zu vertreten hätte (§265 BGB.). Diese Anschauungsweise muß erst recht Platz greifen, wenn es sich lediglich um ein Schuldverhältnis handelt, bei dem dem Schuldner nur eine Lösungsbefugnis im angegebenen Sinne eingeräumt worden ist (facultas alternativa). Denn hier muß es als selbstverständliche Voraussetzung gelten, daß der Verpflichtete sich seiner im Schuldverhältnis begründeten Verpflichtung durch die Ersatzleistung nur dann zu entledigen vermag, wenn er die Ersatzleistung überhaupt anzubieten imstande ist. Demgemäß trägt er auch nach jeder Richtung hin allein die Gefahr der Verwendbarkeit oder Unverwendbarkeit der ihm zugestandenen Lösungsbefugnis, während dem Gläubiger keine andere Verpflichtung obliegt, als gegebenenfalls die ihm gehörig angebotene Ersatzleistung an Stelle der geschuldeten als Erfüllung anzunehmen. Daß die Beklagte in dem gegenwärtigen Falle die Möglichkeit der Ersatzleistung ihrerseits in irgendeiner Weise vereitelt hätte, kann nicht in Frage kommen, ist von den Klägern auch nicht behauptet worden. Die eingetretene Unmöglichkeit der Ersatzleistung beeinträchtigt also den Vertragsanspruch der Beklagten keineswegs.

Anders läge die Sache, wenn man damit zu rechnen hätte, wie die Kläger und die Revision es wollen, daß der vertragsmäßige Anspruch der Beklagten selbst ebenfalls ein bedingter sei, nämlich dadurch, daß seine Geltendmachung gleichfalls von einer Genehmigung der Abtretung der Teilhypothek abhängig geworden wäre. Dies trifft jedoch in keiner Weise zu. Daß die Bedingung ausdrücklich gestellt worden sei, muß nach den Feststellungen des Berufungsgerichts als ausgeschlossen gelten. Es läßt sich aber auch nicht sagen, daß, weil die Erfüllbarkeit der Lösungsbefugnis ohne weiteres von der Genehmigung des Nachlaßgerichts abhängig war, dadurch mittelbar gleichzeitig auch die eigentliche Schuldverbindlichkeit der Kläger unter die gleiche Bedingung gestellt worden ist. Auch dieser Auffassung steht die Erwägung entgegen, daß die Beklagte die Erfüllbarkeit der Lösungsbefugnis nichts anging und nichts angeht, daß sie vielmehr ihren Vertragsanspruch so lange, als er seinerseits überhaupt erfüllbar ist, unbedingt geltend machen kann, gleichgültig, welchem Schicksale die Lösungsbefugnis anheimgefallen ist.

Endlich versagt auch die Anschauung, als hätte das ganze Abkommen um deswillen der Genehmigung des Nachlaßgerichts bedurft, weil ein Teil davon genehmigungsbedürftig war. Auch ihr steht entgegen, daß dieser letztere Teil nur die Lösungsbefugnis betraf, von deren Verwendbarkeit das Recht zur Geltendmachung des bedungenen Leistungsanspruchs unabhängig ist. Namentlich dürfen sich die Kläger somit auch nicht auf den Grundsatz des § 139 BGB. berufen. Für Anwendung dieser Vorschrift ist im übrigen hier schon deswegen kein Raum, weil es sich selbst bei demjenigen Teile des Vertrags, der die Lösungsbefugnis betrifft, keineswegs um Nichtigkeit der Abrede, sondern nur darum handelt, daß die Abrede wegen Versagung der nachlaßgerichtlichen Genehmigung gegenstandslos geworden ist. Wenn übrigens auch das Berufungsgericht den § 139 herangezogen hat, um auszuführen, daß die Parteien den Vertrag auch dann, mit dem gegebenen Inhalt abgeschlossen haben würden, wenn sie das Ausbleiben der nachlaßgerichtlichen Genehmigung in Rechnung gezogen hätten, so ist diese Ausführung nach den obwaltenden Umständen für das Ergebnis ohne Bedeutung und kann daher nebst den gegen sie gerichteten Revisionsangriffen auf sich beruhen bleiben." ...