RG, 17.10.1881 - Va 767/80
Wird der Veräußerer eines Grundstückes von seiner persönlichen Verbindlichkeit hinsichtlich einer von dem Erwerber in Anrechnung auf das Kaufgeld übernommenen Hypothek frei, wenn diese innerhalb eines Jahres nach der seitens des Veräußerers an den Gläubiger erfolgten Bekanntmachung der Schuldübernahme infolge einer inzwischen stattgefundenen Subhastation des Grundstückes erloschen und der Gläubiger daher dieselbe zu kündigen nicht mehr imstande ist?
Tatbestand
Der Rentier W., welcher am 12. Dezember 1878 bei der Verteilung der Kaufgelder für das im Wege der notwendigen Subhastation versteigerte Grundstück Soldinerstraße Nr. 28 zu Berlin mit einem Zinsrückstände von M 246,44 ausgefallen ist, hat die verehelichte Kaufmann P., als persönliche Schuldnerin, auf Zahlung dieses Zinsrückstandes in Anspruch genommen.
Die Beklagte wendete ein, daß der Kläger bereits im Januar 1878 von ihr in Kenntnis gesetzt worden sei, wie sie das gedachte Grundstück an den Rentier R. weiter veräußert und dieser die eingetragene Forderung des Klägers in partem pretii übernommen habe, daß aber der Kläger dadurch nicht veranlaßt worden sei, die Forderung dem Eigentümer des Grundstückes zu kündigen, und daß sie daher nach §. 41 des Gesetzes über den Eigentumserwerb vom 5. Mai 1872 bereits im Januar 1879 von ihrer persönlichen Verbindlichkeit freigeworden sei.
Der erste Richter erachtete diesen Einwand für durchgreifend und wies deshalb den Kläger ab. Auf die Appellation des letzteren verurteilte dagegen der zweite Richter unter Abänderung des ersten Urteiles die Beklagte nach dem Klagantrage, weil der Kläger, um sich den persönlichen Anspruch an die Beklagte zu erhalten, erst am 8. Januar 1879 die Hypothek habe kündigen dürfen, diese aber bereits bei der Kaufgelderbelegung am 12. Dezember 1878 erloschen und daher nach dieser Zeit eine Kündigung der Hypothek nicht mehr möglich gewesen sei.
Die hiergegen eingelegte, auf die Verletzung des §. 41 a. a. O. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist vom Reichsgericht zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Rüge, daß der Appellationsrichter den §. 41 a. a. O. verletzt habe, ist unbegründet. Die Nichtigkeitsbeschwerde verkennt den Zweck und die Bedeutung des §. 41 Abs. 2, wenn sie meint, die Befreiung des Veräußerers von seiner persönlichen Verbindlichkeit trete danach in allen Fällen ein, in welchen der Gläubiger die Hypothek nicht innerhalb des fraglichen Jahres gekündigt habe, ohne daß es darauf ankomme, ob wahrend dieses Jahres jederzeit eine Kündigung überhaupt möglich gewesen sei oder nicht. Der §. 41 giebt zwar, abweichend von dem bisherigen Rechte, dem Gläubiger die persönliche Klage gegen den Erwerber eines Grundstückes, welcher die auf diesem haftende Hypothek in Anrechnung auf das Kaufgeld übernimmt. Dadurch verliert aber der Gläubiger seine persönlichen Ansprüche an den Veräußerer noch nicht. Nur bei dem Hinzutreten gewisser Umstände wird der letztere von seiner Verbindlichkeit nach Abs. 2 frei, und diese Bestimmung macht die Befreiung des Veräußerers nicht von Ereignissen abhängig, welche außerhalb des Willens des Veräußerers liegen, sondern davon, daß der Gläubiger eine bestimmte Zeit hindurch seinen Willen durch Handlungen zu äußern unterläßt, welche vorzunehmen in seiner Macht stehen. Deshalb hat der Fall des Abs. 2, wie der Appellationsrichter mit Recht annimmt, zur Voraussetzung, daß die Hypothek, welche der Gläubiger innerhalb eines Jahres dem Eigentümer den Grundstückes zu kündigen und binnen sechs Monaten nach der Fälligkeit einzuklagen unterläßt während dieser Zeiträume noch existiert. Existiert sie nicht, so kann von der Kündigung einer solchen, oder von der Anstellung der hypothekarischen Klage gegen den Eigentümer des Grundstückes nicht die Rede sein und mithin auch die Unterlassung einer Kündigung, bezw. einer Klaganstellung während der gesetzlichen Frist nicht bewirken, daß der Gläubiger seinen persönlichen Anspruch gegen den Veräußerer verliert. Nach Abs. 3 soll, wenn das Kündigungsrecht für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen oder an den Eintritt eines bestimmten Ereignisses geknüpft ist, die Frist erst mit Ablauf der Zeit oder Eintritt des Ereignisses eintreten. Auch hieraus ergiebt sich, daß Abs. 2 die Möglichkeit der Kündigung zur Voraussetzung hat. Wenn hierüber nach dem Wortlaute der Bestimmung noch Zweifel obwalten könnten, werden diese durch die Motive zu dem §. 41 (Werner II. S. 25) beseitigt, welche sehr eingehend die Absicht der fraglichen Bestimmung darlegen. Die Motive erkennen ausdrücklich an, daß nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen dem Gläubiger ein Wahlrecht bleiben muß zwischen der persönlichen Klage gegen den Erwerber oder gegen den Veräußerer, damit er die Möglichkeit hat, sich an den zahlungsfähigeren zu halten, wenn er bei dem Grundstücke ausfällt. Dieselben erwägen aber, daß ein unbegrenztes Wahlrecht des Gläubigers eine große Härte und Unbilligkeit gegen den alten Schuldner enthalten würde, eine Unbilligkeit, die um so härter werde, wenn mehrfache Veräußerungen des Grundstückes dazwischen liegen, oder wenn seitdem der Schuldner gestorben und seine Erben und Erbesnehmer kaum noch eine Kenntnis davon haben, daß ihr Erblasser früher ein Grundstück einmal besessen und auf dasselbe eine Hypothek bestellt habe. Deshalb halten die Motive eine Bestimmung für geboten, durch welche, ohne dem Wahlrechte des Gläubigers zu nahe zu treten, jene Härte und Unbilligkeit möglichst beseitigt wird. Dieser Zweck hat durch den Abs. 2 des §. 41 erreicht werden sollen. Da dem Gläubiger ein direktes Klagerecht gegen den Übernehmer gegeben ist, soll daraus, daß der Gläubiger dem letzteren gegenüber eine gewisse Zeit hindurch unthätig geblieben ist und ihm das Kapital, obschon er es kündigen konnte, gelassen hat, geschlossen werden, daß derselbe sich die Übernahme und die Befreiung des Veräußerers von seiner persönlichen Verbindlichkeit gefallen läßt. Wenn der Gläubiger nicht innerhalb eines Jahres, nachdem ihm der Veräußerer die Schuldübernahme bekannt gemacht, die Hypothek dem Eigentümer des Grundstückes gekündigt und binnen 6 Monaten nach der Fälligkeit eingeklagt hat, soll angenommen werden, daß der Gläubiger rechtsgültig seinen Willen erklärt hat, den Veräußerer der persönlichen Verbindlichkeit zu entlassen. Da aber diese Annahme, wie aus den Motiven erhellt, wesentlich auf dem Ablaufe einer bestimmten Zeit beruht, während deren es dem Gläubiger möglich gewesen ist, seinen Willen nach der gedachten Richtung hin zu äußern, so fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen einer solchen, wenn seit der Bekanntmachung der Schuldübernahme an den Gläubiger erst ein geringerer, möglicherweise ganz kurzer Zeitraum verstrichen ist, dann aber infolge einer inzwischen stattgefundenen, notwendigen Subhastation des Grundstückes die Hypothek untergegangen und der Gläubiger daher gar nicht mehr in der Lage gewesen ist, die Hypothek zu kündigen und die hypothekarische Klage, gegen den Eigentümer des Grundstückes anzustellen. In einem solchen Falle hat der Gläubiger auch nicht diejenige Zeit zur Entschließung, auf welche er gesetzlich einen Anspruch hat, und sein Stillschweigen kann daher nach §. 41 Abs. 2 nicht die Wirkung haben, eine ausdrückliche Willenserklärung seinerseits zu ersetzen. Wenn die Nichtigkeitsbeschwerde meint, der Gläubiger müsse, um sich die persönliche Klage gegen den Veräußerer zu erhalten, seinen Willen, diesen in Anspruch zu nehmen, dadurch manifestieren, daß er der Subhastation beitrete, so sucht sie die Befreiung des Veräußerers auf Voraussetzungen zu gründen, für welche der §. 41 keinen Anhalt giebt.
Da der Appellationsrichter vorliegend feststellt, daß die Hypothek bereits vor Ablauf eines Jahres, nachdem die Veräußerung des verpfändeten Grundstückes dem Kläger bekannt gemacht war, untergegangen ist, verletzt er den §. 41 Abs. 2 durch unterlassene Anwendung nicht, sondern nimmt zutreffend an, daß die Bedingungen dieser Bestimmung hier nicht vorliegen."